Wenn der Grundbuchauszug zur Arschkarte wird

Unter dem Titel „Markranstädter können nicht schlafen und fühlen sich bedroht“ berichtete jüngst sogar die Qualitätspresse über die touristischen Alleinstellungsmerkmale der Stadt. Zur Erinnerung: Im Publikum des Stadtrats regte sich Volkszorn ob der Zustände rund ums gelbe Hotel. Es gab aber auch Zuschauer, die (leise) Zweifel an den Schilderungen äußerten. Auf der Suche nach des Pudels Kern machen wir mal das, was Satiriker immer tun. Wir betrachten das Treiben mal aus einer anderen Perspektive. Das macht die Sache zwar nicht lustiger, bringt aber Licht ins Dunkel.

Was jetzt kommt, ist wie guter Sex. Der funktioniert nur, wenn man den Kopf frei hat und der Phantasie freien Lauf gibt. Also tun Sie sich den Gefallen, lassen Sie einfach mal los und versetzen sich in folgende Lage:

Sie haben ein Haus. Sie wohnen mit Ihrer Familie darin, der Rasen im Garten wächst im Gleichschritt, eine Schaukel zeugt von der hier wohnenden Zeugungskraft, sonntags gibt’s Frühstück auf der Terrasse.

Wenn der Nachbar Walnüsse aufliest, hört man ein freundliches „Moin Erich“ über die Lebensbaumhecke fliegen und beim Schneeschieben im Winter bedankt sich Erich mit einem Tablett Grog auf dem Torpfeiler, den auch die anderen Nachbarn gerne annehmen. Idylle pur.

Man kennt sich, hat sich arrangiert, nimmt Rücksicht aufeinander und bis auf die Autos (und manchmal auch die Frauen) wird alles miteinander geteilt: Sorgen, Freude, Bohrmaschine, Mehl… Alles hat sich eingespielt und das Renteneintrittsalter kann kommen.

Die anonymen Nachbarn

Da plötzlich ändert sich alles! Sie bekommen neue Nachbarn. Nicht einen oder zwei oder eine ganze Familie. Nein, gefühlt Hunderte ziehen neben Ihnen ein. Wie viele es genau sind, wie sie heißen oder woher sie kommen, das kann oder will Ihnen niemand sagen. Aber das ändert sich sowieso jede Woche.

Dass sie anders aussehen oder man bei einigen gar nicht sehen kann, wie sie aussehen, stört erst mal weniger. Das ist heute eben so. Seit die Mandy (drei Häuser weiter) ein Ganzkörper-Tattoo und lila Haare hat, sieht sie auch nicht mehr aus wie Mandy. Das Leben ist Veränderung.

Deine neuen Nachbarn haben einen anderen Lebensrhythmus. Den hattest Du auch, als Du damals in Dein Haus gezogen bist. Du hattest Kinder, Dein Nachbar nicht, auch hatte er andere Hobbys.

Und einen anderen Musikgeschmack als Du hat er ebenfalls. Ihr hattet damals miteinander gesprochen, als Du Dich ihm als sein neuer Nachbar vorgestellt hast und Ihr habt Kompromisse ausgehandelt. Die halten bis heute. Sogar wenn bei einer Fete im Garten mal über die Stränge geschlagen wird.

Anbau für Wörterbücher

Jetzt stellst Du fest, dass Du mit Deinen neuen Nachbarn keinen Kompromiss aushandeln kannst. Sie sprechen nicht nur Deine Sprache nicht, sondern oftmals nicht einmal die ihrer Mitbewohner. Um sie zu verstehen, müsstest Du noch einmal anbauen, um die Bibliothek für die dazu benötigten Wörterbücher unterbringen zu können.

Aber anbauen ist nicht. Noch ist ja nicht einmal Dein Haus abbezahlt. Mehr noch: Weil jetzt niemand mehr hierher ziehen will, zahlst Du im Moment genau den Teil Deiner Hütte an die Bank zurück, den sie gar nicht mehr wert ist. Nicht weiter drüber nachdenken …

Wenn Deine neuen Nachbarn dann morgens gegen drei Uhr ihre eigenen nachbarschaftlichen Regeln aushandeln wollen und die offenen Fenster dabei die Wirkung von Grammophon-Trichtern entfalten, kannst Du sie mangels Sprachkenntnissen nicht einmal um Mäßigung bitten.

Nachtlied in der Neuen, Lausener und Krakauer Straße: „… und lass uns ruhig schlafen und unsre lieben Nachbarn auch…“

Erich hat sich bereits integriert und trotz 35 Grad das Fenster seines Schlafzimmers geschlossen. Du aber verschließt nicht Deine Fenster, sondern Dich der Integration. Keine gute Idee, aber das wirst Du erst später erkennen.

In der folgenden Nacht siehst Du, wie Deine Nachbarn draußen in der Parkanlage wieder mal grillen. Du denkst an Deine bevorstehende Geburtstagsfeier mit den vielen Gästen und willst diese Möglichkeit auch nutzen. Also rufst Du im Ordnungsamt an und bittest um die Genehmigung, ebenfalls dort auf der Wiese grillen zu dürfen. Schließlich sind wir ja vor dem Gesetz alle gleich.

Was keine Nachbarn nicht dürfen…

Das Ordnungsamt teilt Dir aber mit, dass das ebenso wie andere Arten offenen Feuers dort nicht erlaubt sei. Dein Hinweis, dass Deine Nachbarn aber genau dort auch jeden Abend grillen dürfen – sogar unter den Augen der Streife – provoziert beim Ordnungshüter die Frage, wer denn diese Nachbarn seien. Dein Nichtwissen irritiert den Beamten und der fragt also nach: „Na, sie müssen doch wissen, wie ihr Nachbar heißt. Was steht denn auf dem Klingelschild?“ Aber da steht nichts.

Ja – da wird Dir gewahr, dass Du nicht einmal weißt, wer da neben Dir wohnt, wie er heißt, woher er kommt. Fühlt sich irgendwie nicht gut an, sowas. Direkt neben Dir ist eine neue Welt entstanden, von der Du nicht weißt, wie sie sich dreht.

Immer was los – gern auch nachts

Die einzig verbindende Kraft zu Deiner Welt besteht in Polizeiautos und Krankenwagen, die in aller unregelmäßigen Regelmäßigkeit, oft mehrmals pro Woche und meistens nachts, mit Blaulicht dort anrollen. Das verunsichert Dich noch mehr. Was geht da ab direkt neben mir?

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Hier ein paar kleine Impressionen aus dem Alltag der Hotel-Anrainer. Von all den Einsätzen ist weder in Polizeiberichten noch in den Medien etwas zu erfahren. Wenn’s diese Fotos nicht gäbe, gäbe es all das gar nicht.

Die Überzeugung, dass sie ihre Sirenen wegen Deiner Nachtruhe schon vor dem Einsatzort abschalten, ist längst von Dir gewichen.

Manchmal, so zum Beispiel erst vor wenigen Tagen, nehmen sie einige Deiner Nachbarn mit. Diesmal warens derer gleich vier. Dafür kommt später ein Bus mit Neuen. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen alter und neuer namenloser Nachbarn, aber auch von Beamten in Uniform und Sanitätern.

Was da direkt neben Dir passiert, erfährst Du nie. Kein Polizeibericht, keine Pressenotiz in den folgenden Tagen klärt Dich auf. Nix passiert, alles in Ordnung! Polizeiautos, Feuerwehr, Krankenwagen – alles nur Einbildung.

Beweisfotos gegen Paranoia

Es ist, als hättest Du in diesen Nächten eine Fata Morgana gesehen. „Wahrscheinlich gekifft oder zu viel gesoffen“, werden Dir jene Leute sagen, denen Du davon erzählst. Oder es zumindest denken. Weils ja irgendwie klar ist, dass man unter Paranoia leidet.

Also fängst Du an, die nächtliche Zerstreuung zu fotografieren. Nicht für die Zweifler, sondern allein für Dich, damit Du am nächsten Morgen auch noch weißt, dass das wirklich passiert ist.

Lebensqualität steigt … negativ

Kein schönes Gefühl, inmitten einer solchen Situation zu leben. Weder für die direkten Nachbarn noch für jene, die durch mehrere Ligusterhecken hindurch zumindest visuell etwas Abstand zu haben scheinen. Die internationalen Frequenzen, welche die nächtlichen Auseinandersetzungen, musikalischen Höhepunkte, ehelichen Raufhändel oder Feierlaune durch die geöffneten Fenster live an die Umgebung übertragen, reichen weit.

Und weil niemand zuständig ist für diese Entwicklung, kommst Du zu dem Schluss, dass Du hier eigentlich nur noch wegziehen kannst. Also schaust Du auf Deinen Grundbuchauszug. Aber spätestens jetzt stellst Du fest, dass das Dokument inzwischen zu Deiner persönlichen Arschkarte geworden ist. Gehe in Dein Haus, begib Dich direkt dorthin, gehe nicht über Los!

Auch tagsüber gibt es reichlich Unterhaltung für die Anwohner. Vor allem die jüngere Generation der Ureinwohner lernt schnell, diese Art der Konversation in ihrem Alltag zu übernehmen.

Ja, so zumindest könnte es sein, wenn man mal loslässt und sich die Sache mit etwas Phantasie aus einer anderen Perspektive anschaut. Guter Sex eben – und genauso selten. Zum Glück aber ist es nicht so. Alles nur böse Satire. Die wirkliche Wahrheit liest sich wie folgt:

Jeder weiß, wer die neuen Nachbarn sind, woher sie kommen, wie lange sie bleiben und wann Bettenwechsel ist. Auch werden diese Nachbarn über die Gepflogenheiten im Wohngebiet ausführlich unterrichtet und halten sich sogar dran. Inklusive Zimmerlautstärke in den Nachtstunden. Man trifft sich Samstagmorgen beim Straßekehren oder Laubfegen, lädt sich zur abendlichen Grillparty ein, die Frauen leihen sich Mehl aus..

Ein KIK (Kommunaler Integrationskoordinator) agiert als Bindeglied zwischen Ureinwohnern und Neuankömmlingen. Es ist übrigens ein gutes Indiz für das reibungslose gesellschaftliche Miteinander, dass er dafür nur vier Stunden pro Monat braucht (jeden 1. und 3. Dienstag von 15 bis 17 Uhr). Die restlichen 716 Stunden des Monats kann der Bürger nutzen, um geruhsam das Büro ausfindig zu machen, in dem der KIK auf ihn wartet. Alles gut.

Auch ein Zeichen erfolgreicher Integration: Um das Hotel wurde vor wenigen Tagen ein Zaun gezogen (Foto unten). Freilich noch ohne Stacheldraht und Wachtürme, aber man sieht, dass hier Großes heranwächst im gesellschaftlichen Miteinander.

Auch hier natürlich ohne öffentliche Ankündigung respektive Erklärung und demzufolge mit ausreichend Spielraum freier Interpretation für alle. Aber wie sonst soll man die urdeutschen Tugenden nachbarschaftlicher Beziehungen mit dem berühmten „Gespräch am Gartenzaun“ für unsere neuen Nachbarn auch bildlich in Szene setzen?

Bei so wenig Problemen und solch hervorragender Integration ist es geradezu folgerichtig, dass der Landkreis weiterhin aktiv auf das Hotel mitten in der Stadt setzt und statt dessen seine Gemeinschaftsunterkunft in Borsdorf, die viel zu weit abseits des pulsierenden Lebens liegt, zugunsten des Standorts mitten in Markranstädt schließt.

Statt nun Stolz darauf zu sein, dass Bund, Land, Landkreis und Kommune so viel Vertrauen in die betroffenen Bevölkerungsteile Markranstädts setzen, fühlen diese sich nun bedroht und können nicht schlafen. Das ist … gelinde gesagt undankbar ist das, jawollja! Bei so viel Realitätsverlust stellt sich die Frage, ob diese Bürger überhaupt so viel Verantwortung tragen sollten. Ja – vielleicht sollte man solche Bürger einfach nicht mehr als Bürger wiederwählen? Irgendwas muss man ja machen, es kann doch nicht so weitergehen.

3 Kommentare

    • Nachbar auf 30. September 2018 bei 13:03
    • Antworten

    Was ist, wenn ich mich nicht integrieren möchte?
    Ich möchte die Sitten und Gebräuche meiner Nachbarn gar nicht übernehmen, das darf ich doch in einem freien Land?

    • Rena auf 29. September 2018 bei 16:19
    • Antworten

    KIK = Kommunaler-Integrations-Koordinator.
    Wieso ist dieser mit seinem Arbeitsplatz eigentlich so weit weg von denen, deren Integration er koordinieren soll? In seinem Fall ist Wegzeit innerhalb unserer Stadt ja sicher auch Arbeitszeit. Was bleibt da noch übrig für die Koordinierung der Integration?

    • Rena auf 29. September 2018 bei 13:57
    • Antworten

    Aus diesem aufschlussreichen Beitrag ergeben sich Fragen, die auf kompetente Antwort warten:

    1. Frage: Haben sich die Bewohner des gelben Hotels diese Sammelunterkinft selbst gesucht?- Nein! Auch für sie ist es eine Notsituation, die sie zunächst in einer sehr problematischen Notgemeinschaft aushalten müssen.

    2. Feststellung(1): Damit für die Bewohner diese Notgemeinschaft einigermaßen auszuhalten ist, ist eine innere Personalstruktur erforderlich, die mehr enthält als Wachdienst, Hausmeister, Sozialberatungssprechstunde und Verwaltung. Also mehr also, als ein normales Hotel zu bieten hat.

    3. Frage: Die „Verteilung“ der Geflüchteten innerhalb Deutschlands erfolgte nach dem Königsteiner Schlüssel.Ist die Zahl der Plätze im Hotel in der Zuweisungszahl für Markranstädt enthalten oder ist sie zusätzliches, noch weiter zu verteilendes „Kontingent“, welches für Markranstädt nicht mit gezählt wird?

    4. Empfehlung: Wenn sie zusätzliches Kontingent ist, sollte das schnell zu Gunsten Markranstädts korrigiert und die Nutzung des Hotels als Gemeinschftsunterkunft aufgehoben werden. Ist es nicht so, ergibt sich die

    5.Frage: Wird bei der Verteilung nach Königsteiner Schlüssel vorgeprüft und berücksichtigt, ob Kommunen den erforderlichen GEEIGNETEN Wohnraum zur Verfügung stellen können?

    6. Frage: Wer prüft u. verantwortet die Qualität der Unterkünfte für die dezentrale Unterbringung durch den Landkreis?
    (Bemerkenswertes Fotomaterial von Flüchtlingsunterkünften außerhalb des Hotels kann für Prüfzwecke zur Verfügung gestellt werden. Vielleicht sollte man mal 4 Wochen Wohnungstausch mit den Verantwortlichen durchführen, dann käme gewiss das Thema sozialer Wohnungsbau schnell in Gang und einigen bisherigen Vermietern würde das offenbar sehr lukrative (negative!) Geschäftsmodell entzogen.)

    7. Frage: Wird es in naher Zukunft in Markranstädt sozialen Wohnungsbau geben? Wann und wo beginnt er?

    8. Frage: Wird die Politik Wege finden, den mit dem Vermieter des Hotels geschlossenen Vertrag auch vorzeitig zu kündigen, wenn es keinen Bedarf mehr gibt? Wird sich dieser zukünftige Bedarf am Königsteiner Schlüssel unter Berücksichtigung der tatsächlichen, ZUMUTBAREN Wohnraumsituation Markranstädts orientieren?

    Zurück auf 1.:

    Damit man als Anwohner keine Bibliothek anbauen muss, gibt es Leute und Schulen, die Sprachkurse für Geflüchtete anbieten.
    Wer sie genutzt hat, ist inzwischen soweit sprachfähig, dass er sich mit seinen Nachbarn und anderen netten Markranstädtern gut verständigen kann.

    Deshalb:
    Keine Angst, kommen Sie einfach mal ins MGH zum Interkulturellen Begegnungscafe´u. versuchen Sie in netter, geschützter Atmosphäre mit einzelnen Geflüchteten in ganz normalen menschlichen Kontakt zu kommen und bemühen Sie sich, deren Lebenssituation zu verstehen.

    Damit soll nicht gesagt werden, dass dass, was da im Hotel im Argen ist, toleriert werden muss.
    Dezentrale Unterbringung ist in jedem Fall für alle die bessere Lösung und deshalb sozialer Wohnungsbau auch in Markranstädt nötig.

    Fazit:
    Die Geflüchteten sind da und es gibt Probleme.
    Aber: Welche Möglichkeiten gibt es denn für ein friedliches Miteinander, wenn wir uns nicht gemeinsam in der Stadt und Nachbarschaft um soziale Integration über ganz persönliche Kontakte bemühen, darum, dass aus Fremden Freunde werden???
    Mauern und Zäune hatten wir doch schon mal und Freundschaften zwischen Einheimischen und Geflüchteten gibt es zum Glück inzwischen auch schon!

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