Wie ein Holzkopf die Herzen erweichte

Wenn es um das Markranstädter Ordnungsamt geht, sieht so mancher Bürger vor seinem geistigen Auge erst mal kompromisslose Politessen und Politessriche, die mit Vorliebe irgendwelche Verstöße ahnden. Jetzt haben die Ordnungshüter der Stadt jedoch mal nachhaltig unter Beweis gestellt, dass sie auch anders können. Ausgerechnet ein Holzkopf hat ihre Herzen erweicht. Eine nicht nur wahre, sondern vor allem auch schöne Weihnachtsgeschichte.

Wer seit vergangenem Samstag in Höhe Hordisstraße durch die Leipziger Straße fährt, könnte in der Tat erst mal nicht schlecht staunen. Von weitem kann es tatsächlich so aussehen, als wäre ein Uniformierter drauf und dran, mit seinem Fahrrad die Straße zu überqueren.

Da bremst man automatisch etwas ab und nähert sich der Gestalt vorsichtig. Hat man dann festgestellt, dass es sich um einen Nussknacker aus Holz handelt, der auf einem Drahtesel sitzt, fragt man sich selbstredend nach der tieferen Bedeutung der Installation.

Eines zumindest hat die Statue erreicht: Man hält sich automatisch ans vorgeschriebene Tempolimit. Deshalb läge zunächst eine ebenso kuriose wie wirkungsvolle Maßnahme zur Einhaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung nahe.

Da man aber im Ordnungsamt nach eigenen Aussagen die Markranstädter Nachtschichten nicht liest, will der satirische Geist dort so viel lebensbejahenden Witz zunächst nicht vermuten und sucht nach anderen Ursachen.

Nussknackender Botschafter

Die sind schnell gefunden. Ein Schild am Fahrrad erklärt, dass es sich bei der Figur um einen Werbebotschafter des beliebten Dekostübchens in der Hordisstraße handelt.

Und schon ist das eine Ordnungswidrigkeit, weil der Holzkopf auf dem Fahrrad an einer Bundesstraße steht und für diesen Standort über keine gültige Aufenthaltsgenehmigung verfügt.

Hier steh‘ ich nun und kann nicht anders.

Nun sind jedoch Personen ohne Papiere in Deutschland neuerdings trotzdem willkommen, weshalb man eine gewisse Toleranz auch für das Dasein eines radfahrenden Nussknackers voraussetzen könnte. Zumal Uta Lüngen, die Chefin des Dekostübchens, gar nichts von seiner Ankunft wusste.

Die künstlerisch effektvolle Werbeinstallation war nämlich eine Idee ihres Mannes, der die Kreation heimlich schuf und sie am Vorabend des 1. Advent als Überraschung für die Frau seines Herzens ebenso heimlich aufgestellt hatte.

Noch bevor Uta Lüngen allerdings ihr Geschenk entdeckte, war es am Montag bereits Thema in der Arbeitsbesprechnung des Ordnungsamtes. Kaum eine Stunde später läutete die Bimmel an der Geschäftstür. Kein früher Kunde diesmal, sondern amtlicher Besuch. Sozusagen der öffentlich-rechtliche Nikolaus. Und genau hier beginnt eine Weihnachtsgeschichte, die einem das Herz zu einem saftigen Steak weitet.

Klar, erst mal wurde festgestellt, dass das so nicht geht. Dazu wurden allerlei Paragrafen zitiert und Uta Lüngen sah sich bereits das Weihnachtsfest im Hochsicherheitstrakt der JVA Guantanamo verbringen. In Handschellen sowie Fußketten freilich und inklusive Kontenpfändung mit Verlust des Geschäfts sowie einer Runde Waterboarding gratis als Weihnachtsgeschenk.

Der Nussknacker mit sorgenvollem Blick gen Rathaus, wo gerade über sein Bleiberecht entschieden wird.

Um Zeit für die Regelung ihres Nachlasses zu gewinnen, vereinbarte sie mit dem Beamten, sich am nächsten Tag im Ordnungsamt freiwillig zu stellen. Das tat sie dann auch und begab sich in den Morgenstunden des 5. Dezember zum Inquisitionstribunal am Marktplatz.

Dort allerdings wurden die Pfeiler ihrer weltlichen Erwartungen bis in die Grundfesten erschüttert. Statt der Bekanntgabe eines Termins zur Deportation der Holzfigur sowie ihrer eigenen Verhaftung, wurde ihr eröffnet, dass man gemeinsam einen Weg finden wolle, um „die Kuh vom Eis zu kriegen“.

Da kann man schon mal glauben, seinen Ohren nicht mehr trauen zu können. Ist das die viel beschriebene Barmherzigkeit, die jedes Jahr anlässlich Jesu Geburt über uns Menschen kommt oder funktioniert Charles Dickens‘ erörterte Läuterung des Ebenezer Scrooge noch heute? Ein Markranstädter Weihnachtswunder gar?

Versuchen wir es mit einer optimistischeren Erklärung: Auch im Ordnungsamt arbeiten nur Menschen. Die haben allerdings mitunter das Problem, dass die gesetzlichen Vorschriften oft nichts anderes als Dienst nach Vorschrift zulassen.

Wer falsch parkt, der parkt eben falsch. Da gibt es keine politisch entlastenden Begriffe wie vielleicht „alternatives Abstellen“ oder so.

Das beliebte Deko-Stübchen in der Hordisstraße.

Manchmal bieten sich aber auch in den Prozessen der Durchsetzung von Recht und Ordnung Möglichkeiten, gewisse Situationen nicht mit dem belehrend-drohenden Knöllchenfinger, sondern unter Hinzuziehung des gesunden Menschenverstandes zu regeln. Und genau das ist hier passiert.

Das Ende dieser schönen Weihnachtsgeschichte ist schnell erzählt. Der Standort des Neuankömmlings ist in der Tat unglücklich gewählt und muss daher ein paar Meter in den rückwärtigen Raum hinter die Frontlinie der Leipziger Straße verlegt werden.

Ganz kostenlos und ohne Beistand des Bauamtes ist zwar auch das nicht machbar und gleich gar nicht ohne entsprechendes Antragsformular zur Erteilung einer Bewilligung über die Anerkennung von Rolle und Bedeutung radfahrender Nussknacker im öffentlichen Verkehrsraum, aber wo ein Wille ist, da ist bekanntlich auch ein Weg.

Die Moral der Geschichte: Uta Lüngen muss nicht nach Guantamo, der Nussknacker erhält ein zunächst befristetes Bleiberecht ganz in der Nähe und Markranstädt hat weiterhin einen sympathisch-romantischen Tempel für weihnachtliche Volkskunst sowie Dekorationen fürs ganze Jahr.

Blick ins Deko-Stübchen, wohin der Werbebotschafter an der Kreuzung den Weg weist.

Ja, und die Mitarbeiter des Markranstädter Ordnungsamtes haben sich selbst das schönste Weihnachtsgeschenk gemacht: Einen ganzen Sack voller Sympathiepunkte und Hauptdarsteller in einer richtig tollen Weihnachtsgeschichte. Charles Dickens hätte sie nicht besser schreiben können.

 

2 Kommentare

    • Der Tschenz auf 9. Dezember 2017 bei 10:42
    • Antworten

    Eigentlich genial gelöst. Gute Geschichte mit Happy End und alle sind gut dabei weggekommen. Haben Sie dafür wenigestens ein Dankschreiben vom Ordnungsamt erhalten oder wenigstens einen Gutschein für einmal straffrei Parken im Parkverbot?

    1. Nun, Tschenz, wer alles liest, ist klar im Vorteil. Es steht ja im Beitrag drin, dass man die MN im Ordnungsamt nicht liest. Sagt man zumindest. Andererseits kann man in der Verwaltung alle in den MN unterbreiteten Kritiken, Vorschläge oder Lösungsmöglichkeiten (die mitunter nur einen Handgriff erfordern, siehe Kennzeichnung des Radwegs am Kulki oder das berühmte Kunstwerk in der Schule)), nicht mit Nichtwissen ignorieren und dann, wenns plötzlich mal was Positives gibt, darauf reagieren und damit zugeben, dass man mithin auch von den kritischen Dingen wissen muss. Das geht nicht. Also weiterhin die drei Affen: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen… Kommunikationskultur „made in markranstädt“. In gängigen Rhetorik-Kursen wird diese Strategie mit dem Begriff „Unrat vorbei schwimmen lassen“ bezeichnet. Wir machen es jetzt bekanntlich auch so – nix mehr aus der vierten Etage.
      Dir noch eine besinnliche Adventszeit.

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