Der Alte und Rohr: Wenn das keine Geschichte ist? (Teil 2)

Was bisher geschah: Lokomotive Leipzig steht im Finale des Europapokals der Pokalsieger 1987 gegen Ajax Amsterdam. Niemand hatte dran geglaubt, dass Lok im Pokalwettbewerb überhaupt durch den Winter kommt. Nun schreibt man Mai, in Athen ist’s heiß und der Rat des Kreises Erlangen verweigert adidas die Erteilung eines Textil-Kontingents. Unter den Lieferengpässen im Westen droht Lok der Hitze-Kollaps.

Kurzerhand hatten die Lok-Schneider von den teuren Westtextilien die Arme abgeschnitten und umgenäht. Wieder einmal wurde der Welt Zeugnis abgelegt von der Improvisationskunst der Ostgermanen und dem Erfindungsreichtum Leipziger Freigeister.

Der Europacup-Finalist von 1987 lief sozusagen in selbstgeschneiderten Klamotten auf, während heute sogar Drittliga-Auswechsler nicht mehr ohne ihren persönlichen Friseur in den Bus steigen. Aber das war längst noch nicht alles.

Adidas lieferte auch die Fußballschuhe. Die hatten im Laufe der Saison jedoch ziemlich gelitten und was lag näher, als ein europäisches Finale zum Anlass zu nehmen, auch seine Füße standesgemäß einzukleiden?

Diesmal ließen sich die adidas-Herren erweichen und schickten … nein, keine neuen Fußballschuhe. Statt dessen gab es Pinsel und Lederfarbe.

Handbemalte Fußballschuhe

Damit sollten die weißen Streifen auf den ausgelatschten Tretern nachgezogen werden, damit man auch im Fernsehen weltweit gut erkennen kann, trotz welcher Sohlen Leipzig nach Athen geschlichen war.

Das Ende ist bekannt. Ajax Amsterdam hat den Eumel gewonnen und während Gernot Rohr einst sogar zwei Flaschen Rotwein ans Flugzeug brachte, hat Marco van Basten nicht mal einen holländischen Joint in der Lok-Kabine kreisen lassen. Leipzig hat trotzdem gefeiert.

Bitte um letztes Geleit

Im Jahr darauf beendete Gernot Rohr seine Karriere. Es sollte am 8. Juli 1988 ein großes Abschiedsspiel geben und Rohr durfte gegen Bayern München alle Spieler einladen, die ihm in seiner Laufbahn wichtig waren.

Auch Wolfgang Altmann, der zu diesem Zeitpunkt schon in Markkleeberg seine Schuhe schnürte, stand auf der Liste. Weil Rohr die Befindlichkeiten der DDR-Funktionäre kannte, ließ er von Girondins Bordeaux eine offizielle Einladung ausstellen.

Leipziger Allerlei statt Austern

Das war für die Sportgewaltigen der DDR natürlich ebenso ein Fauxpax wie für die politische Society. Während Honecker seit Jahren vergeblich auf eine Einladung des französischen Präsidenten zum Austern schlürfen wartet, wird einem Libero aus Markranstädt der rote Teppich ausgerollt? Das geht ja gar nicht!

Wolfgang Altmanns Einladung von Girondins Bordeaux zum Abschiedsspiel Gernot Rohrs gegen Bayern München. (fürs ganze Dokument einfach drauf klicken)

Die Antwort, die eigentlich keine Antwort war, überraschte deshalb nicht wirklich. Der DFV der DDR teilte der TSG Markkleeberg durch seinen Generalsekretär Wolfgang Spitzner mit, dass er eine Teilnahme des Sportfreunds Altmann nicht befürworten könne.

Eine entsprechende Absage an Girondins Bordeaux sollte die TSG Markkleeberg aber gefälligst selber schreiben. Als Gedankenstütze für eine Ausrede bot Spitzner abschließend noch „terminliche Schwierigkeiten“ an und schloss seinen Brief zünftig „mit sportlichem Gruß“.

„… teile ich Dir mit, dass vom Deutschen Fußball-Verband der DDR die Teilnahme des o.g. Sportfreundes an diesem Spiel nicht befürwortet werden kann.“ (das ganze Dokument öffnet sich nach dem Klick auf dieses Bild)

Nur knapp anderthalb Jahre später hatte die Geschichte solche Sportlichkeiten überholt. Kaum waren die ersten Mauerbrocken auf den Berliner Todesstreifen gefallen, klingelte bei Altmanns in Markranstädt das Telefon. Rohr am Apparat.

Bordeaux: sofort … unverzüglich

Es wäre doch jetzt eine ganz gute Gelegenheit, mal auf einen Abstecher nach Bordeaux zu kommen, meinte er. Altmann fand die Idee gut und fragte, wann es ihm passen würde.

An Rohrs Antwort kann sich der Leipziger Verteidiger nur noch schemenhaft erinnern. Es klang so wie: „Nach meiner Kenntnis ist das … sofort … unverzüglich.“

Kaputte Pappe auf Zentralmassiv

Es wurde dann allerdings doch erst Sommer 1990, bevor Altmann zum ersten Mal an der Wohnungstür seines Sportsfreundes klingelte. Dafür folgten dann gleich zwei weitere Besuche.

Rohr wünschte sich das „Auto des Jahres“ und Altmann fuhr ihm persönlich gleich zwei solcher Trabis über die rund 1700 Kilometer lange Strecke von Markranstädt in den tiefen Südwesten Galliens.

Gleich bei der ersten Fuhre und ausgerechnet auch noch unmittelbar am französischen Zentralmassiv, stieg ein Zylinder aus. „Ich habe mich mit 10 km/h auf dem Standstreifen da hoch geschleppt.“, erinnert er sich noch heute gut an dieses Erlebnis, während sich bei diesen Gedanken sogar wieder Schweißperlen auf seiner Stirn bilden.

Sonntag um 6 Uhr in Markranstädt losgefahren, kam er am Montag um 19 Uhr bei Rohr an und der war gar nicht zu Hause. Statt dessen ein Zettel an der Tür: „Bin gleich wieder da. Schlüssel liegt unterm Fußabtreter.“ Sowas funktioniert nur unter wahren Freunden!

Bei soviel gemeinsamen Erlebnissen wird der deutsch-französischen Verbindung zwischen Wolfgang Altmann und Gernot Rohr auch die Zukunft nichts anhaben können. Erst im letzten Jahr trafen sich beide Männer wieder. Nicht in Markranstädt oder Bordeaux, sondern im Kanzleramt in Berlin.

Berlin 2016: Frank Walter Steinmeier ernennt Gernot Rohr zum Botschafter des deutschen Fußballs. (screenshot: youtube)

Der inzwischen mit der französischen Staatsbürgerschaft ausgestattete Gernot Rohr erhielt den Ritterschlag als „Botschafter des deutschen Fußballs“. Neben Wolfgang Altmann wohnte auch die helvetische Schiedsrichter-Legende Urs Meyer der Zeremonie bei.

Urs Meyers Tante aus Markranstädt

Als sich Altmann und Rohr am Rande über alte Zeiten und kommende Pläne unterhalten, schnappt Urs Meyer das Wort „Markranstädt“ auf und gibt zum großen Erstaunen der beiden Fußballer preis, dass ihm das kleine Kaff zwischen Zschampert und Floßgraben nicht unbekannt ist. Mehr noch: Er sei öfter schon mal in Markranstädt gewesen, weil hier seine Tante wohnt.

Drei Fußball-Legenden im Berliner Kanzleramt: Von links nach rechts: Urs Meyer, Wolfgang Altmann und Gernot Rohr.

Das muss man sich mal vorstellen: Urs Meyers Tante wohnt in der gleichen Stadt wie Gernot Rohrs Kumpel und das kommt im Kanzleramt erst 45 Jahre nach einer denkwürdigen Begegnung in einem mährischen Hotel in Gottwaldov zufällig ans Licht. Wenn das keine Geschichte ist.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.