Die Darmspiegelung (2) oder: Einer für alle!

Was bisher geschah: Im Rahmen ihrer Aufgabe als Gründer von „medi-leaks“ haben die Markranstädter Nachtschichten einen verdeckten Patienten ins Vorsorgesystem unserer Republik eingeschleust. Die avisierte Darmspiegelung erwies sich aber schon bald als eine über mehrere Tage angelegte Reise ins ich. Die einleitende Wasserfolter war dabei nur ein lächerliches Vorspiel. Lesen Sie heute im zweiten Teil, was passiert, wenn der Patient auf dem Schlauch steht.

Noch bis kurz vor meinem Aufbruch in die Praxis ist mein Darm damit beschäftigt, die letzten Restposten des am Vortag begonnenen Räumungsverkaufs zu verschleudern. Alles muss raus!

Zum Glück muss ich die arg malträtierte Manschette am Auslass nicht mehr mit Abwischen quälen. Es reicht inzwischen, wenn ich die Gegend mit einem Zellstoffbausch aus Katrins Kosmetikfach sanft abtupfe. Trotzdem fühlt es sich an, als würde man mit dem Finger in einer offenen Wunde bohren.

Überhaupt bekommen geflügelte Worte eine ganz neue Bedeutung, wenn man 24 Stunden nonstop auf dem Zylinder sitzt und Zeit hat zum Nachdenken. Sie können mir glauben: Wenn Sie unter der Geräuschkulisse einer Stalin-Orgel sämtliche Elemente aus Land, Luft und Wasser gleichzeitig in die Kanalisation schießen, denken Sie bei dem Begriff Shit-Storm nie mehr an soziale Netzwerke!

Shitstorm mit Liquiditätshilfe

Oder ein anderes Beispiel: Während man da einen Strahl nach dem anderen in die Tiefen der Keramik verabschiedet, kann man quasi körperlich empfinden, was die Banker und Wirtschaftsbosse immer mit Liquidität meinen.

Ja, ich bin jetzt liquid. Das spüre ich nicht nur, sondern kann es auch sehen. Übrigens: Falls Sie auch mal zu einer Darmspiegelung müssen, wundern Sie sich nicht, wenn Sie die Zeugnisse Ihrer finalen Verflüssigung nicht nur auf der Oberfläche des Steinguts finden. Physikalisch ist das schwer zu erklären, weil die Schwerkraft bekanntlich dafür sorgt, dass man stets nach unten kackt.

Trotzdem ist es durchaus als Zeichen erfolgreicher Innenreinigung zu verstehen, wenn sich Rückstände auch unterhalb der Klobrille befinden, wenngleich das theoretisch nicht möglich erscheint. Es sind Dinge, die kann man eben nicht erklären und sollte sie einfach als Wunder hinnehmen.

Das Wunder unter der Klobrille

Ich staune am Schluss jedenfalls nicht einmal mehr darüber, in wieviele Richtungen mein Schließmuskel gleichzeitig zielen kann. Das liquide Flächenbombardement zeigt ein Trefferbild, als hätte ich mit dem Mund voller Kakao mitten in eine Musterausstellung von Villeroy & Boch geniest. Und das alles zum Wohle meiner Gesundheit. Ich glaube noch immer fest daran.

Am Ende dieses eintägigen Räumungsprozesses muss ich jedenfalls nicht mal mehr spülen. Wenn das Wasser unten in der gleichen Farbe rauskommt, wie es oben aus dem Wasserhahn reinläuft, ist man innen nicht nur sauber, sondern porentief rein. Und siehe: Jetzt bist du reif für den Koloskopeur deines Vertrauens.

Butterbemme und Hungerödem

Aber zuvor folgt noch eine ganze, lange und von quälendem Hunger gezeichnete Nacht. Niemals hätte ich gedacht, dass ich im Zeitalter des Überflusses noch einmal von so simplen Sachen wie einer ordinären Butterbemme träumen würde. Was heißt, von einer? Ein ganzes Buffet kreist da in meinem Hirn umher und jedesmal, wenn ich schweißgebadet aufwache, schwöre ich, dass ich diesmal zu Silvester an Brot für die Welt spenden werde.

Das Gardena-Set vom Koloskop-Doktor.

Am nächsten Morgen stehe ich pünktlich um 8 Uhr am Tresen in der Praxis und melde mich, völlig übermüdet und ein imaginäres Hungerödem vor mich her tragend, zum Casting meines Gedärms an. Ich würde aufgerufen werden, meint eine gut genährte Regieassistentin, und ich solle mich erst mal hinsetzen.

Setzen. Auf eine offene Wunde! Auf so brachiale Gedanken kann man nur kommen, wenn man gut gefrühstückt hat und wenigstens mal zwei Stunden in Folge nicht aufs Klo musste. Ich nenne das gefühllose Inster im Geiste „Schwester Hitler“ und lasse sie in Nürnberg aufhängen.

Im Wartezimmer beschleicht mich das Gefühl, dass die Praxis gerade Koloskopie-Wochen veranstaltet. Es geht zu wie bei einer Frühjahrsaktion von Autoteile Unger. Abgas-Sonderuntersuchung mit Familienrabatt: rein – rauf – runter – raus. Der Nächste bitte!

Los Wochos beim Arzt

Während ich so sitze und das Treiben im Wartezimmer verfolge, gehen meine Gedanken in die Werkstatt meines Nachbarn zurück. Gerhard hatte mir anhand seines Gardena-Sets zur Gartenbewässerung erklärt, was eine Koloskopie ist. Da ich definitiv keinen Halbzoll-Anschluss habe, äußerte ich leise Zweifel, die Gerhard nur halbherzig auszuräumen vermochte.

Gerade als der inzwischen neunte koloskopierte Patient benommen aus der Folterkammer geführt wird, durchzuckt mich ein Gedanke, der mich die Sorgen um die Kompatibilität meines Körpers mit den technischen Parametern diagnostischer Geräte schlagartig vergessen lässt.

Bei diesem Durchsatz an Opfern müsste die Praxis über solch immense Schlauchmengen verfügen, dass man damit sogar australische Buschbrände bekämpfen kann. Ich entdecke aber kein Lager von der Größe des Möbelhauses Höffner und somit … Beim Weiterdenken gefriert mir das Blut in den Adern. Einer für alle!“ schießt es mir durch den Kopf.

Entsetzt lasse ich meinen Blick im Wartezimmer kreisen. Mich quält die Frage, wer vor mir dran ist. Im Geiste ziehe ich all den Wartenden die Hosen runter und muss feststellen, dass die Reihenfolge völlig egal ist. Es gibt keinen sympathischen Schließmuskel, durch dessen Ausstrahlung man sich irgendwie damit arrangieren könnte, nach ihm dran zu sein.

Auch bei einer Koloskopie ist es also nicht anders als in der Chirurgie: Wer morgens als Erster da ist, bekommt das saubere Besteck. Da ich letzte Nacht vor Hunger sowieso kaum schlafen konnte, ärgere ich mich jetzt umso mehr, dass ich nicht schon gestern Abend vor der Praxis Stellung bezogen habe. Der frühe Vogel fängt bekanntlich den Wurm. Ich Idiot!

Wer war gleich der Letzte?

Statt dessen droht mir nun die Darmbesichtigung mit einem Schlauch, der heute wahrscheinlich schon in den Innereien von halb Leipzig ganze Kilometer unter Tage zurückgelegt hat. Unser Gesundheitswesen ist definitiv im Arsch, denke ich gerade noch, als mein Name aufgerufen wird.

Im gleichen Moment schleppen zwei Schwestern eine noch halb betäubte ältere Dame aus dem Behandlungszimmer. Bei ihrem Anblick überkommt mich das dringende Bedürfnis, die Nachfolgeregelung an der Rezeption kurzfristig neu zu verhandeln.

Aber noch während die Weißgekittelten versuchen, die benommene Seniorin im 15-Grad-Winkel sicher an den Tresen zu lehnen, weil sie für den Schirmständer offenbar zu dick ist, zerreißt eine markerschütternde Flatulenz die Stille im Wartezimmer.

Darm-TV: Ab in die Maske

„Das ist normal, Frau Meyer“, beschwichtigt eine der Schwestern und ergänzt: „Da wird auch heute den ganzen Tag noch was an Luft kommen. Der Doktor hat da ordentlich was reingepumpt, das muss jetzt auch wieder raus!“

Ich habe nur eine Sekunde, mich zwischen dem Ausgang und der Tür zum Behandlungszimmer zu entscheiden. Mein unentschlossenes Zögern währt leider einen Wimpernschlag zu lange. Im nächsten Moment spüre ich schon die Hände einer Schwester auf meinen Schultern, die mich mit konsequentem Nachdruck ins Analfilm-Studio schieben. Ich bin in der Maske. Jetzt gibt es kein Zurück mehr!

 

Neue Staffel startet mit Darmspiegelung

Nach dem Mega-Erfolg der Serie „Die weiße Religion“ haben sich die Macher der Markranstädter Nachtschichten nun an die Produktion der zweiten Staffel gewagt. Dazu wurde ein Schreiberling als Patient getarnt und zur Darmspiegelung geschickt. Sein Bericht ist eine schockierende Dokumentation über Lügen, Intrigen und Demütigungen – kurzum: eine anale Katastrophe. Aber lesen Sie selbst. Hier und heute das Making off und der erste Teil.

Die Lebenserwartung von Frauen liegt in Deutschland im Schnitt bei 83,4 Jahren. Männer dagegen beenden ihren Weg vom Uterus zur Urne bereits nach 78,4 Jahren und damit ein halbes Jahrzehnt früher. Angeblich liegt das daran, dass Frauen öfter zum Arzt gehen. Vorsorge und so.

Andererseits könnte man diese Statistik auch so deuten, dass Frauen ohne ihre Männer bestenfalls fünf Jahre überlebensfähig sind. Aber es kann auch was dran sein mit dem Untersuchungsquatsch.

Ich frage mich nur, warum all diese Vorsorgemaßnahmen immer nur was mit dem Bereich des Körpers zu tun haben, der gewöhnlich unter der Hose verborgen ist. Hat meine Nase keinen Anspruch auf Vorsorge? Oder meine linke Schulter?

Ab 50 potenziell krank

Eigentlich habe ich mich ja nur wegen der Grippeschutzimpfung zu meiner Hausärztin gewagt. Bei Durchsicht meiner Akte stellt sie aber fest, dass ich schon über 50 bin und damit das Recht auf eine Vorsorge hätte. Da ist mir neu. Also nicht dieses Recht, sondern dass Zahlen mit einer 5 davor schon als potenzielles Krankheitsbild gelten.

Mit einer Überweisung in der Hand stehe ich Minuten später wieder auf der Straße. „Koloskopie erbeten“ lese ich. Und die Unterschrift der Ärztin. Logisch. Sie hat drum gebeten, nicht ich, also muss sie das auch unterschreiben.

Ich weiß ja noch nicht mal, was Koloskopie ist. Vielleicht verkabelt Fahrrad fahren und sich einen abschwitzen, während die Schwestern um einen Monitor stehen und besorgt flüstern?

Schlauchschlucken von hinten

Vor meiner Frau kann ich meine Wissenslücken aus Machtgründen nicht offenbaren, also frage ich meinen Nachbarn. Gerhard steht gerade in seiner Werkstatt und mottet die Gartengeräte für die Überwinterung ein. Nach einem Blick auf den Überweisungsschein grinst er mich an und stellt demonstrativ die Rolle mit dem Gartenschlauch auf die Werkbank.

Als er mit seinem Vortrag fertig ist, starre ich wie versteinert auf das aus seiner Hand baumelnde Schlauchende, dessen Kupplung er als Sonde bezeichnet hat. „Gerhard …“, höre ich mich entsetzt sagen. „Ich … das … äh … dreiviertel Zoll. Da kann ich hinterher nie wieder kacken.“

Gerhard beruhigt mich mit der Überzeugung, dass es in einer gut aufgestellten Praxis sicher auch Halb- oder Viertelzoll-Schläuche gibt.

So viel zum Vorspiel. Und im Grunde genommen war meine erste Ahnung gar nicht so verkehrt. Koloskopie ist also sowas wie verkabelt Fahrrad fahren, nur eben liegend und ohne Sattel, dafür über Stock und Stein. Mit diesem Vorgefühl im Magen beginnt die Tortur.

Nee, eigentlich fängt sie schon vorher an – mit der Suche nach einem Arzt, der die Koloskopie in seinem Portfolio hat. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass es rund um Markranstädt und in Leipzig nur so wimmelt von Gynäkologen und es im Gegensatz dazu keine einzige Praxis für Andrologie gibt? Es ist gewollt, dass wir Männer sozialverträglich früh ableben! Kein Wunder also, dass ich im Internet auch keinen einzigen Koloskopeur gefunden habe.

Von wegen eine Sache von Minuten

Es hätte mir jedoch eine Warnung sein sollen, dass es ausgerechnet ein Chirurg ist, der im näheren Umfeld von Markranstädt Koloskopien macht. Aber man glaubt ja bis zuletzt an das Gute im Menschen und so stehe ich kurz darauf am Tresen dieser Praxis, um mir einen Termin zu holen.

Glauben Sie Ihrer Ärztin nicht, wenn die Ihnen sagt, dass eine Koloskopie nur eine Sache von Minuten ist. Das ist ebenso eine Lüge wie alle anderen Informationen, die nur dazu da sind, dass Sie sich im Bewusstsein des Wohls ihrer Gesundheit freiwillig foltern lassen.

Eine Sache von Minuten. Das ich nicht lache. Dieses Martyrium dauert drei Tage! Es beginnt an Tag eins mit einer Art Wasserfolter. Im Prinzip lautet die ärztliche Anweisung, dass man den Wasserhahn leersaufen soll.

Tag 1: Rollmops an Lindt-Pralinen

Dazu gibt’s ein Pulver, für dessen Anwendung man jede Kochsendung im Fernsehen fristlos absetzen würde. So eine Mischung aus Rollmops und Lindt-Pralinen, mit caramelisiertem Esrom-Käse püriert und über Seetang gedämpft.

Die Wirkung ist allerdings frappierend. Das Zeug befreit nicht nur den Darm, sondern gleich auch den Geist. Selbst wenn man davon überzeugt ist, längst leer zu sein, kommt immer noch was. Da kriegt man erst mal mit, was man den ganzen Tag so alles an sinnlosem Ballast mit sich rumschleppt.

Und während ich so auf der Schüssel sitze, aus der mich alle zehn Sekunden ein Echo wie aus dem Leipziger Hauptbahnhof anbrüllt, komme ich den Verschwörungstheorien dieser Welt auf die Spur. Angeblich sollen Häftlinge in Guantanamo jahrelang inhaftiert sein, um von ihnen Geständnisse zu erpressen.

Was’n Blödsinn! Als ob die Amis nicht auch ökonomisch denken würden und Rollmöpse mit Vanille-Pralinen pürieren könnten? Rein damit in die Gefangenen, ab auf die Keramik und nach spätestens zwei Stunden erzählen die sogar Dinge, nach denen sie gar nicht gefragt wurden.

Zurück zur Koloskopie. Ich hätte am Ende dieses ersten Tages meinen Schließmuskel darauf verwettet, dass der Zeiger nach Betreten der Waage fest auf der Null verharrt. Mehr noch: Im Geiste sehe ich, wie sich die Skala sogar leicht in den Minusbereich neigt, nachdem ich kurz gerülpst habe.

Das Entsetzen ist geradezu schier, als sich die Anzeige nach wenigen Sekunden trotz der vorangegangenen Tortur immer noch bei der mir altbekannten Zahl einpendelt. Das können nur 95 Kilo Wasser sein, schießt es mir durch den Kopf, als mich der Druck dieser Masse erneut auf den keramischen Zylinder zwingt.

Danach waren es wohl nur noch 93 Kilo. Zumindest hat mein Körper aber binnen nur eines einzigen Tages gelernt, aus dem Darm zu pullern. Als ich das meiner Frau erzähle, ernte ich statt Mitleid jedoch nur Spott. Da bräuchte ich ja meinen Penis jetzt überhaupt nicht mehr, meint sie.

Wozu dann eigentlich noch eine Darmspiegelung? Es wäre doch jetzt genau der richtige Zeitpunkt zu sterben. Aber das geht aus zwei Gründen nicht. Rein statistisch darf ich erst in 23 Jahren sterben, um die bundesdeutsche Statistik der männlichen Lebenserwartung nicht zu versauen und zweitens sind an mir bis dahin noch ein paar hunderttausend Euro zu verdienen.

Also nichts mit ableben oder so. Statt dessen muss ich am nächsten Tag pünktlich, nüchtern und mit leerem Gedärm zur Spiegelung antreten. Was da passiert ist, lesen Sie in der nächsten Folge. Vorab lediglich so viel: Rein vom Schmerz her besteht der Unterschied zwischen einer Darmspiegelung und einer Wurzelbehandlung nur in dem Stuhl, auf dem man sitzt.

 

Touristenmagnet Zschampert: Brücken ins Nichts

Sodawasser kennen Sie? Na klar doch. Hat allerdings nichts mit dem gleichnamigen Mineral zu tun und gleich gar nichts mit Waschsoda oder Ätzsoda. Eher mit Speise- oder Backsoda, dem Natriumhydrogencarbonat (NaHCO3). Seit der Mensch Bauplanung betreibt, gibt es allerdings auch Soda-Brücken. Die heißen so, weil sie eben mal „so da“ sind. Völlig sinnentleert, funktionslos, aber eben da. So wie die neuen Zschampert-Viadukte in Göhrenz.

Eine der berühmtesten Soda-Brücken Deutschlands steht bei Euskirchen unentschlossen in der Gegend umher. Sie wurde in den 70er Jahren mitten im Feld gebaut und sollte den Verkehr der geplanten A 56 ertragen.

Gegen die unvollendete Planungsgeschichte dieser A 56 lesen sich der Toilettenbau am Kulki, die Kita am Bad und der Anbau an der Grundschule zusammen wie eine langweilige Kurzmeldung vom Häkelzirkel des katholischen Frauenschweigekreises Worpswede.

Da steht sie also nun thronend im Feld, die Euskirchener Autobahnbrücke. Nur einmal in ihrem fast 50-jährigen Leben hatte sie eine Art Zweck. Am 15. Juni 2001 hatte die Kölner Rockgruppe BAP hier ihren Auftritt und ließ das Bauwerk dann sogar auf dem Cover ihrer Platte in die Musikgeschichte eingehen.

Brücken aus NaHCO3

Fast genauso alt ist die Soda-Brücke in Castrop-Rauxel-Frohlinde. Als der Bau der geplanten vierstreifigen Schnellstraße zwischen Bochum und Dortmund schon nach anderthalb Kilometern aufgegeben wurde, hatte man sich nicht einmal mehr die Mühe gemacht, wenigstens noch den zweiten Brückendamm aufzuschütten. So, da steht sie also so da.

Die Sodabrücke bei Castrop-Rauxel könnte als Frühform des sozialen Wohnungsbaus bald unter Denkmalschutz gestellt werden. (Foto: DerHessi – CC BY-SA 3.0)

Inzwischen ist fast ein halbes Jahrhundert ins Land gegangen. Soda-Brücken sind längst keine Schlagzeilen mehr wert. Als Zeichen des Wohlstands einer Gesellschaft werden heute Soda-Flughäfen gebaut oder unterirdische Soda-Bahnhöfe und ähnliche Geldgräber.

Touristische Anziehungspunkte

Ist ja auch einfach. Wenn das Geld alle ist, wird dem Steuerzahler von hinten in die Tasche gegriffen (CDU rechts, SPD links) und weiter geht die unendliche Geschichte. Noch nie ist ein Bauherr, Planer oder Generalunternehmer zur Verantwortung gezogen worden und auch Jahre nach Fertigstellung des Leipziger City-Tunnels konnte noch nicht ermittelt werden, welcher Rechenfehler aus 400 Millionen Euro eine Milliarde gemacht hat.

Soda-Schleuse bei Wüsteneutzsch. Die Planungsfehler, die hier zum Baustopp führten, lagen auf anderen Gebieten.

Eines der wenigen Soda-Bauwerke, das nicht auf Bauplanungsfehler zurückzuführen ist, steht übrigens ganz in der Nähe von Markranstädt. Die unvollendete Schleuse am Ende des ebenfalls unvollendeten Elster-Saale-Kanals bei Wüsteneutzsch ist wohl eher auf militärische Planungsfehler zurückzuführen als auf mangelnde baufachliche Kompetenzen.

Der Einfallsreichtum der Göhrenzer ist legendär. Schon wird die neue Sodabrücke über den Zschampert als Parkplatz genutzt.

Aber selbst Wüsteneutzsch ist zu weit entfernt von Markranstädt, als dass man damit im touristischen Konzept der grünen Energie- und Sportstadt am See nachhaltig punkten könnte. Schließlich kann man nur selbst vermarkten, was einem auch selbst gehört.

Als die lokale Presse im November Stadträtin und Göhrenzer Ortsvorsteherin Dr. Ingrid Barche mit reichhaltigem Lob für die Sanierung der Ortsdurchfahrt zitierte, wurde das eigentliche Kernelement geradezu sträflich verschwiegen. Jawollja, Göhrenz hat jetzt wenigstens zwei Sodabrücken. Und nicht nur das. Sie führen sogar über Sodawasser hin ins Sodanirvana.

Neues Zschampert-Viadukt: Wer hier drüber fährt, der weiß, wie das Sprichwort entstand: „Ich glaub, ich steh‘ im Wald!“

Gut, so ganz funktionslos sind sie nicht. In Göhrenz ist man einfallsreich, wenn es um die Nutzung nutzlosen Verkehrsraums geht. Man kann Autos drauf abstellen, Container oder sogar mal ein Dixi-Klo. Da bekommt der Begriff vom stillen Örtchen ganz schnell mal völlig neue Dimensionen.

Jede Brücke ist quasi eine Übergangslösung. Schön, wenn sie so verkehrsberuhigt liegt, dass man sie als stilles Örtchen nutzen kann.

Auch wenn sich das Investitionsvolumen dieser Brücken nicht annähernd mit ihren großen Vorbildern wie Stuttgart 21, dem Berliner Flughafen oder den Sodabrücken in Euskirchen und Castrop-Rauxel messen kann, sind die Zschampert-Viadukte doch gut zu vermarkten. Und ganz sicher werden sie sich auch hervorragend ins touristische Konzept integrieren lassen.

Sie erinnern sich? Der Neubau eines Hotels ist zumindest offiziell noch nicht vom Tisch. Da ist es doch schön, wenn man Investoren und künftigen Gästen ein paar Attraktionen zu bieten hat.