Neues aus der vierten Etage (21)

Das sind die Zahlen: 20 Stadträte an der Ratstafel, acht Stadtverwalter im Podium, 26 Personen auf den Gästestühlen, ein Portier am Einlass und ein Tontechniker an den Reglern. Mithin also 56 maskenlose Menschen im KuK. Und das bei einer Inzidenz von 295,3. Zur Erinnerung: Im Vorjahr wollte man bei einer Inzidenz von 108 am liebsten schon Ganzkörperkondome ausgeben. Aber das war längst nicht der einzige Fakt, der die 21. Zusammenkunft der Lallendorfer Duma zu einem der denkwürdigsten Ereignisse seiner Art in der Markranstädter Historie werden ließ – Klinik-Sex auf dem Untersuchungsstuhl inklusive!

Kommen wir zuerst zu den nüchternen, jenseits aller Satire angepflanzten Episoden. Auch wenn im Nachgang wieder mal viel gemeckert wurde, gab es dennoch Anlass für Lob.

Eins muss man der Bürgermeisterin lassen: Sie hört zu, nimmt Ratschläge und Hinweise an und setzt sie auch um. Zumindest die, die aus dem Volke an ihr Ohr gelangen. Und so gibt es neben einer Übersetzung der Beschlüsse vom Verwaltungsdeutsch ins verständliche Volksdeutsche jetzt endlich auch Getränke auf den Besuchertischen. Eine feine Geste.

Dieses Überlebens-Set war allerdings auch bitter nötig, denn Nadine Stitterich hatte auch in anderer Hinsicht zugehört und ähnlich ihrer Kollegen im Landkreis gleich zu Beginn der Sitzung ein Kulturprogramm in die Tagesordnung eingebaut. Vertreter von Sachsenforst durften zum Pappelwald referieren, wodurch sich die ohnehin schon auf mehrere Stunden angelegte Tagung noch weiter ausdehnte.

Wider die Fremdkulturen

Dass der Vortrag der Sachsenförster schließlich auf Spielfilmlänge kam, lag allerdings auch an den vielen Werbepausen in Form von Fragen der Stadträte. Seltsam war dabei nur, dass mit Ausnahme von AfD-Chef Bodo Walther niemand Informationsbedarf zur Wildschwein-Population hatte. Wir lernen: Gegen Klimaschäden können Schwarzkittel selbst dann nicht anstinken, wenn sie ganze Wälder um- und dabei junge Bäume ausgraben. Man muss halt Prioritäten setzen.

Als Tommy Penk (Grüne) nachfragte, wie es im Pappelwald bei den Nachpflanzungen um Gewächse wie die Robinie stehe, antwortete der Sachsenförster, dass diese nicht nachgepflanzt werden: „Das sind Fremdkulturen, die gehören nicht hierher.“ Offenbar war Bodo Walther aber noch so mit den Wildschweinen beschäftigt, dass er diese Steilvorlage ungehört an sich vorbeirauschen ließ.

… und die Uhr tickt

Dann endlich stiegen die Ratsleute in die eigentliche Tagesordnung ein. Die Zeiger des Chronometers standen da bereits auf 19.40 Uhr und jetzt sollte eigentlich über den Haushaltsplan der Stadt abgestimmt werden. Um es vorweg zu nehmen: Die Debatte um diesen Punkt war selbst 21.45 Uhr, also über drei Stunden nach Eröffnung der Sitzung, nicht beendet und es sollten noch 15 folgen. Da war das Schmerzensgeld nicht nur für Vertreter der satirischen Zunft längst aufgebraucht. Reihenweise lichteten sich die Sitzflächen im Besucherareal.

Und die hatten gut daran getan, einen Haken hinter das Treiben zu setzen, denn was da noch alles kam, war Hardcore. Die Sitzung endete am folgenden Morgen um 0.04 Uhr!

Das muss man sich echt nicht antun und hinterher auch nicht lesen. Richten wir unsere Scheitel also lediglich auf die humoristisch verwertbaren Elemente der Sitzung.

Die Bürgerfragestunde war erneut ein reich pointierter Höhepunkt. Rüdiger Kunzemann beschäftigten offenbar die gleichen Gedanken wie die Besucher mit satirischem Migrationshintergrund. Der Umgang mit den Inzidenzzahlen, speziell im Saal, bereitete ihm Sorgen. Mit einem kurzen Verweis auf die Verantwortlichkeit höherer Stellen im Gepäck durfte er sogleich wieder Platz nehmen und schon kam Bürger Ronald Gängel zu Wort.

Frage- oder Sagestunde?

Der machte aus den zwei ihm zustehenden Fragen gleich mal wieder vier, reicherte sie mit Statements an und sparte auch mit personifizierter Kritik nicht. Quasi ein deutlich formulierter Antrag, seine Ausführungen abzuwürgen. Die Bürgermeisterin kam diesem Ansinnen nach und so war der Weg frei für Matthias Seidler. Dieser hatte allerdings gar keine Fragen, sondern wollte einfach auch nur mal was sagen. Zur Beckengröße des geplanten Stadtbades zum Beispiel. Im Gegensatz zu Gängel durfte Seidler seine Ausführungen abschließen und erhielt von der Bürgermeisterin auch noch einen Dank für sein Statement.

Frauenhaus Rathaus: Im Podium beträgt die Frauenquote neuerdings 100 Prozent. Wird deshalb so viel geredet?

Frauenhaus Rathaus: Im Podium beträgt die Frauenquote neuerdings 100 Prozent. Wird deshalb so viel geredet?

Die Frage einer weiteren Bürgerin bezog sich auf ein Thema, das auf der Tagesordnung stand und deshalb tabu ist. So durfte sie sich volley wieder hinsetzen und sich in den folgenden fünf (!!!) Stunden in der Gewissheit sonnen, dass sie in dieser denkwürdigen Sitzung wenigstens auch mal kurz am Mikro gestanden hat und alle wissen, wie ihre Stimme klingt. Kommunalpolitik kann so einfach sein.

Dann gings in die Diskussion über den Haushalt. Die CDU hatte da vor dem Hintergrund der Personalkosten ein paar Bauchschmerzen mit neuen Stellen, die im Rathaus geschaffen werden sollen und diese in einem Brief zusammengefasst. Sagen wirs mal so: Der Tenor dieses Dokumentes hätte Satirikern alle Ehre gemacht und in den Nachtschichten abgedruckt, hätten sich manche Leser sicher auf die Schenkel geklopft. Ob solche Spitzen allerdings einer lösungsorientierten Debatte der dem tierischen Ernst verpflichteten Volksvertreter zuträglich ist?

Zumindest die Bürgermeisterin bezweifelte das und ging ihrerseits mit einer Zurechtweisung des CDU-Mannschaftsarztes in die Offensive. Sie verbitte sich solch Darstellungen. Kirschner konterte, indem er darauf verwies, dass er inzwischen sechs Bürgermeister überlebt habe und allen gegenüber, Stitterich inbegriffen, loyal gewesen sei.

Sechs Bürgermeister? Zählen wir mal: Micha Woitschek, Martin Schmeling, Carina Radon, Jens Spiske, Nadine Stitterich … macht fünf. Nummer sechs – und das erklärt so einiges – stammt wohl aus einer Zeit, als der Haushalt noch ohne Diskussion und mit 100 Prozent Zustimmung verabschiedet wurde. Diesen Erfahrungsvorsprung kann eine junge Nachwuchskraft wie Nadine Stitterich natürlich nicht so einfach aus der Welt schaffen.

Loyalität auf dem U-Stuhl

Also griff sie im folgenden Wortwechsel ihrerseits ganz tief in die Kiste mit den Spaßutensilien. Als Kirschner fragte, ob durch die Besetzung eines Rechtsamtes dann auch die Kosten für externe Anwälte sinken würden, entgegnete sie dem Medizinmann, dass man für Fachfragen trotzdem Fachanwälte bräuchte. „Wenn sie sich gynäkologisch untersuchen lassen wollen, gehen sie doch auch nicht zu einem Allgemeinarzt“, begründete sie.

Was danach geschah, wissen wohl nur die Protokollanten, denn beim Rest der Anwesenden entfaltete sich Kopfkino im Blockbuster-Format. Kurz zum Trailer: Kirsche hängt im Pflaumenbaum, Schwester Naddel hat sich mit diabolischem Blick die Handschuhe übergestreift, nimmt vor seiner gesellschaftlichen Mitte Platz und fordert ihn mit gewetztem Spekulum auf: „So Freundchen, da wollen wir mal! Noch ein Stück nach vorn rutschen und schön locker lassen.“

"Also ihre Loyalität hätte ich mir schon etwas größer vorgestellt."

„Also ihre Loyalität hätte ich mir schon etwas größer vorgestellt.“

Wie gesagt, der Zeiger näherte sich da schon der 22 Uhr-Marke und als noch immer Volksvertreter mit dem festen Ansinnen ans Mikro traten, die Überstunden der Verwaltungskräfte runterzuschrauben (dabei konsequent die Tatsache verdrängend, dass sie selbst gerade in diesem Moment bei den dienstlich anwesenden Stadtverwaltern für weitere 11 x 5,5 = 60 Überstunden sorgten), erklärte die satirische Ethnie den Unterhaltungswert für ausreichend erfüllt. Überstunden gibts für uns nicht bezahlt, also: Tschüssikowski, macht ihr ruhig durch bis morgen früh und singet bumsfallera.

4 Kommentare

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    • Sascha auf 7. November 2021 bei 11:19
    • Antworten

    Mit einem Wort zum Beitrag: KÖSTLICH! 🙂

    1. Gelle? Man muss nicht ins Kino gehen, um die besten Filme sehen zu können. Eine gynäkologische Untersuchung im Ratssaal hat noch nicht einmal Hollywood für sich entdeckt.

    • Beobachter auf 6. November 2021 bei 15:08
    • Antworten

    Das Beste kommt zum Schluss , heisst es doch.
    Allerdings weiss ich nicht, ob das für den Stadtrat auch gilt?
    Die Qualitätspresse hat heute die Neuigkeiten von der Bornaer Enklave abgedruckt.
    Ob das allerdings zur Aufklärung ähnlich beiträgt, wage ich zu bezweifeln.
    Mit den Nichteinheimischen ist das nach wie vor so eine Sache, die wie jede Krise in dem Land, nur verwaltet statt bewältigt wird.
    Nur gut, dass wir noch kein Einreiseverbot wegen Covid19 haben, sonst wäre da der ständige Nachschub unterbrochen.
    Werden die, die da vorher ausziehen müssen auch nicht im Pappelwald unterkommen können?
    Wenn die Stadt allerdings das Haus erwerben würde….
    Tja, was wäre dann?

    1. Genossenschaft gründen, Hotel kaufen und selbst vermarkten. Mit der Mietzusage des Landkreises in der Tasche, bekommen Sie JEDEN Kredit.

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