Das Gemecker der meckernden Meckerer

Wenn man den kritischen Zeitgeistern Glauben schenken darf, war früher nicht nur mehr Lametta, sondern auch mehr Kinderfest. Das jedenfalls sagt so mancher Erwachsener und sorgt damit für Irritationen bei den Kindern, denen das eigentlich ganz gut gefällt. Drum wendet sich der MN-Schriftführer heute mal an die ganz junge Leserschaft und ruft ihnen zu: „Liebe Kids, habt Verständnis für die Alten. Es hat gute Gründe, warum die so vergnatzt sind!“

Wisst ihr, Kinder, früher war wirklich alles ein paar Nummern größer. Das wird Euch später auch mal so gehen.

Sogar die Möpse Eurer Banknachbarin, die heute vielleicht sogar nachts noch wie Fesselballons durch eure Träume fliegen, werden irgendwann mal auf durchschnittliche EU-Norm abgeschwollen sein.

Mal Perspektive wechseln

Genauso verhält es sich auch mit der Sicht einiger Erwachsener auf Euer Kinderfest. Für sie liegt der Fehler hier schon im Namen. Wer ist es denn, der da Jahr für Jahr aufs Neue über immer weniger Karussells, immer kürzere Umzüge und immer kleinere Festwiesen klagt? Eben, Ihr seid es nicht!

Es sind Erwachsene, die sich da ständig aufregen und deshalb liegt der Fehler schon im Titel des Events. Es geht nicht um Kinder und damit nicht um ein Kinderfest, sondern um die Erwartungen der postpubertären Greise jenseits der 40. Und das ist auch verständlich, wenn man sich mal in deren verletztes Gefühlsleben hineinversetzt.

Die verarschte Generation

Wie war es denn in deren eigener Kindheit? In den letzten Jahren ihrer präpubertären Phase fand gar kein Kinderfest mehr statt, also gabs auch nichts zu meckern. Da hat sich allerhand angestaut in den 70ern und 80ern und das muss schließlich mal raus. Nicht irgendwann freilich, sondern jetzt, wo man’s darf. Früher war das ja nicht möglich.

Dass die Generation der Senioren ab und zu doch mal im Mittelpunkt steht, kommt in der Themenliste der Meckerer nicht vor. Vereinschefin Sandra Thuselt begrüßt sie sogar mit Blumensträußen bem Umzug.

Dass die Generation der Senioren ab und zu doch mal im Mittelpunkt steht, kommt in der Themenliste der Meckerer nicht vor. Vereinschefin Sandra Thuselt begrüßt sie sogar mit Blumensträußen bem Umzug.

Ganz früher gab es zwar noch ein Kinderfest, aber wer daran zurück denkt, kann auch nur die blanke Wut kriegen. Zuckerwatte für einen Groschen, eine Rundfahrt mit dem Karussell für 20 Pfennige und eine Limo für 20 Pfennige – basta!

Mit ’nem Fuffzcher abgespeist

Mit 50 Pfennigen wurde diese Generation abgespeist, während sich deren Väter das Bier (55 Pfennig das Glas) und Goldbrand (1,10 Mark der Kurze) gleich tablettweise hinter die Binde kippten, um das Zeug dann in den Hubschrauber auf dem Kinderkarussell zu kotzen.

Da kann man als Kid doch gar nicht anders, als sich nach jener Zeit zu sehnen, wo man erwachsen ist und dann beim Kinderfest endlich mal selber so richtig die Sau rauslassen kann. Könnt Ihr das verstehen?

Tja – jetzt ist es endlich so weit und da ist plötzlich kein Hubschrauber mehr da. Ganz abgesehen davon, dass das Bier jetzt 3,80 Euro kostet, was umgerechnet 7,40 D-Mark und beim Wechselkurs von 1:4 fast 30 Ostmark macht. Es ist einfach zum Kotzen, aber weil das in diesem Fall kostenlos wäre, könnte man nicht mal drüber meckern.

Vom Munde abgespart

Schlimmer noch: Gehen die Alten der verarschten Generation heute mit ihren Kindern oder Enkeln auf ein Volksfest, sind es auch wieder sie, die den Gürtel enger schnallen müssen. Diesmal für Euch.

Während für sie damals 50 Pfennige fürs gesamte Fest reichen mussten, wird man dafür heute sogar schon beim Glaspfand ausgelacht. Eine Runde Karussell, einmal Zuckerwatte, vier Nieten an der Losbude, ein Smoothie, zum Schluss noch eine Bockwurst und Opa ist allein für Dich kleinen Racker 50 Piepen los. Nein, nicht Pfennige, Euro!

Die Teens lassen sich den Spaß vom Gemecker der Alten nicht verderben.

Die Teens lassen sich den Spaß vom Gemecker der Alten nicht verderben.

Vor diesem Hintergrund wird jeder Jahrmarkt, auf dem es nur ein Glücksrad mit kostenlosen Preisen von der AOK gibt, zu einem Fest fürs eigene Konto. Und da soll man sich nicht drüber aufregen?

Die Regeln des Marktes

Womit wir beim dritten Argument wären. Wir leben in der freien Marktwirtschaft, in der das Angebot von der Nachfrage geregelt wird. Angeblich. Ausgerechnet beim Kinderfest werden diese Regularien aber schon seit Jahren ignoriert.

Diese Meckerei hat ausnahmsweise mal Sinn: Die aus der Stadtbad-Ruine geborgene Rutsche verrät: "Eine Legende stirbt". Zwenkau - 12 km, Lützen 5 km:

Diese Meckerei hat ausnahmsweise mal Sinn.

Fakt ist: Es gibt immer weniger Kinder. Also jetzt rein von der Zahl her. Was die Brutto-Tonnage angeht, sind die Werte seit Jahren stabil, aber in der Stückzahl ist ein zunehmendes Negativ-Wachstum zu verzeichnen.

Bei immer weniger Kindern wäre es doch eigentlich logisch und vor allem demokratisch, dass man beim Kinderfest stärker auf die Bedürfnisse der wachsenden Mehrheit der Erwachsenen eingeht.

Aber statt wenigstens mal ein Zeichen zu setzen und bei der Disco eine Saalrunde Doppelherz on the Rocks zu spendieren, nimmt man lieber in Kauf, dass sich die an den Rand gedrängte Mehrheit der Geronten auflehnt.

Da muss man einfach meckern: Der Umzug ist eine Schande geworden. Sogar über 100 Jahre alte Festwagen kommen zum Einsatz.

Da muss man einfach meckern: Der Umzug ist eine Schande geworden. Sogar über 100 Jahre alte Festwagen kommen zum Einsatz.

Tja, das hat man dann davon: Dann regen die sich eben auf. Zum Beispiel darüber, dass der aus 16 Wagen bestehende Umzug, in dem vor ein paar Jahren nur elf Festwagen mitfuhren, immer kürzer wird. Oder dass sich der Festplatz, der sich bis 1939 in der Ziegelstraße befand, jetzt erstmals in der Ziegelstraße befindet.

Es lebe die Partei

Und nun kommt noch eine ganz bittere Erkenntnis, liebe Kids. Weil das Kinderfest früher unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei organisiert wurde, sind es die Alten gewohnt, darüber zu meckern. Das gehört einfach dazu. Tradition, versteht Ihr?

Dass es die Partei gar nicht mehr gibt und das Fest jetzt von rund 15 Markranstädtern ganz privat und ihrer Freizeit ehrenamtlich auf die Beine gestellt wird, spielt dabei keine Rolle. Ja, Ihr habt Recht, Kinder: Die Meckerer könnten einfach mal hingehen zu diesem Verein und ihre Hilfe anbieten. Aber auch das, liebe Kids, geht nicht. Dann müssten sie ja hinterher über sich selber meckern und das ist nicht des Menschen Sache.

Die ham doch sonst nüscht

Nehmt’s einfach mal so hin, liebe Kids, auch wenn es Euch anders vorkommt: Das Kinderfest wird jedes Jahr kleiner, der Umzug jedes Jahr kürzer, die Besucherzahl stetig geringer, das Bier dünner, die Festwiesen immer weiter abgelegen und das ganze Fest immer öder.

Weil damit auch sämtliche alte Traditionen über Bord geworfen wurden, wollen die Alten im Rahmen der Brauchtumspflege wenigstens ihre letzte verbliebene Tradition verteidigen: die Meckerei.

Gönnt es ihnen, sie haben doch sonst nichts vom Fest.

4 Kommentare

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  1. Japp, früher war halt alles besser, vor allem das eigene Leben. Man hatte praktisch keine Verpflichtungen, keine Sorgen, es tat einem nicht jeder Muskel weh. Kurzum: Alles war irgendwie einfacher. Da ist es natürlich frustrierend, wenn dies nur noch eine bloße Erinnerung ist und man sich an der Aktualität nicht mehr erfreuen kann. Das Land geht einfach zu Grunde, die Welt geht den Bach runter, aber vorher dreht sie sich für manche Leute einfach zu schnell. Daher gilt: Lasst euch den Spaß nicht verderben, so lange es geht! Ein bisschen Kind bleiben hat noch niemandem geschadet…

    • EddiKonstantin auf 11. Juli 2022 bei 9:11
    • Antworten
    • markranster auf 11. Juli 2022 bei 8:48
    • Antworten

    Scheen was allemal, insbesondere wenn man live dabei war!

  2. Es kommt ja noch doller, liebe Kinder (halt, Moment, Ihr heißt ja kids, so nannte man früher nur die Nachkommen der Rehe): Es gibt ja sogar solche Knacker, die über Geräusche meckern. Man sollte ja meinen, die Ollen müßten taub sein, aber da gibts ja erstaunlich viele, die besser hören können als Ihr, vielleicht, weil sie nicht so geile Musik hören wie Ihr. Und die meinen tatsächlich, die tollen lauten Böller und Explosionsgeräusche könnte vielleicht auch jemand aus Eurer Generation nicht so geil finden, vielleicht die Gleichaltrigen, die sich an neulich daheim erinnert fühlen, als ihnen in Homs oder Odessa der Kindergarten um die Ohren geflogen ist. Kleinlich, gell? Es gibt sogar solche, die „Mama Lauda“, bis der Wasserturm wackelt, ungeil finden. Aber auch mit denen solltet Ihr nachsichtig sein. Die haben halt auch keinen Spaß im Leben.

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