H5N8: Die Gefahr aus der Kuckucksuhr

Vor einigen Wochen ist auf der Insel Rügen ein toter Vogel gefunden worden. In ihm haben Wissenschaftler nach fieberhafter Suche eine Wasserstoff-Stickstoff-Verbindung gefunden, die in der Natur nie und im Chemielabor nur in einem Reaktor vorkommt: H5N8. Der ideale Anlass, die Preise für Weihnachtsgänse und anderes Federvieh in die Höhe zu treiben?

Die Grippe-Lobbyisten haben offenbar wieder mal ganze Arbeit geleistet. Ein toter Vogel bislang und die ganze Republik steht Kopf. Fast könnte man darüber selbigen schütteln.

Aber so ist das in der heutigen Zeit. In Kurdistan werden täglich tausende Menschen geschlachtet, aber die Welt horcht nur auf, wenn ein amerikanischer Journalist geköpft wird. Es scheint, als könnten nur noch Einzelschicksale die Herzen der Menschen ergreifen und zu Veränderungen oder wenigstens Maßnahmen führen.

Der Verwesungsgeruch des toten Vogels von Rügen zieht nun auch auf Markranstädt zu. In Gebieten der Landkreise Görlitz, Bautzen und Nordsachsen sowie im Vogtlandkreis muss Geflügel schon in den Ställen bleiben. Als Risikogebiete für eine Ausbreitung des H5N8-Virus gelten vor allem die Uferbereiche an Seen, Teichen und Flüssen. „Geflügel muss dort so gehalten werden, dass es keinen Kontakt zu Wildvögeln haben kann.“, heißt es. Auch die Seen im Südraum Leipzig sowie die Uferbereiche der Mulde wurden als solche Risikogebiete eingestuft.

Dabei hat die Hysterie gerade erst begonnen. Schon nageln besorgte Frauen die Türen der Kuckucksuhren zu und der BND befürchtet salafistische Selbstmordattentäter, die mit lauter toten Vögeln am Gürtel ins Markranstädter Rathaus marschieren.

Kinder stehen weinend an der Supermarkt-Kasse, weil Mama ihnen keine Überraschungseier mehr kauft (in jedem fünften Ei steckt ein H5N8) und die größte Sorge besteht darin, dass das Virus muhtiert und dann auch Kühe befällt.

Nicht zuletzt droht auch dem horizontalen Gewerbe eine ernsthafte Krise. Niemand will mehr was mit Bordsteinschwalben zu tun haben. Die hier drohende Vögelgrippe wütet zwar schon seit Jahrhunderten, hatte aber bislang so harmlose Bezeichnungen wie Tripper oder Schanker. H5N8 klingt gefährlicher und schreckt deshalb ab.

In den landwirtschaftlichen Betrieben Sachsens werden rund 10,8 Millionen Hühner, über 26 000 Gänse, fast 45 000 Enten und 195 900 Truthühner gehalten.

Was die wenigsten Menschen wissen: Unsere Weihnachtsgänse kommen meist aus Polen oder anderen innovativen Wirtschaftsräumen und werden dort „genudelt“. Über ein in den Hals eingeführtes Metallrohr wird den Tieren kiloweise Futter in die Mägen gepumpt. Da leiden die zwar mehr drunter als unter einem Grippevirus, aber da es keine Einzelschicksale sind, interessiert das niemanden. Wichtig ist, dass die Gänse schnell wachsen, in kürzester Zeit fett und dann geschlachtet werden. Noch deutlicher wird das beim Broiler.

Vom Schlüpfen bis zum Schlachten hat er gerade mal 33 Tage! Der Lebenszyklus eines solchen Tieres ist kürzer als die Inkubationszeit eines H5N8-Virus. Sie können also gar nicht krank werden, unsere Weihnachtsbraten. Jedenfalls nicht an Grippe.

Bon appetit. (Foto: Asavaa, Creative Commons Lizenz 3.0)

 

Insofern ist für uns Verbraucher alles gut und Weihnachten trotz nicht vorhandener H5N8-Epidemie gerettet. Der Vogel wird zwar vielleicht etwas teurer werden, aber was nimmt man nicht alles in Kauf, so lange Ebola schön weit weg ist? Wir schreien erst im Januar wieder auf, wenn – statistisch gesehen – im Islamischen Staat der nächste Amerikaner geköpft wird.

 

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