Neues aus der vierten Etage (17)

Mit 25 Punkten auf der öffentlichen Tagesordnung hatte der Stadtrat am Donnerstag einen Blockbuster vor der Brust. Obwohl sie in den Reihen der Privilegierten sitzt und damit zumindest mit Getränken versorgt wird, hatte Stadträtin Birgit Riedel mit dem niederen Promuchel Mitleid und sorgte dafür, dass die Vorstellung in zwei Akte geteilt wurde. Da konnte das leidgeprüfte Publikum seine durstigen Mäuler in der Pause wenigstens auf dem Klo mal unter den Wasserhahn halten.

Wir lernen: Gastfreundschaft ist nicht so das Ding unseres Stadtrats. Sowohl bei den Hygienemaßnahmen mit Glasscheibe zwischen jedem Tisch als auch bei der Versorgung mit Getränke-Dreierlei auf dem Platz, lassen sie das einfache Publikum schon beim Betreten wissen, welcher Bereich des Saales hier Wandlitz ist und wo die Klasse der Arbeiter und Bauern applaudieren darf.

Gleich zum Beginn gewährte die Bürgermeisterin einen tiefen Einblick in ihr Seelenleben. Besser gesagt in ihre Vorlieben. Da mag so mancher Zuschauer enttäuscht gewesen sein ob des Politik-Fetisch, der sich da offenbarte. Als sie in der Tagesordnung zu Punkt 1.3. kam, ließ Nadine Stitterich jedenfalls wissen: „Kommen wir nun zu meinem Lieblingspunkt in der Tagesordnung: Benennung der Protokollanten.“

Wer hätte das gedacht? Mit so einfachen Dingen kann man die Bürgermeisterin glücklich machen. Wer also noch ein originelles Geburtstagsgeschenk sucht, sollte sich einen Protokollanten vormerken. Geimpft, entwurmt und möglichst schlicht verpackt, kann man damit nachhaltig punkten. Man kann schließlich nie wissen, wann man sie mal braucht. Irgendwann könnte man auch vor Deinem Haus mal Stadtmöbel errichten wollen.

Neue Ehrenbürgerin

Im nächsten Punkt wurde Hanna Kämmer als Ehrenbürgerin vereidigt. Die höchste Auszeichnung Markranstädts wird einem, wenn überhaupt, traditionell erst im hohen Alter zuteil. Laudator Micha Unverricht hat die Gelegenheit genutzt, sich dafür schon mal selbst ins Spiel zu bringen, indem er dem Publikum seine eigenen Leiden fortgeschrittenen Alters offenbarte. Quasi blind erklomm er das Podium, um am Pult öffentlichkeitswirksam festzustellen, dass er seine Lesebrille vergessen hatte.

Wenn er die Grabenkämpfe bis dahin überlebt, könnte Unverricht damit irgendwann so um das Jahr 2098 der nächste Ehrenbürger werden. Ob es allerdings erstrebenswert und wirklich eine so hohe Auszeichnung ist, gemeinsam mit Hitlers Steigbügelhalter, der zudem nie in Markranstädt war, auf einer Liste zu stehen? Allein die Stadträte wollten solche Töne bislang nicht hören oder lesen, obwohl sie ihnen allein von den Markranstädter Nachtschichten schon jahrelang gebetsmühlenartig vorgetragen werden.

 

Den Aufruf des Punktes „Einwohnerfragestunde“ könnte sich Nadine Stitterich inzwischen getrost verkneifen. Es würde die Ankündigung reichen: „Und nun erteile ich Ronald Gängel und Rüdiger Kunzemann das Wort“. Weil jeder Bürger maximal zwei Fragen stellen darf, war Stitterichs Geduld bei Kunzemann bald aufgebraucht und sie unterbrach ihn deshalb. „Sie haben schon mindestens 5 Fragen gestellt“, ließ sie ihn vom Stand ihrer Strichliste wissen. Der Bürger konterte die bürokratische Zurechtweisung mit dem Hinweis: „Ja! Es werden ja auch immer mehr.“

Es folgte ein zäher, endlos langer Akt der Beschlussfassungen, welcher schließlich von einem Embargo-Vorschlag aus den Reihen der CDU beendet wurde. Pause! Wie menschlich ist das denn?

Schach mit Kindern

Danach gings mit Hick-Hack um die Schulnetzplanung weiter. Wenn man neun Schüler hierin verschiebt, bekommt man vom Land acht Lehrer da und dort hin; teilt man drei Schüler hierin und fünf dahin auf, gibt’s vom Freistaat nur sieben Pädagogen. Irgendwie so jedenfalls.

Weil es auch um Großlehna ging, hatte Carina die Große ihre Schritte erst ins KuK und dann ans Mikrofon gelenkt. Rhetorisch geschliffen, da ist ihr nach wie vor kein anderer Wortführer des hohen Hauses gewachsen, und die Argumentationskette astrein geölt, ließ sie ihre Version von der Aufteilung der Schulbezirke wissen. Sie reichte von der Genesis über die aktuelle Situation bis hin in die Zukunft.

Vielleicht hätte sie dafür sogar stehende Ovationen verdient und noch vielleichter hat sie sogar mit diesen geliebäugelt. Aber Radon konnte es wieder mal nicht lassen, persönliche Noten in die Komposition einfließen zu lassen. Mit der mehrfachen namentlichen Erwähnung ihrer Feindbilder verpufften die wirkungsvollen Akkorde des Oratoriums in den Ohren vieler Zuhörer schließlich zu einer individuell motivierten Sakraloperette. Eigentlich schade vor dem Hintergrund, dass allein schon ihre Argumente genug Gewicht hatten.

Das Finale der aktuellen Folge „Neues aus der vierten Etage“ bildeten dann – mal wieder – die inzwischen schon legendären Stadtmöbel. Da gings erneut heiß her im hohen Haus.

 

Den Stein ins Rollen brachte – mal wieder – SPD-Chef Frank Meißner. CDU-Vize Unverricht sprang ihm – mal wieder – sofort bei. Allerdings redete er sich diesmal derart in Rage, dass seine Frau am gleichen Abend wohl noch die drei oberen Knöpfe seines Hemdes annähen musste.

Wo Rede ist, gibt’s auch Gegenrede. So wünschte AfD-Chef Bodo Walther jedem, der für die Aufstellung der Stadtmöbel ist, ein verstopftes Klo. Allerdings ließ Walther zugleich geografische Zweifel an der Standortauswahl des Mobiliars aufkommen und verortete diese, weil’s wahrscheinlich öffentlichkeitswirksamer ist, gleich mal in die Einfahrt des Grundstücks. Mit dieser visionären Neuigkeit war das Auditorium dann offenbar so überfordert, dass die Diskussion schlagartig verebbte.

Der Klo-Fluch

Kurz und gut: Die weißen Tauben sind müde. Der Ältestenrat hat den Schwarzen Peter der Bürgermeisterin zugeschoben und die soll das jetzt alleine entscheiden. Weil sich aktuell sowieso keine Firmen an den Ausschreibungen der Stadt beteiligen und daher grade sowieso nichts zu tun ist, will Stitterich ihr Bauamt mal ein paar Varianten planen lassen. Mit der Zielstellung, das Areal unter dem Baum mitten in der Einfahrt so mit Stadtmöbeln zu bepflanzen, dass Markranstädt auch in Zukunft noch sorgenfrei kacken kann.

Einzig für die Bürgermeisterin bleibt die Situation im wahrsten Sinne des Wortes beschissen. Alles andere als die Aufstellung eines Tisches und zweier Bänke ist ein Einknicken der öffentlichen Hand vor privaten Interessen, zumal man sich dann auch nicht des Prozessrisikos vor Gericht hätte aussetzen müssen. Wird hingegen eine Alternative gewählt, kommt das einem Öffnen der Büchse der Pandora gleich. Dann kann künftig ohne Zustimmung des dahinter wohnenden Anrainers nicht mal mehr ein Blumentopf auf dem Fußweg aufgestellt werden.

Die Provinzposse, inzwischen beim Upgrade 8.2 angekommen, wird wohl auch in diesem Jahr das Sommerloch füllen. Aber besser diese Öffnung als den Abfluss der Toilette. Bleiben wir also optimistisch, auf dass wir auch morgen noch kraftvoll spülen können. Und lasst uns das Pressen auf der Toilette nicht mit Erpressung im wahren Leben verwechseln…

 

6 Kommentare

Zum Kommentar-Formular springen

    • Ignorant auf 14. Juni 2021 bei 15:04
    • Antworten

    À la bonne heure! Die a.D. in alter- neuer Form. Hut ab, sie beherrscht die Klaviatur der emotionalen Kommunikation. Damit erübrigt sich jeglicher Blick auf Zahlen und Fakten, koste es was es wolle für unsere Kinder. Verlass, Ehre, Versprechen- das sind die Schwergewichte. Mit großer Erleichterung kann man diese Werteorientierung der Stadträte über alle Fraktionen quittieren. Peanuts ob es Lehrer gibt, die 25 oder 15 Kinder unterrichten. Das ist einfach total überbewertet!

    1. Ist im Stadtrat wie im wahren Leben: Wenn sich richtige Entscheidungen gegen die Emotionen einer Minderheit wenden, gibt man lieber klein bei. Wer würde schon für einen Fahrstuhl stimmen, dessen Unterhalt 30.000 pro Jahr kostet, wenn er nicht Angst haben müsste, hinterher als Diskrominierer dazustehen?

  1. Eine Neuigkeit in Markrans ist euch entgangen.
    Nachdem sich letztens der Ortsvorsteher in heldenhaftem Einsatz vor den Rasenmäher geschmissen hat, um die Markranstädter Halmvernichter in Frankenheim zu stoppen, wurde nun beschlossen, eine Blühwiesen-AG in Markranstädt zu gründen.
    Mal eine gute Nachricht. Wird es also doch noch was mit den „Blühenden Landschaften“.
    Stadtmöbel mit Blumen und summenden Insekten, welch ein Paradies.

    1. Da haben andere Protagonisten in Markranstädt aber gerade auch ganz andere Bilder vorm geistigen Auge. Da sind das keine Blumen, die von Bienen bestäubt werden, sondern Scheißhaufen, um die Schwärme von Schmeißfliegen schwirren.

      1. Ein bisschen Erde auf den Scheisshaufen und dann eine Tomatenpflanze drauf. Tomaten haben gern scharfen Dünger.
        Reintreten ist nicht so lecker wie roten Tomaten.

        1. Wer isst den sowas?

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.