Nicht gleich kirre werden beim Anblick dieser Szene. Das Titelfoto stammt zwar aus einem Ratssaal ganz in der Nähe, aber nicht aus dem Tagungsort des Markranstädter Stadtrates. Warum dieses Stillleben trotzdem als Eyecatcher herhalten muss und was bei der Sitzung unserer Duma am Mittwochabend sonst noch so nicht geschah, sollen Sie aber gern erfahren. Hier die Live-Reportage aus der mentalen Sahel-Zone:
Unter drei Stunden ist nix mehr drin bei einer Vorstellung des Ensembles aus der vierten Etage.
Dafür sorgen nicht zuletzt die für die Zerstreuung bestellten Ausschweifungen geladener Förster, Regenmacher, Flächengestalter, Verbandsauflöser oder Windradanschieber. Eigentlich fehlt nur noch der Auftritt eines Vertreters für Prostata-Pillen. Nach dem Motto: Ist sowieso alles für’n A…bgeordneten.
Womit wir beim Titelfoto wären. Das stammt aus dem Ratssaal in Markkleeberg. Bitte nicht verwechseln: Es geht nicht um die Stadträte im Hintergrund, sondern um die Flaschen davor. Die sind dort, samt Kaffee und Tee, nicht nur für den höheren Stand der Volksvertreter und Verwaltung gedacht, sondern auch für’s niedere Publikum. So ist das mit der Gastfreundschaft: Andere Städte, andere Sitten.
Und das, obwohl die Stadtratssitzungen dort in der Regel nicht später als 20 Uhr enden. In Markkleeberg lässt man sich den Leumund bei den Wählern halt was kosten. Wieviel ehrlicher ist dagegen die Willkommenskultur in Markranstädt. Hier stehen vor jedem Gastgeber ganze Konvolute randvoll gefüllter Flaschen, zu denen gern gegriffen wird.
Wenn sie kein Wasser haben, sollen sie doch Sekt trinken
Die Gäste hingegen stehlen sich nach mehreren Stunden aktiver Dehydrierung verschämt zur Toilette. Wenn sie richtig viel Pech haben, müssen sie vor der Labung aus dem Wasserhahn einem Adligen den Vortritt lassen, der sich nach der Entleerung seiner auf Stadtkosten strapazierten Blase erst noch die Hände waschen muss. Das kommt an!
Allerdings gibt es inzwischen auch deutliche Standesunterschiede innerhalb der höheren Schicht. Statt Zepter und Reichsapfel avanciert jetzt das Mikrofon zur primären Machtinsignie.
Damit die Mandatsträger nach einer Wortmeldung nicht jedesmal aufstehen und zum Mikrofon laufen müssen, wurden diese jetzt auf den Ratstischen platziert. Aber: Während den sieben Rathausvertretern ganz vorn gleich fünf dieser Mikros zur Verfügung stehen, müssen sich die 22 Abgeordneten in lediglich drei Exemplare reinteilen.
Mit fatalen Folgen für einen zügigen Sitzungsverlauf. Wenn eine Person fernab des nächsten Mikros sein Sendungsbewusstsein befriedigen will, muss das Gerät zunächst aus seiner Halterung entnommen und bis zum Zielort durchgereicht werden. Dann muss der aussagewillige Mandatsträger auch noch den Schalter finden und ihn zu bedienen wissen.
Schraps hat das Mikrofon verloren, wer hat es?
Ein nicht immer einfacher, gleichwohl aber stets zeitraubender Akt, wie die Praxis am Mittwochabend zeigte. Der Mikrofon-Beauftragte der örtlichen Discothek musste für seine Hilfeleistungen beim Ein- und Ausschalten der Geräte an diesem epischen Abend ganze Kilometer um die Ratstische abreißen. Die Lebensuhr tickt derweil unbarmherzig weiter.
Je teurer der Regen, desto Klimawandel
Was gab es sonst noch so an denkwürdigen Ereignissen? Eigentlich wären die Highlights alle unter dem Begriff „neue Mathematik“ einzuordnen. So hat sich zum Beispiel das Entgelt für die Entsorgung des Oberflächenwassers für die Stadt auf inzwischen 800.000 Euro erhöht. Wenn es mit dem Klimawandel so weitergeht und die Trockenheit anhält, sind es sicher bald schon eine Million.
Dreisatz mit neuer Rechtschreibung
Auf der anderen Seite wollte man der Kämmerei so viel mathematische Kompetenz nicht unterstellen. Den Vorschlag der CDU, zwei Drittel der Einnahmen aus Windanlagen den direkt betroffenen Anwohnern in Albersdorf zugute kommen zu lassen, konterten die Freien Wähler mit dem enormen Aufwand der Verwaltung, die dafür erforderliche Grundrechenoperation zu vollziehen. Da half auch der Hinweis der Christdemokraten nicht, dass die städtische Schatzmeisterin einst die größte POS in Kulkwitz absolviert hat.
Gleichung mit einer Unbekannten
Ebenfalls vom FWM-Tisch kam eine weitere mathematische Revolution: Die Abkehr vom einstigen Planungsbüro fürs Stadtbad wurde damit begründet, dass man zu jener Zeit schon bei vier Millionen Euro war und eine weitere Kostenexplosion verhindern wollte. Ergebnis: Heute sind wir bei 6,8 Millionen und haben inzwischen fast eine weitere halbe Million für das klagende Planungsbüro beiseite gelegt. Quot erat demonstrantum.
Einzig die CDU hatte am Ende wohl Mitleid mit dem mitschreibenden Satiriker, dessen Aufmerksamkeitsdefizit nach stundenlanger Durststrecke ebenfalls unübersehbar war.
Sketch-History im Ratssaal: Warum Männer nicht zuhören und Frauen alles können
Und so entlastete Fraktionssprecher Rico Kanefke im kreativen Zusammenspiel mit der Bürgermeisterin die Suche nach einem satirischen Höhepunkt mit einem eigenen Sketch. Den musste der Humorreporter nur noch mitmeißeln und fertig war der epische Höhepunkt des Abends. Hier der komplette Dialog:
Kanefke: „Wir haben bei den Kosten für das Stadtbad eine Verdoppelung. Aber das ist ja ganz gut so, denn immerhin haben wir jetzt schließlich auch die Hälfte seiner Größe. Das ist Inflation nach Art Markranstädt …“
In diesem Moment wird ihm gewahr, dass sich die Bürgermeisterin inzwischen in einem tiefen Austausch mit ihrem Banknachbarn befindet. Geistesgegenwärtig reagiert Kanefke auf die scheinbar respektlose Ungezogenheit.
Kanefke: „Es wäre gut, wenn sie mir vielleicht zuhören würden, Frau Bürgermeisterin. Sonst machen wir es wie in der Schule. Denn wenn ich was erzähle, wäre es schön, wenn sie zuhören würden. Ich weiß ja nicht, vielleicht wollen sie mir ja auch antworten?“
Stitterich (lässt ihn erst ausreden, dann): „Sie haben mich gebeten, ihnen zuzuhören. Das mache ich. Ich bin multitasking-fähig. Ich kann, während ich ihnen zuhöre, mich auch gleichzeitig noch mit meinem Juristen dazu abstimmen. Ich habe ihnen genau zugehört.“
Respekt, also dafür muss man wirklich schon all seine acht Sinne beisammen haben. Wenn sie jetzt noch die Nachtschichten lesen kann, während sie das Vorwort fürs nächste Amtsblatt schreibt und dabei gleichzeitig auch noch in eine Kamera lächelt, hat das Konklave in Rom am Donnerstag den falschen Papst gewählt.






















6 Kommentare
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Die ewig lange (um 23 Uhr war Schluss) Sitzung kurz und knapp zusammengefasst. Danke!
Womit wir wieder beim Thema „andere Städte, andere Sitten“ und damit in Markkleeberg wären. Dort ist festgelegt (Gemeindeordnung, Hauptsatzung, Geschäftsordung oder weiß der Geier in welchem der gelben Passierscheine A 38), wie lange so eine Sitzung maximal dauern darf. Dort wäre es nicht möglich, die Stadträte so lange in Morpheus‘ Arme zu treiben, bis sie im Halbschlaf die Hände oben lassen und versehentlich Dingen zustimmen, die sie selbst hinterher noch nicht auf dem Schirm haben.
Es heißt auch, dass Frauen gern bügeln, aber das stimmt so nicht. Die Wahrheit ist, dass sie gern telefonieren und beim Bügeln haben sie die erforderliche Zeit dafür. Beim Mann hätte das böse Folgen: Verbrannte Ohren vom Bügeleisen und zerkratztes Handydisplay von den Knöpfen am Hemd.
Das hat aber mit dem Bügeleisen nichts zu tun. Nehen Sie Ihrer Frau mal das Handy weg und Sie werden sehen, dass Sie trotzdem einen Satz heiße Ohren bekommen.
Während ich das hier gelesen habe, nur gelesen, habe ich nicht denken können. Als ich fertig war, habe ich nur denken können. Jetzt kann ich nur schreiben. Nachher will ich nur gucken. Alles nach und nach…bin nur ein Mann (original) und eben NICHT Multitasking fähig…
Es gibt aber auch verschiedene Dinge, die selbst ein Mann gleichzeitig kann. Koitus ausüben und dabei stöhnen beispielsweise. Außerdem sind Männer durchaus lernfähig. So ist es vielen Ehefrauen nach jahrelanger, mühevoller Erziehungsarbeit tatsächlich gelungen, dass ihre Männer gleichzeitig Abendbrot essen und die Sportschau gucken können. Es geht also, man muss nur wollen.