Alkoholdurst auf dem Alten Friedhof, Bildungshunger gegenüber

Freitagabend, 19 Uhr, Alter Friedhof. Eine handvoll jugendlich anmutender Gestalten, bei deren Verhalten man den gemeinsamen Ursprung der eigenen Spezies aus purer Scham leugnen möchte, ist mit Raufhändel beschäftigt. Man schreit, kreischt und brüllt sich an, schubst sich durch die Gegend, bringt sich unter dem Geklirr von Flaschen zu Boden, steht wieder auf und macht weiter. Abend für Abend das gleiche Spiel – und das seit kurzem nicht nur im Schatten einer Grundschule, sondern jetzt auch noch Aug‘ in Auge mit einer Art Ersatz-Bildungseinrichtung.

Der geübte Satiriker erkennt das humoristische Potenzial sofort. Nicht nur Halbstarke, denen nach dem Versaufen und Vercrystaln des Hirns nur noch ein paar biologisch sinnentleerte Eier geblieben sind, geben auf dem Alten Friedhof ihren Aggressionen freien Lauf, sondern auch junge Frauen.

Oft sind sogar Kinder dabei. Rückblickend auf die eigene Scheidung könnten einem da schon leise Zweifel an den Grundfesten unserer Gesellschaft kommen. 

Da wird bei Gericht immer wieder das Kindswohl hervorgehoben, Jugendämter sinnieren gebetsmühlenartig, dass Kids bei ihren Müttern besser aufgehoben seien und der Erzeuger eben nicht Sorgerechtsmann und gleich gar nicht Aufenthaltsbestimmungsrechtsmann, sondern Zahlemann heißt. Aber all das gilt hier nicht.

Paartherapie „made in markranstädt“

Am Freitag ging es – wieder einmal – um Beziehungsprobleme. Ein Kerl sei fremdgegangen, lässt sich dem Knäuel entnehmen, das sich grade kratzend, beißend und schreiend in der Hundescheiße am Boden wälzt.

Ein Fahrrad fällt um, irgendwas geht zu Bruch. Mutmaßliche Freundinnen und Freunde eilen hinzu, um der einen oder anderen Partei beizuspringen.

Aufschwung mit Doppel-Shopping

Ein älteres Ehepaar mit Einkaufsbeuteln kommt. Offenbar sind sie auf dem Heimweg. Beim Anblick des vor ihnen liegenden Kriegsgebietes überlegen sie es sich jedoch anders und kehren um.

Sie werden wohl noch mal ne Runde shoppen und es später erneut probieren, wenn auf dem Schlachtfeld Trinkpause herrscht. Auf diese Weise profitieren auch die Geschäfte in der Leipziger Straße von der Entwicklung. Doppel-Shopping heißt das neue Konjunkturprogramm.

Kinder sind, wie gesagt, mitunter auch dabei, wenns auf dem Alten Friedhof hoch her geht. Sie sind aber noch zu klein zum Mitmachen. Aus ihren Wagen heraus schauen sie ihren Müttern beim Kratzen, Beißen und Hauen zu.

Der pädagogische Hintergrund liegt klar auf der Hand. Sie lernen nicht nur, wie man sich später mal in einer Partnerschaft auf Augenhöhe durchsetzt, sondern vervollständigen dabei auch ihren kargen Wortschatz. Der bestand bislang nur aus „Halts Maul!“, „Friss was“ oder „Schlaf jetzt!“

Doch mit jedem Abend auf dem Alten Friedhof kommen neue Vokabeln hinzu. Und längst nicht nur für die Kids vor Ort. Auch Passanten und Anwohner können sich dem öffentlichen Sprachkurs nicht verschließen.

Knieficker und Fettgondeln

Werden Begriffe wie Spermarutsche, Fickfehler oder Fettgondel vorwiegend von den männlichen an die weiblichen Mitglieder dieser Population gerichtet, kontern letztere gern mit Steckdosenbefruchter, Knieficker oder einfach nur Arschloch. Alles in der Lautstärke einer startenden Antonov.

Zwischendurch versöhnt man sich wieder, trinkt was und wenn das Vakuum im Hirn wieder mit genügend Stoff nachgefüllt ist, geht’s von vorne los. „Ich bin noch nie fremd gegangen, du dumme Fotze!“„Ach ja? Und was war mit S.*? Da haste ihn nich reingesteckt oder was?“ – (Ihre Freundin): „Komm lass ihn, was will DER auch reinstecken? Der hat doch gar nichts in der Hose?“„Woher willst du das wissen? Hast du etwa auch schon mit ihm?“

Das Finale Grande der verbalen Auseinandersetzung markiert zugleich den Beginn neuer Handgreiflichkeiten. Diesmal schon mit drei verfeindeten Parteien und der Abend ist noch jung.

Die Sache mit der Spritze

Das Treiben macht nicht nur der Gesellschaft im Allgemeinen Mut, sondern auch den Protagonisten im Besonderen. Mit der Selbstverständlichkeit eines Autofahrers, der an der Tankstelle seinen Sprit bezahlen will, wurde eines der Friedhofswesen letztens sogar im anliegenden Seniorenheim vorstellig, um sich eine Spritze zu erbitten.

Leider wollte das Personal dort überhaupt kein Verständnis für dieses menschliche Anliegen zeigen und hatte den jungen Mann in einem völlig unsensiblen Akt der Ignoranz kaltblütig abgewiesen.

Der so Gedemütigte wartete aber geduldig vor der Tür und bedankte sich dann bei einer Schwester persönlich, als die den Müll rausbringen wollte.

Da auch hier wieder die Lautstärke deutlich über dem Pegel eines Großflughafens lag, wurden sämtliche Anwohner darüber informiert, was für eine dämliche, stinkende Fotze diese Pflegerin sei und was man mit ihr „normalerweise“ anstellen müsste, wo er doch nur mal eine Spritze haben wollte. Markranstädt 2018!

Zugegeben, das Wort „normalerweise“ hört sich aus dem Munde eines derart degenerierten Geschöpfes etwas gewöhnungsbedürftig an. Ungefähr so, als würde Quasimodo in sein Spiegelbild „Adonis“ brüllen. Aber was willste machen?

Direkt vis a vis vom Alten Friedhof hat jetzt eine Art Ersatzschule geöffnet. Keine Angst, es ist nicht geplant, das Friedhofspersonal eventuell dahin zwangseinzuweisen. Macht ja echt keinen Sinn.

Schülerhilfe vis a vis

Nicht mal in der Tagesklinik in der Hordisstraße wäre man in der Lage, dieses soziale Treibgut einer gesellschaftlichen Amortisation zuzuführen und sogar die Polizei kommt nur zum Gucken vorbei.

Aber dieses urbane Aufeinandertreffen so unterschiedlicher Lebensentwürfe birgt durchaus einen satirischen Reiz. Bildungshunger gegen Alkoholdurst – beides nur durch eine Straße voneinander getrennt.

Und niemand wird ausgegrenzt!

Fast glaubt man schon sehen zu können, wie die geistig frisch gestählten Kids nach dem Nachhilfeunterricht das Haus verlassen und dann direkt gegenüber realitätsnah vor Augen geführt bekommen, wie sorglos ein Leben auch ohne Bildung sein kann.

Das ist das Besondere an Markranstädt. Woanders werden solche Ethnien sauber voneinander getrennt. Die Elite im weißen Viertel, die Finanzbonzen im Zentrum und der Rest im grauen Ghetto. In Markranstädt ist alles eins und das ist gut so. Bunt, vielgestaltig, stimmgewaltig: So wie wir es immer wollen sollten.

 

3 Kommentare

    • Echter Markranster auf 30. Juni 2018 bei 11:48
    • Antworten

    Wenn es nicht zum Weinen wäre, könnte man lachen! Aber das rege Treiben ist dort fast täglich. Und weil der Schoss beizeiten fruchtbar ist, waechst die nächste Generation heran und das Bedarfsgemeinschaftseinkommen ist gesichert.
    E

    • Heiko Küster auf 30. Juni 2018 bei 8:36
    • Antworten

    Habe beim Lesen heiße Tränen vergossen, vor Lachen aber es bleibt zuweilen auch im Hals stecken…weil es eine Milieustudie ist die an den entsprechenden Stellen im Führungsbunker Am Markt keine Sau interessiert. Sehr traurig und beschämend für alle Beteiligten. Danke, weiter so!

  1. MEGA und auf den Punkt !

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