Neues aus der vierten Etage (34)

Zieht man Familienangehörige, Akteure, Platzwart, zwei MN-Spione, Pressevertreter und Physiotherapeuten ab, saßen kaum zehn Bürger auf den Zuschauerrängen in der vierten Etage. Eine Besorgnis erregende Entwicklung, deren Trend sich schon lange abzeichnet. Allein die Damen und Herren Räte haben sich mit solch wichtigen Entscheidungen zu beschäftigen, dass sie sich über die Bedürfnisse ihrer Bürger nicht auch noch Gedanken machen können. Mehr noch: Sie scheinen diese Belange nicht einmal wahrzunehmen.

Es ist schon ein paar Jahre her, dass sogar Jugendliche den Weg in den Ratssaal fanden. Heute hat man beim Betreten desselben den Eindruck, auf ein durch Glyphosat gelichtetes Baumwollfeld zu blicken.

Weißgraue Blüten neigen sich im lauen Wind säuselnder Gespräche, hier und da unterbrochen von vegetationsfreien Abschnitten, die im Widerschein der Saalbeleuchtung glänzen.

So allmählich fühlt es sich an wie eine allmonatlich wiederkehrende Mobilmachung des kommunalen Volkssturms, dessen Gefallene inzwischen schon für beträchtliche Lücken in der Frontlinie des Bürgertums gesorgt haben. Allein die wohlgenährte Generalität am Kartentisch sonnt sich in ihrer Rolle der Bedeutung, als würde sie in der ausverkauften Red Bull-Arena den Endsieg planen.

Der Volkssturm stirbt aus

Auf der Suche nach Ursachen ist das Team der Markranstädter Nachtschichten am Vortag der 34. Sitzung des Stadtrats irgendwie beim Politbüro gelandet. Da wusste man auch nie, worüber sie reden, obwohl wir per Aktuelle Kamera immer dabei waren. Einziger Unterschied: In der vierten Etage steht statt Hammer und Zirkel eine Glocke als Insignie der Macht auf dem Tisch.

Das Ansinnen, uns auf die Sitzung vorzubereiten, war natürlich (wieder) zum Scheitern verurteilt. Dass die Tagesordnung für den Bürger über keinerlei Informationswert verfügt, ist ja bereits Tradition. So stand dort beispielsweise unter Punkt 10: „Entgeltordnung für die Nutzung der Stadtbibliothek Markranstädt“.

Bevor man wertvolle Lebenszeit opfert, um an einem Event teilzunehmen, möchte man ja ganz gerne wissen, worum es da geht. Ein Rolling-Stones-Fan fährt ja auch nicht mal eben auf gut Glück in die Berliner Waldbühne, um dort möglicherweise zu erfahren, dass an diesem Tag gerade Helene Fischer auftritt.

Atemlos durch die Nacht

Okay, für weiterführende Informationen gibt es ja seit kurzem das Ratsinformationssystem der Stadt. Also Computer angetreten und rein da. Aber was muss man da sehen? Mit mehr als zwei Worten schwer zu beschreiben, was man da an Ratsinformationen bekommt.

Schauen Sie es sich am besten selbst mal an. Einfach hier draufklicken dann auf „Vorlage“ und bitte nicht staunen. Das Formular wird sicher hinterher noch ausgefüllt. Aber was sollte da eigentlich beschlossen werden?

Entgeltordnung für die Stadtbibliothek Markranstädt? Das ist doch keine Beschlussformulierung. Nicht mal ein ordentlicher Satz ist das! Was also möge der Stadtrat ohne Subjekt, Objekt und Prädikat beschließen?

Entgeltordnung! Wird sie aufgehoben, geändert oder gibt’s gar eine neue? Sollen die Gebühren gesenkt, erhöht oder abgeschafft werden? Oder soll gar lediglich die Rechtschreibung auf den Prüfstand kommen? Nichts Genaues weiß man nicht. Zumindest nicht als Bürger.

Worum es geht, das erfährst Du, liebe Bürgerin und lieber Bürger, vielleicht oder vielleicht auch nicht, wenn Du hin gehst. Wenn Du viel Glück hast und die Ohren aufsperrst, kannst Du den Dialogen Deiner Abgeordneten möglicherweise sogar entnehmen, um welche Beträge es da geht.

Beschlüsse in Befehlsform

Da muss aber jemand von denen auch dummerweise mal die Zahl nennen und während sie fällt, sollte in eben diesem Moment auch nicht irgendwo ein Handy klingeln, dass Dich unversehens in besagtes Helene Fischer-Konzert in die Waldbühne versetzt.

Der Beamer an der Wand brennt derweil mit nahezu stoischer Konstanz die Tagesordnung in die unschuldige Leinwand ein, was als Zeugnis transparenter Kommunalpolitik reichen muss. Da ist es kaum verwunderlich, dass niemand mehr daran interessiert ist, sich sowas live anzutun.

Zu Hause läuft derweil die Miete weiter und wer will außerdem schon kostbare Lebenszeit investieren, um sich so demütigen zu lassen oder als Kulisse für die Erfüllung des Sendungsbewusstseins Einzelner herzuhalten? Nö, so wird das nichts mit einbringen und mitgestalten. Nicht mal mit zuhören.

By the way: Am heutigen Freitag steigt die diesjährige Ratsversammlaung der Markranstädter Nachtschichten und weil wir sowohl aus eigenen als auch den Fehlern Anderer lernen möchten, gibt es da eine konkret formulierte Beschlussvorlage.

Erklär-Bär auf Abschieds-Tournee?

„Wollen wir es weiterhin vor unserem Gewissen verantworten, dass wir künftig noch jemanden aus unseren Reihen zwingen, in die vierte Etage aufzufahren, um Zeit zu vergeuden und sich verarschen zu lassen?“ Es kann also sein, dass dies der letzte Beitrag aus dem Ratssaal ist.

Zurück zur Sitzung. Die Darstellung dessen, was so beschlossen wurde, übernimmt wie immer die Qualitätspresse. Aus satirischer Sicht vielleicht noch so viel:

Die Gebühren für die Nutzung der Stadtbibliothek werden steigen. Das mitzukriegen, war zwar anstrengend, aber dennoch so vorhersehbar, dass dieser Textteil von unserem Autoren schon am Tag zuvor selbstbewusst und ganz ohne Glaskugel in die Maschine gehämmert wurde. Ebenso wie die Erhöhung der Kita-Gebühren bis zur erlaubten Höchstgrenze.

Bei der Vielzahl der genannten Zahlen und Gegenvorschläge sowie der Geschwindigkeit, mit der die Betriebskosten für Kinder auf den Ratstisch gespuckt wurden, war es schwer, irgendwie zu folgen. Am Ende ist es aber wohl so, dass Eltern für Krippenkinder nun 12,73 Euro und für den Kita-Platz 16,17 Euro mehr berappen müssen.

Zählt man Betreuungskosten von über 200 Euro, Klamotten, Essen, Schulzeug (auch der Hort wird teurer) und alles andere zusammen, fällt es schwer, da noch von einem Kind zu sprechen.

Skalpell als Geldanlage

Man leistet sich da wohl eher einen gut bezahlten Angestellten. Schon für die Hälfte bekommt man heute eine solide ausgebildete Haushaltshilfe und muss sich nicht mal Sorgen machen, wenn die Fieber kriegt.

Unser Rat: Vergessen Sie die Riester-Rente, Vorsorgepläne oder irgendwelche Fonds. Die beste Geldanlage unserer Zeit ist die Sterilisation. Egal ob Frau oder Mann, die Renditen sind langfristig gesehen unschlagbar und bewegen sich im sechsstelligen Bereich!

Und wer gegen den Nestbau-Trieb partout nicht ankämpfen kann, dem bleiben im Rahmen unserer Willkommenskultur noch ausreichend Alternativen. Die heißen zwar alle umA, sind dem Vernehmen nach aber dankbarer als so manch arischer Kevin mit Spraydose und Bildungsdistanz und außerdem billiger zu betreuen.

Geheimhaltung als PR-Instrument

Die Baustellen und Straßensperrungen haben inzwischen solche Dimensionen erreicht, dass ihnen diesmal sogar ein eigener Punkt in der Tagesordnung gewidmet wurde. Ebenso wie dem Engagement von Renate Röder, der Jens Spiske die „Sächsische Ehrenamtskarte“ verlieh.

Vielleicht wären es ihre Ausführungen zum Thema „die deutsche Sprache ist der Schlüssel zur Integration“ wert gewesen, sie einem etwas breiterem Publikum vorzustellen?

Leider war mehr als „Verleihung der Sächsischen Ehrenamtskarte an Frau Renate Röder“ vorab auch hier weder der Tagesordnung noch dem Ratsinformationssystem zu entnehmen. Und nur auf den Verdacht hin, dass Frau Röder vielleicht kostenlos Weihnachtskalender repariert, wollte wohl kein Markranstädter auf die Tagesschau verzichten. Irgendwo verständlich…

 

3 Kommentare

    • jabadu auf 6. November 2017 bei 21:43
    • Antworten

    Es ist wirklich erstaunlich wie es euch gelungen ist, aus dem Stroh der Sitzungen im Oberhaus noch etwas Saft zu pressen. In eine Flaschen abgefüllt kann das, was man da rauszuholen in der Lage ist, nur ein sehr trockener „Rauthauser vom südlichen Markthang“ werden. Dazu kommt noch, dass mit dem Erklimmen der vielen Stufen in die Höhe der vierten Etage, die geistige Tiefe rapide abnimmt.
    Ich kann euch verstehen, dass ihr die Lust am Berichten verliert.
    Und das Rats- und Bürger-Suchsystem der Stadt kannste ja voll vergessen. Selbst unter Anwendung ausgefeiltester Abfragekriterien für Datenbanken gab es immer dasselbe Ergebnis „Die angegebenen Suchbegriffe führten zu keinem Ergebnis. Bitte überprüfen Sie Ihre Suchanfrage.“ Sogar ein nachgeschalteter Kaffeefilter führte zu keiner Klärung.
    Es scheint wohl doch wahr zu sein, im Rathaus sitzen die Drei, na ihr wisst schon, nichts sehen, nichts hören und nichts sagen. Vom Rathaus werden wir also in Zukunft immer mehr Weniger hören, falls noch weniger überhaupt geht.

    • Manfred Schwung auf 5. November 2017 bei 18:31
    • Antworten

    EINE TRANSPARENZ WIE EINE „GEHEIME KOMMANDOSACHE AUS DEM FÜHRUNGSBUNKER DER BUNDESWEHR“!!!!

    Ja, nach 1.444 Tagen Amtszeit (Gott sei Dank mehr als die Hälfte) hat dieser Bürgermeister seine in über 27 Jahren gelernte Vergangenheit im „stabsmäßigen, geheimen und alleinbeanspruchenden Stil“ als ehemaliger Oberfeldarzt und Offizier der Bundeswehr, weder verlernt noch abgelegt! Nicht erst jetzt treten die vielen vollmundigen aber nicht eingehaltenen Wahlversprechen von 2012 des Bürgermeisters, wie Transparenz, Bürgernähe, sachbezogene Offenheit und vieles mehr in ihrer breiten negativen Wirkung wie die „Markranstädter Nachtschichten“ wiederholt und auch jetzt wieder treffend mit großer Satire, die Situation beschreiben, zu Tage!
    Nicht nur die gefühlt tatsächlichen fünf bis sechs Bürger, die in früheren Zeiten oftmals mit 10-fache Anwesenheit aufmerksam ihr Interesse an der Stadt bezeugten, sondern auch das stillschweigende Wohlwollen ALLER Fraktionen und Stadträte an dem „geheimen Bundeswehrstil des Bürgermeisters“ nur keine Fakten/Zahlen/Ergebnisse/Aufgaben/Ziele wahrheitsgemäß, klar und eindeutig in der Öffentlichkeit zu nennen, gibt die skandalöse Situation im Ratssaal wieder! Das von den MN angesprochene, nichtssagende Markranstädter Rats- und BÜRGER Informationssystem ist eine Farce! Jeder kann sich dazu im o.g. MN-Artikel mal das Rats- Informationssystem der Stadt Leipzig aufrufen, um z.B. im Vergleich eine komplette (mit allen Anlagen) Vorlage zum B-Plan „Erholungsgebiet Kulkwitzer See“ Vorlage –VI-DS-04454 zum prekären Thema: „Privatisierung verschiedener Strandabschnitte am Kulki“ durch lesen! Undenkbar in Markranstädt!!!!
    Da, nach über 16 Monaten weder der Akteneinsichtsausschuss noch die Stadträte und die Öffentlichkeit schon gar nicht, trotz vielfachen Versprechen des Bürgermeisters, über die Schuldfrage der etwa 500 T Euro Mehrkosten am Grundschulanbau aufgeklärt sind, habe ich mich bei den Protagonisten zum Thema rückversichert, die mir diesen offenen Sachstand auch bestätigten! Deshalb habe ich folgende Bürgerfragen zur hier behandelten SR-Sitzung gestellt:
    Nennen Sie uns hier und heute, wann Sie als Bürgermeister die am 26.10.17 von Ihnen abgesagte Beratung zum Thema: „ Schuldfrage Mehrkosten Grundschulanbau“ zeitnah nachholen und ein Ergebnis daraus der Öffentlichkeit vorlegen?
    Eine zweite Frage betrifft das gleiche Thema:
    Allen hier Anwesenden ist hinreichend bekannt, dass Sie egal aus welchen Gründen wichtige Dokumente/Unterlagen zum Thema: „Aufklärung Mehrkosten Grundschulanbau“ dem Ausschuss aber auch der Arbeitsgruppe Akteneinsicht wie in den Niederschriften nach zu lesen ist, vorenthalten haben! Nach Rücksprache bei Mitgliedern dieses Ausschusses und der Arbeitsgruppe Akteneinsicht liegen dort auch nach über 16 Monaten nicht alle von Ihnen zurück gehaltenen Dokumente/Unterlagen vor! Wann werden diese zwingend erforderlichen Unterlagen zur Beurteilung der Schuldfrage und Schadensersatzproblematik von Ihnen den Stadträten übergeben?
    Zuerst betonte Herr Spiske, dass es möglicherweise erst einen neuen Termin 2018, d.h. nach über 18 Monaten geben wird und dass ALLE Unterlagen den Stadträten vorliegen!!!!!!!! Diese Aussage haben ALLE Stadträte wohlwollend ohne Kommentar hingenommen! Nun bleibt uns Bürger nur zu hoffen, dass Herr Spiske in seiner 1.111 Tage Restamtszeit diese Fragen noch löst!?!?!?!?

    Ammerkung der Markranstädter Nachtschichten: Die Kritik an der Tatsache, dass Bürger im Zuge der Ratssitzungen über die dort behandelten Thematiken nicht ausreichend informiert sind, bezieht sich nicht auf den Bürgermeister oder die Verwaltung. Diese kommen ihrer Informationspflicht – wenn auch auf minimalster Ebene – nach. Das erwartete „Mehr“ an erforderlichen Informationen ist nicht Pflicht der Verwaltung , sondern Kür. Deshalb darf man als Bürger erwarten, dass der Stadtrat hier einmal Impulse gibt und sich dafür einsetzt, dass die anwesenden Bürgerinnen und Bürger auch verstehen können, worum es in den einzelnen Punkten geht.

    • Ureinwohner auf 3. November 2017 bei 12:09
    • Antworten

    Die Transparenz ist nur noch Worthülse.
    Man könnte den Ratssaal auch umbenennen in Geheimratsecke.
    Fragen unerwünscht!
    Wer dennoch wagt zu fragen, sollte nicht mit Antworten rechnen.
    Alles wie früher, nennt sich jetzt nur anders.

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