Mehr Fragen als vorher und alles ungeklärt?

Viele Seebenischer werden sich noch an die gar nicht weit zurückliegenden Tage erinnern, da ganze Heerscharen von Aufklärern, Beratern und schlussendlich Anbietern vollbiologischer Kläranlagen ins Dorf einfielen. Nachdem zwar nicht das Abwasser, dafür aber zumindest die gesetzlichen Grundlagen geklärt waren, wurde der Sinn solcher Anlagen erläutert. Vollbiologisch war demnach gleichbedeutend mit absolut sauber.

An anderen Orten ließen sich namhafte Politiker sogar herab, pressewirksam so zu tun, als würden sie einen als biologisch geklärtes Abwasser getarnten Schluck Volvic trinken. Nun aber erfahren die Seebenischer aus der Presse, dass ihr teuer geklärtes Abwasser nicht nur nicht sauber ist, sondern sogar nur vorgeklärt. Wohl dem, der nur zur Miete kackt. Da sowas auf dem Lande eher selten vorkommt, blicken wir heute mal statt durch das satirische Monokel durch eine handelsübliche Klobrille. Und die ist von Natur aus nicht rosarot.

Am teuersten bezahlt hat die vollbiologische Kläraktion im Markranstädter Süden wahrscheinlich die Person, die am wenigsten davon hatte. Eine Äußerung, der man nachsagt, dass sie auf dem Weg zur Zunge möglicherweise den Umweg über die unmittelbar darüber befindliche biologische Klärstufe scheute, kostete ihr viele Stimmen und damit wohl auch den Posten.

Dabei war die Ansage durchaus pragmatisch, denn wer seine Ausscheidungen nicht bezahlen kann, hat auch kein Recht auf ein Klo. So einfach ist das. Drum sind die Leute in jenen Epochen, als es noch kein Geld gab, immer in den Wald gegangen, um ihre Geschäfte zu verrichten. Kacken war praktisch schon damals unbezahlbar.

In der Neuzeit haben findige Köpfe entdeckt, dass man mit dem Geschäft durchaus ein Geschäft machen kann. Ironie der Geschichte: Die Ideen dazu werden wahrscheinlich genau dort geboren, wo jedem Menschen die besten Ideen kommen. Auf dem Klo.

Jahrzehntelang flossen die Extrakte dieser Ideenschmieden, geklärt oder ungeklärt, auch auf die Seebenischer Bruchfelder, die später Vernässungsfläche genannt und vor kurzem sogar zum See befördert wurden. Von dort wurden sie auf vielfältige Weise dahin transportiert, wo so vieles landet, was die Zivilisation nicht mehr braucht: nach Sachsen-Anhalt.

Im Jahr 2010 wurden die ländlichen Süd-Markranstädter vergattert, vollbiologische Kläranlagen in ihren Höfen eingraben zu lassen. Wobei der Begriff vollbiologisch von vornherein als Werbegag verstanden

wurde, weil die vorgeschriebenen Kotquirle und Kackschredder mindestens ebenso viel unbiologischen Strom fressen, wie die computergesteuerte Regelungstechnik, deren Leistungsmerkmale sogar die bei Airbus eingesetzten Autopiloten in den Schatten stellen. Die dafür erforderlichen mitunter fünfstelligen Investitionen wurden den privaten Haushaltsvorständen mit der Verheißung schmackhaft gemacht, dass hinten sauberes Wasser rauskommt.

Die örtliche Tageszeitung berichtete gestern über das Abwasserdilemma in Seebenisch. So ganz zu verstehen war der im Artikel dargelegte Sachverhalt leider nicht und deshalb wird es neben in doppeltem Sinne ungeklärten Fragen auch jede Menge Irritationen geben.

So wurde zwar geschrieben, dass aus der einstigen Vernässungsfläche quasi über Nacht nun doch noch ein See geworden ist, dennoch wurde der Bauamtsleiterin am Schluss des Beitrages wieder der Begriff Vernässungsfläche in den Mund gelegt. Ja, wie jetzt?

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Trotz oder gerade wegen vollbiologischer Kläranlagen könnte, wie dem Pressetext der gestrigen LVZ-Ausgabe zu entnehmen ist, der neue See in Seebenisch zur Kloake werden. Das steht den vollmundigen Werbeversprechen der Anlagenhersteller ebenso entgegen wie die Ziele des Gesetzgebers. Irgendwo stinkt’s.

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Die Bewohner an der Südküste des Lago Radona dürfen auf ihren Toiletten sorgenfrei drücken, ihre Exkremente fließen in einen Container.

Auch die städtische Ankündigung, dass das Verlegen einer neuen Leitung und damit die Herstellung einer zumindest teilweise zentralen Abwasserlösung mit keinen neuen Kosten für die Anwohner bzw. Nutzer verbunden sein soll, wurde lediglich als Wunsch formuliert, der zudem gleich im nächsten Satz umgehend mit der einleitenden Floskel „gleichwohl“ entweiht wurde.

Die stärksten Irritationen dürfte aber das gleich mehrfach verwendete Attribut „vorgeklärtes“ Abwasser hervorgerufen haben. Da fragen sich die besorgten Verursacher fäkaler Frachteinträge nicht ohne Grund, ob man ihnen vor vier Jahren für mehrere tausend Euro nur läppische Vorreinigungsstufen statt vollbiologischer Kläranlagen untergejubelt hat.

Wenn trotz Einsatzes hochmoderner, leistungsfähiger und noch dazu vollbiologisch arbeitender Kläranlagen ein zum See avancierter Teich zu einer (Zitat:) „stinkenden Kloake“ zu werden droht, dann stinkt woanders was – und zwar gewaltig.

 

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