Neues aus der vierten Etage (48)

So Gott will und es nicht zu einer Wahlanfechtungsklage kommt, könnte es die drittletzte Sitzung gewesen sein, zu der die Markranstädter Duma gestern in dieser Zusammensetzung am Ratstisch Platz nahm. Im Mai wird das Gremium neu gewählt. Im Gegensatz zu so manch genervtem Abgeordneten können Satiriker nur hoffen, dass zumindest die wenigen Spaßmacher wiedergewählt werden. Obwohl … gestern bewiesen auch andere Mandatsträger, dass sie das Zeug zu guter Unterhaltung haben.

Wie immer, überlassen wir der Qualitätspresse die Interpretation des seriösen Teils des kulturellen Unterhaltungsprogramms in der vierten Etage. Zu den Beschlüssen nur so viel: Der neue Aldi-Markt wird gebaut, die Stadt hat einen neuen Erdgas-Lieferanten, die Bauleistungen für die Karlstraße werden an die GP Verkehrswegebau vergeben, der Boden der Stadthalle wird saniert und es gibt drei verkaufsoffene Sonntage.

Beste Satire gleich zu Beginn des Programms. Frank Meißner (SPD) wollte einen Punkt aus dem nichtöffentlichen Teil des Abends in die öffentliche Tagesordnung heben. Da über die nichtöffentliche Tagesordnung jedoch erst im nichtöffentlichen Teil der Sitzung befunden werden darf, musste Meißners Antrag folglich auch in den nichtöffentlichen Teil verlegt werden. Das wiederum hatte zur Folge, dass der Tagesordnungspunkt dann nicht mehr im öffentlichen Teil behandelt werden konnte, weil der zu diesem Zeitpunkt bereits beendet war.

In der Sendung mit der Maus würde es jetzt heißen: „Klingt komisch, ist aber so!“ Versuchen wir also mal, die Situation mit einem Gleichnis zu erleuchten. Sie hatten ungeschützten Geschlechtsverkehr und wollen einem sichtbaren Resultat des Aktes mit der „Pille danach“ vorbeugen. Der Arzt sagt Ihnen aber, dass das Kind zunächst auf die Welt kommen muss, weil erst danach feststehe, ob danach auch wirklich danach ist. Vor der Geburt würde es sich schließlich um eine „Pille davor“ handeln. So weit verstanden? Okay, wir auch nicht.

Bürger spaßen mit

Dass auch im Bürgertum ausreichend satirisches Potenzial vorhanden ist, stellte der Bürgermeister anhand des Abwägungsverfahrens zum ALDI-Neubau dar. Dort hatten Einwohner, Behörden und Träger öffentlicher Belange die Möglichkeit, sowohl Bedenken als auch Anregungen und Hinweise einzubringen.

Zwar habe es aus den Reihen der Bevölkerung nur drei Meldungen dazu gegeben, aber eine davon trug den Charakter eines flammenden Plädoyers wider dem beamtlichen Ernst. Jens Spiske zitierte den Inhalt des Hinweises wörtlich: „Liebe Stadtratmenschen, entscheiden Sie vernünftig und zeigen Sie, was Sie wirklich drauf haben.“ Ein Satz gewordenes, ja geradezu epochales Bewerbungsschreiben für Organe wie die Markranstädter Nachtschichten.

Viele Köpfe sparen Schulden

Kuriose Erkenntnisse brachte auch die Vorstellung des Jahresabschlusses der Stadt für 2015. Zahlenmäßig war zwar alles im grünen Bereich, aber bei der Definition einiger Begriffe erschlossen sich dem Zuhörer mitunter völlig neue Dimensionen.

Zum Beispiel bei der Pro-Kopf-Verschuldung, die anno 2015 bei 689 Euro lag. Für den gemeinen homo marcransis verbindet sich mit der Senkung von Schulden noch immer, den Gürtel enger zu schnallen. Wer Schulden hat, muss sparen.

Bei der Pro-Kopf-Verschuldung ist das jedoch kein Muss. Die kann man auch anders in den Griff bekommen. Je mehr Köpfe, umso niedriger die Schulden pro Schädel. Markranstädt hatte im Jahre 2015 nur rund 14.500 Einwohner. Schon zwei Jahre später waren es aber bereits über 15.500. Damit verteilten sich die Schulden per 31. Dezember 2017 auf nunmehr rund eintausend Köpfe mehr. Dieses mathematische Phänomen mündet in der These: Je stärker die Bevölkerung wächst, desto mehr werden die Schulden weniger, selbst wenn sie gleich bleiben. Alles reine Kopfsache.

Sex in der Glaskugel

Danach entführte die Erste Beigeordnete das Publikum mit einer Zeitreise ins Reich der erotischen Phantasie. Es ging um die Schulnetzplanung und je richtiger man die vornehmen will, umso genauer sollte man wissen, wieviel da in Markranstädt künftig so geboren wird.

Sagen wirs mal so: Das Wissen, wieviele Schüler beispielsweise im Jahr 2028/29 eingeschult werden, setzt die Kenntnis der erfolgreich vollzogenen Anzahl häuslicher Deck-Akte im Zeugungsjahr 2022/23 voraus. Bei dem Gedanken, was da beim Blick in die Glaskugel alles zu sehen ist, könnte man die Planer des Schulnetzes angesichts 94 prognostizierter Geburten glatt um ihren Job beneiden.

Dieses Kopfkino ist eigentlich nur noch durch die Vorstellung zu toppen, dass Paare zur frühzeitigen Anmeldung eines Kita-Platzes ihre Willensbekundung zur Nachwuchsbereitstellung per Vorlage eines Videos vom Zeugungsakt belegen. Auch wenn es sonst eher als sexuelle Störung wahrgenommen wird, könnte dann gelten: Wer zu früh kommt, den belohnt das Leben.

Dicke Hälse und hoher Blutdruck

Den satirischen Schlusspunkt der Vorstellung setzte dann wieder Frank Meißner. „Nachdem der Hals abgeschwollen und der Blutdruck wieder gesenkt ist“, bedankte er sich bei Fachbereichsleiter André Schwertner für die Zusammenarbeit im Gemeindewahlausschuss. Offenbar kam es in diesem Gremium zu heftigen Meinungsverschiedenheiten, worauf auch besänftigende Schlussakkorde anderer Beteiligter schließen lassen.

Während Ronald Gängel (LINKE) Schwertner wegen kritikwürdiger Landesvorschriften aus Dresden vollständig entlastete, sahen die Fraktionschefs Frank Meißner (SPD) und Micha Unverricht (CDU) aus unterschiedlichen Gründen dennoch Anlass zu Kritik.

Meißner räumte zwar ein, dass die abschließende Ausschusssitzung mit der Bestätigung der Kandidaten rechtlich korrekt angekündigt wurde, aber „man kann ja durchaus auch etwas mehr tun als das Recht vorschreibt, zumal es in diesem Fall ohne großen Aufwand möglich war und wir alle uns Transparenz auf die Fahnen geschrieben haben.“ Zur Erinnerung: Die Veranstaltung wurde auf eine Weise angekündigt, die für die Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar war.

Versöhnliche Töne in Moll

Auch in Unverrichts Ausführungen schwebten Noten in Moll. Er hätte sich gefreut, wenn es bereits vorab Hinweise auf Neuerungen und Veränderungen bei der Nominierung der Kandidaten gegeben hätte. So wären die Irritationen kurz vor Meldeschluss vermeidbar gewesen.

Wie im Nachgang der Stadtratssitzung zu erfahren war, gab es in dieser Hinsicht einige Differenzen, die wohl zu den erwähnten geschwollenen Hälsen und Blutdruck im hohen dreistelligen Bereich führten.

Demnach wurden die Kandidaten respektive Parteien in den vergangenen Wahlperioden von der damaligen Fachbereichsleiterin vorsorglich informiert und über die aktuellen Gegebenheiten in Kenntnis gesetzt. Ihr Nachfolger soll nun mit dieser geradezu mütterlich-liebevollen Tradition gebrochen haben.

Das erste Mal selber einkaufen

Die Parteien mussten sich daher jetzt selbst informieren und sich diesmal auch die entsprechenden Unterlagen eigenständig besorgen. Was da jedoch so an Formularen präsentiert wurde, soll in seiner Vielfalt sogar Malhefte aus der Vorschule in den Schatten gestellt haben.

Man könnte den Vorgang vielleicht mit Teenagern vergleichen, die erstmals selbstständig zum Einkaufen geschickt wurden. Andererseits muss es wohl auch so gewesen sein, dass das Sächsische Staatsministerium des Innern (SMI) seine Waren so ungünstig präsentiert hat, dass die Teens geradezu zwangsläufig ins falsche Regal greifen mussten.

Nudelpüree an Wahlsauce

Das führte im Falle des Markranstädter Gemeindewahlausschusses dazu, dass zwar Nudeln auf dem Einkaufszettel standen, die Kids jedoch mit Spaghetti, Spirelli und anderen Eierteigwaren zurückkehrten. Der anfängliche Stolz wich schnell aus der Brust, als es Mecker von Papa gab.

Daraus ein einheitliches Mahl zu kreieren, das zudem noch den Beamten vom SMI schmeckt, war dann offenbar die finale Herausforderung bei der Dinner-Show des Ausschusses, in dem dann jedoch lediglich das Blut in den Adern aufkochte. Schade, dass sowas hinter verschlossenen Küchentüren zelebriert wird.

 

3 Kommentare

    • Bernd Hollwitz auf 8. April 2019 bei 12:49
    • Antworten

    Liebe Nachtschichtler,
    das hört sich alles sehr unterhaltsam an – auch der vorherige Kommentar – … und wenn man mit dem Begriff „Demokratie“ überhaupt umgehen will, dann könnte man sagen: Ja das ist ein Stückchen Demokratie … was da abläuft…. aber diese hat eben ihre Grenzen. Hingehen zur Wahl und die „richtigen“ Volksvertreter ankreuzen, wird am Prozedere der Stadtratssitzungen – denke ich – letztlich nicht viel ändern.

    1. Genauso isses 😉 Zum Glück! Nicht auszuhalten, wenn der Unterhaltungsfaktor verloren ginge.

  1. Danke für den Artikel.
    Man muss schon mächtig aufpassen, sofern man aufgrund der bescheidenen Akustik was versteht, sich dabei kein Schleudertrauma aufgrund von Kopfschütteln oder Krämpfe zuzuziehen. Abgesehen von den Versprechen an die Bürger, die mehr mit den falschen Worten als mit verlässlicher Zusage zu tun haben, wurde dem Bürger bewusst gemacht, wie man mit Bürgeranliegen generell umgeht. Anhören, missmutig der Pflicht zur Scheindebatte nachkommen um das Anliegen abzulehnen.
    Das war deutlich.
    Man muss hoffen, dem Bürger ist genau das an der Wahlurne bewusst, sofern er überhaupt wählen geht.
    Aber es ist noch Zeit, sich bei der nächsten Sitzung den Gaudi mal selbst anzutun, schon wegen der Satire, Kost ja nix!

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