Neujahrsempfang in Markranstädt: Lockerer Aufgalopp 2019

Sehen und gesehen werden. Da es sowohl normale Ureinwohner als auch die Markranstädter C-Promis mit ihren Telefonnummern nicht auf die Hackerliste deutscher ViP’s geschafft haben, konnten sie am Samstag den Neujahrsempfang des Bürgermeisters nutzen, um mal wieder einen Hauch von öffentlicher Wahrnehmung schnuppern zu können. Ob politisch, gesellschaftlich, sportlich oder neugierig – alle Facetten des Boulevards wurden reichlich bedient.

Wurden in den vergangenen Jahren satirisch verwertbare Höhepunkte quasi gängeweise als Menü auf den Silbertabletts serviert, musste man anno 2019 schon ganz schön die Ohren spitzen, um humoristisch auf seine Kosten zu kommen. Das Event war perfekt organisiert.

Es mögen weit über 200 Gäste gewesen sein, die sich zunächst artig anstellten, um der Rathaus-Spitze mit einem Händedruck ihre Neujahrswünsche in die Ohren zu hauchen. Mal mehr, mal weniger herzlich. Ersteres offenbarte sich dann auch schon mal in einer kurzen Umarmung oder einem Schulterklopfen.

Kaum noch freie Sitzplätze am Samstagvormittag beim Neujahrsempfang im KuK. Obwohl sich die Damen hinter dem Tresen alle Mühe gaben, den unter Hochdruck stehenden Sekt leise zu öffnen, knallten schon während des feierlichen Teils der Veranstaltung die Korken.

Es gab aber auch wesentlich kürzere Grußformeln. Die Begegnung zwischen dem Bürgermeister und seinem ehemaligen Wahlkampfberater vollzog sich beispielsweise in Lichtgeschwindigkeit. Kurzer Blickkontakt, ein Hauch von Handschlag und noch ehe der auf eine hundertstel Sekunde eingestellte Verschluss der Kamera diesen historischen Moment einfangen konnte, war er auch schon vorüber. Blitzeis im KuK.

Ungereimt und ohne Tusch

Nach der musikalischen Einstimmung stieg Jens Spiske in die Bütt und präsentierte dem Publikum sowohl einen Rückblick auf das Jahr 2018 als auch einen Ausblick auf die kommenden Monate. Die Rede war erfrischend kurzweilig. So kurz zudem, dass für das Akkordeonorchester Leipzig nicht mal Zeit blieb, zwischen den Strophen einen Tusch anzubringen.

Beim richtigen Fasching darf der Büttenredner schon mal ein Glas Bier ansetzen. Für offizielle Anlässe wie einen Neujahrsempfang wird hingegen nur schnödes Wasser gereicht. Aber so trocken wie es hier scheint war die Rede dann doch wieder nicht.

Auffällig: Geht man nach der Spontanität und Intensität des Applauses, muss der ehemalige Leiter des Gymnasiums in der Beliebtheitsskala der Markranstädter ganz oben stehen. Als Thomas Schönfeldt bei der Begrüßung namentlich erwähnt wurde, hatte es den Anschein, als hätten sich die Gäste nur durch das Gestühl an stehenden Ovationen hindern lassen. Gänsehaut-Stimmung im KuK.

Inhaltlich hat der Bürgermeister in seiner Ansprache die wichtigsten Themen angerissen. Wohnungsbau, Internet-Erschließung, Wirtschaftsentwicklung … alles dabei, was Punkte bringt.

Lediglich beim Thema Sanierung leuchteten in den Augen des Publikums ein paar Fragezeichen auf. Neben dem Stadtbad und dem MAF-Komplex fiel hier auch der Begriff „Altes Ratsgut“. Was es da zu sanieren gibt, muss sicher das kommende Jahr zeigen.

Bier, des Markranstädters traditionell liebstes Getränk, war Bückware beim Sekt-Empfang.

Als Spiske das Vorhaben „Protonen-Therapiezentrum“ streifte, konnte man von den hinteren Reihen aus wahrnehmen, wie sich die Köpfe der meist reiferen Gäste wie ein Baumwollfeld im Herbstwind wiegten. So richtig scheint man dem Braten zumindest im Bürgertum noch nicht zu trauen.

Zwischen Festbraten und Diät

Überhaupt boten die Reaktionen des Publikums den einzig nutzbaren Nährboden für satirische Gedanken. So beispielsweise, als Spiske auf den Rundweg am See zu sprechen kam und stolz darauf verwies, dass man bei diesem Projekt nicht nur im Kostenrahmen geblieben sei, sondern es auch noch vorfristig fertigstellen konnte. „Ja, das ist wahr. Da stimmt was nicht“, raunte es in den Sitzreihen.

Die anschließende Würdigung ehrenamtlich Tätiger war dann ganz eindeutig ein Fall für die seriöse Qualitätspresse. Wie immer in Deutschland, wenn keinerlei Prämien, Posten oder andere Zuwendungen damit verbunden sind, traf es auch diesmal die Richtigen. Erwischt hatte es Thomas Haetscher, Olaf Hertzsch und Isolde sowie Peter Birnbaum.

Ehre, wem Ehre gebührt. Eingerahmt von Beate Lehmann (l.) und Jens Spiske (r.): Paul Schärschmidt, Peter und Isolde Birmbaum, Olaf Hertzsch sowie Thomas Haetscher (v.l.n.r.).

War die Veranstaltung bis dahin in politischer Hinsicht erfrischend neutral, kam der Laudator bei der letzten Ehrung des Tages leider nicht umhin, die parteipolitischen Wurzeln des Vorschlags in den Vordergrund zu stellen. Aber damit gibt es zumindest noch Platz nach oben für künftige Neujahrsempfänge. Wäre ja nicht auszuhalten, wenn wirklich alles so perfekt läuft, dass es keinerlei Entwicklungspotenzial mehr gibt.

Besondere Ehre auch für Paul Schärschmidt, der eine neue Seite im Goldenen Buch der Stadt aufschlagen und sich dort eintragen durfte. Spiskes Begründung, dass Schärschmidt Vizeeuropameister bei den EuroSkills 2018 (eine Art Europameisterschaft für Handwerker) wurde, könnte perspektivisch allerdings dafür sorgen, dass sich die noch leeren Seiten des Schmökers geradezu inflationsartig füllen.

Kein Schul-Diktat, sondern Eintrag ins Goldene Buch: Paul Schärschmidt aus Großlehna.

Immerhin gibts auch Olympiasieger, Vizeweltmeister und andere Titelträger mit Markranstädter DNA-Spuren, die über ähnliche Zugangsvoraussetzungen verfügen.

Bevor die Veranstaltung in den allgemeinen Teil übergeleitet wurde, erfolgte noch der Startschuss für die neue Internet-Präsenz der Stadt Markranstädt. Auf den ersten Blick sympathisch und ansprechend, mehr kann man dazu noch nicht sagen. Aber da es sich um eine Website von und für Markranstädt handelt, dürfte es wohl nicht lange dauern, bis Kritiker auch hier kalorienhaltiges Futter für den digitalen Reißwolf finden.

Vergeblicher Beutezug der Vereine

Nach Aussagen des Bürgermeisters sei man mit den Kosten für die Webpräsenz etwa 30 Prozent unter dem dafür veranschlagten Betrag geblieben. Rund 20.000 Euro habe sie gekostet. Schon frohlockten die Vertreter anwesender Vereine über die Verteilung der restlichen 10.000 Euro.

Aber diese Verheißung erfüllte sich nicht. Statt dessen zeigten die Kids des Seebenischer Faschingsvereins einmal mehr ihr Herz für Bedürftige und luden den Rathaus-Chef zu Pfannkuchen und Limo beim Kulkwitzer Kinderfasching ein.

Einladung zum Pfannkuchenessen beim Kinderfasching in Kulkwitz.

Das Finale Grande war dann wieder Sache des Akkordeonorchesters, diesmal mit der Petersburger Schlittenfahrt. Als sich der Bürgermeister lokalpatriotisch für die Darbietung der „Markranstädter Schlittenfahrt“ bedankte, hallte dieser Schlussakkord im Raunen des Publikums nach. Der letzte satirisch verwertbare Aufguss des Tages: „Markranstädter Schlittenfahrt? Die beginnt doch erst im nächsten Jahr?“

Die Sehnsucht nach Sektkorken

Doch spätestens als dann die restlichen Sektkorken knallten und die Häppchen eingeflogen wurden, waren sowohl kritische als auch satirische und andere Hintergedanken verflogen. Stimmengewirr und gute Laune wie im Bienenstock. Und all das analog! Schade, dass es nun wieder ein Jahr dauert, bis der Boden für eine solch sympathische Form der Konversation bereitet werden kann. Es ist Wahljahr und damit zu befürchten, dass die Sehnsucht danach viel, viel Nahrung bekommt.

 

2 Kommentare

    • Horst Hacker auf 17. Januar 2019 bei 12:16
    • Antworten

    Offener Brief an die Markranstädter Nachtschichten

    Liebe Publizisten und Publizistinnen,
    liebe In- und Auslandskorrespondenten und In- und Auslandskorrespondentinnen,
    liebe Reporter und Reporterinnen, liebe Karikaturisten und Karikaturistinnen,
    liebe Beiköche und Beiköchinnen der Markranstädter Nachtschichten!

    Im Antlitz des Jahresbeginns und noch inmitten des mensis Ianuaris halte ich es für zwingend gegeben,mich bei Euch, den Herausgebern des Satireorgans
    „Markranstädter Nachtschichten“, zu bedanken und dem gesamten Korps damit Kraft zu geben, so auch in Zukunft den Kampf einmal mit und einmal gegen die Windmühlen fortzubestreiten.

    Mit Eurem facheinschlägigen Periodikum der überzeichneten Dichtung und Darstellung habt Ihr mir oft, auch unter gekonntem Einsatz des Stilmittels der Übertreibung, ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern vermocht.

    Ja, lest nur noch einmal nach, mit welcher Finesse und doch korrekt ich die Interpunktion des vorangegangen Satzes hinter dem Wort „oft“ vorgenommen habe, nicht etwa davor, was auch erlaubt gewesen wäre aber den Sinn des Satzes signifikant verändert hätte!

    Eine mittels Komma versteckte Verfeinerung eines Lobs, wohlfeil überlegt an die wirklichen Akrobaten des Wortes gerichtet welche diese solche feinsinnigen Dankesbekundungen erkennen können, sich über derlei zuteil gewordener Wertschätzung freuen und darin Ansporn finden, ihr Handeln nicht einzustellen sondern aufbauend auf dem Erlebten weiter zu machen, ja sogar noch den Millimeter Luft nach oben zur Weiterentwicklung sehen zu können, sofern ein solcher bei dieser Klasse überhaupt vorhanden ist.

    Einfach und kurz gesagt:
    Ihr habt mir mit Eurem satirischen Geschreibe über die ganzen irrwitzigen Zustände, die Bekloppten, die Kriminellen, kriminelle Ausländern, hilflosen Beamten, den Geschichten aus dem Wartezimmer, Spannern am Badesee uvm. viel Freude bereitet.
    Und ich stimme Euch zu! Ihr habt mit jedem Beitrag recht!
    Danke!

    Euer Horst Hacker

    • Der Elitäre/in auf 14. Januar 2019 bei 12:42
    • Antworten

    … und prompt ein Kommentar.
    Das ist ja jetzt ausschliesslich ein erlesener Kreis von Lesern, welcher diesen Beitrag lesen und kommentieren kann. Sozusagen die Elite der Satireleser.

    Satirelite oder Elité le Satirè

    Ich fühle mich beehrt, soviel Aufwand für mich und den dreckigen Haufen 🙂

    Weiter so!

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