Touristenmagnet Zschampert: Brücken ins Nichts

Sodawasser kennen Sie? Na klar doch. Hat allerdings nichts mit dem gleichnamigen Mineral zu tun und gleich gar nichts mit Waschsoda oder Ätzsoda. Eher mit Speise- oder Backsoda, dem Natriumhydrogencarbonat (NaHCO3). Seit der Mensch Bauplanung betreibt, gibt es allerdings auch Soda-Brücken. Die heißen so, weil sie eben mal „so da“ sind. Völlig sinnentleert, funktionslos, aber eben da. So wie die neuen Zschampert-Viadukte in Göhrenz.

Eine der berühmtesten Soda-Brücken Deutschlands steht bei Euskirchen unentschlossen in der Gegend umher. Sie wurde in den 70er Jahren mitten im Feld gebaut und sollte den Verkehr der geplanten A 56 ertragen.

Gegen die unvollendete Planungsgeschichte dieser A 56 lesen sich der Toilettenbau am Kulki, die Kita am Bad und der Anbau an der Grundschule zusammen wie eine langweilige Kurzmeldung vom Häkelzirkel des katholischen Frauenschweigekreises Worpswede.

Die Sodabrücke bei Euskirchen. In Beton gegossenes Monument deutscher Planungsweitsicht.

Da steht sie also nun thronend im Feld, die Euskirchener Autobahnbrücke. Nur einmal in ihrem fast 50-jährigen Leben hatte sie eine Art Zweck. Am 15. Juni 2001 hatte die Kölner Rockgruppe BAP hier ihren Auftritt und ließ das Bauwerk dann sogar auf dem Cover ihrer Platte in die Musikgeschichte eingehen.

Brücken aus NaHCO3

Fast genauso alt ist die Soda-Brücke in Castrop-Rauxel-Frohlinde. Als der Bau der geplanten vierstreifigen Schnellstraße zwischen Bochum und Dortmund schon nach anderthalb Kilometern aufgegeben wurde, hatte man sich nicht einmal mehr die Mühe gemacht, wenigstens noch den zweiten Brückendamm aufzuschütten. So, da steht sie also so da.

Die Sodabrücke bei Castrop-Rauxel könnte als Frühform des sozialen Wohnungsbaus bald unter Denkmalschutz gestellt werden. (Foto: DerHessi – CC BY-SA 3.0)

Inzwischen ist fast ein halbes Jahrhundert ins Land gegangen. Soda-Brücken sind längst keine Schlagzeilen mehr wert. Als Zeichen des Wohlstands einer Gesellschaft werden heute Soda-Flughäfen gebaut oder unterirdische Soda-Bahnhöfe und ähnliche Geldgräber.

Touristische Anziehungspunkte

Ist ja auch einfach. Wenn das Geld alle ist, wird dem Steuerzahler von hinten in die Tasche gegriffen (CDU rechts, SPD links) und weiter geht die unendliche Geschichte. Noch nie ist ein Bauherr, Planer oder Generalunternehmer zur Verantwortung gezogen worden und auch Jahre nach Fertigstellung des Leipziger City-Tunnels konnte noch nicht ermittelt werden, welcher Rechenfehler aus 400 Millionen Euro eine Milliarde gemacht hat.

Soda-Schleuse bei Wüsteneutzsch. Die Planungsfehler, die hier zum Baustopp führten, lagen auf anderen Gebieten.

Eines der wenigen Soda-Bauwerke, das nicht auf Bauplanungsfehler zurückzuführen ist, steht übrigens ganz in der Nähe von Markranstädt. Die unvollendete Schleuse am Ende des ebenfalls unvollendeten Elster-Saale-Kanals bei Wüsteneutzsch ist wohl eher auf militärische Planungsfehler zurückzuführen als auf mangelnde baufachliche Kompetenzen.

Der Einfallsreichtum der Göhrenzer ist legendär. Schon wird die neue Sodabrücke über den Zschampert als Parkplatz genutzt.

Aber selbst Wüsteneutzsch ist zu weit entfernt von Markranstädt, als dass man damit im touristischen Konzept der grünen Energie- und Sportstadt am See nachhaltig punkten könnte. Schließlich kann man nur selbst vermarkten, was einem auch selbst gehört.

Als die lokale Presse im November Stadträtin und Göhrenzer Ortsvorsteherin Dr. Ingrid Barche mit reichhaltigem Lob für die Sanierung der Ortsdurchfahrt zitierte, wurde das eigentliche Kernelement geradezu sträflich verschwiegen. Jawollja, Göhrenz hat jetzt wenigstens zwei Sodabrücken. Und nicht nur das. Sie führen sogar über Sodawasser hin ins Sodanirvana.

Neues Zschampert-Viadukt: Wer hier drüber fährt, der weiß, wie das Sprichwort entstand: „Ich glaub, ich steh‘ im Wald!“

Gut, so ganz funktionslos sind sie nicht. In Göhrenz ist man einfallsreich, wenn es um die Nutzung nutzlosen Verkehrsraums geht. Man kann Autos drauf abstellen, Container oder sogar mal ein Dixi-Klo. Da bekommt der Begriff vom stillen Örtchen ganz schnell mal völlig neue Dimensionen.

Jede Brücke ist quasi eine Übergangslösung. Schön, wenn sie so verkehrsberuhigt liegt, dass man sie als stilles Örtchen nutzen kann.

Auch wenn sich das Investitionsvolumen dieser Brücken nicht annähernd mit ihren großen Vorbildern wie Stuttgart 21, dem Berliner Flughafen oder den Sodabrücken in Euskirchen und Castrop-Rauxel messen kann, sind die Zschampert-Viadukte doch gut zu vermarkten. Und ganz sicher werden sie sich auch hervorragend ins touristische Konzept integrieren lassen.

Sie erinnern sich? Der Neubau eines Hotels ist zumindest offiziell noch nicht vom Tisch. Da ist es doch schön, wenn man Investoren und künftigen Gästen ein paar Attraktionen zu bieten hat.

 

1 Kommentar

    • jabadu auf 16. Februar 2017 bei 20:49
    • Antworten

    Ich muss euch erst mal eingestehen, dass ich bisher nicht wusste, was eine „Sodabrücke“ ist. Ich weiß, jeder wird jetzt sagen … das muss man doch wissen. Naja, für Weiterbildung stehen ja viele Wege offen. Danke für euer Bildungs-Angebot.
    Hinter den Sodabrücken liegt die „Gärdsche“ (war glaube ganz früher mal ne Gärtnerei). Sicher soll mit den neuen Brücken die alte Tradition beibehalten werden, dort weiterhin heimlich Gartenabfälle abzuladen.
    Und noch zum touristischen Höhepunkt. Der Zschampert fließt ja durch die Nester Kulkwitz und Göhrenz (mit ca. 500 Einwohnern) und muss sich dabei unter 16 Brücken hindurch quälen. Na, was kommt. Auf ca. 30 Einwohner kommt eine Brücke. Das ist Weltspitze!
    In Venedig müssen sich 650 Venezianer eine Brücke teilen und in Leipzig sogar 1.250. Na wenn das kein Anlass ist Göhrenz zu besuchen. Das schreit doch förmlich nach Hotel-Neubau. Man könnte ja die Ruine der „Toten Fliege“ wieder aufbauen. Hechts Alma würde sich im Grab umdrehen. Und vielleicht macht der Konsum auch wieder auf, so als „Nahversorgungs-Standort“ auf dem Lande.

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