Erst Räpitz verhökert, dann Markranstädt eingemeindet?

Räpitz und seine Ortsteile sollen ab 1. 4. 2017 zu Sachsen-Anhalt gehören. Diese Mitteilung war mehr als nur ein landespolitischer Paukenschlag. Wie zu erwarten, beschäftigen sich jetzt ganze Stäbe von Juristen mit der Frage, ob ein solcher Vorgang tatsächlich vom Grundgesetz gedeckt wird. Artikel 29 sieht so etwas zumindest vor. Da es aber ein Präzedenzfall ist, lesen sich die Pressemitteilungen aus Dresden und Magdeburg eher wie Anleitungen zum Kauen von Naturkautschuk.

Nur ein einziger Paragraf wurde benannt, dafür jede Menge Willensbekundungen und schwammige Phrasen. Eigentlich sind es nur zwei Argumente, die da von den Landesvätern Sachsens und Sachsen-Anhalts ins Feld geführt werden.

Einmal wird da die landsmannschaftliche Verbundenheit erwähnt, die in Artikel 29 des Grundgesetzes gemeißelt ist. Auf Grund historischer Entwicklungen sei diese Verbundenheit nach der sachsen-anhaltinischen Region hin traditionell stärker.

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Der Begriff „Beitrittsgebiet“ rief die Juristen auf den Plan.

Die seit der Wiener Konferenz 1815 zwischen Kulkwitz und Räpitz verlaufende Grenze trenne Räpitz demnach schon seit 200 Jahren von Sachsen. Durch die Bildung der 15 Bezirke in der ehemaligen DDR sei dies zwar vorübergehend beseitigt, nicht aber juristisch abgeschafft worden.

Dass es im Zuge der Wiedervereinigung versäumt wurde, den rechtlichen Zustand wiederherzustellen, sei sowohl auf die Wirren der damaligen Zeit als auch die Eile bei der Gestaltung des Einigungsvertrages und die eher unbedeutende Größe des Gebietes zurückzuführen, heißt es in Dresden.

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Der 1815 beim Wiener Kongress festgelegte Grenzverlauf in der Region Markranstädt – Lützen.

In der Tat findet sich in Artikel 29 des Grundgesetzes die einzige juristische Handhabe, auf die man sich in der sächsischen Staatsregierung beruft. Da heißt es: „Das Bundesgebiet kann neu gegliedert werden, um zu gewährleisten, dass die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können. Dabei sind die landsmannschaftliche Verbundenheit, die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit sowie die Erfordernisse der Raumordnung und der Landesplanung zu berücksichtigen.“

„So unglücklich manche Entscheidungen in der Vergangenheit auch gewesen sein mögen: Wir können das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen.“, meint etwa Dr. Hasso Borderlein, parlamentarischer Staatssekretär im sächsischen Außenministerium, vor dem Hintergrund des seit 1815 herrschenden Zustandes.

Auch Borderlein war nach eigenen Angaben „erschrocken“ ob der Tatsache, dass die Wiener Verträge noch gelten. Aber er habe sich aufklären lassen: „Natürlich gelten die noch heute. Stände das in Frage, würde man ja dann im Umkehrschluss die napoleonische Vorkriegsordnung wiederherstellen müssen.“ Was er nicht sagte, aber wohl im Sinn hatte: Dann hätte der Freistaat Sachsen quasi wieder einen Anspruch auf die polnische Krone.

Paragrafenreiterei mit doppeltem Boden

Aber Warschau ist weit weg, also zurück nach Markranstädt. Hauptsächlich beruft man sich auf die inzwischen zu konstatierenden wirtschaftlichen Entwicklungen und gesellschaftliche Beziehungen zwischen Räpitz und seinen westlichen Nachbarn, denen man mit der Entscheidung der Rückübertragung von Räpitz an Sachsen-Anhalt in hohem Maße Rechnung tragen würde.

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Die linke, hellere Linie markiert den gegenwärtigen Grenzverlauf zwischen Sachsen und Sachsen-Anhalt, die rechte, dunklere Linie stellt die Demarkation ab 2017 dar.

Auch Widerspruch aus der Bevölkerung, mit dem man durchaus rechnet, will man offenbar nicht gelten lassen. Borderlein meint fast schon zynisch dazu: „Seit es Telefon gibt, hat Räpitz schon die sachsen-anhaltinische Vorwahl von Lützen. Das hat bislang auch niemanden gestört. Wieso sollte man sich jetzt plötzlich dagegen wehren?“

Heim ins Kirchenreich

Darüber hinaus führt er die Tatsache an, dass Räpitz und seine Ortschaften traditionell zum Kirchspiel Lützen gehören und damit zum Kirchenkreis Merseburg in Sachsen-Anhalt. Auch dagegen habe bislang niemand etwas gehabt, so Borderlein.

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Hat die Sache 200 Jahre lang einfach ausgesessen und ist ab 2017 auch politisch wieder korrekt: Der Kirchenkreis Merseburg.

Allerdings will zu dieser lapidaren Haltung die Ankündigung des Bundes nicht so recht passen, der Stadt Markranstädt eine Sonderausschüttung über den Länderfinanzausgleich zukommen zu lassen. Das klingt eher nach Schweigegeld.

Rund 12,8 Millionen Euro soll Markranstädt einmalig für das zu übertragende Territorium erhalten, dazu noch einmal jährlich 18.700 Euro pro Kopf für den „Einwohnerverlust“, wie man die Umsiedlung ohne Umsiedlung politisch umschreibt.

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Hat ab 1. 4. 2017 wieder politische Bedeutung: Der alte Grenzstein Nr. 58 an den Ellern zwischen Seebenisch und Räpitz. Auf der östlichen Seite steht KS (Königreich Sachsen), auf der westlichen KP (Königreich Preußen).

Das soll wohl die Konsequenzen abfedern, die wahrscheinlich nicht einmal die Landesregierung in allen Einzelheiten kennt. Denn die Folgen sind auch für den Rest von Markranstädt, der in Sachsen verbleibt, bislang unabsehbar. Weniger Einwohner bedeuten weniger Finanzzuweisungen und das wiederum weniger Leistungen in der öffentlichen Daseinsfürsorge.

Kommunalpolitik zeigt sich sprachlos

Im Markranstädter Rathaus herrscht dazu noch Funkstille. Allerdings werden sich unsere kommunalpolitischen Würdenträger nicht mehr lange zurückhalten. Immerhin stehen Posten auf dem Spiel. Wie eine Tageszeitung bereits letzten Samstag berichtete, fällt ohne Räpitz die Einwohnerzahl Markranstädts unter jene Grenze, die sowohl die Existenz eines kommunalen Parlamentes (Stadtrat) rechtfertigt als auch eines hauptamtlichen Bürgermeisters.

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Die Schkeitbarer Kirche bleibt zwar im Dorf, aber nicht im Lande. Trotzdem ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Allerdings dürfte das schon jetzt hörbare Händereiben der Gegner des Bürgermeisters kaum genug Hitze erzeugen, um das Blut zu erwärmen, dass bei der Aussicht auf die Folgen in den Adern gefriert: Sachsen-Anhalt bekommt ein Stück Land zurück, auf das es sich historisch beruft und Markranstädt verliert im Gegenzug seine Eigenständigkeit. Es ist zu erwarten, dass am 1. April 2017 nicht nur Räpitz nach Lützen eingemeindet wird, sondern zugleich Markranstädt nach Leipzig. Da ist noch ein heißer Tanz zu erwarten.

 

 

8 Kommentare

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    • Peter Raupp auf 1. April 2015 bei 19:59
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    und auch wenn es nur ein 1ster April ist, so haben doch einige Schlagwörter im Bericht einen faden beigeschmack.

    1. Nun ja, wir hatten auch erst überlegt. Dann haben wir uns alle bei youtube verfügbaren Videos und Texte von Julius Cäsar, Gustav Adolf, Joseph Goebbels, Erich Honecker und Helmut Kohl und auch von NVA-Mitgründer Friedrich Paulus angehört und … ja … entweder wir hätten Worte von denen verwenden oder eben schweigen müssen. Sollte es wirklich so einfach sein, anderen Menschen das Wort zu verbieten, indem man es selbst benutzt? Wer ist dann der Stärkere?

    • Peter Raupp auf 1. April 2015 bei 19:57
    • Antworten

    Dor Säbenischor woher weist man eigentlich dass es schöner wohnen in Döhlen gibt? Dies doch wohl nur wenn man einer bestimmten Partei angehört oder sich mit bestimmten Gemeindemitgliedern gut stellt und diesen huldigt.

    • Ute Weigand-Münzel auf 1. April 2015 bei 10:09
    • Antworten

    Euch auch einen schönen 1.April 😉

      • Dor Säbenischor auf 1. April 2015 bei 14:04
      • Antworten

      Ute denkt auch, sie hätte noch mal Glück gehabt, weil Döhlen noch gerade so in Sachsen verbleibt.
      Sie ahnt noch nichts von der neuen sächsischen Grenzübergangsstelle, die zwischen bft-Tanke und Landesgrenze geplant ist, um den zu erwartenden Ansturm von Armuts- und Wirtschaftsflüchtlingen (aus welcher Wirtschaft sie auch immer kommen mögen) hinein nach Sachsen aufzuhalten.
      Um die Größenordnung der zukünftigen Grenzübergangsstelle erahnen zu können, empfehle ich einen Besuch in Marienborn.

      Außer für Autohändler Arzimanov, für den mit der Grenzverlegung sicher goldene Zeiten anbrechen werden, sehe ich für alle anderen baldigen Zonenrandbewohner deshalb schwarz. Schöner wohnen in Döhlen? Das war einmal…

    1. Wieso 1.April ? Das Einführungsverfahren vom Regierungsbezirk Merseburg war bereits. Hochwürden brauchten nur in das Katasterschriftgut der Gemarkungen zu schauen.

      1. Wow! Weißt aber schon, dass der Artikel bereits 3 (in Worten: drei!!!) Jahre alt ist? Inzwischen steht schon die Eingemeindung von Sachsen-Anhalt nach Leipzig auf der Agenda… 🙂

        1. Weiß ich schon, das Stück Bundesrepublik heißt aber Provinz-Sachsen gegründet in der Rechtsform eines Herzogtums. Beamte und Volksvertreter der Stadt Markranstädt Arbeiten aber in der Rechtsform eines Fürstentums. Kein Wunder das im Kalender der 1.August nun König Kurt heißt und beim Schälen von einen Ei, ein Huhn nun geschält wird.

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