Neues Projekt: So günstig kann man in Markranstädt künftig wohnen

Die ausgebliebenen Reaktionen der Markranstädter Einwohner auf Presseberichte über den kollabierenden Wohnungsmarkt in ihrer Heimatstadt könnten es nicht deutlicher ausdrücken: Es interessiert niemanden. Da ist es folgerichtig, dass sich auch niemand aufgefordert sieht, daran etwas zu ändern. Im Gegenteil: Das einzige Wohnungsunternehmen, das sich der Erhebung bezahlbarer Mieten derzeit wenigstens noch halbwegs verpflichtet fühlt, muss sich inzwischen selber mit Kündigungen herumschlagen. Das Spektrum reicht von der Chefetage bis hin zu den Sport- und Veranstaltungshallen in der Stadt. Beruhigend: Nicht einmal das ist in der Stadt ein Aufreger. Doch mitten hinein in dieses düstere Szenario lässt jetzt eine unscheinbare Baustelle einen kleinen Hoffnungsschimmer erglimmen.

Im Gegensatz zu früheren Jahren, als Selektionen noch nach ethnischen oder religiösen Kriterien an Bahnhofsrampen durchgeführt wurden, erfolgt die Sozialauswahl unserer Tage nach demokratischen Prinzipien.

Wer sich das Wohnen in Markranstädt nicht mehr leisten kann, muss ganz freiwillig dahin ziehen, wo es noch erschwinglich ist.

Und so gibt es, ähnlich den China-Towns in den USA, oder Soweto in Südafrika, schon Townships in Weißenfels oder Bad Dürrenberg, die aus Flüchtlingen mit Markranstädter Migrationshintergrund bestehen. Mit Wachstumsprognosen, von denen sogar die deutsche Waffenindustrie nur träumen kann.

Die Rasierschaum-Allee

Kein Wunder, dass sich in der Leipziger Straße, die inzwischen den Ruf einer „Rasierschaum-Allee“ genießt, ein Friseurgeschäft an das andere reiht. Weil die Gesichter der zurückgebliebenen Mieter immer länger werden, wird auch deren Rasur immer aufwändiger. Ein nicht zu unterschätzender Wachstumsmotor.

Das neue Berchtesgaden

Kein Quadratmeter neu gebauten Wohnraumes ist mehr unter 14 Euro zu haben. Weil die Mieten für vergleichbare Wohnungen in Leipzig indes schon auf die 25-Euro-Marke zusteuern, muss man kein Finanzexperte sein, um die nächsten Meilensteine erkennen zu können. Passt also, wenn man bedenkt, dass die Einkommenssteuer zu den wichtigsten Einnahmequellen einer Kommune zählt. Armut will hier keiner haben. Markranstädt – das neue Berchtesgaden. Mit Seeblick vom Ufer statt Alpenpanorama vom Berghof.

Die Revolution auf dem Wohnungsmarkt

Mitten hinein in diese Endlösung der Wohnungsfrage platzt jetzt ein junges Start-Up, das wegen Baufälligkeit ungenutzten Wohnraum ertüchtigt und damit einen würdevollen Lebensabend für die von Obdachlosigkeit bedrohte Markranstädter Unterschicht möglich macht.

Das erste Projekt widmet sich der Bahnhofsunterführung. Ein ideales Wohnquartier mit außergewöhnlichen Standortmerkmalen. Ein verkehrsgünstig gelegenes Penthouse mit Loft-Charakter, das über eine exquisite Anbindung sowohl an Bus und Bahn sowie die lokalen Sportstätten, als auch die örtlichen Zentren der Nahversorgung verfügt.

Wohnstandort mitten im pulsierenden Leben

Im Gegensatz zu anderen Ruinen muss man sich hier um Wasser von oben keine Gedanken machen. Das von der Deutschen Bahn bewirtschaftete Dach ist dicht! Viel dichter sogar als der darunter befindliche Boden, der für die Bewohner jedes Regenereignis zu einem kostenlosen Badetag werden lässt.

Jeder Regenguss wird zum Badetag

Leider ist diese Nachhaltigkeit im Einklang mit der Natur noch nicht förderungsfähig, da alle in Frage kommenden Zuschüsse bereits für bunte Regenbogenbinden bei zeichensetzenden Aktionen zur wesentlich wichtigeren Aufrechterhaltung unserer Demokratie ausgegeben werden.

Neue Fenster sorgen für mehr Durchblick auf der lichtdurchfluteten Terrasse.

Neue Fenster sorgen für mehr Durchblick auf der lichtdurchfluteten Terrasse.

Das größte Problem jedoch bestand bislang in Mängeln des Lichtraumprofils. Seit die Fenster des Quartiers von konkurrierenden Nutznießern staatlich finanzierter Wohnobhut in der letzten Silvesternacht zerstört wurden, galt der Standort als nicht vermietbar. Das wird jetzt gerade geändert.

Lichtdurchfluteter Lebensmittelpunkt

Neue, ökologisch abbaubare Glasscheiben lassen die Terrasse des unterirdischen Wohnkomplexes zu einem lichtdurchfluteten Aufenthaltsbereich mit einzigartigem Panoramablick werden.

Auch im Inneren wird gerade fleißig an Merkmalen für gehobene Wohnqualität gearbeitet. Bunte Wände mit ebenso künstlerisch liebevoll gestalteten wie lebensbejahenden Motiven („Motherfucker“ oder „Lok“ und „BSG 1964“) sorgen für behagliches Ambiente. Ein stilvoll integrierter Sitzbereich im Industrie-Look soll das von darüber hinweg ratternden Zügen geprägte Flair harmonisch ergänzen.

Voll möbliert: Mehr Lebensqualität mit stilvoll integriertem Sitzbereich im Industrie-Look.

Voll möbliert: Stillvoll integrierter Sitzbereich im Industrie-Look.

Der Clou: Demnächst soll sogar ein Fahrstuhl eingebaut werden. „Der ermöglicht den Insassen des Wohnprojektes einen bequemen Aufstieg in die Oberwelt“, wirbt der Investor des zukunftsweisenden Wohnquartiers.

Dort erwartet die künftigen Bewohner zwar nicht viel Auslauf, dafür jedoch ein atemberaubender Blick auf die antike Baukultur des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Eingebettet ist dieses Panorama in die Architektur neuzeitlicher Bauzäune und hochwertig gestalteter Schallschutzwände in politisch maingestreamten Grün.

Umweltfreundliche Mobilität 

Was jetzt noch fehlt, sind Abstellplätze für die Einkaufswagen, in denen die mobilen Bewohner ihr Hab und Gut transportieren. In der Kooperation mit dem nahegelegenen Aldi-Markt ist jedoch auch hier schon eine Lösung in Sicht.

Wohnen mit Zukunft

Wohnen in Markranstädt – das wird also auch in Zukunft möglich sein. Man muss nur wollen und auf das eine oder andere Accessoire verzichten können. Und vor allem darf man nicht darauf hoffen, Unterstützung von den Menschen zu erhalten, die man eigentlich dafür gewählt hat.

10 Kommentare

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    • Ulrich Naser auf 28. Juli 2025 bei 13:40
    • Antworten

    Darf ich den Blick von unserem Bahnhof in Richtung ehemaliges Gutenberg Hotel richten. Dieses Haus erinnerte auch in seinen Glanzzeiten so manchen an Karl-Theodor zu Guttenberg. Er muss mit den Plagiatsvorwürfen (ein Plagiat ist die Übernahme von fremden Texten, Ideen oder anderen Werken) leben. Ähnlich ist es auch mit dem Hotel Gutenberg, das sich als Hotel ausgab und gut geführtes Haus, doch am Ende nur noch billige Absteige war. Eigentlich, wenn man es genau betrachtet, passte die Nachnutzung als Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete sehr gut. Allein, „es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“ (Friedrich Schiller).
    Seit mehren Monaten ist nun die Gemeinschaftsunterkunft wieder leer. Und aus zuverlässiger Quelle sollen Pläne bestehen, das Haus in Sozialwohngen umzubauen. Andere, die vielleicht etwas nüchterner sind, sehen jedoch bereist große Bagger, die das Haus abreisen. Beide Nachricht verbreitete sich unter der Nachbarschaft des ehemaligen Gutenberg Hotels wie ein Lauffeuer und die Reaktion verblüffte. Uneingeschränkt alle wünschen sich die Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete wieder zurück.

    1. Sehr gute Einlassung, vor allem aus satirischer Sicht. Respekt. Trotzdem sind wir mal gespannt, ob diese Kommentarspalte ausreicht, wenn die Abweichler der erwähnten „uneingeschräkt alle“ von ihrem Veto-Recht Gebrauch machen.

    • Beate Lehmann auf 27. Juli 2025 bei 23:13
    • Antworten

    … wenn das Wohnen nicht mehr bezahlbar ist oder auch „nur“ die Angst davor. Schlimm. Dazu noch die Sorge um den Arbeitsplatz, das Auskommen- ein Cocktail der dem familiären Frieden und der Gesundheit schadet.
    Die in Aussicht gestellten Änderungen, überzogene Bauvorschrift abzuspecken, dauern zu lange. Beim Ausrufen von Coronaeinschränkungen oder Finanzspritzen zur Aufrüstung ging es doch auch unverzüglich, also sofort.
    Den Daumen immer wieder in diese Wunde zu legen ist richtig und wichtig. Ob es dabei hilft, die gewählten Vertreter zu schelten, bezweifle ich. Vielleicht brauche ich ja Nachhilfe um den Unterschied von Sarkasmus, Satire und Galgenhumor zu verstehen.

    1. Ihre Zweifel hinsichtlich der Volksvertreter sind verständlich. Aber erstens haben genau die (nämlich die Volksvertreter in der Bundesregierung) die Zügel in der Hand und zweitens hat der Bürgermeister einer kleinen sächsischen Kommune erst kürzlich gezeigt, dass auch Volksvertreter vor Ort etwas erreichen können. Hier darf der Druck des Markranstädter Stadtrats vermisst werden, um beispielsweise die offenbar realitätsfernen „wohnungswirtschaftlichen Indikatoren“ als Grundlage für die Förderung von sozialem Wohnraum zu korrigieren. Wer’s einfach so hinnimmt, kann nichts ändern.

    • simsalabim auf 27. Juli 2025 bei 21:22
    • Antworten

    Über die ca. 50 social media Gruppen in und um Markranstädt finden sich bestimmt auch ausreichend Umzugshelfer und neue Partyfreunde. Da muss niemand die S-Bahn nehmen, die ja auch nur 1x wöchentlich kommt.

    1. Da sind wir zum Glück außen vor. Die Markranstädter Nachtschichten bzw. ihre Macher sind aus einschlägigen Gruppen schon längst in hohem Bogen rausgeflogen. Dadurch müssen wir uns wenigstens nicht als Umzugshelfer verdingen.

      Achja: Wenn da unten erst Leute wohnen, wird aus Lärmschutzgründen möglicherweise gar keine S-Bahn fahren. Da muss man sich wenigstens keine neue Ausrede einfallen lassen. Zuletzt hieß es ja, dass es wegen des Krieges in der Ukraine keine Fahrgestelle für Waggons gibt. Was haben wir gelacht!

  1. In allen Belangen sehr gut beobachtet.

    1. … und aufgeschrieben!

    • Wanderer auf 27. Juli 2025 bei 19:47
    • Antworten

    Nicht vergessen: Das Genussamt liegt auch gleich nebenan.

    1. Ja, und der Händler für Nobelkarossen von Ferrari, Maserati & Co. ist auch fußläufig erreichbar. Was will man mehr?

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