Hart erkämpfter Endsieg ums neue Jahr!

Die Entscheidungsschlacht um das neue Jahr ist am Neujahrsmorgen mit der bedingungslosen Kapitulation des Markranstädter Bürgertums beendet worden. Unser Kriegsberichterstatter Mark Ranster hatte sich in den Nachtstunden im Schutze der Rauchschwaden (die übrigens keinerlei Feinstaub enthielten und daher gegenüber schmutzigen Dieselmotoren geradezu gesund für die Atemwege sind) zwischen die feindlichen Linien begeben und zeichnet ein erschütterndes Bild vom Höhepunkt der Auseinandersetzungen.

Schon seit Tagen tobten an verschiedenen Orten rund um und in Markranstädt kleinere Vorgefechte, die eine Ahnung von dem entstehen ließen, was in den Nachtstunden vom 31. Dezember auf den 1. Januar folgen sollte. Die entscheidende Schlacht um das neue Jahr wird in die An(n)alen der Stadt eingehen.

31. Dezember, 16:07 Uhr: Eine kleine Einheit versprengter Jungpioniere hat genug von den Scheingefechten mit den kleinen Kalibern konventioneller Waffen. Kommandant Kevin-Jason Schmidt will ein Zeichen setzen und zeigen, wer Herr des Gewerbegebietes jenseits der Bahnlinie ist. Er lässt den Sprengsatz „Erdbeben“, den seine Jungs Stunden zuvor in einer Kaufland-Filiale erbeutet hatten, in Stellung bringen.

Montag kurz nach 16 Uhr: Der Krieg hat begonnen!

31. Dezember, 16:09 Uhr: Mitten in das Geknatter und Geballere der Häuserkämpfe hinein erschüttert eine ohrenbetäubende Detonation den Luftraum rund um die Stadt am See. In der Seismologischen Station Plauen (Vogtland) wird der Diensthabende aufgeschreckt und fragt besorgt in der Einsatzzentrale Leipzig nach der Lage, da er eine tektonische Plattenverschiebung vermutet.

Leergeschossene Lafetten der in der Leipziger Staße stationierten  Artillerieverbände. Hier handelt es sich um die mobilen Ausführungen der „Stalinorgel to go“.

31. Dezember, 16:38 Uhr: Die Polizeidirektion Leipzig schickt einen Spähtrupp nach Markranstädt. Er soll feststellen, ob die Produktionshallen von Nußbaum noch stehen, weil in den letzten Minuten zwölf weitere Nachbeben mit Stärken zwischen 9 und 12 auf der nach oben offenen Richterskala registriert wurden. Da das Epizentrum nicht eindeutig definiert werden konnte, werden auch das Rathaus, die Kirche und die verlassenen Fehrer-Hallen auf bauliche Schäden überprüft.

Dem Eigentümer dieses Briefkastens droht in den nächsten Tagen ein Verfahren vor dem Kriegsgericht. Er hat den Briefkasten geöffnet, damit man ihn nicht sprengen kann. Das ist FEIGHEIT VOR DEM FEIND!!!

31. Dezember, 18:30 Uhr: An den Kampfhandlungen unbeteilige Zivilisten flüchten in die Kirche. Während der Pfarrer in einer kurzen Friedensansprache beschwört, dass den Menschen im kommenden Jahr ihr selbstständiges Denken nicht abhanden kommen möge und an deren Verstand appelliert, wird das bis auf den letzten Platz gefüllte Gotteshaus von der gegenüberliegenden Seite der Leipziger Straße unter Beschuss genommen. Eine direkt vor dem Fenster explodierende Granate atheistischer Rebellenmilizen lässt das Mosaik des letzten Abendmahls für einen kurzen Augenblick als jüngstes Gericht erleuchten. Das vor dem Altar platzierte Kaffeehaus-Orchester greift den Takt der Detonationen auf und spielt zur Beruhigung der Schutzsuchenden die Petersburger Schlittenfahrt.

31. Dezember, 22:41 Uhr: Um die Kampfhandlungen von den weißen, suburbanen Wohngebieten an der Schachtbahn und am See fernzuhalten, machen sich bis an die Zähne bewaffnete Partisanen auf den Weg in die Kernstadt. Sie wollen die Entscheidungsschlacht auf neutralem Boden erzwingen und haben sich dafür den strategisch hervorragend geeigneten Aldi-Parkplatz und die Leipziger Straße ausgesucht, damit sie nicht ihr eigenes Wohnumfeld versauen.

Ein Fall für Schlachtfeld-Archäologen: Der ALDI-Parkplatz wurde genutzt, um die Folgen privater Freuden zu sozialisieren.

31. Dezember, 23:11 Uhr: Die militärisch unterlegenen Rebellenmilizen, die sich hauptsächlich aus versprengten Einheiten der finanziell benachteiligten Heeresgruppe „Hartz-IV“ zusammensetzen, ziehen sich in die Seitenstraßen zurück. Gegen die interstellaren Trägerraketen und sonstige hochmoderne Bewaffnung der Bürgerwehren aus den vornehmen Stadtvierteln haben sie im offenen Kampf keine Chance.

31. Dezember, 23:58 Uhr: Die Schlacht erreicht ihren Höhepunkt. Ein in der Karlstraße operierendes Sonderkommando bringt eine mobile Papp-Lafette in Stellung. Es handelt sich um einen transportablen Geschosswerfer, den ein international agierender Ring europäischer Waffenhändler unter dem Arbeitstitel „Stalinorgel to go“ angeboten hatte. Die Bedarfsgemeinschaft musste dafür ihr gesamtes Haushaltsvolumen des letzten Quartals aufopfern.

Diese Detonation eröffnete die finalen Kampfhandlungen um das neue Jahr.

1. Januar, 00:03 Uhr: Während das Pfeifen hunderter Stalin-Orgeln die Luft erfüllt, packt eine Gruppe Agenten aus der weißen Eigenheimsiedlung im Schutze dichter Rauchschwaden ihre Wunderwaffe aus. Mit dem Fächerbomben-Set „Hiroshima Sky“ aus einem nordkoreanischen Internet-Shop soll quasi in letzter Sekunde der Endsieg errungen werden.

Das gelbe Warnzeichen auf der Verpackung ignorieren die Landser. Im fünf Kilometer entfernten Tollwitz in der Nähe von Nempitz schlagen die Zeiger der radiologischen Messstation aus und melden Strahlenwerte, wie sie zuletzt in Fukushima gemessen wurden.

Die militärisch unterlegenen Landser der Herresgruppe „Hartz IV“ zogen sich in die Nebenstraßen zurück.

1. Januar, 00:05 Uhr: Im Leipziger Institut für Strahlenforschung bereiten sich die Diensthabenden auf einen nuklearen Fallout vor. Die soeben übermittelten Daten des Satelliten lassen keine andere Interpretation zu. In der Frontstadt Markranstädt kann man derweil nicht mehr unterscheiden, wer an den Kampfhandlungen beteiligt ist und wer sich nur auf der Flucht befindet. Das Sturmläuten der Glocken von St. Laurentius geht in den Detonationen der Mörsergranaten unter.

1. Januar, 00:31 Uhr: Im Berliner Tierheim „Animal Refugee“ wird ein Hund abgegeben. Beim Abgleich der Marke erfahren die Tierpfleger in der Datenbank, dass das Tier in Markranstädt seit 21:09 Uhr als vermisst gilt. Blutige Pfoten und ein zusammengebrochener Kreislauf bestätigen den Verdacht, dass der Hund nonstop bis in die Hauptstadt durchgerannt ist. Die Mitarbeiter des Tierheims beantragen daraufhin einen Eintrag ins Guiness-Buch.

1. Januar, 02:15 Uhr: Die Gefechte klingen ab. Vereinzelt ist das Feuer versprengter Heckenschützen zu vernehmen, hier und da wird noch ein Marschkörper auf die Reise geschickt. Im Nebel der Rauchschwaden muss sich irgendwer mit irgendwem auf eine bedingungslose Kapitulation geeinigt haben. Im Rausch eines vermeintlichen Sieges fallen sich wildfremde Menschen um den Hals und kotzen wenig später beachtliche Sektfontänen in die wenigen noch existierenden Büsche.

Nach der Schlacht bot sich in der Leipziger Straße ein apokalyptisches Bild der Verwüstung.

1. Januar, 10:13 Uhr: Die ersten Zivilisten wagen sich aus dem Schutz ihrer Keller ans Licht des neuen Jahres. Das Schlachtfeld bietet einen apokalyptischen Anblick: Zerstörte Lafetten, liegengelassene Abschussrampen, Reste abgefeuerter Kartuschen, abgestürzte Trägerraketen, Splitter geborstener Mörsergranaten, dazu in Fetzen gerissene Briefkästen und Müllbehälter. Ansonsten aber ohrenbetäubende Stille. Kein Vogel singt, keine Katze miaut und das Gebell der Hunde fehlt.

Auf dem Schlachtfeld Karlstraße wars laut, aber billig. Aufgrund der vielen Blindgänger muss hier erst mal  der Kampfmittelräumdienst ran.

1. Januar, 10:28 Uhr: Die Rentnerin Hilde B. (87) schnappt sich Schaufel und Besen und beginnt mit dem Aufräumen. Dabei kommen ihr die Lebenserfahrungen zugute, die sie vor 72 Jahren als Trümmerfrau erwerben durfte. Auch damals hatte sie sich an den Kriegshandlungen nicht beteiligt und musste hinterher trotzdem wieder Ordnung machen. Sie zuckt mit den Schultern, lächelt demütig und sagt: „Es ist wie immer im Leben, egal ob es um Politik, Banken oder Silvester geht. Für die, die daran Spaß haben, ist das Privatsache, aber beim Aufräumen und der Schadensbeseitigung müssen immer alle ran!“

Dieser Mülleimer vor Edeka war aus Stahl und hielt den Sprengsätzen trotzdem nicht stand.

Wirklich alle? Nun – zumindest ihr Enkel liegt um diese Zeit noch in seinem Bett und ruht sich vom Feldzug in der vorangegangenen Nacht aus. Auf dem Balkon gegenüber baut gerade ein Vater die Wohnzimmer-Flak seines Sohnes ab. Sorgsam mottet er sie ein. Er ist sich sicher, dass sie noch einmal braucht. „Das dauert maximal zwölf Monate“, ist er überzeugt. Aber bis dahin will auch er ein frohes, glückliches neues Jahr genießen. Schließlich haben alle hart dafür gekämpft.

Wichtiger Nachsatz: Trotz erbittertster Auseinandersetzungen haben die verfeindeten Parteien niemals die ökologischen Faktoren vergessen. So verzichteten sie beispielsweise selbst unter dicksten Rauchschwaden verbrannten Schwarzpulvers auf den Einsatz gepanzerter Fahrzeuge, um die Umwelt vor dem Feinstaub der Dieselmotoren zu schützen. Das ist eine wahrhaft frohe Botschaft und macht Mut für das Jahr 2019. Dank Euch, Ihr Helden! Wir werden Euch niemals vergessen. 

8 Kommentare

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    • Waldsiedler auf 3. Januar 2019 bei 14:14
    • Antworten

    Alle guten Wünsche den fleissigen Satire-Reportern der Markranstädter Nachtschichten!
    Und ein grosses Dankeschön!!
    Lasst Euch nicht entmutigen, wenn Euer Fleiss für manche Leser zur Selbstverständichkeit geworden ist! Ich lese sie im Winter mit Freude sogar in Thailand,wo ich ebenso ehrenamtlich tätig bin und sage:

    Als Volontär hat man es schwer!
    Wo kommt denn nur die Meinung her:
    Man denkt Du hast viel Geld
    Und keiner weiss, dass Freude zählt!
    Denn nur für die hältst Du zur Stange!
    Kein Lohn dafür, macht Dich nicht bange!

    In diesem Sinne: Bitte weiter so!

    1. Wie schön ist das denn? Das erste uns gewidmete Gedicht! Vielen, vielen herzlichen Dank!

    • Bekannt auf 2. Januar 2019 bei 20:52
    • Antworten

    Respekt für Eure Frontberichterstattung! Man merkt, dass ihr irgendwann einmal in grauer Vorzeit gedient habt … damals, als es noch hieß ‚Frieden schaffen, ohne Waffen‘
    Aber für uns geneigte Leser auch wichtig zu erfahren, dass der Nachtschichten-Keller das Inferno offenbar unbeschadet überstanden hat.
    Mich freut das, gibt es mir doch Gelegenheit, Euch alles Gute für das Neue Jahr zu wünschen.
    In diesem Sinne VENCEREMOS

    1. Nach einem Weihnachtswunsch per eMail und einem Neujahrsgruß per Facebook ist das die dritte Wunschbotschaft der hohen Zeit an uns. Wahnsinn, wieviel Etikette die Markranstädter haben. So gehen unsere Wünsche für das Neue Jahr ebenfalls an die Minderheit mit Stil. Und damit auch an Dich. Vielen Dank und alles Gute!

  1. Das mit dem Kaffeehausorchester vor dem Altar macht mich nachdenklich. Welch fremde Kultur ist denn da noch im christlichen Abendland eingewandert?

    1. Eine wunderschöne. Leichte Kaffehaus-Muse mit etwas Witz und viel Charme … dazu erstklassige Musiker.

      1. Mich macht ja eben auch nur der konkrete Ort des Bühnenbereiches für manches der wirklich schönen Konzerte nachdenklich, nicht das schöne eigentliche Konzert.

        1. Aber das ist doch nicht neu?! Ich erinnere mich noch an die „Schwerter zu Pflugscharen“-Zeiten Anfang der 80er. Da haben dort Bands gespielt, bei deren Klang die Abendmahl-Gesellschaft am liebsten aus dem Fenstermosaik geflüchtet wäre. Dazu noch wir in Jesuslatschen, langen Haaren und grünen Kutten (was weder insgesamt noch einzeln nach Weihrauch geduftet hat). Alles gut. Die Kaffeehaus-Musik zu Silvester war – ebenso wie die Veranstaltungen des Musiksommers – gehobene Kultur und ist daher in einem gehobenen Gemäuer besser aufgehoben als in Etablissements, in denen man sowas nur deshalb hören will, weils drei zum Preis von einem zu schlucken gibt. Außerdem, wie heißt es gleich in Psalm 150? „Lobet ihn mit Posaunen; lobet ihn mit Psalter und Harfe! Lobet ihn mit Pauken und Reigen; lobet ihn mit Saiten und Pfeifen! Lobet ihn mit hellen Zimbeln; lobet ihn mit wohlklingenden Zimbeln! Alles, was Odem hat, lobe den HERRN! Halleluja!“ Was anderes außer Saiten, Pfeifen; Odem & Co. hatte das Kaffeehaus-Orchester auch nicht dabei 😉 😉 😉

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