Ein Vormittag bei Kerzenschein

Ist es nicht schön, wenn im Advent Wünsche in Erfüllung gehen? Entschleunigung, analoge Gespräche, Zeit füreinander … Genau das erfüllte sich heute für die Markranstädter. Zwar aufgezwungen von einer höheren Macht, aber gerade das sollte uns in der Vorweihnachtszeit nicht verwundern. Zweieinhalb Stunden ohne Strom – was ’ne Erholung!

  

  

Glaubt man einschlägigen Kontaktanzeigen, stehen alle Frauen neben einer starken Schulter zum Anlehnen und einem Glas Rotwein am Abend sowieso vor allem auf … klar … Kerzenschein! Und im Advent mögen das mitunter auch Männer. Insofern war der stromlose Vormittag ein Geschenk!

Lediglich die Frage, ob da in der Kernstadt nicht irgendwo noch ein paar Senioren in einem Fahrstuhl steckten, hatte ein negatives Aroma. Ansonsten aber gab es nur Vorteile und erstaunliche Offenbarungen.

So fließt der Verkehr durch Markranstädt ohne Ampeln reibungsloser als mit diesen überflüssigen Lichtsignalanlagen. Kein Stau, keine Stockungen – nicht mal auf der Kreuzung vorm Rathaus. Sogar Rentner konnten die Straßen überqueren, ohne von Mautflüchtlingen erfasst zu werden.

Kann auch sein, dass geschlossene Rolltore der umliegenden Tiefgaragen für Entlastung auf den Verkehrswegen sorgten. Im Autobunker in der Hordisstraße gabs jedenfalls erstmal weder ein Rein noch ein Raus.

Die Zeit für einen Einkauf zu nutzen, war ebenfalls nicht möglich. Kein Strom – keine Kassen. Einmal mehr hat sich unsere Gesellschaft von ihrer verwundbaren Seite gezeigt. Verhungernde Menschen vor einem vollen Supermarkt: Willkommen in der Moderne!

Das Rathaus meldete sich per Radio. Allerdings nicht in der erwarteten Form als Live-Berichterstatter aus dem Katastrophengebiet, sondern eher sympathisch beruhigend. Die Erste Beigeordnete Beate Lehmann berichtete von glücklichen Kindern, die sich über Schulausfall freuten.

Diese Freude jedoch währte nur kurz. Zu Hause angekommen, funktionierten die Computer nicht. Reihenweise überkamen die Kids gefährliche Panik-Attacken. Herzrasen, Atemnot und die Angst vor dem Verlust tausender Facebook-Freunde führten zu krisenhaften psychologischen Ausfällen.

Die Ärzte konnten nicht helfen. Einerseits ist die Technik zum Einlesen der Chipkarten ebenfalls stromabhängig, andererseits waren sie mit der Erhaltung der Kühlkette für empfindliche Medikamente beschäftigt.

Die Behörden schlossen indes einen terroristischen Hintergrund aus. Wenngleich es sich um einen sehr sensiblen Zeitpunkt gehandelt hat, so kurz vor der Eröffnung eines christlich geprägten Weihnachtsmarktes.

„Das ist keine Verschwörungstheorie“, meint Rentner Adolf H. (84) überzeugt. „Ohne Strom kein Glühwein, so wird die Adventszeit zum Ramadan. Ich weiß genau, was hier läuft! Da kann die Lügenpresse noch so oft schreiben, dass ein Elektriker in der Frühstückspause auf ein nicht isoliertes Hauptstromkabel gepinkelt hat!“

Um 12:20 Uhr gingen die Lichter dann wieder an. Allerdings nicht überall. In Frankenheim beispielsweise wars noch gegen 13:30 Uhr tagfinster. Freitag nach eins … alle zu Hause … kein Strom … Freude im Advent: Da werden im September wieder die Geburtenraten steigen.

8 Kommentare

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    • Annett Aukthun auf 9. Dezember 2018 bei 7:22
    • Antworten

    Einfach nur Spitze. Wieder mal super geschrieben.

    1. So sind wir eben 🙂 Schön, wenns gefällt und noch schöner, wenns auch ein Dankeschön gibt.

    • Bernd auf 8. Dezember 2018 bei 13:41
    • Antworten

    Wie wäre es mit einer Fortsetzung dieser netten Adventsgeschichte? Stromausfall hatten wir ja heute Vormittag schon wieder…..

    1. Der Artikel hat für beide Stromausfälle Gültigkeit. Wir setzen uns doch nicht jedesmal an die Tastatur, wenn irgendwo mal für ein paar Minuten das Licht aus geht.

    • Heidi auf 7. Dezember 2018 bei 18:36
    • Antworten

    Das Tempo, mit dem die Nachtschichten auf aktuelle Situationen reagieren,ist unübertreffbar! Hut ab!!!
    Und so ist das wahre Leben: Die einen machen sich ´nen satirischen Kopf und belustigen in tristen Zeiten das Lallendorfer Volk, die anderen flüchten hungrig und mit guter Hoffnung auf Beköstigung und Wärme ins Allee-Center, weil die Bude inzwischen kalt und kein Feuer im Herd ist.

      • jabadu auf 9. Dezember 2018 bei 10:32
      • Antworten

      Und auf dem Donnerbalken brannte kein Licht und der Miefquirl versagte seinen Dienst. Zum Glück war noch eine alte Taschenlampe mit Flachbatterien aufzufinden. Es war ein Gefühl wie früher unter der Bettdecke. Schaurig und muffig, und doch vertraut. Und so gesehen war`s dann doch gar nicht so schlimm.

      1. Echt jetzt? Sie haben noch einen Quirl im Zylinder? Dann bitte gut aufpassen, wenn der Glühwein wieder hochkommt. Schon manchem ist beim Göpeln das Gebiss in die Keramik gefallen. Wenn dann der Strom wiederkommt und der Schredder anspringt, wird das Ding zermüllert. Bamm braupft du ein neuef… 😉

    1. Na endlich! Die erste Frau, die sich drüber freut, wenns mal schnell gegangen ist. Da muss erst der Strom ausfallen …

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