Ein besonders schwerer Fall des Diebstahls (3)

Was bisher geschah: Dem Vorsitzenden der Markranstädter Nachtschichten wird das Fahrrad gestohlen. Als er es wiederfindet, ist es brutal vergewaltigt worden. Er trifft die folgenschwere Entscheidung, das geschändete Teil trotzdem wieder bei sich aufzunehmen. Zuvor aber wird er durch die bürokratischen Mühlen gedreht, damit die Organe ihre Rolle der Bedeutung rechtfertigen können.

Ich schaue vom Balkon auf die beiden Uniformierten hinunter und gebe mich zu erkennen, indem ich ihnen die Parole „Fahrrad?“ zurufe. Sie bestätigen die Losung mit der Aufforderung: „Dann kommse bitte mal runter!“

So schnell hatte ich wirklich nicht mit dem Auftauchen der Polizei gerechnet. Ich ziehe mich an und gehe runter. Dort angekommen, fühle ich mich gemustert wie ein Täter, der grade erwischt wurde. Wir schauen uns an, eine gefühlte Ewigkeit.

Dann endlich fragt der Jüngere, wo denn nun das Fahrrad sei. Ich sage ihm, wo ich es gefunden habe, worauf er fragt, wie weit das entfernt sei. Nach Aufklärung der geografischen Situation werde ich gefragt, wie ich dahin zu gelangen gedenke.

Ich dachte, sie können mich gleich mitnehmen und wir fahren zusammen hin?

Schlecht! Wenn wir danach wieder zu einem Einsatz müssen, können wir sie nicht wieder zurück bringen.

Na ja, ich könnte mein Auto holen. Aber abgesehen vom ökologischen Faktor hat mir ihr Kollege gesagt, dass ich das Fahrrad zurücknehmen muss. Ich kanns ja nicht aufs Dach schnallen. Zeigen sie mich an, wenn ich es durchs Seitenfenster neben dem Auto mitführe … so am Lenker?

Die Beiden schauen sich an und der Jüngere stimmt meinem Argument zu.

Also nehmen sie mich mit?

Da müssen sie ihn fragen. (Zeigt auf den Älteren, der bereits zum Auto läuft.)

Ich soll wohl auf die Knie fallen und ihm hinterher flehen „Lasst mich nicht zurück!“ oder sowas. Fällt aus! Ich gehe einfach mit.

Nachdem die Rückbank leergeräumt wurde, darf ich einsteigen. Im Krimi halten sie dabei immer eine Hand schützend über den Kopf des Passagiers. Bei mir machen sie das nicht. Ich denke so: ‚Klar, bist ja nur Opfer und kein Täter.‘ Opfer können selber auf sich aufpassen. Täter haben gewöhnlich ’nen Anwalt oder kriegen einen gestellt. Einer, der sein Schrott-Fahrrad wiederhaben will, kann sich garantiert keinen Advokaten leisten und darf sich demnach ruhig auch mal an den Kopf rammeln.

Die Fahrt verläuft absolut still. Keine Fragen, absolutes Schweigen. Am Hotel angekommen, gibt’s dann die erste Frage. Wo denn das Fahrrad stehe. Ich antworte wahrheitsgemäß: „Auf der anderen Seite. Der Motor wird erneut gestartet, wobei sich der Fahrer den Hinweis nicht verkneifen kann, dass ich das gleich hätte sagen können.

Wir steigen aus. Auf dem Weg zu den Fahrradständern fragt mich der Jüngere: Wie sinnse denn darauf gekommen, ausgerechnet hier nach ihrem Fahrrad zu suchen?

Mein Hirn schüttet sofort Botenstoffe aus, die mich eine Falle wittern lassen. Solche Finten kenne ich aus Talkshows, wo man die Darsteller von der AfD mit sowas aufs Glatteis führen will. Er möchte jetzt wahrscheinlich hören, wer hier so wohnt und mich dann als Nazi in Beugehaft nehmen. Nicht mit mir! Ich glaube sowieso nicht dran, dass der Dieb aus diesem Hause kommt.

Guckense mal. Hier stehen so viele Fahrräder rum, da dachte ich, schaust immer mal vorbei. Mach ich übrigens auch am Bahnhof und an der Schule und so. Überall, wo Fahrräder rumstehen.

Ich glaube nicht, dass das jemand von da drin (zeige aufs Hotel) war. So doof, ein Fahrrad zu klauen und es bei sich vor der Haustür hinzustellen, ist kein Mensch.

Das ist übrigens der Punkt, der mich am meisten ärgert. Die Lallendorfer Junkees sind so degeneriert, dass sie die gleichen intellektuellen Merkmale auch bei ihren Mitmenschen voraussetzen. Ich schließe meine Indizienkette mit der Aussage:

Ich denke, dass das Markranster waren, die angesichts der technischen Parameter des Fahrrads überfordert waren und es nun einfach wieder loswerden wollten. Macht sich doch gut, es hier hinzustellen? Auch wegen sowas sollten die Kackbratzen endlich mal was auf ihre Langfinger kriegen. Drum will ich, dass das aufgeklärt wird.

Das scheint ihn zu überzeugen. Es beginnt wieder zu regnen. Der Kraftfahrer geht zum Auto zurück, der Jüngere taut langsam auf und wird freundlicher. Ich taufe ihn deshalb Freund und seinen Chauffeur Helfer. Freund und Helfer – passt!

Mein Fahrrad wird identifiziert. Jede Menge fehlende Teile sind nicht das Problem, dafür aber die zwei nicht zum Original zählenden Räder. Die gehören, obwohl sie kaputt sind, sozusagen nicht mir, was die Rückführung meines Eigentums in mein Eigentum erschwert. Das muss auf höherer Ebene geklärt werden, weshalb mein Freund jetzt auch zum Auto geht und mich allein im Regen stehen lässt.

Zum Glück bekomme ich bald Besuch. Ein Mann in uniformähnlicher Kleidung kommt aus dem Hotel. Figur und Erscheinungsbild lassen mich ahnen, dass er das Jüngelchen bewachen muss, das hier in der Nacht als Lagerkommandant Dienst schiebt.

Es entspinnt sich eine lockere Unterhaltung, bei der wir feststellen, dass wir das gleiche Interesse an Horror-Krimis hegen. Als ich beiläufig erwähne, welchem Beruf ich nachgehe, muss ich ihm in die Hand versprechen, nichts davon jemals zu erzählen. In seinem Alter würde er schlecht einen neuen Job finden. Ich halte mich dran. Es würde mir eh niemand glauben.

Der Freund kommt zurück. Es sei so weit alles geklärt, ich könne mein Rad nach Erledigung einiger Formalitäten wieder mitnehmen. Ich frage ihn, was mit Spuren sei, Fingerabdrücke und so. Das mache an einem Fahrrad keinen Sinn, meint er. Ich gebe mich geschlagen, wahrscheinlich gucke ich wirklich zu viele Krimis.

Da entdeckt er das Schild, das auf Videoüberwachung hinweist. Er fragt den Jüngelchen-Bewacher, ob dieser Bereich auch überwacht wird und wie lange die Aufzeichnungen zurückverfolgbar seien. Der sagt was von 48 Stunden, was drüber hinaus gehe, werde archiviert und da was zu suchen, wäre unheimlich aufwändig.

Der Bewacher bietet an, mal rückwärts zu spulen und fragt den Freund, ob er mitkommen und es sich ansehen möchte. Der jedoch gibt vor, mit mir inzwischen die Formalitäten erledigen zu müssen. Ich habe den Eindruck, dass er nicht sonderlich traurig darüber ist, das angrenzende Naturschutzgebiet nicht betreten zu müssen.

Ich gehe mit dem Freund zum Auto. Wir erledigen die Formalitäten. Während dieses Vorgangs erfahre ich, dass ich nicht Täter oder Opfer bin, sondern Zeuge. Entsprechend werde ich belehrt. Der Helfer daddelt inzwischen teilnahmslos auf seinem Handy rum. Als ich meinen Beruf angeben muss, kommt plötzlich Leben in seinen Körper. Er dehnt seinen Leib, dreht sich um und fragt mich, für welches Organ ich tätig sei.

Mich irritiert sein plötzliches Interesse an meiner beruflichen Situation. Solcherart Aufmerksamkeit hätte ich mir von ihm auch für mein Fahrrad gewünscht und vor allem für die Frage, wer der Dieb sein könnte. In diesem Moment klopfts von draußen ans Auto. Der Bewacher ist zurück und meldet, dass er sich die letzten 72 Stunden (???) angeschaut hätte und das Fahrrad immer da gestanden habe.

Ich rechne kurz zurück. Am Sonntag stand es noch nicht da. Das war vor ungefähr 69 bis 70 Stunden. Ich tippe dem Freund von hinten auf die Schulter und setze ihn vom Ergebnis meines Rechenvorgangs und der entstandenen Differenz in Kenntnis. Der dreht sich um und meint ratlos:

Er sagt so, sie sagen so. Was soll ich da machen?

Da er sich offenbar schon entschieden hat, wem er zu glauben bereit ist, will ich ihn nicht noch weiter verunsichern. Die Formalitäten sind jetzt eh erledigt. Mein Fahrrad gehört wieder mir. Bevor ich aussteigen kann, muss der Freund raus in den Regen. Meine Tür lässt sich nur von außen öffnen. Am Ende also doch wenigstens ein Hauch von Krimi.

Während ich mein Fahrrad-Wrack durch den strömenden Regen schiebe, ordne ich die Erlebnisse der vergangenen Stunden. Mein Sicherheitsgefühl hat sich entgegen der Prognosen der jüngsten Kriminalitätsstatistik nicht wirklich signifikant verbessert.

Ich bin mir sicher, sehr sicher sogar, dass der Dieb nicht im Hotel residiert. Mir wurden schon Fahrräder gestohlen, als dort noch das gesamte Spektrum vom Handelsvertreter bis zum heimlichen Liebespaar abgestiegen ist. Auch sehe ich täglich, was am Alten Friedhof, in der Parkstraße und vor den Einkaufsmärkten abgeht. Außerdem will ich nicht glauben, dass jemand ein Fahrrad stiehlt und es dann nur ein paar Meter weiter ganz offen vor seiner eigenen Haustür parkt.

Natürlich bin ich mir andererseits auch sicher, dass hinter den gelben Mauern nicht alles koscher zugeht. Aber wenn, dann geht es da um ganz andere Kaliber als darum, gebrauchte Fahrräder aus purer Langeweile so lange umzuschrauben, bis man nicht mehr damit fahren kann. Sowas scheint mir eher Sache von durch Drogen verändertem Gen-Material aus Markranstädter DNA. Ist aber auch nur ’ne Vermutung.

Schade, dass meine Freunde und Helfer die Sache mit dem Überwachungsvideo nicht einmal ordentlich ignoriert haben. Mit diesem Beweis auf dem Silbertablett hätte man vielleicht nicht nur eine ganze Diebesbande endlich mal auffliegen lassen können, sondern zugleich auch den durch den Fundort möglicherweise auf das Naturschutzgebiet abgelenkten Generalverdacht entkräften können.

Ist aber nicht. Und so warte ich nun wieder mal auf Post vom Staatsanwalt, der mir in Bezug auf den Tatvorwurf „Besonders schwerer Fall des Diebstahls“ mitteilt, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde, weil der Täter bisher nicht ermittelt werden konnte.

Das Schreiben werde ich dann zu all den anderen Einstellungsmitteilungen heften, die bereits in meinem Extra-Ordner „Staatsanwalt – Ermittlung eingestellt“ ruhen. Und dann werde ich geduldig warten, bis mir endlich auch mein ersteigertes 21-Euro-Rad geklaut wird. Das senkt die Kriminalitätsstatistik! Je billiger der Drahtesel, umso geringer der Schaden, desto besser die Statistik und umso größer das Sicherheitsgefühl. Ich habe meinen Beitrag dazu geleistet, dass der Landrat auch morgen noch zufrieden lächelnd aus dem Rathaus schreiten kann.

 

1 Kommentar

  1. Aha.
    Also werden alle Videos archiviert?
    Ich habe die Auskunft des Eigentümers, dass niemand alleine Zugriff auf die Videos hat und dazu 2 Codes gebraucht werden. Weiterhin wurde mir versichert, das alles nach 7 Tagen gelöscht würde.
    Soviel zum Datenschutz .
    Fahrräder, oder eher das, was davon übrig ist findet man seit Jahren regelmäßig hinter dem ehemaligen Grillplatz des ehemaligen Gutenbergs.-
    Zur Zeit ein weisser Rahmen.

    Wildes Camping um das Damaskushotel ist nachts offenbar ganz unbemerkt von den Kameras und der Stadtsecurety
    Zum neuen Hype geworden oder man wie sein Terrain einfach aus.
    Nicht für jeden ist dabei die Bedeutung von Umzäunungen bekannt und so wird der eine oder andere auch mal ignoriert. Sind ja nur die Nachbarn, oder wie?
    Aber das muss geheim bleiben, so die verantwortliche Dame.

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.