Von der Suche nach einem kleinen Nichts

In knapp acht Wochen ist Weihnachten. Haben Sie schon alle Geschenke zusammen oder wollen Sie es mal mit Aussteigen probieren? Raus aus dem Hamsterrad der Gabenjagd: Immer mehr Menschen versuchen das, aber es gelingt nicht. Unser Autor Ronny von de Kippe erklärt Ihnen, warum das nicht funktionieren kann.

Die Antwort gleich vorweg: Sowas kann nicht klappen, wenn eine Frau Vertragspartner bei einer solchen Vereinbarung ist. Man darf die femininen Teilnehmer unserer Gesellschaft aber nicht dafür verurteilen. Es ist die Natur. Sie hat es so eingerichtet, dass eine Frau niemals nichts schenken kann.

Deshalb wird die Initiative für sämtliche Versuche, sich mal nichts zu schenken, immer vom Manne ausgehen. Bei uns war das auch so. Jedes Jahr ein paar Socken, einen neuen Schlafanzug oder andere Waren aus der Kategorie „Kreative Geschenkideen für IHN“, das nervt nicht nur, sondern führt den Kleiderschrank im Laufe der Jahre auch an die Grenzen seiner Kapazität.

Und jedes Jahr neu dann auch meine kläglichen Versuche, mich überrascht zu zeigen und zu freuen. Kennen Sie doch auch, oder? „Oh, Socken! Die wollte ich schon immer mal haben!“ Ich falle ihr um den Hals und drücke sie ganz lieb. Nicht aus Dankbarkeit, sondern aus strategischen Gründen. Seit die Kinder aus dem Haus sind, gibt’s an Heilig Abend in der Regel auch mal Sex und den will ich nicht aufs Spiel setzen.

Socken und Seife

Einmal nur war ich in den letzten Jahren ganz nah dran an wahrer Freude. Die Schlagbohrmaschine hätte ich wirklich gern gehabt. Allerdings nicht als Textildruck auf der Krawatte, sondern in echt. Zumindest konnte ich mich wenigstens an ihrem Anblick erfreuen und daran, was ich hätte haben können. Ewige Vorfreude sozusagen. So hat man von Weihnachten das ganze Jahr was.

Auf der anderen Seite stapeln sich in Katrins Kosmetikfach im Bad meine kreativen „Geschenk-Ideen für SIE“ der letzten Jahrzehnte. Das Konvolut hat sich inzwischen zu einer antiken Wertanlage entwickelt. Allein die Patina auf manchen Parfümflaschen zeigt, dass sie wirklich – wie man heute so schön sagt – „aus der Zeit“ stammen.

Okay, manchmal habe ich wohl in der Tat etwas daneben gelegen. Ich erinnere mich noch, als sie das Fläschchen „Tamara“ von Jekatarina Monstranzowa ausgepackt hatte. Frauen drücken sich da ja immer ziemlich diplomatisch aus. Ganz überrascht hat sie mich angeschaut und dann gemeint: „Das ist ja toll, dass es das auch in Flaschen gibt. Ich war bis jetzt immer der Meinung, die Russen verkaufen sowas nur in Kanistern.“

Cup und Unterbrustweite

Der Traumberuf eines jeden Mannes. Voraussetzung: Große Hände!

Ich wollte ihr auch schon mal einen BH kaufen. Sozusagen als Geschenkidee für beide. Leider konnten die Verkäuferinnen anhand meiner Personenbeschreibung nicht verifizieren, welche Größe meine Frau trägt. Die Dimensionen der Körbchen habe ich ja noch beidhändig darstellen können, aber dass es da noch eine Unterbrustweite gibt, kann ein Mann schlechthin nicht wissen.

 

 

Es interessiert mich auch nicht, was unter der Brust ist. Wenn ich eine neue Mischbatterie fürs Waschbecken brauche, schraube ich im Baumarkt doch auch nicht die Griffe ab und schaue nach, was da für Ventile drunter sind. Hauptsache dicht! Auf das, was man sieht, darauf kommt es an.

Kein Wunder also, dass mit der Vernunft des Alters auch die Tradition des Schenkens auf den Prüfstand kommt. So hatten wir letztes Jahr folgerichtig festgelegt, dass wir uns nichts schenken werden.

Konnte ich wissen, dass man bei Vertragsabschluss im Kleingedruckten auch definieren sollte, was unter „nichts“ zu verstehen ist?

Das kleine Nichts

Wir Männer gehen ja immer von uns aus und da ist das Pronomen „nichts“ gleichbedeutend mit wirklich nichts. Null, leer, Vakuum! Das ist eigentlich auch bei Frauen so. Aber nur eigentlich.

Wenn ich eine plötzliche Wesensänderung an Katrin feststelle – meist handelt es sich um diesen ausdruckslosen Blick und außergewöhnlich lange Phasen des Schweigens – frage ich sie natürlich nach dem Grund. Nicht dass ich es nicht genießen würde, wenn sie mal schweigt, aber so nun auch wieder nicht. „Ach, nichts.“, antwortet sie da.

Erst am Abend erfahre ich durch Zufall, was sich hinter diesem Nichts verbirgt. Es sind existenzielle Zweifel an meiner Wahrnehmung. In Katrins Facebook-Profil sehe ich ihr übliches Gesicht und drunter die Gratulationen ihrer 165 Freundinnen zur neuen Frisur. Ich hasse Facebook!

…hab nicht mal den Bär gefunden

Nur wenn es um Sex geht, heißt „nichts da“ mitunter sogar, dass für den Rest des Monats nichts läuft. Da bekommen die alten Weihnachtslieder mitunter eine völlig neue Bedeutung. Es heißt ja nicht umsonst: „Meine Puppe ist verschwunden, hab nicht mal den Bär gefunden.“

Nur und wirklich nur wenn es sich darum dreht, dass man sich nichts schenkt, bedeutet nichts nicht nichts, sondern „was Kleines“.

Das sollte man als Mann unbedingt wissen, bevor man sich an Heilig Abend mit leeren Händen ins Wohnzimmer begibt. Andernfalls erlebst du unterm Christbaum das gesamte Konzentrat Stress, das du in den Wochen zuvor eingespart hast.

„Wem seins is’n das da?“

Ich komme also mit nichts mehr und nichts weniger als nichts in der Hand ins Wohnzimmer. Unterm Christbaum liegt ein kleines Paket, dem ich allerdings keine Beachtung schenke, da ich gemäß der getroffenen Vereinbarung auch nichts erwarte.

Die Antwort auf meine Frage „Wem seins is’n das da?“ nehme ich zunächst nicht ernst. Das Geschenk sei für mich, meint Katrin.

Als ich sie mit dem Inhalt unserer Vereinbarung konfrontiere, kontert sie mit einem Satz, den Sie, lieber Leser, sich unbedingt merken müssen. „Das ist kein Geschenk. Nur was Kleines.“ Ehrlich – nach einer solchen Ansage denkst du gar nicht mehr ans Auspacken. Da ist im Hirn kein Platz mehr für solche Gedanken.

Nackt vorm Weihnachtsmann

Es fühlt sich an, als hätte sie mir vor den Augen des Weihnachtsmannes die Hosen runtergezogen, um dem Bärtigen was Kleines zu zeigen und im nächsten Moment mit ihm lachend durch den Kamin abzufliegen.

Was Kleines! Das Kleine liegt als schon recht mondäner Karton unterm Christbaum und du stehst davor wie ein dummer Junge, der den Geburtstag seiner Mutter vergessen hat. Wenn die Frauen wüssten, was sie mit dieser lieb gemeinten Geste anrichten. Sie setzen ihre Männer quasi unter Schock! Vorbei mit Stille und Harmonie.

Panisch kreisen meine Gedanken allein um die Frage, wo man an Heilig Abend um 16:30 Uhr jetzt noch schnell ein Geschenk bekommt. Was Kleines wenigstens.

Der Weihnachtsmarkt ist längst geschlossen. Was noch geöffnet hat, sind die Kirche und die Tanke. Da man einen Segen nicht einpacken kann, bliebt nur noch der Gutschein für einmal tanken mit Autowäsche. Aber das kann ich Katrin nicht schenken.

Ich bin es schließlich, der ihren Wagen voll tankt und damit auch ab und an zur Wäsche fährt. Und ich mach das gern. Sehr gern. Ich reiße mich sogar drum! Außer montags. Da hat der Holzwurm geschlossen und ich brauche keinen Vorwand, um das Haus mit einem wichtigen Auftrag in Richtung Schachtbahn verlassen zu können.

Verzweifelte Bescherung

Tja, was nun, kleiner Mann? Verzweifelt lasse ich meine Gedanken in der Wohnung umher schweifen in der Hoffnung, etwas zu finden, das Katrin noch nicht gesehen hat. Ein Buch oder ein Stück Seife vielleicht? Irgendwas kleines. Aber da ist nix. Auch den Gedanken, die alten Feinstrümpfe aus der Schmutzwäsche zu holen und ihr als modische Probiersöckchen einzupacken, verwerfe ich.

Hätte ich wenigstens bei Weltbild dieses dämliche Rächerhaus gekauft. Noch nie hat ein billiger Druckfehler die Wahrheit so deutlich wiedergegeben wie bei diesem Produkt. Was hätte ich mich bei Katrin für das „was Kleines“ mit was Kleinem gerächt!

Der Rächer mit dem Rächerhäuschen.

Am Ende mache ich auf dem Klo heimlich ein Selfie von mir, drucke es im Arbeitszimmer aus und überreiche es Katrin mit den salbungsvollen Worten: „Schatz, wir haben doch uns. Das ist das größte Geschenk für mich.“

Hat gewirkt. Sie hatte sogar Tränen in den Augen. Ihrer Körpersprache konnte ich nicht genau entnehmen, ob es sich um Freude, Enttäuschung oder gar Wut gehandelt hat. Weil Weihnachten ist, gehe ich sinnstiftend von Freudentränen aus.

Bei der Kleinigkeit von ihr handelte es sich übrigens um einen Gutschein zum Ausdrucken von Fotos. Tolle Sache. Den werde ich dieses Jahr nutzen, um ihr ein neues Selfie zu schenken.

Das nennt man Kreislaufwirtschaft und es beweist, dass man auch zu Weihnachten durchaus nachhaltig agieren kann. Ressourcenschonend sozusagen. Denn obwohl wir uns wieder ausgemacht haben, dass wir uns nichts schenken, werde ich mich darauf nicht verlassen. Was Kleines sollte man immer in der Hinterhand haben.

 

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