Ähm … 13. August: Da war doch was?

Der 13. August ist, auch wenn es sich nicht um einen Freitag handelt, ein Datum mit gewissem Erinnerungswert. Wohl dem, der an einem 13. August geheiratet hat. Er oder sie hat zumindest gute Chancen, von Zeit zu Zeit nachhaltig an diesen Tag erinnert zu werden. Zum Beispiel heute, am 55. Jahrestag des Mauerbaus.

„Niemand hat hier die Absicht, eine Mauer zu errichten!“ Das klingt in Markranstädter Ohren ungefähr so wie das geflügelte Zitat vom „Ich hatte gute Gespräche!“ Dabei ist so eine Mauer für Deutschland und Deutsche ungefähr sowas wie das Weltkulturerbe für die UNESCO.

Nicht immer muss eine Mauer gleich ein antifaschistischer Schutzwall sein. Ebenso wenig wie persönliche Unsicherheitsfaktoren immer in einen Klarstellungsbeschluss münden müssen. Aber selten hat ein über Nacht errichtetes Provisorium so lange gehalten wie die Berliner Mauer.

Und noch weniger hat ein solches Bauwerk eine so große Nachhaltigkeit entwickelt, dass sie sogar noch bis in die heutigen Tage anhält. Freilich: Der römische Limes hat fast zwei Jahrtausende überdauert. Aber seither ist auch kein neuer Limes errichtet worden.

Mit der Mauer verhält sich das anders. Die Evolution hat sie seit 1961 auch in Markranstädt unter vielfältigster Erscheinungsform immer wieder neu entstehen lassen. In der vierten Etage beispielsweise ist sie unsichtbar, geradezu virtuell; in der Zwenkauer Straße dagegen ist sie gleichsam fass- und erleb- wie unübersehbar in ihrem visionären Design.

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Komplettiert im gestalterisch vielfältigen Kontext zum Bürgerrathaus die architektonische Gesamtsprache der Lallendorfer Innenstadt: Lebensbejahende Grenzbebauung in der Zwenkauer Straße.

Ein in sowohl vertikal als auch horizontal eher nicht-arisch ausgeprägten Dimensionen erscheinendes Exponat ist seit einigen Tagen an der legendären Schranke in der Priesteblicher Straße zu bewundern. Hier hatte augenscheinlich ebenfalls niemand die Absicht, eine Mauer zu errichten. Auch nicht ein Mäuerchen. Wohl deshalb ist es auch nur ein Wall geworden. Kein antifaschistischer, sondern ein pro-landwirtschaftlicher Schutzwall. Ein Agro-Limes sozusagen.

Der Agro-Limes von Frankenheim

Es mögen gute 150 Quadratmeter landwirtschaftliche Nutzfläche sein, die durch die immer wieder neu angelegte Umgehungsstraße der berühmten Lindennaundorfer Schranke in Anspruch genommen werden. Verständlich, dass man sich als Eigentümer oder Pächter gegen diese neuzeitliche Form gesellschaftlich tolerierter Enteignung wehrt. Putin macht das ja in der Ukraine auch.

Da unser Bauer Lindemann aber keine Krim hat, mit der er bei der UNO nachhaltiges Interesse für seine Belange wecken kann, ist der Griff ins öffentlich-rechtliche Kiesbett, mit dem die unsichere Gasse vor kurzem ein Upgrade zum Highway erfuhr, absolut nachvollziehbar.

Zu kurz gedacht?

Im Gegensatz zu Walter Ulbricht, dessen 61-er Vision wenigstens 29 Jahre währte, ist die Frankenheimer Lösung allerdings zu kurz gedacht. Nicht nur, weil sich ein Umweg übers Feld angesichts des dauerhaft geöffneten Schlagbaums als verzichtbar erweist.

Nein, auch im Falle einer geschlossenen Schranke ist das Bauwerk im wahrsten Sinne des Begriffes zu kurz gedacht.

Die findigen Ingenieure für temporären Verkehrswegebau, von denen es in der kleinen Gemeinde nur so zu wimmeln scheint, haben in der Vergangenheit bereits hinreichend Flexibilität bewiesen, um solchen Unabwegbarkeiten erfolgreich begegnen zu können.

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Nicht nur längenmäßig lässt dieses Bauwerk an der Lindennaundorfer Schranke die wichtigsten Merkmale vermissen. Quer zur Straße hätte es wohl mehr Sinn gemacht, zumal jetzt einfach nur eine Verlängerung der Umgehungsstraße und damit der Verlust von noch mehr landwirtschaftlicher Nutzfläche droht.

Selbst Baumstämme in den Ausmaßen eines hartleibigen Stuhlgangs, also Telegrafenmasten und ähnlichen Gebilden, konnte man noch weitere Umgehungsstraßen der Umgehungsstraßen entgegensetzen.

Die nächste Wende kommt … bestimmt

Bleibt also für unseren innovativen Landwirt zu hoffen, dass die Schranke so lange wie möglich offen bleiben möge. Ansonsten droht eine stillschweigende Enteignung um weitere 150 Quadratmeter Acker bis hinter das Ende der jetzigen Mauer. Berlin lässt grüßen – sowohl Avus als auch Demarkationslinie.

Okay, pure Satire bis hier hin. Nur eben das Datum macht stutzig. Wir schreiben den 13. August…

 

Olympia heute: Die Oeser-Festspiele beginnen!

Heute ist der erste Oeser-Tag in Rio! Unsere Siebenkampf-Jenny muss schon kurz nach Mittag (MESZ) im Olympiastadion um Punkte kämpfen. Leider ist es auf Grund der rechtlichen Situation nicht möglich, den Kampf direkt über das Portal der Markranstädter Nachtschichten zu verfolgen. Es ist zwar unser aller Geld, das ARD und ZDF für die Übertragung ans IOC überwiesen haben, aber weil es eben öffentliche Gelder sind, werden die wahrscheinlich volley mit den Schulden des Berliner Flughafens verrechnet. Wir haben trotzdem eine Lösung gefunden, denn: Dabei sein ist alles!

Olympia 2016 – das ist bis jetzt eine recht durchwachsene Geschichte. Thomas Bach, der Herr der Ringe, erhält dabei die wohl schlechtesten Haltungsnoten.

Allein der Kalauer, dass Olympia unter seiner Führung den Bach runter geht, verdient eine Goldmedaille. Aber heute und morgen dürften die Fernsehgeräte und anderen Empfangsanlagen in Markranstädt trotzdem glühen: Jennifer Oeser entert das Olympiastadion am Fuße des Zuckerhuts.

Um 14:35 Uhr beginnt mit dem 100 Meter Hürdenlauf laut Zeitplan der Siebenkampf. Jenny Oeser hatte zuletzt nicht viel Glück in dieser Disziplin. In Götzis hatten ihr gleich die ersten beiden Hürden ein Bein gestellt und sie aller Siegchancen beraubt.

Punkt 15:50 Uhr soll dann der Hochsprung starten. Hier begann Jenny Oeser in Ratingen ihre furiose Aufholjagd, an deren Ende Platz 3 stand. Mal sehen, wie hoch die Trauben in Rio hängen. Danach folgt eine längere Pause, in der die andren Sportarten Vorfahrt haben.

Weiter geht es erst gegen 1:35 Uhr MESZ. In Rio ist da noch Freitag, bei uns schon Samstag, wenn Oesers Hass-Disziplin Kugelstoßen zelebriert wird. Vier Kilo Eisen sind so weit wie möglich ins Rund des Stadions zu stoßen.

Um 3:05 Uhr geht’s dann noch mal auf die Tartan-Bahn. Nur eine halbe Runde, aber die hats in sich. Zweihundert Meter können erbärmlich lang sein, wenn bereits ein 13-stündiger Arbeitstag in den Knochen steckt.

Morgen, am Samstag, geht’s dann erst gegen 16:45 Uhr mit dem Weitsprung weiter. Hier ist schon so mancher Traum von einer Medaille geplatzt, andererseits wurde in dieser Disziplin auch ebenso manche Medaille überraschend gewonnen.

Eine Stunde nach Mitternacht, in Lallendorf wird man schon den Begriff „Sonntag“ auf dem Kalender lesen, greift Jenny Oeser dann zum Speer. Bis 1912 wurde dieser übrigens beidhändig abgeworfen. Heute haben die Athletinnen dafür extra einen Wurf-Arm. Jennifers Bestweite liegt bei 51,30 Metern.

Um 3:50 Uhr kommt es dann zum großen Showdown im Siebenkampf. Zwei Runden ums Stadion, also 800 Meter währt das abschließende Leiden der Siebenkämpferinnen. Unabhängig vom Endergebnis haben sie aber alle schon zuvor das das große Ziel erreicht: Dabei sein ist alles!

Und damit das auch für uns zu Hause gilt, haben wir nachfolgend einen Link installiert, der Sie direkt zum Live-Stream dieses Ereignisses führt. Einfach auf das Bild klicken und mitfiebern!

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Alles Gute, Jennifer Oeser! Wir drücken ganz, ganz fest die Daumen!

 

Kulkwitz: Entweder nachpumpen oder Lift-Sportplatz

Die Lage in Kulkwitz ist prekär. Die in den letzten Jahren hier angesiedelten Fischer sehen sich seit einigen Wochen ihrer Existenzgrundlage beraubt. Grund: Der Wasserspiegel des Lago Radona ist drastisch gesunken. Jetzt muss die Stadt reagieren, weil die Natur eine Festlegung des Landratsamtes einfach mal so ignoriert hat. Nicht auszudenken, dass der See auf die gleiche Weise, wie er zum See ernannt wurde, wieder zum Acker wird. Ganze Aktenordner würden ad absurdum geführt.

Erst im Januar hat das Landratsamt einen Wasserstand von mindestens 121,10 Metern über Nullniveau des Meeresspiegels (NHN) genehmigt.

Vorausgegangen waren zahlreiche Diskussionen, in denen Experten befürchteten, dass ein Wasserstand von weniger als 121 Metern NHN zu einer erheblichen Verschlechterung des ökologischen Zustandes des Gewässers führen würde.

Insbesondere befürchtete man in den Sommermonaten den Verlust des ökologischen Gleichgewichts mit Fischsterben und Geruchsbelästigungen für die Anwohner.

Thronitzer Fjord

Der einst fischreiche Thronitzer Fjord ist nur noch eine Pfütze.

Die Natur, anarchistisch wie eh und je, schert sich um Expertenmeinungen und Behördenbescheide einen Feuchten. Gegenwärtig liegt der Wasserstand, will man der von Experten angebrachten Messlatte Glauben schenken, ganze zwanzig Zentimeter unter der vorgeschriebenen Marke.

In Gärnitz wird sichtbar, was zwanzig Zentimeter wirklich bedeuten

Schon sind ganze Uferbereiche verlandet und werden von der heimischen Flora sukzessive zurückerobert. Die Kutter der Seebenischer Fischer bleiben im Trockendock. Selbst wenn sie genug Wasser unterm Kiel hätten, wäre eine Kaperfahrt sinnlos, da auch die Fischbestände proportional zur Wassermenge zurückgegangen sind.

Will die Stadt der Anordnung des Landratsamtes bezüglich des Wasserstandes Folge leisten, müsste jetzt Wasser in den See gepumpt werden. Aber woher nehmen? Die Kulkwitzer Fischer sind sauer, haben aber schon eine Alternative vorgeschlagen.

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Schon 20 Zentimeter unter der vom Landratsamt erlaubten, rot markierten Linie und der Wasserstand fällt weiter. Muss die Stadt die hinter diesen Mauern verborgenen Pumpen demnächst rückwärts laufen lassen?

Die in den letzten Jahren hier angesiedelten Wildvögel, die aufgrund der ökologischen Veränderungen größtenteils schon weitergezogen sind, haben allerhand Fäkalkapital hinterlassen. Jetzt will man am Ufer des Lago Radona in großem Stil Guano-Abbau betreiben. Die ersten Bagger scharren schon mit den Ketten.

Fußballer müssen sich wieder in Geduld üben: Der Liftplatz kommt!

Ganz anders stellt sich die Situation beim SSV Kulkwitz und im Bauamt der Stadt dar. Infolge des gesunkenen Wasserspiegels ist die Grundlage für die Bewilligung der Fördermittel zur Höherlegung des Sportplatzes rückwirkend nichtig geworden.

Der Landesrechnungshof fordert nun, die Fördergelder zurückzuzahlen und den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Lediglich die Eckfahnen, immerhin ein Kostenfaktor von rund 250 Euro pro Stück, darf man behalten.

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Im Jahr 2013 war die Welt der selbst ernannten Ökologie-Experten noch in Ordnung.

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Aber bereits 2015 stand die Bude nur noch bis zum Hals im Wasser. Schon trug man sich mit dem Gedanken, sie als Wärterhäuschen an die Frankenheimer Schranke zu versetzen.

„Zum Glück wird die Wiederherstellung ebenfalls gefördert“, war aus dem Bauamt zu erfahren. Mehr noch: Da niemand voraus sehen kann, ob und wann der Wasserspiegel wieder steigt, bietet die EU finanzielle Anreize für eine flexible Lösung an. „Brüssel fördert ein Projekt, wonach der Sportplatz auf einer hydraulisch heb- und senkbaren Plattform praktisch mit dem Tidenhub mitgehen kann“, frohlockt man im Rathaus.

Die Ebbe in Kulkwitz soll nun dazu genutzt werden, unter Tage Stollen unter dem Fußballplatz vorzutreiben, damit noch im Herbst die hydraulischen Anlagen abgeteuft werden können. Daran partizipiert auch der SSV Markranstädt, dessen Hauptsponsor dem Vernehmen nach den Zuschlag für den Großauftrag erhalten haben soll und damit sein Perspektivprojekt „Bundesliga“ mit dem Kernstadtverein weiter vorantreiben kann.

So schließt sich der Kreis einer lokalen Erfolgsgeschichte, die mit einer Vernässungsfläche begann und mit einer ebensolchen endet. Die Kraft des Wassers – man sollte sie eben nicht unterschätzen.

Ohne Stundenplan in die Pokémon-Arena

In sieben Klassen absolvierten gestern insgesamt 148 ABC-Schützen an den Markranstädter Schulen in der Kernstadt sowie in Großlehna und Kulkwitz ihren ersten Schultag. Aber auch für die anderen Jahrgänge öffneten sich die Türen zu den Lehranstalten. Für Satiriker ist das wie das Öffnen der Büchse der Pandora.

Sechs Wochen hatten die Hausmeister an den Markranstädter Schulen Zeit, Kippen wegzufegen, alte Spritzen zu entsorgen und die Kaugummis unter den Bänken zu entfernen. Kaum fertig, hallte gestern schon wieder das traditionelle „Aus dem Weg, du Opfer“ durch die Flure.

Dass er kein Wort des Dankes erhält, ist dem Hausmeister-Opfer klar. Der Lohn dafür, dass er für die Großen während der Ferien auch die kleine Plantage im Keller gepflegt und sogar die UV-Birne ausgewechselt hat, besteht darin, dass er darauf hoffen darf, bei einem der nächsten Amok-Läufe nicht als Geisel genommen zu werden.

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Außerhalb der Öffnungszeiten keine Bedienung.

Es muss ja einen Grund dafür geben, warum man am Gymnasium auch in offiziellen Verlautbarungen nicht von Unterricht, sondern von Öffnungszeiten spricht. Irgendwas muss ja da verkauft werden, notfalls auch oder gerade während der Pausen.

Anders in den Markranstädter Grundschulen. Da herrscht noch sowas wie Ordnung. Also organisiertes Chaos.

Früher gab es Schülerlotsen, die den ABC-Schützen den Weg zur Hölle wiesen. Heute gibt’s das erste Smartphone spätestens in der Schultüte und wenn eine Grundschule ihre eigene Pokémon-Arena hat, finden die Kids ihr Klassenzimmer von ganz alleine.

Computer, Spiele und soziale Netzwerke zu nutzen, ist leider noch nicht überall des Lehrers Ding. Sogar die Möglichkeiten des Internets werden bisweilen eklatant unterschätzt.

In der Kulkwitzer Grundschule wird dieses von der Kanzlerin einst als Neuland ausgerufene Hexenwerk zwar genutzt, um den Eltern beispielsweise mitzuteilen, wo die neuen Stundenpläne aushängen, aber auf die Idee, sie auch gleich mal im Internet zu veröffentlichen, ist man dort augenscheinlich nicht gekommen.

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Willkommen im Internetz: Der Stundenplan hängt in der Schule aus. Ansonsten sind Ihre Kinder aber hier richtig, wenn es um die ersten, wichtigen Schritte ins Informationszeitalter geht.

Andererseits fragt sich der aufmerksame Zeitgeist, warum die Schule dann auf ihrer Web-Präsenz die Telefonnummer veröffentlicht. Wäre es nicht konsequenter, an dieser Stelle auf die Auskunft der Telekom zu verweisen?

Jedenfalls kann es für diese Leistung kein Bienchen geben. Eine Stunde Karzer vielleicht, aber der ist ja vor einigen Jahren dem Umbau zum Opfer gefallen.

Der satirische Kreis schließt sich wieder auf der Webseite des Gymnasiums. Dort – man lese und staune – können die Sprachen sprechen und werden wie Individuen behandelt.

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Gestatten: Sprache!

Unter der Überschrift „Die Sprachen stellen sich vor“ wird denen das Wort überlassen. Na gut, angesichts solcher Konversation wie „Ich sag den Lehrer, damit du mir die Füllers nicht wieder geben tust“ ist dieses Ansinnen grundsätzlich nicht zu verdammen, auch an einem Gymnasium nicht. Aber als Teil der Außendarstellung?

Wie auch immer: Jetzt liegen erst mal 40 elend lange Tage vor den Opfern (also den Hausmeistern und dem Rest der bildungsbegleitenden Humanressourcen), bevor es wieder mal Ferien gibt und etwas Ruhe einkehrt.

Und für die Eltern der Erstklässler war es gestern wohl der erste von 39 schweren Abenden, an denen sie ihren Kindern zu erklären hatten, warum sie trotz guter Leistungen am nächsten Tag nochmal hingehen müssen…

 

Neue Ideen für den Markranstädter Wohnungsmarkt

Die findigen Immobilien-Haie der Neuzeit hatten es bislang bei markigen Sprüchen und der denglishen Vergewaltigung unserer Muttersprache belassen, um Grundstücke und Häuser an den Mann zu bringen. Spätestens seit die ersten der einst mit „Seeblick“ geköderten Häuslebauer am Westufer nunmehr in der dritten Reihe wohnen und jetzt statt Wasser die Klärgruben der blendend weißen Wohnwürfel in der Nachbarschaft bestaunen, ist dieser Hype vorbei. Neue Wohnideen sind gefragt.

Eine dieser neuen Lösungen wird mit einer groß angelegten Werbeaktion seit einiger Zeit auch in Markranstädt vorgestellt. Der mobile Werbestand, der sicher jedem aufmerksamen Lallendorfer Ureinwohner bereits aufgefallen ist, trägt die Aufschrift SPD.

Das ist die Abkürzung für die Firmierung des innovativen Planungsbüros, das sich Seniorengerechte Perspektiven für Dauerarbeitslose“ nennt.

Einfallsreiches Namenskürzel

Man muss das an dieser Stelle erwähnen, da die hier vorgestellte Wohnform fast identisch ist mit dem Lebensentwurf, den der ehemalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder mit dem später wegen Veruntreuung von Firmengelden verurteilten VW-Manager Peter Hartz für all jene Menschen ausrufen ließ, die mit dem Wahnsinn der gesellschaftlichen Entwicklung nicht mehr Schritt halten können.

Zweiraumwohnung ist individuell ausbaufähig und erweiterbar

Es ist quasi eine Zweiraum-Wohnung mit außenliegender Toilette, innovativem Faltdach und natürlicher Klimatisierung. Noch eindrucksvoller ist die Terrasse, die sich seit dem Schengen-Abkommen auf mehr als viereinhalb Millionen Quadratkilometer erstreckt.

Der größte Vorteil: Die Wohnung ist standortneutral. Es fallen weder Grundsteuern noch Anschlussgebühren für Wasser, Abwasser oder Müll an und auch eine dieser neuartigen 24-stelligen Sepa-Hausnummern muss man sich nicht merken.

Selbst den Bescheid über Anliegergebühren können die Verwaltungsbeamten zusammenrollen und sich gaaanz langsam in den Entstehungsort ihrer Gebühren für Klärschlammentsorgung stecken.

Den Rohbau erhält man gegen einen Euro Pfand in nahezu jedem Supermarkt. Bei Branchenführer Edeka gibt’s ihn sogar kostenlos. Zwei dieser Fertigräume bilden schon eine bedarfsgerechte Wohnanlage für eine Person.

Die beiden auf separaten Rollen gelagerten und stufenlos lenkbaren, geräumigen Zimmer sind nicht nur hell, sondern geradezu lichtdurchflutet. Die Vollklimatisierung wird ökologisch nachhaltig über die Umgebungstemperatur geregelt und es gibt auch genügend Stauraum für Waren des täglichen Bedarfs.

Besonders überzeugend ist das Finanzierungskonzept. Jede Bank ist gern bereit, den Interessenten so weit zu bringen, dass er auf diese Wohnform angewiesen ist und bald schon eine dieser begehrten SPD-Wohnungen sein Eigen nennen kann.

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Der Firmenchef lebt die Philosophie der seniorengerechten Perspektive im wahrsten Sinne des Wortes vor und zieht mit seiner mobilen Wohnanlage seit Wochen quer durch die Kernstadt.

Auch die Politik, das Management deutscher Unternehmen und nicht zuletzt sogar das Finanzamt und die Vollzugsbehörden scheuen sich nicht, als Werbepartner der „Seniorengerechte Perspektiven für Dauerarbeitslose GbR“ aufzutreten und den Weg zu solchem Wohneigentum zu ebnen.

Auch wenn man die Musterwohnung vielleicht noch etwas verstört wahrnimmt, weil sie letzten Sonntag noch in der Ziegelstraße stand, davor unter der Siemensstraße fast abgebrannt wäre und sich am Donnerstag in der Leipziger Straße befand, ist die architektonische Gesamtkomposition in der Tat das, als was sie konzipiert wurde: Eine zukunftsweisende Lösung im Zeitalter der Mobilität, immer knapper werdender Wohnressourcen und Grundstücke sowie steigender Anforderungen an die individuelle Flexibilität.

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Mobilität 2016: Was man gestern in der Leipziger Straße vorfand, stand am Tag zuvor noch in der Ziegelstraße (Foto). Nur so ist man in der Lage, schnell und flexibel auf die Anforderungen der Gesellschaft reagieren und direkt vor Ort individuell handeln zu können.

Nutzen Sie diese Möglichkeit der Altersvorsorge! Nehmen Sie das Angebot ernst und denken Sie heute schon an morgen. Die Förderprogramme sind vielfältig und reichen von Anliegergebühren über Steuernachzahlung bis hin zur Scheidung.

Das Ordnungsamt der Stadt Markranstädt meinte kürzlich, wir wiederholen das Zitat gern: „…monatlich durchschnittlich 2 Obdachlose, wobei keine Person obdachlos wurde.“ Schließen Sie sich an und nutzen Sie die nur in Markranstädt vorhandenen Fördermöglichkeiten. Nehmen Sie sich einen SPD-Schirm und werden Sie Obdachloser mit Obdach! Besser heute schon dran gewöhnen als morgen davon überrascht werden.

 

Das Wohlstands-Taxi auf Abwegen

Markranstädt steuert auf eine Hungerkatastrophe zu! Angesichts zum Bersten gefüllter Supermarktregale scheint dieses Szenario zwar fern, aber das Ungemach droht von ganz anderer Seite: Bald gibt es keine Einkaufswagen mehr. Statt angekettet in ihren Carports zu stehen, prägen sie mehr und mehr das Stadtbild. Drücken wir uns demnächst an den Schaufenstern die Nasen platt und siechen dem nahenden Hungertod entgegen, weil nichts mehr da ist, worin wir unseren Wohlstand an die Kasse chauffieren können?

Sonntagsspaziergang in Lallendorf: Drei Einkaufswagen in der urbanen Prärie der Kernstadt, die alle ihre eigene Geschichte erzählen. Drei Geschichten also, die auch etwas vom Alltag in Markranstädt berichten. Einem Alltag allerdings, der vielen Menschen genauso fern ist wie der Hungertod.

Beginnen wir den Sonntagsspaziergang da, wo man in den meisten Städten die subkonsumen Benutzer von Einkaufswagen antrifft: am Bahnhof. Und wirklich – Bingo! In der Fußgängerunterführung erwartet uns bereits das erste Modell.

REWE-Car mit allen Extras

Ein Multifunktionsgerät für den wahren Überlebenskünstler. Die Bandbreite reicht von der Einsatzmöglichkeit als Transportmittel mit stufenlos verstellbarer Lenk-Einheit über Küche und Ofen bis hin zur Möglichkeit einer zweiten Ansprache im Falle nächtlicher Einsamkeit.

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Wenn zu nächtlicher Stunde mal der Schrei „ICH – HABE – FEUER – GEMACHT!!!“ a la Tom Hanks aus dem Markranstädter Tunnel hallt, zeigt dieses Foto den Grund.

Die Zahl der Obdachlosen lag in Markranstädt nach Auskunft des Ordnungsamtes zuletzt – gemeint ist damit Juli bis September 2015, bei (Zitat) „…monatlich durchschnittlich 2 Obdachlosen, wobei keine Person obdachlos wurde.“ Kleiner Kalauer am Rande, der nicht auf unserem Mist gewachsen ist, sondern den Stadträten im Juni genauso präsentiert und von ihnen wiederum mit der gleichen Selbstverständlichkeit zur Kenntnis genommen wurde.

In diesem Fall würde das sogar stimmen, denn die hier zumindest zeitweise lebende Person hatte mit dem Fußgängertunnel schließlich ein Dach über dem Kopf und war damit nicht obdachlos. Interessant ist auch ein Blick in sowie unter den Wagen. Ein abgebrannter Holzscheit und unter dem Shopping-Car liegende Asche verraten, dass das Mobil als Ofen benutzt worden sein könnte.

Angesichts der gegenwärtigen Klimalage scheidet die Beheizung des Tunnels zwecks Schaffung einer gemütlichen Schlaf-Atmosphäre allerdings aus. Ein Bündel Kraut deutet eher auf die Zubereitung von Essen hin. Die vorgefundenen Indizien lassen die Vermutung zu, dass “Wilde Möhre an Sternburg-Sauce“ zubereitet wurde.

Es könnte sich hinter diesem Konvolut zurückgelassener Zivilisationsspuren allerdings ein wesentlich tragischeres Schicksal verbergen. Ein Blick auf das Kraut und danach ins Lexikon offenbart, dass die Wilde Möhre schon von unseren Ahnen beispielsweise bei der Behandlung von Brandverletzungen Anwendung fand.

Wilde Möhre gegen Brandblasen

Hat sich der Einkaufswagen-User beim Feuermachen vielleicht die Finger verbrannt? Konnte er sich, weilend unter den Schienen der Zivilisation, quasi im Keller der Stadt und fernab jeglicher medizinischer Versorgung, vielleicht gerade noch bis zum Bahndamm schleppen und dort als verzweifelten Akt letzter Rettung Wilde Möhre reißen?

Oder hat ihn gar der Hunger im „Wir schaffen das“-Land gezwungen, die Wurzeln dieses Krautes über dem heimischen Wagenfeuer zu garen, um dem Hungertod zu entkommen? Nun ja, weitere Indizien, wie beispielsweise das Vorhandensein von Leergut im und um den Wagen lassen letztendlich auch die Theorie zu, dass das Drahtgeflecht eines solchen Wagens hervorragend geeignet ist, ein Holzscheit kontrolliert abbrennen zu lassen und über den Flammen einen Löffel heiß zu machen.

Die Arroganz der Bequemlichkeit

Aus des Tunnels Dunkel wieder ans Licht gekommen, wartet gleich in der Ziegelstraße schon der nächste Wagen. Der erzählt jedoch nichts von Not oder Armut. Im Gegenteil: Bis über den Eichstrich hinaus ist er gefüllt mit den Überschüssen unseres Wohlstands.

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Ordnungsgemäß im rechten Winkel zur Hecke und parallel zur Straße geparkt: Künstlerische Installation, die den Überfluss unserer Gesellschaft nachhaltig anprangert, ohne den Kontext zu unserer Umwelt zu vernachlässigen.

Und ja, man kann schon ein gewisses Maß an Bildung sowie Erziehung und geradezu akademische Attribute voraussetzen, wenn man sieht, wie sauber, ordentlich und fachgerecht der Wagen gepackt und im Stadtbild abgestellt wurde. Im rechten Winkel zur Hecke, parallel zur Straße und visuell nahtlos in das Gesamtkonzept der Deutsche-Bahn-Anlagen integriert. Das sieht fast schon nach Logistik „made by amazon“ aus. Ein kleines Kunstwerk ist da entstanden im suburbanen Kernstadtgebiet.

Die Installation ist derweil Bild gewordene Kritik am Überfluss und am Produktionsausstoß unserer Gesellschaft an Dingen, die eben diese Gesellschaft nicht braucht.

Ihr Titel könnte lauten: „Den Unterschied zwischen philosophischer und poetischer Ausdruckskraft im Auge behaltend, wird vor den Toren der längst niedergegangenen Markranstädter Automobilfabrik das Rezitativ genetischer Weiterentwicklung in der alles in Anspruch nehmenden Formsprache modernen Konsumverhaltens so in Szene gesetzt, dass die ökologischen Parameter unserer Umwelt … komplett im Arsch sind.“

Unterhalb der Brücke Siemensstraße, die über die Bahnstrecke führt, wartet ein weiterer Einkaufswagen. Der hat, ebenso wie das gesamte Umfeld da unten, seine besten Zeiten längst erlebt. Ein Schrotthaufen, der sich allerdings, wie seine beiden Vorgänger, fast unter einem Tarnumhang verborgen nahezu unbemerkt in das Gesamtensemble seiner Umgebung einfügt.

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Parallelwelt unter der Siemensstraße. Hier wird die Gesellschaft dematerialisiert.

Das ist die Zone, in der die Errungenschaften unserer Zivilisation Schritt für Schritt ihrer Dematerialisierung zugeführt werden. Ein gesellschaftlicher Kernreaktor sozusagen, in dem jeder einst geschaffene Wert – und sei er noch so wertlos – trotz kompletten Fehlens chemisch-physikalischen Halbwissens in seine atomaren Bestandteile zerlegt wird. Allein die Verletzungsgefahr angesichts der Glasscherben und Metallsplitter schreit nach der Verwendung eines Schutzanzuges beim Passieren des Areals.

Die damit einhergehenden Gefahren für Leib und Leben waren dann doch zu groß und führten zu einem abrupten Abschluss des Spaziergangs. Aber was heißt hier eigentlich groß? Von Schaden kann nicht die Rede sein, ebenso wenig von Beschädigung. Im Grunde genommen lässt sich das, was wir gefunden haben, sogar betriebswirtschaftlich beziffern. Es waren genau drei Euro. Der Pfand, den man bekommen hätte, wenn die Einkaufswagen wieder an den für sie bestimmten Ort zurückgebracht worden wären.

Drei Euro – da kann man doch wirklich nicht von Überfluss sprechen und gleich gar nicht von Armut.