Ein Hudel-Dudel für: Wolfgang Altmann

Heute vor genau 30 Jahren, am 22. April 1987, schrieb Lok Leipzig Fußball-Geschichte. Im legendären EC-Halbfinale wurde Girondins Bordeaux vor rund 100.000 Zuschauern aus dem Zentralstadion gekickt. Der Treffer, den der Markranstädter Wolfgang Altmann im Elfmeterschießen zum 5:5 einlochte, ist sogar noch heute bei Youtube ein oft und gern geklickter Augenblick.

Inzwischen sind drei Jahrzehnte ins Land gegangen. Die Erinnerung lässt vieles verblassen, auch wenn das Zentralstadion wirklich nicht mehr so groß ist wie einst. Wolfgang Altmann wird in diesem Jahr 65, ist bodenständig geblieben und lebt noch immer in Markranstädt. Ab und zu zieht er sich auch die Markranstädter Nachtschichten rein und deshalb wird er wohl geahnt haben, was da nach der Interview-Anfrage so auf ihn zukommt.

Herr Altmann, wir müssen für unsere Leser erst mal ein paar Zahlen aufrufen. Als da wären: einmal Vizemeister, dreimal Dritter, dreimal Pokalsieger, 325 Oberligaspiele mit 35 Toren und schließlich die 43 Europacup-Spiele. Stimmt das so oder haben wir was vergessen?

Das haben sie gegoogelt, stimmts? Aber Google ist nicht allwissend. Insgesamt habe ich für Lok 585 Punkt-, Pokal- und internationale Spiele absolviert.

Bevor wir zu jenem denkwürdigen Halbfinale am 22. April 1987 kommen, schauen wir mal noch etwas weiter zurück. Schon 13 Jahre vorher durften Sie in einem europäischen Halbfinale ran, gegen Tottenham. Damals waren Sie 22, im Spiel gegen Bordeaux dann schon 34. Welches Spiel würden Sie im Nachhinein als wichtiger bezeichnen?

Das war schon das 87-er Halbfinale. Rund 100.000 Zuschauer, die Atmosphäre, dann noch ein Elfmeterschießen und am Ende auch ein Sieg – das ist schon unvergesslich.

Was Sie 1986/87 erleben durften, war ja für den gemeinen Ossi geradezu unvorstellbar. Reisen nach Belfast, Wien, Sion, Bordeaux oder Athen, dann noch diese Erfolge. Wie haben Sie das empfunden?

Ja, die ganze Saison war damals irre und der Abschluss erst! Nach dem Pokalsieg gegen Union machten wir eine Vorbereitungsreise durch die Sowjetunion. Da haben wir uns die Ruhr eingefangen. Nach der Rückkehr sind wir sozusagen kollektiv ins St. Georg eingezogen. Man kann sagen, dass wir einen Teil der Vorbereitung auf den Europacup im Krankenhaus absolviert haben. Das kann sich heute niemand mehr vorstellen. Dauerlauf im Klinik-Park, nie zu weit weg vom nächsten Klo. Na ja, und die Reisen nach Belfast, Wien oder Bordeaux vergisst man auch nicht.

Hat man da schon den Auslosungen entgegengefiebert, so nach dem Motto: Lieber bei Benfica Lissabon rausfliegen als gegen Torpedo Moskau weiterkommen?

Hundert pro! Aber nicht nur wegen der Reisen in die westlichen Städte. Auch die sportlichen Herausforderungen waren da größer. Wer wollte in dieser Zeit nicht mal gegen Tigana oder van Basten spielen? Außerdem gab es für uns gegen solche Gegner nichts zu verlieren. Gegen Benfica rausfliegen? Normal. Aber wehe du verlierst gegen Stal Mielec oder FK Most, da wollen die Fans dann am liebsten gleich einen Rollstuhl nach dir benennen.

Die Saison 1986/87 führte Altmann nach Belfast, Wien, Sion, Bordeaux und schließlich nach Athen.

Sie waren auch vorher schon mit Lok viel im Ausland unterwegs. Haben Sie manchmal drüber nachgedacht, einfach mal dazubleiben und Ihr Glück im Profi-Fußball jenseits des Eisernen Vorhangs zu versuchen?

Nicht eine Sekunde! Ich hatte meine Familie hier, die Freunde, meinen Verein … nö, das war für mich nie ein Thema. Klar, wenn man das Geld sieht, kommt man schon ins Grübeln. Aber das ist nicht alles. Wir hatten damals noch Spaß am Fußball, waren ein richtiges Team. Ich sage mal: Wir haben noch den Geruch von Rasen in der Nase gehabt. Da ist es egal, ob der sich in Köln oder Leipzig befindet.

Altmanns Erinnerungsmedaille der UEFA an den europäischen Pokalwettbewerb 1986 / 87.

Kommen wir zum 22. April 1987. Das frühe 0:1 der Franzosen haben Sie von der Bank aus gesehen. Man rätselt ja noch heute, ob’s ein Eigentor von Lindner war oder Vujović tatsächlich den Fuß dran hatte. Wer war’s wirklich?

War ein unglückliches Eigentor. Echt jetzt. Aber sowas kann immer und jedem passieren. Dass der Vujović manchmal als Torschütze angegeben wird, ändert nichts daran.

Zum Glück blieb es ja bei diesem einen Treffer für Bordeaux. Dann kam die Verlängerung und Thomale hat Sie in der 94. Minute auf den Platz geschickt. Wissen Sie noch, welche Rückennummer Sie getragen haben?

Boah, warten sie mal. Bei der UEFA wurden damals die ersten elf Nummern an die Startelf vergeben und bei den Wechselspielern wurde vom Sturm aus rückwärts gezählt. Ich war Abwehr, Einwechselspieler … müsste so etwa die 14 gewesen sein. Stimmt das?

Stimmt! Dann kam das legendäre Elfmeterschießen. Wer trifft, hat gerade mal die Erwartung erfüllt; wer vergeigt, darf gleich danach beginnen, sein Leben neu zu ordnen. Wenn Sie den versemmelt hätten, wäre der Traum vom Finale im Bruchteil einer Sekunde geplatzt. Wie war das damals: Mussten Sie schießen oder haben Sie sich die Nille freiwillig geschnappt?

Da war nix mit freiwillig Nille schnappen oder so. Es war ja so, dass auch das Elfmeterschießen sozusagen schon in der Verlängerung war. Die ersten fünf Schützen waren ja schon durch. Irgendwann bist du dann eben dran. Wir standen da so am Mittelkreis und Thomale meinte, ich soll schießen. Also hab ich’s gemacht.

Hier das denkwürdige Elfmeterschießen. Ab Minute 6:40 gibts sogar noch ein Interview mit Wolfgang Altmann.

Wir haben uns das Video noch mal reingezogen. Zwischen dem Moment, als Sie an der Mittellinie losgelaufen sind und dem Augenblick, als das Leder hinter Dominique Dropsy ins Netz schlug, lagen gerade mal 34 Sekunden. Was geht einem in dieser Zeit so durch den Kopf?

Echt, nur 34 Sekunden? Das kam mir länger vor. Keine Ahnung, was da in mir vorging. Da ist der Kopf leer. Es geht nur darum, zu treffen. Ich hab schon beim Gang zum Punkt immer mal wieder ganz bewusst in die linke Torecke geguckt. Manche Torhüter achten auf die Blicke der Schützen und suchen sich dann diese Ecke aus. Dropsy ist tatsächlich auch nach links geflogen, während mein Schuss rechts rein ging. Ein wenig unplatziert war er zwar, aber letztendlich drin. Aber im Nachhinein muss ich sagen, dass ich mich wahrscheinlich noch heute ärgern würde, wenn ich den Elfer vergeigt hätte.

Muss ja nicht immer schlecht sein, wenn man versemmelt. Uli Hoeneß hat 1976 in Belgrad fast die Stadionuhr ausgeschossen, worauf die Tschechen Europameister wurden. Und wenn man mal sieht, was aus  dem Uli so geworden ist…

Markranstädt fängt zwar auch mit M an, aber das ist auch die einzige Gemeinsamkeit mit München. Außerdem bin ich nicht ganz unglücklich darüber, dass es auch sonst einige Unterschiede in unserer Vita gibt.

Die Sehnsucht nach Freiheit beispielsweise oder dass Sie im Gegensatz zu ihm getroffen haben? Apropos Treffer: Satiriker behaupten gerne mal, dass Jürgen Sparwasser von seinem Tor in Hamburg bei der WM 74 gegen die DFB-Elf hinterher jahrelang gelebt hat. Was bedeutet das Spiel gegen Bordeaux für Sie und Ihr Leben danach?

Es hat mehr in persönlicher und sportlicher Hinsicht eine Bedeutung. Gernot Rohr stand ja in der Elf von Bordeaux. Unsere Wege haben sich seit 1971 immer wieder gekreuzt und es war inzwischen eine richtig dicke Freundschaft zwischen uns entstanden, die bis heute besteht. Zuletzt hatten wir uns damals 1983 gesehen, als wir Bordeaux ebenfalls aus dem Europacup gekickt hatten. Gernot hatte mir hinterher sogar zwei Flaschen Rotwein an den Flughafen gebracht. Ja, und nun standen wir uns 1987 wieder gegenüber. Da hat man gemeinsame Erinnerungen bis ans Lebensende.

Im Finale gegen Ajax Amsterdam in Athen durften Sie nicht ran. Ärgert Sie das im Nachhinein noch oder ist da inzwischen schon sowas wie Altersdemut eingekehrt?

Okay, Ajax war ja damals quasi die holländische Nationalmannschaft. Wer wollte nicht mal gegen die spielen? Aber als der Marco van Basten das 1:0 für Amsterdam erzielt hat, war mir klar, dass ich nicht mehr eingewechselt werde. In einem Entscheidungsspiel braucht man bei so einem Spielstand Offensivkräfte und keinen Abwehrspieler.

Bei all den Titeln und Erfolgen hat sich doch bestimmt eine beeindruckende Trophäen-Sammlung angehäuft. Wo bewahren Sie die auf. Legen Sie überhaupt Wert auf Relikte aus der Vergangenheit?

Also, einen Altar, vor dem ich jeden Abend niederknie und Kerzen anzünde, habe ich nicht. Ich habe die Dinge im Schrank liegen. Irgendwann werde ich vielleicht mal eine Ecke im Hobbyraum einrichten. Vergangenheit, na ja … ich finde es interessant, wenn ich Fußball-Übertragungen aus Stadien sehe, die ich kenne. Das San Siro in Mailand beispielsweise oder The Oval in Belfast. Ist irgendwie ein seltsames Gefühl, wenn man da sogar weiß, wo die Duschen sind.

Keine Angst, jetzt kommt nicht diese fiese Frage, wie Sie zu Gummibärensaft stehen. Aber wenn Sie heute eine Anfrage von RB bekommen würden, beispielsweise als Scout oder für den Nachwuchsbereich oder sowas … darf eine Lok-Legende da weich werden?

Ich wusste, dass da noch Pferdefuß kommt. Na gut, also sagen wir mal so. Es sind jetzt 27 Jahre neuer Zeitrechnung vergangen. Egal ob Lok oder VfB und egal ob Chemie oder FC Sachsen, sie haben alle ihre Chance gehabt. Jetzt ist eben RB da. Und um ehrlich zu sein, überlegen würde ich da schon, vielleicht würde ich mich sogar freuen. Ich bin kein Trainertyp oder sowas, aber wenn man Erfahrungen weitergeben kann an jüngere Leute, dann ist das eine tolle Sache.

Mit Bordeaux-Trikot am Elfmeterpunkt auf dem Fußballplatz in der Südstraße. Hier hat „der Alte“ einst mit dem Fußballspielen begonnen.

Bliebe zum Schluss noch ein Blick auf Ihren Ur-Verein. Der SSV Markranstädt ist gerade auf Abschiedstournee durch die 5. Liga. Schmerzt das? Was müsste passieren, dass es da wieder aufwärts geht oder muss es das vielleicht gar nicht, weil die Sachsenliga sowieso eher den Markranstädter Möglichkeiten entspricht?

Ich denke mal, die Antwort liegt schon in der Frage. Meiner Meinung nach sollte das Motto in einer Stadt wie Markranstädt lauten: Lieber ein paar Klassen tiefer spielen und dafür mit Spielern aus der Region. Die letzten Jahre haben ja gezeigt, dass alles andere weder sportlich noch wirtschaftlich aufgeht. Egal, ob so ein Verein in der Kreisliga oder in der Regionalliga spielt: Mehr als 100 bis 150 Zuschauer kommen da nicht, eher weniger. Alles, was drüber hinaus geht, sind Fans der gegnerischen Mannschaften. Da steht nicht nur die Frage nach Aufwand und Erfolg, sondern auch, für wen man so viel Aufwand betreibt.

Okay, wir wollen nicht alle Pointen verheizen, denn in den nächsten Tagen folgt der zweite Teil der Laudatio. Dann mit Gernot Rohr, Urs Meyer und seiner Tante, zwei Trabis, einer nicht genehmigten Westreise und selbstgeschneiderten Trikots fürs EC-Finale.

Wir bedanken uns schon mal für die Zeit, die Sie sich genommen haben, gratulieren zur Verleihung des renommierten Hudel-Dudels und wünschen viel Spaß in der LVZ-Kuppel bei der „Langen Lok Leipzig-Nacht“ im MDR.

 

4 Kommentare

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    • Friedel Wolfram auf 22. April 2017 bei 15:56
    • Antworten

    Habt Ihr gut auf den Punkt gebracht-zeigt es doch, unserer Markranstädt hat viele gute Erinnerungen. Und Wolfgangs Einschätzung zum Markranstädter Fußball ist realitätsnah -eben bodenständig. Was für große Spieler sind gerade aus Markranstädt hinaus ins Weite gegangen. Hut ab.

    1. Recht hast du. Schade nur, dass sich die Sport-Stadt Markranstädt nicht durchringen kann, ihr Fußball-Stadion nach einem der bekannten Fußballer wie z.B. Wolfgang Altmann, Wolfram Löwe oder gar Rudi Glöckner umzubenennen. Wir wollen nur hoffen, dass das Stadtsäckel groß genug ist, die 90-jährige Diva „Bad“ am Leben zu erhalten. Der Name „Stadion am ehemaligen Bad“ klänge zwar nicht so gut, hätte aber, was wiederum nicht so schlecht wäre, einen Bezug zu zurückliegenden erfolgreichen Zeiten.

    • Grossmeier auf 22. April 2017 bei 12:33
    • Antworten

    … toller Artikel.

    Toller Typ, der Alte. Sehe ihn wahrscheinlich morgen in Probstheida. Bin ja ein altes “ Club Schwein“ , habe aber nix gegen RB.
    VG

    • Heiko Küter auf 22. April 2017 bei 7:47
    • Antworten

    Klasse Interview mit dem „Alten“. Am 22. April 1987 war ich dabei, ein unvergesliches Erlebnis und ich denke, es waren sogar 110000 im Stadion, im Zentraltadion!!!
    Freue mich schon auf Teil 2, euer treuer Leser Küster

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