Erntedank: der gescheiterte Versuch einer satirischen Predigt

Es war ein guter und ertragreicher Sommer anno 2014. Kevin-Jason und Deborah-Chantal ist das egal. Ihre Früchte wachsen im Supermarkt und gedeihen wetterunabhängig. Milch reift im Tetra-Pack, Fleisch wird in der Fabrik hergestellt und Obst ist sowieso out, seit das private Bildungsfernsehen festgestellt hat, dass in Wurst mehr Vitamine ist. Außerdem sollen Früchte in der Natur wachsen und das ist nicht nur eklig, sondern auch gefährlich. Da lauern Fuchsbandwürmer und andere Bestien, die es auf Leben und Gesundheit ahnungsloser Menschen abgesehen haben. Erntedank? Wie jetzt? Ist die App schon als Game downloadbar?

Der Werteverfall in unserer Gesellschaft ist derart gravierend, dass er nicht mehr aufzuhalten scheint. Vor allem die versteckten Botschaften sind es, die ihn forcieren. Wenn man im Supermarkt eine Büchse junge Erbsen für 39 Cent bekommt, wird das als Erfolg gefeiert. Erfolg? Über wen? Wenn man sich mal alle erforderlichen Arbeitsvorgänge vor Augen führt und einem klar wird, dass allein die Blechbüchse dafür mehr als einen Euro kosten müsste und der Inhalt nicht unter 3 bis 4 Euro zu haben wäre, dann weiß man, wer hier besiegt – oder besser gesagt: verarscht – wurde. Schon das Saatgut ist dreimal so teuer wie die Erbsen, die da reichlich gesalzen und gewichtsfördernd in Wasser schwimmend in der Dose liegen.

Doch die Verblödung geht noch weiter. Im Supermarkt werden nur Äpfel verkauft, die sowohl hinsichtlich der Farbe als auch Größe der EU-Norm entsprechen. Selbstredend darf da auch nicht die kleinste Veränderung an der Schale sichtbar sein. Auf die Frage, warum nicht einmal eine Made in so eine Chemiekeule eindringt, kommt man ebenso wenig wie auf den Gedanken, dass wir Menschen inzwischen Dinge fressen, um die sogar Insekten und Würmer einen Bogen machen. Und wir sind sogar noch stolz drauf. Mehr noch: Wir feiern diese Errungenschaften als Prädikat der weltbeherrschenden Rasse.

altelwNein, das sind keine osteuropäischen Saisonarbeiter beim Stecken junger Haribo-Keimlinge auf einem Goldbärenfeld bei Markranstädt. Es war einmal eine Zeit, in der die Kartoffeln noch in der Erde wuchsen. Die Menschen mussten sich bücken, um sie zu ernten und die Schüler bekamen sogar Ferien, um zu helfen.  

Da ist es gut, wenn wenigstens einige Institutionen noch sowas wie einen Rest von Demut vor der Natur pflegen und man sich dort bewusst macht, was da eigentlich jeden Tag auf dem Teller liegt. Auch wieviel Arbeit da drin steckt. Erntedank nennt man das bei uns. Und auch hier spürt man von Jahr zu Jahr mehr, welche Generation das ist, die sich da zu Dank verpflichtet fühlt. Es sind die, die noch wissen, dass man einen Spaten nicht mit dem Stiel zuerst in die Erde wuchtet, dass es keinen Sinn macht, im November Freilandtomaten zu pflanzen und die im ganzen Leben nicht auf die Idee kommen würden, irgendwo in der Flur eine Cheeseburger-Plantage zu suchen.

Erntedank – das ist darüber hinaus die Zeit, auf die sich die Pfarrer auch aus kulinarischer Sicht freuen. Im Anschluss an die Gottesdienste wird in der Regel an die Tafel gebeten. Den Wert der Mahlzeit vor dem Hintergrund der Predigt noch frisch im Gedächtnis, schmeckt alles sowieso irgendwie besser. Dass man dieses Gefühl jeden Tag haben könnte, wenn man zuvor das Hirn bemüht, wissen wahrscheinlich nur die, die mit an der Tafel sitzen. Man muss sich ja in der Betriebskantine nicht jeden Tag als Christ outen, indem man ein langes Tischgebet aufsagt. Es würde vielleicht schon reichen, einfach nur mal drüber nachdenken, was da so alles auf dem Teller liegt und wieviele Menschen dafür gearbeitet haben.eierautoWer würde in unserer aufgeklärten, modernen Gesellschaft noch etwas essen, das von einem möglicherweise mit SARS infiziertem Huhn stammt und noch dazu durch das gleiche Loch gepresst wird, aus dem das Federvieh kackt? Eier werden heutzutage von einem sauberen Freiland-Automaten entbunden und die Maschine erwartet auch keinen Dank dafür.

Wir haben in Markranstädt einen Pfarrer, der für die Damenwelt sowas wie den sprichwörtlichen Typ „Traumschwiegersohn“ verkörpert. Nicht nur beliebt und sympathisch ist er, sondern auch rank und schlank. Letzteres könnte in den kommenden Wochen etwas in Mitleidenschaft gezogen werden. Wenn man sich den Erntedank-Gottesdienstplan im Markranstädter Land inklusive der anschließenden Brunchs und Kaffeetafeln anschaut, könnte es gegen Ende des Monats etwas eng werden unter dem Talar. Aber so lange die weißen Beffchen nicht waagerecht auf dem Bauch liegen, wird ihm die Gemeinde dieses persönliche Opfer sicher mit Freuden gönnen. Es kommt ja nach jeder Schlemmerei auch wieder eine Fastenzeit.

Vielleicht findet die/der eine oder andere Markranstädter/in ja auch den Weg dahin? Nicht nur, um Pfarrer Zemmrich nach dem Gottesdienst ein Stück des Kuchens der Last abzunehmen, sondern einfach nur um wieder mal mit eigenem Gefühl zu erleben, was uns – je nach persönlicher Ansicht – die Natur oder die Schöpfung so alles schenkt. Das ganze Jahr über.

Eine gute Gelegenheit wäre am kommenden Sonntag, dem 21. September um 14:30 Uhr in der St. Laurentiuskirche gegeben. Erntedank. Vielleicht kommen ja Deborah-Chantal und Kevin-Jason auch, und sei es nur, um dem Herrn zu danken, dass sie sich in den Herbstferien nicht mehr auf irgendwelchen voll-krassen Feldern bücken oder Äpfel von einem ekligen Baum aus dreckigem Holz essen müssen.

Echt cool. Danke, ey Alter.

4 Kommentare

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    • Burkhard Schmidt auf 18. September 2014 bei 11:01
    • Antworten

    Hallo MN,
    wieder ein prima Beitrag von Euch!

    Demut vor der Natur und die Erinnerung an dass „Wunder des Lebens“ solte nicht nur durch Predigten in der Kirche geweckt werden, sodern sollte zum
    Bestandteil allgemeiner Bildung und Erziehung gehören.Darum ist z.B. schade, dass der Schulgarten in Markranstädt vor dem Aus steht,nur weil Schule und Eltern kein ausreichendes Interesse zeigen.

    Viele Grüße
    Burkhard Schmidt

    1. Lieber Herr Schmidt,
      die Situation rund um den Schulgarten war eigentlich der Ausgangspunkt unserer Diskussion hier, aus der dann der Versuch unserer „Predigt“ hervorgegangen ist. Um bei dem Glas Erbsen zu bleiben, das heute noch 30 Cent kostet: Wenn das Volk dereinst flächendeckend verdummt (da regiert es sich auch einfacher) und mangels biologischem und gärtnerischem Grundwissen auf Dosenfraß angewiesen ist, wird auch das Glas Erbsen nicht mehr 30 Cent, sondern fünf Euro kosten. Das ist dann, wie unsere Kanzlerin gern sagt, „alternativlos“.
      Es ist alles so gewollt, Herr Schmidt. Auch können Deborah-Chantal und Kevin-Jason nichts dafür. Wir sind es, die das zugelassen haben…
      Danke für Ihre lobenden Worte. Das ist unser Einkommen und davon gibts leider noch viel zu wenig.

    • Bentin auf 16. September 2014 bei 15:02
    • Antworten

    Deborah-Chantal und Kevin-Jason sind bestimmt nicht so krass bekloppt wie hier dargestellt. Pommes gibts in Tüten mit Rot-Weiß. Äpfel muss man nicht ernten sondern die besorgt Mutter mit dem Auto. Gartenarbeit erledigt dagegen per Auftrag Vater (wenn man einen hat) oder es kommt ein Lieferdienst. Rufnummer natürlich in der Wahlwiederholung bzw als App. Wo Problem Alter? Geerntet wird sauberes Gras und da kennen sich Deborah-Chantal und Kevin-Jason ganz bestimmt aus (frag den Vater, der weiß das und kriegt manchmal auch was ab!). Wöchentliche Qualitätskontrollen als Teamwork klappt auch. Alles sauber, Alter! Keine Ahnung, wo Du ein Problem hast. Wir leben doch nicht mehr in der Steinzeit sondern in Markranstädt. Das haben wir uns alles verdient.

    1. Na fein! Da sehen wir uns also am Sonntag in der Kirche? Oder … halt … Sie müssen da vielleicht auch alleine hingehen.

      Kan sein damit süsch da grad Oliwwer Geislein im Briwatversehn die Kante geben tut mit voll so zahnlosen Schpasten. Daß ist dann nadührüsch voll wüschtüscher.

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