Seilschaften im Rathaus

Um Ihnen sowohl den Abschied von der alten als auch den Start in die neue Woche zu versüßen, gibt es die Wochenrückschau diesmal nicht zu den Sonntagsbrötchen beim Frühstück, sondern zu den Fettbemmen am Abend. Lassen Sie uns dabei gemeinsam auf ein Ereignis zurückblicken, das so rätselhaft und geheimnisvoll war, dass es die Phantasie des homo marcransis in bislang kaum vorstellbarer Weise beflügelte. Es geht um die mysteriösen Vorgänge auf den Dach des Technischen Rathauses.

Die Kreuzung war halbseitig gesperrt, aber auf der Straße tat sich nichts. Ein Luftloch im Asphalt? In der Tat konnte man den Grund zumindest ansatzweise erahnen, wenn man seinen Scheitel mal kurz gen Himmel gerichtet hat.

Menschen auf dem Dach! Mit Haken, Stricken und Ösen gesichert, kletterte eine Seilschaft auf dem Oberstübchen genau jenes Gebäudes herum, in deren Inneren eben jene schon seit Jahrzehnten vermutet wird. Da macht man sich als homo marcransis doch gleich so seine Gedanken.

Zu hoch fürs Pressefoto

Okay, dass es vorab keine erklärende Informationen zu den Vorgängen oberhalb der Dachrinne gab, ist nicht verwunderlich. Schließlich war es kein Pressetermin mit Luis Trenker, demzufolge gab’s auch kein Gipfel-Foto mit ihm und ihr (was zumindest den Begriff „First Lady“ ein für allemal erklärt hätte) und war deshalb erst mal auch keine Mitteilung wert.

Straßensperrung mal anders: Nicht wegen Schlaglöchern, sondern wegen Löchern im Dach.

Straßensperrung mal anders: Nicht wegen Schlaglöchern, sondern wegen Löchern im Dach.

Also waren die Passanten dazu verdammt, sich ihre eigenen Gedanken zu machen. Während Rentner Paul W. (73) ins Grübeln versunken nach oben blickt, murmelt er: „Jetzt hauen sie schon übers Dach ab!“ Nach dem Hintergrund seiner Aussage gefragt, wird er redselig.

Fluchtwelle nach Kündigungsstopp

Weil in der aktuellen Ära bereits über zehn Mitarbeiter – sowohl in leitender als auch leidender Doppelfunktion – das Rathaus verließen, habe die Bürgermeisterin jetzt über die gesamte Verwaltung einen Kündigungsstopp verhängt. Niemand komme dort mehr raus, ist sich der Senior sicher. Die Erste Beigeordnete habe demnach noch einmal richtig Glück gehabt, mutmaßt er.

Aber das sieht Frührentnerin Brunhild M. (50) anders. „Wenn man die Möglichkeit hat, auch zu Hause mit jemandem zu sprechen, der einem nicht zuhört, muss man dazu doch nicht extra noch ins Büro fahren“, stellt sie fest. Insofern habe die Beigeordnete nicht hingeworfen, sondern mache bis zur Rente lediglich eine Art individuelles Home-Office.

Allerdings gebe es auch unter den aktuell noch bei der Stange gebliebenen Insassen des Rathauses einige, denen gute Angebote aus anderen Stadtverwaltungen der Gegend vorliegen, wirft die Kosmetikerin Claire Grube (28) ein. Angesichts der ausgelobten Kündigungssperre gebe es für diese nur einen Weg, um unerkannt raus zu kommen: Übers Dach!

Seilschaften hatte man eher unter als auf dem Dach vermutet.

Seilschaften hatte man eher unter als auf dem Dach vermutet.

Inzwischen hat sich der Informatiker Timo Beil (41) zur Gruppe der Diskutanten gesellt. Er hält eisern an der Theorie der Seilschaften fest.

Tatsachen schaffen

Weil sich ein Freier Wähler um den von den Christdemokraten abonnierten Posten des Stellvertretenden Bürgermeisters bewirbt, wollte der CDU-Vorstand demnach vollendete Tatsachen schaffen und den Vize-Thron vorab heimlich besetzen. So nach der Art des Märchens von Hase und Igel: „Ich bin schon da.“ Damit niemand merkt, wie er durch den normalen Eingang auf den Thron gelangt, lasse man ihn jetzt als Alpinist getarnt über den Turm einschweben, vermutet Beil.

Unten am Sicherungsseil soll übrigens der SPD-Fraktionschef gestanden haben. So zum Mittäter gemacht, könne er sich hinterher nicht rausreden und die Reihen des Widerstands bleiben fest geschlossen.

Ganz und gar nicht politisch ist eine dritte Theorie, mit der Christian Harten (31) die umherstehenden Passanten verblüfft.

„Nach dem plötzlichen Ende der Corona-Pandemie wollen jetzt alle in den Urlaub und die Ferienorte wetteifern um die attraktivsten Merkmale“, weiß er aus den Nachrichten. „Mittendrin Markranstädt – mit viel Wasser als Alternative zur Ostsee und einem kleinen Hennigpark als Schwarzwald-Ersatz. Aber was wir nicht haben, sind Berge!“

Die große Frage, die letzte Woche ganz Markranstädt beschäftigte: Waren das Mitarbeiter, die raus oder Putschisten, der rein wollten?

Die große Frage, die letzte Woche ganz Markranstädt beschäftigte: Waren das Mitarbeiter, die raus oder Putschisten, der rein wollten?

Wie also könne man Alpinisten einen Urlaub bieten, für den sie nicht erst an die Zugspitze fahren müssen, fragt er. Es liege auf der Hand, mit der Erstbesteigung des Mount Markranst zu locken. Um die Natur zu schützen, können die gleichen Eisen genutzt werden, die der letzte Bürgermeister zu DDR-Zeiten für seinen Abstieg genutzt habe, argumentiert Harten.

Klettertouren in Markranst

„Außerdem befindet sich der Gipfel unterhalb der Schneegrenze“, führt der 31-Jährige weiter aus. „Da müssen die touristischen Weicheier aus dem Westen keine Angst haben, dass sie beim Eintrag ins Gipfelbuch Erfrierungen davontragen.“ Dass diese Gefahr durchaus real ist, begründet der Passant mit einem Hinweis auf Reinhold Messner, der inzwischen nur noch Schuhgröße 24 habe und dessen Frau vorm Altar beim Anstecken des Traurings ins Leere fuhr.

Nur dummes Gequatsche

Am Ende erwiesen sich allerdings all die Verschwörungstheorien als dummes Gequatsche. Wie im Nachgang aus dem Rathaus verlautete, hat es sich lediglich um Reparaturarbeiten gehandelt.

Die waren aufgrund des Sturmschadens im Oktober letzten Jahres notwendig geworden. Zur Erklärung: Der Sturm tobte draußen und nicht in der vierten Etage, in der seit Oktober letzten Jahres Windstille herrscht. Die Kosten für den Einsatz der Alpinisten in Höhe von rund 8.000 Euro habe die Versicherung getragen.

4 Kommentare

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    • Spaßvogel auf 2. Mai 2022 bei 21:25
    • Antworten

    … wenn ich nur halb soviel Witz hätte, wäre der Spaß kaum auszuhalten. Köstlich 🙂
    Sollte keine anderer auf die Idee kommen, schlage ich Euch nächstes Jahr für den Bürgerpreis vor. Mal sehen wer dann die Laudatio halten darf. Da ich kein Bürgermeister a.D. bin, hätte ich ja vielleicht eine Chance 😉

      • Simsalabim auf 5. Mai 2022 bei 16:08
      • Antworten

      Die Markranstädter Nachtschichten haben den Bürgerpreis auf jeden Fall verdient!
      Vielleicht kann der Flachlandalpinist beim nächsten Mal gleich noch einen großen MN Banner ausrollen? Die Werbung kann dann auch vom nächsten Ferienflieger aus erspäht werden. 😉

      1. Nicht vergessen: Um sowas zu beantragen, muss man seinen Namen preisgeben. Das ist etwas, was 95 Prozent der MN-Leser fremd ist. Also: Mission impossible.

    1. Niemand hat hier die Absicht (zu haben), eine Chance zu haben 🙂

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