Neus aus der vierten Etage (31)

Der Besuch in der November-Vorstellung des kommunalen Kabaretts „Vierte Etage“ hat in brachialer Deutlichkeit gezeigt, dass das Ensemble unter den gleichen Problemen leidet, wie die gesamte übrige Gesellschaft. Es herrscht eklatanter Fachkräftemangel! Nicht mal mit einem Diplom in der Tasche kann man Beigeordnete werden und selbst mit einem Kreuz auf dem Wahlzettel sind manche Akteure überfordert. Dabei hat die Sitzung gezeigt, wie man junge Nachwuchskräfte anlocken kann. „Werde Stadtrat – hier kannst Du wählen bis Du schwarz wirst!“ lautete der Slogan.

Eine neue Erste Beigeordnete sollte gewählt werden und drei Damen vom Grill waren bereit, in die glühenden Holzkohlen zu springen.

Darunter Fachbereichsleiterin und Stadtsprecherin Heike Helbig, die im ersten Wahldurchgang mit 13 der 21 Stimmen die absolute Mehrheit erhielt.

Für Rätselfreunde: Drei Stimmen hatte die AfD, eine die Freien Wähler, elf die CDU, drei die SPD mit den Grünen und zwei Stimmen die Linken sowie eine die Bürgermeisterin.

Lupenreine Demokratur

Wie wir aus den Tagesschau-Berichten über Russland gelernt haben, reicht eine absolute Mehrheit auch in einer lupenreinen Demokratie nicht. Weder um in Moskau einen neuen KGB-Chef einzusetzen, noch in Markranstädt eine Beigeordnete zu inthronisieren. In Russland brauchts dazu den Segen Putins, in Sachsen das Einvernehmen der Bürgermeisterin. Die jedoch verweigerte im Falle von Heike Helbig dieses Einvernehmen, weil sie „schwerwiegende Gründe“ daran hinderten.

Welche Gründe das waren, verriet Stitterich zwar nicht, aber so lange ist es nun auch wieder nicht her, dass Heike Helbig bei Pfarrer Zemmrich im Bibelkreis gestählt wurde. „Du sollst keine Beigeordneten haben neben mir“, heißt es in diesem Bestseller. Oder zumindest so ähnlich. Na ja, die Stadträte jedenfalls wussten das und hatten die Frage daher erst gar nicht gestellt.

Das Zünglein an der Waage

Immerhin gabs ja noch einen Plan B, den die Sächsische Gemeindeordnung für den Fall eines misslungenen Putschversuches bereit hält. Dazu mussten die Stadträte noch einmal an die Urne treten und wenn dann eine Zweidrittelmehrheit für die Kandidatin bei rumkommt, ist sie auch gegen den Willen der Hausherrin gewählt.

Hat allerdings nicht funktioniert. Eine lausige Stimme hat Helbig gefehlt, um den verwaisten Platz zu Füßen der Regentin einnehmen zu können. Das brachte große Teile des Publikums ebenso auf wie so manchen Abgeordneten. Die hatten zum Teil sogar den Volkssturm reaktiviert.

Jens Schwertfeger (CDU) beispielsweise hatte das Lazarett verlassen und kam auf Krücken angehinkt, Ilka-Simone Hildebrandt (AfD) feierte gefühlt ihre diesjährige Anwesenheitspremiere und dann war da noch Stadtrat Mike Schärschmidt.

Er war extra wegen dieses Events aus der Kurklinik Bad Klosterlausnitz geflohen, hatte dort nur seinen Schatten zurückgelassen. Weil man das Heim um 22 Uhr abschließt, hatte er einen Stein an den Türpfosten gelegt, um zu nächtlicher Stunde unentdeckt ins Bett zurückkehren zu können und so der Strafe der Aufseherin zu entgehen.

Bereits beim ersten Wahlgang war die Auszählung nicht nur kostenlos, sondern umsonst.

Bereits beim ersten Wahlgang war die Auszählung nicht nur kostenlos, sondern umsonst.

Nun wetterte er in Richtung Bürgermeisterin: „Ich bin extra aus der Kur hergekommen, was nicht einfach war, aber das war mir wichtig. Ich weiß nicht, ob das demokratisch ist, wenn jemand mit 13 Stimmen die absolute Mehrheit bekommt und dann trotzdem nicht gewählt ist. Ich bin sehr enttäuscht und fahre jetzt wieder in die Kur zurück.“ Sprach’s und ging – begleitet von Beifall aus dem Publikum und den Worten vom Podium: „Ich stelle fest, dass die Beschlussfähigkeit jetzt 19 plus 1 beträgt.“

Ja, das Unverständnis war groß unter Teilen der Abgeordneten und auch im Publikum. Aber nur der messerscharfe Verstand des Satirikers erkannte in dieser Situation, dass der Plebs durch diesen Nebenkriegsschauplatz in die Irre geführt wurde.

Ja gut, es ist schon fragwürdig, wenn eine Diplomkauffrau, die seit über zehn Jahren an Bord ist und seit fünf Jahren in der Spitze eines Fachbereiches Seite an Seite mit einer Beigeordneten gearbeitet hat, plötzlich nicht Fachkraft genug für diesen Posten ist.

Aber es gibt weitaus schlimmeres, was an diesem Abend offenbar niemand mitbekommen hatte.

X X X

Heike Helbig fehlte im zweiten Wahlgang, bei dem ein ungültiger Zettel ausgezählt wurde, eine einzige, lausige Stimme. Nochmal zum Mitmeißeln: Auf dem Zettel stand nur ihr Name, auf dem man lediglich ein Kreuz bei Ja, Nein oder Enthaltung setzen musste. Unter den Stadträten, die mit einer so wegweisenden Entscheidung wie der Wahl einer Beigeordneten an die Urne traten, gab es tatsächlich einen, der nicht mal das hinbekommen hat. Dachte wohl, er müsse den Zettel nur unterschreiben und hat deshalb alle drei Möglichkeiten angekreuzt. Was auch immer.

Noch umsonster war die Auszählung nach dem zweiten Wahlakt. Auch das Kreuzeln will gelernt sein.

Noch umsonster war die Auszählung nach dem zweiten Wahlakt. Auch das Kreuzeln will gelernt sein.

Nur dem Satiriker konnte hier die ganze Tragweite des Fehlers in der Sächsischen Gemeindeordnung offenbar werden. Bevor man jemanden ermächtigt, die Eignung einer mehrheitlich befürworteten Beigeordneten zu beurteilen, sollte erst mal die Eignung jener geprüft werden, die diese Wahl vollziehen sollen.

Epilog

Wie auch immer, das letzte Wort und damit die Pointe wollen wir heute ausnahmsweise den Holzmedien überlassen. Während der Vorstellung des Ensembles „Vierte Etage“ hatte Heike Kunzemann (Linke) einen Zwischenruf von Michael Unverricht (CDU) mit den Worten gekontert: „Können sie nicht einfach mal zuhören und die Klappe halten? Das geht mir auf den Kranz!“

Wie recht sie damit hat, erfuhren die Leser der Tagesgazette am Samstag, wo sie darüber klagte, dass es in der Verwaltung und im Stadtrat „mitunter an gegenseitiger Achtung und Rücksichtnahme fehlt.“

18 Kommentare

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    • Manfred auf 15. November 2022 bei 15:54
    • Antworten

    Auf dem Dritten Volkskongress 1949 brachte der 1948 von den sowjetischen Besatzungsmacht eingesetzte Oberbürgermeister von Ostberlin Friedrich Ebert erneut den Vorschlag für die schwarz-rot-goldene Flagge ein. Sein Antrag wurde am 30. Mai 1949 gebilligt und – mit dem Tag der Staatsgründung der DDR – am 7. Oktober 1949 in Kraft gesetzt. Dadurch führten die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland identische Nationalflaggen

    1. Jo – Hamster sind übrigens nachtaktiv und beim LKW geht die Fahrertür nach außen auf.

    • Micha auf 8. November 2022 bei 22:21
    • Antworten

    Die Bürger haben den Kapitän und die Manschaft gewählt.
    Die Frage ist nicht was der Kapiän gegen den Steuermann hat sondern was glaubt die Mannschaft wie sie den Weg findet.
    Teamplayer sind beide nicht.

    1. Wahrlich ein Satz für die Bibel. Am besten im Kapitel aufgehoben, wo schon das mit den Schwerten und Pflugscharen steht (Micha 4). Käpt’n Bligh würde dem aber nicht zustimmen. Er hat festgestellt, dass der Kapitän den Kurs bestimmt und er dazu eine Mannschaft braucht, um sein Ziel zu erreichen. Sein Beigeordneter Christian Fletcher hat ihn daraufhin ausgesetzt und mit der Bounty einen anderen Kurs genommen. Aus der Geschichte lernen heißt siegen lernen, von daher stimmt der Kurs 🙂 🙂 :-).

    • Daimler auf 7. November 2022 bei 19:49
    • Antworten

    Wusste noch gar nicht, dass es in der Kleinstadt Markranstädt ein „Stadt – Theater“ gibt.
    Dort sollen einmal monatlich Schauspiele aufgeführt werden, die allerdings nur schwierig den Sparten Tragödie, Melodram, Komödie oder Posse zuzuordnen sind.

    Es ist ein sehr sparsames Theater, immer in gleicher Kulisse mit einer festangestellten Hauptdarstellerin und viele unterbezahlten Statisten.
    Die aufgeführten Stücke fesseln die mehr oder wenigeren Zuschauer mehr oder weniger. Ungünstig empfinden die Theaterbegeisterten die Dauer der Aufführungen, mal bis nach Mitternacht aber auch mal nur 10 Minuten.

    Oft liefern die Vorstellungen in den Tagen danach reichlich Gesprächsstoff in den Gemeinden, auch Rezensionen in den Medien sind die Folgen.

    Nun hoffen die Bürger dieser Stadt, dass der Ruf als „Schmierentheater“ endlich der Vergangenheit angehören wird. Viele Indizien dafür gibt es leider nicht.
    Aber, die Hoffnung stirbt zuletzt.

    1. MSDS – Markranst sucht den Superstadtrat … Da wär doch mal ein Voting angebracht, oder? Das Volk als Dieter Bohlen.

    • Karla Kolumna auf 7. November 2022 bei 10:05
    • Antworten

    Ein ähnliches Szenario gab es, so weit ich mich erinnere, vor ein paar Jahren schon mal in Thüringen bei der Wahl des Ministerpräsidenten. Weil er mit Stimmen der AfD gewählt wurde, hat man den Landtag anschließend so lange wählen lassen, bis das Ergebnis auch ohne die Blauen gepasst hat. In Markranstädt ist das allerdings in vielerlei Hinsicht anders. Einerseits nimmt man bei der Ablehnung einer Beigeordneten hier gern die Stimmen der AfD mit und selbst die Linken scheuen sich nicht, in dieser Koalition mitzuspielen. Andererseits kennt man die schwerwiegenden Gründe der Bürgermeisterin nicht und läuft so bei der nächsten Wahl Gefahr, wieder einen Kandidaten zu wählen, der am Ende die gleichen unbekannten schwerwiegenden Gründe aufweist. Da kann man wirklich wählen bis man schwarz wird. Ich finde das ja ganz unterhaltsam, kann mich aber nicht dafür erwärmen, dass dafür das vom Volk in Form von Steuern verdiente Sitzungsgeld gezahlt wird. In diesem Sinne mein Vorschlag: Wählt meinetwegen bis ihr schwarz werdet – aber kassiert dafür nicht noch „Aufwandsentschädigung“!

    1. Sie haben ein gutes Erinnerungsvermögen. Die Koalition aus Linke und AfD im Stadtrat … mal keine Ampel oder Jamaika. Fast möchte man sich schon auf die nächste Sitzung mit der „neuen Achse“ freuen.

        • Xt'Tapalatakettle auf 7. November 2022 bei 21:39
        • Antworten

        Rot-Braun…so nen Mix gibt’s nicht mal bei den Halloren Kugeln q…

        1. Da soll aber auch mal eine goldene Kugel dabei gewesen sein. Also bei Halloren zumindest. Wer die in der Kiste hatte und draufgebissen hat, konnte sich davon gleich ein Inlet anfertigen lassen.

      • Heidi auf 7. November 2022 bei 22:33
      • Antworten

      Sitzungsgeld gibt es, im Sinne des Wortes, offenbar für‘
      sitzende Anwesenheit. Logisch wäre, dass es die Aufwandsentschädigung für den Aufwand mit einen Stift EIN X zu schreiben gibt. Die Logik, die vielleicht der / die Dreierkreuzler / in mit Blick auf den 11.11 schon mal ausgetestet hat, könnte demnach sein: Wer DREI XXX schreibt, bekommt DREI mal Aufwandsentschädigung!!! (-:
      Da ja die staatlichen Geldquellen unerschöpflich sprudeln, würde es mich nicht wundern, wenn das geklappt hat.
      Die Höhe der Verteilsummen u. die Kreise der Bezugsberechtigten sind allerdings in arger Schieflage u. dringend korrekturbedürftig.

      1. Ist schon gut so. Wenn diese Einnahmequelle wegfällt, erheben die vielleicht noch Eintritt.

    • Samoht auf 7. November 2022 bei 9:49
    • Antworten

    Und das in einem Dorfparlament! Mensch, Leute! Man muss doch den Blödsinn, der in Berlin und Dresden gespielt wird, nicht auch noch hier auf dem Dorf mitspielen. Was haben wir hier eigentlich? Ampel, Jamaika, Nordkorea oder Blutwurst? Das Parteiengedöns mag da oben unterhaltsam sein (Doppel-Wums), aber hier unten geht es ums Überleben an der Basis. Und wenn ich mich da mal so in den Kreisen umhöre, der hier „Plebs“ genannt wird, kann ich Euch Nachtschichtlern nur empfehlen, die Serie „Neues aus der vierten Etage“ einzustellen. Ein so großes Desinteresse an Kommunalpolitik, wie es aktuell festzustellen ist, habe ich in Markranst noch nie erlebt. Das müsstet Ihr doch auch mitbekommen, allein an den Einschaltquoten. Schreibt lieber über die sechste Omikron-Welle oder das Gender-Drama in unserer Sprache. Die vierte Etage ist ein Auslaufmodell, das irgenwann beim MDR als Wiederholung im Nachmittagsprogramm läuft.

    1. Gute Idee,darauf sind wir sogar selbst schon gekommen. Die künftigen Folgen der Saga „Neues aus der vierten Etage“ wird es nur noch für eingetragene für Abonnenten geben. Den Zugang gibts dann jeweils mit dem Newsletter.

    • Mischer auf 7. November 2022 bei 8:50
    • Antworten

    Wieder mal gut recherchiert und das Trauerspiel plausibel unters interessierte Volk gebracht.
    Ich glaube aber, dass ein kleiner Irrtum enthalten ist:
    Der vermeintliche Fehler in der Sächsischen Gemeindeordnung! Isser nicht.
    Denn für den theorethischen Fall, dass die Anwendheit, die die Grundlage für die Berechnung bildet, so niedrig ist, dass die so entstandene Mehrheit irgendwelchen Irrsinn beschließt, hat der Gesetzgeber der Bürgermeisterin verschiedene Vetorechte eingeräumt. Um Schaden von der Stadt abzuwenden!
    Aber an Donnerstag waren fast alle Stadträte anwesend. Und es ging so ziemlich alles über die Bühne, woraus der Stoff der Politikverdrossenheit gemacht ist.
    Ein schlechter Tag für unsere Stadt.

    1. Ist trotzdem kurios, wieman es hinbekommt, bei nur einem Kandidaten eine ungültioge Stimme abzugeben. Schaut man sich das Abstimmungsverhalten mal genauer an, muss es in einer Fraktion einen Ausreißer gegeben haben. Da es sich um eine geheime Abstimmung gehandelt hat, wird man dem wohl nie auf die Schliche kommen. Wenn unsere Mütter früher rauskriegen wollten, welche der Kinder für eine Missetat verantwortlich waren, haben sie einfach so getan, als wenn sie es wüssten und eine provozierende Aussage getroffen. „Auf den Busch klopfen“, nannten sie das, um die Hasen aufzuscheuchen.:-)

        • Xt'Tapalatakettle auf 7. November 2022 bei 21:44
        • Antworten

        Vielleicht hat’s ja der aus der Kur angereiste versaut…und um von seiner Schmach abzulenken, hat er sich dann lautstark über den Sinn der Regelungen der sächsischen Gemeindeordnung echauffiert 😉

        1. Ach! Sie meinen, er hat versehentlich den Überweisungsschein in die Urne geschmissen? Also dann nicht „Wählen bis man schwarz wird“, sondern wählen bis der Arzt kommt. Änder am Ergebnis aber wahrscheinlich auch nichts.

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