Strandgeflüster: Am Westufer belauscht

Weil man aus der Geschichte lernen soll, hat der VEB Markranstädter Nachtschichten am Kulki-Strand mal stasi-mäßig die Lauscher aufgesperrt. Was bewegt die Menschen in den Zeiten moderner Inquisition, in denen öffentliche Ächtung droht, wenn man selbst das Handtuch nicht zeitgemäß gendert?

Eigentlich ist es egal, an welchen Strandbereich man sich ausbreitet:Unterhaltung gibts überall.

„Corbinian-Malte!“, ruft eine vor ihrem Gang ins Tattoo-Studio möglicherweise ganz attraktive Mittvierzigerin in Neopren-Bikini einem Teenager zu, der seit etwa einer Minute regungslos im Wasser steht. Dann ergänzt sie ihren Warnschrei: “Geh bitte auf die Toilette!“

Notdurft 110

Der 13-Jährige zeigt auf die Deutsche Dogge, die offenbar zum Familienverband zählt, denn sowohl der Junge als auch die Frau tragen auf ihren Oberarmen ein nicht zu übersehenes Tattoo mit dem Konterfei des Tieres. „Dor Bedolf hat au grad aufs Strändle geschisse, da hast au nix gsagt“, protestiert der Junge.

Die Konversation erregt die Aufmerksamkeit der benachbarten Badegästin, die vor wenigen Minuten ihr Handtuch ahnungslos auf Bedolfs Haufen ausgebreitet hatte und ihren Blick nun, einer olfaktorischen Eingebung folgend, suchend im näheren Umfeld schweifen lässt. Als ihre Fahndung erfolglos bleibt, wendet sie sich beruhigt an ihre Nachbarin: „Seltsamer Name für einen Hund: Bedolf“, beginnt sie eine Konversation.

Abbe Klinken dran

„Mag sein“, antwortet die wohlhabende Dame im Neopren-Bikini, deren Dialekt eindeutig westelbische Wurzeln in den gebrauchten Bundesländern verrät. „Eigentlich wollten wir ihn Adolf nennen, aber da hätten wir das Hundetraining gleich beim Verfassungsschutz machen können“, rechtfertigt sie die Namensgebung des Tieres.

Inzwischen ist Corbinian-Malte vom Toilettencontainer zurückgekehrt. „Do sei koi Klinke dran gwähe“, begründet er den Misserfolg seiner Mission und zugleich den Grund, warum er nochmal schnell ins Wasser gehen muss.

Als seine Neopren-Mutter gerade zur Schelte anheben will, erschallt vom Container der Ruf einer zweifelsfrei mit Markranstädter Genen ausgestatteten Dame quer über den Strand: „Hier sinn abbe Glin’gen dranne. Manfred, gomma her, mach was! Mahaaanfreheeed!“

Männer und Möpse

Irgendwo am Horizont dieses Meeres aus glänzenden, mit Sonnenöl gegerbten Leibern, erhebt sich daraufhin eine Gestalt, deren Design ganz offensichtlich von einem Krostitzer Maischefass inspiriert wurde. „Wenigstens hat der Arbeitslose ein Dach über’m Kopf“, frötzelt eine Fleisch gewordene Litfaßsäule zu ihrer nicht minder tätowierten Freundin angesichts des unter dem gewaltigen Talg-Baldachin dieses Manfred unscheinbar daherbaumelnden Wurmfortsatzes.

Abbe Klinken am Klo: Von drinnen kam man noch raus, aber von draußen nicht rein.

Abbe Klinken am Klo: Von drinnen kam man noch raus, aber von draußen nicht rein.

Sein Anblick fordert den Gehorsam eines 5-jährigen Mädchens heraus, das noch vor wenigen Minuten von seiner Mutter angeherrscht wurde, sich das Bikini-Oberteil anzuziehen. „Ey du kannst hier net so rumlaufe, dass jeder deine Brüste sehen kann“, brüllflüsterte sie ihrer Tochter in hessischem Dialekt zu. Jetzt zeigt die Kleine auf diesen Manfred und rechtfertigt sich: „Der Onkel da hat dickere Möpse als ich und muss sich auch nichts anziehen.“

Als der erfahrene Handwerker keine 20 Minuten später keuchend den Toilettencontainer erreicht, erschließt sich ihm in Anbetracht der inzwischen acht wartenden Damen der Ursprung des von ihnen aufgeführten Charleston-Tanzes.

„Zu sauber hier“, sagt ein ebenfalls herbeigeeilter älterer Herr nach erster Lagebeurteilung. „So isses, wenn man zu viel Klinken putzt. Alles weggeschrubbt“, stellt er fachmännisch fest.

Man einigt sich darauf, dass die Männer vor den Türen Wache stehen, damit sich ihre Frauen in geschützter Atmosphäre erleichtern können. Der Vorschlag kommt allgemein gut an, auch wenn seine Umsetzung dann ungeahnte Probleme in der Praxis zeigt. Als aus einem der Zylinder selbst nach einer halben Stunde noch kein Signal der Erleichterung zu vernehmen ist, hört man von drinnen ein kapitulierendes: „Ich kann nicht, wenn ich weiß, dass draußen jemand ist.“

Geopolitik vor der Klotür

Ähnlich scheint es auch einigen Insassen der anderen Zellen zu ergehen und so vertreiben sich die zu Toilettenwärtern mutierten Männer die Zeit mit Gesprächen über die aktuelle geopolitische Lage. Inspiriert vom Geräusch einer gewaltigen Flatulenz aus einer der Fäkalkammern, das an einen Raketeneinschlag erinnert, kommt die Unterhaltung schließlich auf den Krieg in der Ukraine.

„Die Bürgermeisterin hat im Stadtrat gesagt, dass der S-Bahn-Anschluss in Markranstädt erst 2026 kommt, weil der Hersteller wegen des Ukraine-Krieges keine Drehgestelle für die Waggons hat“, sagt ein gutgläubiger Klotüren-Wächter zu seinem Nachbarn. Der denkt kurz nach. „Da kannste mal sehen, was die uns in der Schule für einen Mist beigebracht haben“, antwortet er schließlich. „Von wegen Kornkammer Europas. Die Russen wollen die unterirdischen Drehgestell-Lagerstätten im Donbas besetzen, so siehts aus!“

Als sich die Toilettentüren öffnen und die Frauen sichtbar erleichtert ans Tageslicht zurückkehren, taucht die Sonne bereits hinter dem Wasserturm in die Dämmerung. Ein ganz normaler Tag am Kulki neigt sich dem Ende zu. Aber die Nacht wird nicht minder unterhaltsam, so viel ist sicher.

7 Kommentare

Zum Kommentar-Formular springen

    • Wiki1302 auf 16. August 2022 bei 22:01
    • Antworten

    Also wenn unsere Regierenden so weitermachen, bringen die Russen die Drehgestelle selbst mit.
    Das ist nur so ein Gedanke am Rande….
    Ansonsten ist das wieder ein feiner Text. Habe mich köstlich amüsiert.
    ….Fleisch gewordene Lifaßsäule….

    • Ein Frankenheimer auf 11. August 2022 bei 10:14
    • Antworten

    Man (soll heißen: der gegangene BM als auch die noch zu gehende BM) schafft es ja noch nicht einmal, die 300m ‚Schleichweg‘ in Frankenheim ‚auszubauen‘, da wird es wohl mit der S-Bahn erst recht nix werden…

    1. Wozu eigentlich eine S-Bahn? Die Wahrheit sieht doch so aus, dass die Züge durch den Bahnhof Miltitz im Schritttempo fahren müssen, damit das Gemäuer durch den Fahrtwind nicht einstürzt. Von daher reicht ein mit Pferden bespannter Bollerwagen.

    • Pici Formes auf 11. August 2022 bei 9:00
    • Antworten

    An dieser Stelle ist zunächst eine kleine linguistische Korrektur vonnöten, da hat die Redaktionsabteilung des VEB MN für süddeutsche Idiome offensichtlich schon geschlafen: Corbinian-Malte, der spätzleverzehrende Westjunge mit dem eindrucksvollen Bedolf-Tatoo auf dem schmächtigen Oberarm, wird nie und nimmer „hast“ zu seiner neoprenverkleideten Mutter gesagt haben. Hast ist im südwestlichen Teil der gebrauchten Bundesländer unüblich (im Kontrast dazu paßt aber der ubiquitäre schwäbische Diminutiv sehr gut zum Hundesträndle), dafür ist „Hasch“ in aller Munde. Vielleicht ist auch deshalb dieser Menschenschlag so gemütlich und gibt sich bei der Strandkehrwoch gerne gegenseitig die blitzsaubere Klinke in die Hand.

    1. Haschd räschd! Allerdings wird der Begriff „Hasch“ auch von ostelbischen Jugendlichen gern in den Mund genommen … und noch lieber ganz tief eingesogen. Das führt dann dazu, dass sie das mit den unterirdischen Drehgestell-Vorkommen im Donbas völlig kritiklos glauben. …Volk regiert sich gut.

  1. Köstlicher Zeitvertreib liebe MN, ein Hoch dem Kulki. So entstehen Latrinengerüchte- genau so wie im alten Rom. Bullshit. Abrr- wa iss`n nu mit`m Hund geworden? Übrigens: Das Eßbahn-Gerücht gibt`s schon seit der Wende wieder- ist also keinesfalls der aktuellen BM anzuloben…

    1. Das waren so genannte O-Busse, die damals durch Markranstädt fuhren (so viel zur Elektromobilität). Jetzt soll das Ganze auf die Schiene, aber wie gesagt und geschrieben: Entweder haben die Russen die unterirdischen Drehgestell-Lagerstätten in der Ukraine besetzt oder hier wird mit unterirdischen Argumenten gearbeitet.

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.