Neues aus der vierten Etage: Verschwundene Akten und FKK im Stadtbad

Im öffentlichen Dienst soll der Montag bekanntlich der arbeitsreichste Tag sein, weil da immer gleich drei Kalenderblätter auf einmal abgerissen werden müssen. In Markranstädt begann die Woche diesmal aber sogar mit einer echten Sonderschicht: Stadtratssitzung am Montag – das war nicht nur für die Volksvertreter mal eine völlig neue Erfahrung.

Neben den üblichen Verdächtigen hatten sich auch einige neue Gesichter im Ratssaal eingefunden. Demokratie hautnah erleben, oder so ähnlich, lautete wohl der fromme Wunsch.

Volker Kirschner hatte den Wissensdurst der Neuen mit seinem sensiblen Verständnis für die Belange pflegebedürftiger Patienten sofort erkannt und führte sie zunächst in die Grundlagen der Basisdemokratie ein. „Auch wenn es inzwischen zur Gewohnheit geworden scheint, dass ich hier vorn sitze, möchte ich betonen, dass ich nicht der Bürgermeister bin, sondern immer noch Stadtrat“, klärte er die neuen Gäste zur Erheiterung des Stammpersonals auf. Am Ende seiner kurzen Präambel wies Kirschner darauf hin, dass die Bürgermeisterin erneut krankheitsbedingt verhindert sei.

Sorge und Anteilnahme

Dem Raunen im Publikum war aufrichtige Anteilnahme am tragischen Schicksal ihrer Stadtoberhäuptin zu entnehmen. Mit besorgten Mienen wurde darüber getuschelt, welch heimtückische Krankheit es denn sein könne, die es ihr seit einem Vierteljahr nicht erlaubt, Stadtrats- oder Ausschusssitzungen zu leiten, gleichwohl aber eine nahezu lückenlose Fotodokumentation über zwischenzeitlich wahrgenommene Repräsentationstermine wie den Feuerwehrball, runde Geburtstage, einen Workshop mit der Sozialministerin oder flammende Osterfeuer vorzulegen.

Fragen hier, Fragen da

Aber wenn selbst die Rechtsaufsicht bereit ist, Anweisungen gegenüber der Stadt wegen Krankheit der Bürgermeisterin um gleich mal ein dreiviertel Jahr im Voraus zu verlängern, sollten spätestens damit alle Zweifel verstummen. Was sollen denn die jungen Demokraten im Publikum denken, wenn es heißt, dass in Markranstädt sogar das Landratsamt nicht mehr ernst genommen wird?

Die hatten ohnehin schon genügend Fragen mitgebracht. So wollten sie beispielsweise erneut wissen, warum vom Stadtrat und aus dem Rathaus niemand an den jüngsten Demonstrationen für Menschenrechte in Markranstädt teilgenommen hat.

Und in der Tat scheint das sehr nötig zu sein. Wenn erwartet wird, dass sich Menschen öffentlich dafür erklären müssen, warum sie an einer Demo teilgenommen haben oder nicht, dann ist es wirklich höchste Zeit, wieder mal für Menschenrechte mobil zu machen.

Ähnlich unterhaltsam wurde es nur einmal noch in der Sitzung. Satte 180.000 Euro sollten zurückgestellt werden, um eine Klage des Bautzener Unternehmens abzusichern, das die ersten Planungen für das neue Stadtbad erstellt hat, bevor es zurück in die sorbische Wüste geschickt wurde.

Halb gewonnen, halb zerronnen

Hier war Mathematik gefragt. Weil das „Prozessrisiko bei 50 Prozent liegt“, wollte das Rathaus die Hälfte des Streitwertes schon mal vorsorglich beiseite legen. Die Stadträte rechneten mehrheitlich anders. Entweder man verliert und zahlt alles oder man gewinnt und löhnt nichts. Also muss sich die Kämmerei jetzt Gedanken machen, wo sie den gesamten Streitwert in Höhe von 360.000 Euro abzweigt.

Diese Gelegenheit ließ sich der Akteneinsichtssausschuss nicht entgehen, um gleich die nächste Bombe platzen zu lassen. Das Gremium wurde im vergangenen Jahr gebildet, weil inzwischen kaum noch jemand zu wissen scheint, was beim Stadtbad gehauen und gestochen ist.

Ausschuss wirft hin

Der Ausschuss sollte durch Aufarbeitung der Akten Licht ins Dunkel bringen. Doch statt froh zu sein, dass sie nur lächerliche drei der rund 15 Ordner vorgefunden haben und auf diese Weise schnell Feierabend hatten, klagten die Ausschussmitglieder den Stadträten nun ihr Leid.

Neuer Haarschnitt für die Akten?

Demnach waren 12 Ordner plötzlich spurlos aus dem Bauamt verschwunden und im Rathaus habe man sich deren Verbleib ebenfalls nicht erklären können. Selbst für das Mysterium, woher und wie die Akten zwei Wochen später wie von Geisterhand getragen wieder an ihren Platz gelangen konnten, hat niemand eine plausible Erklärung.

Statt dessen hatte aber der Ausschuss eine Erklärung mitgebracht, allerdings mit einer bedingungslosen Kapitulation als Inhalt.

Die Kapitulationserklärung

Wörtlich heißt es darin, dass „das Vertrauen und die Gewissheit in die Vollständigkeit der Akten“ fehlt und man die Arbeit daher nicht fortsetzen werde. Frei aus dem Juristendeutsch übersetzt: Der Ausschuss befürchtet, dass die Papiere zwischendurch beim Friseur waren und legt deshalb seine Arbeit nieder.

Das klärt sich von allein

Auch hier lernten die jungen, nach Demokratieerfahrungen lechzenden Besucher der Sitzung wieder etwas dazu: Was in jedem C-Krimi auf Netflix binnen drei Minuten für den Hubschrauber-Einsatz eines SEK sorgt, ist in der Markranstädter Realität ein Routinevorgang, den man auch ganz ohne Ermittlungsbehörden nicht aufklären kann.

Zumindest das nächtliche Treiben an den sozialen Brennpunkten der Stadt hat sich auf Anfrage eines Stadtrats geklärt. Das Security-Unternehmen ist seit Oktober raus aus dem Vertrag, Aktuell, also schon ein halbes Jahr später, laufe bereits eine Neuausschreibung.

Finanziell auf Siegeskurs

Und dennoch war diese Montagssitzung des Stadtrats eine der erfolgreichsten Veranstaltungen der letzten Jahre. Nachdem die 180.000 Euro für den Rechtsstreit um das Stadtbad abgeschmettert wurden, sollen nichtöffentlich nochmal 65.000 Euro für die Abfindung einer in Ungnade gefallenen Rathaus-Mitarbeiterin eingespart worden sein. Zwar muss die Ärmste demnach jetzt offiziell weiterarbeiten, aber erstens ist geteiltes Leid halbes Leid (weil auch die Chefin weiter mit ihr arbeiten muss) und zweitens blieben nach diesem Abend in der vierten Etage damit unterm Strich satte 245.000 Euro im Stadtsäckel.

Auf 12 Sitzungen gerechnet, könnten bei konsequenter Fortführung dieses Kurses stolze 2,9 Millionen Euro pro Jahr auf der Haben-Seite stehen. Oder anders gesagt: In drei Jahren hätten wir ein Hallenbad mit Fußbodenheizung, FKK-Bereich und kostenlosem Bikiniverleih.

33 Kommentare

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  1. Mir fehlen einfach nur die Worte, so viel Realsatire auf einem Haufen. Gut dass ihr die Fakten so schön verpackt, manches lässt sich eben nur im Spaß ertragen!

    1. Passen Sie aber trotzdem auf, dass Sie den Verpackungsmüll richtig trennen und vorschriftsmäßig entsorgen. Ihr Nachbar (der hinter dem Fernglas) führt Buch!

  2. In 2024 gibt’s nur 9 Sitzung. Es dauert also etwas länger bis zur Schwimmhalle 🙂

    1. So lange noch kein Wasser drin ist, kann man das Bad je auch gewinnbringend an die AOK vermieten – fürs Beckenbodentraining.

    • Bernd Hollwitz auf 15. April 2024 bei 9:20
    • Antworten

    Also ich fand den Einstieg mit den drei Kalenderblättern sehr lustig :)!
    Das andere ist ja eher ein Trauerspiel. Geld für Gerichtsverfahren usw. Gruselig – Gruselig

    1. Na kommse: Der Schluss ist doch auch ganz lustig, oder nicht?

    • Xt'Tapalatakettle auf 14. April 2024 bei 17:52
    • Antworten

    „Sei froh, es könnte schlimmer kommen.“
    Ich war froh.

    Und es kam schlimmer.

    Was muss in den armen Teufeln vorgehen, die immer noch im Maschinenraum den gekenterten Tanker am Laufen halten?

    1. „Schraubengeräusch von rechts, kommt schnell näher, Herr Kaleun!“

        • Xt'Tapalatakettle auf 15. April 2024 bei 12:48
        • Antworten

        Das muss das Boot abkönnen.

        1. Eine Schippe Sand! Der liebe Gott hat uns eine Schippe Sand unter den Kiel geschmissen.

    • Lachlerche auf 14. April 2024 bei 12:59
    • Antworten

    Die Königin sollte dem Beispiel des Englischen Königshauses folgen und offen mit ihrer wahrscheinlich schweren Krankheit umgehen und endlich mal eine Videobotschaft an das Volk herausgeben. Das Selbstmarketing auf Kosten des gemeinen Homo markransis ist ihr doch in den letzten Monaten in Anbetracht der zahlreichen Fototermine nicht abhanden gekommen. Es wird also höchste Zeit. Warum möchte sie denn auf Genesungswünsche, Blumen und Aufmerksamkeit verzichten? Macht sich im Wahlkampf doch recht gut!

    1. Englisches Königshaus als Vorbild? Keine schlechte Idee. Nur wo kriegen wir den Rittmeister her?

    • Heiko Küster auf 14. April 2024 bei 12:12
    • Antworten

    Eigentlich ist das Dilemma mit dem Stadtbad doch nur die logische Fortsetzung der dilletantisch begonnenen Startphase. Wir erinnern uns: Irgendein (sehr teures) Konzept wurde, ohne groß zu hinterfragen, ausgewählt und darüber abgestimmt(wir erinnern uns gerne an die Verkleinerung des Schwimmerbeckens – weil´s im Westen so gemacht wurde ist das (qualitativ?) richtig???) und zuallerst wurden Tatsachen geschaffen, indem das Planschbecken weggerissen und die (schützungswürdigen!!!) alten Umkleidekabinen „weggebombt“ wurden. Jetzt hinterher rumheulen und (unendlich) traurig sein – genau mein Humor!!!
    Wann beginnen wir endlich mal unsere gewählten Volksvertreter für den Unsinn, den sie z. T. verzapfen, kritisch zur Rechenschaft zu ziehen? Und sei es nur mit „Nichtwahl“ der üblichen Verdächtigen bei der nächsten Stimmabgabe!!!

    1. In Sachen Humor fahren wir augenscheinlich auf der gleichen Linie. …und dabei fängt der Spaß erst so richtig an.

      1. Alle guten Dinge sind drei. Wie wäre es mit noch einem Versuch, Heer Küster.
        Es gibt da ja noch ein paar Optionen, auch neue.

        1. Beides geht nicht. Sie müssen sich schon entscheiden, Miss Elly: Volkssturm oder neue Optionen.

  3. Wenn es doch nur Geschichten wären, aber leider ist die Realität zum Schaudern. Dann wird es spannend, wenn ab Sommer der neu gebildete Stadtrat Funktionen in der Verwaltung überprüft und an der richtigen Stelle einsetzen kann, wenn dann noch Personal vorhanden ist.

    1. Sie dürfen nicht auf die Realität schauen, damit versauen Sie sich den ganzen Tag. Machen Sie’s wie wir und erfinden Sie sich Phantasie-Geschichten. Die glaubt einem sowieso keiner.

    • Ralf Dell auf 13. April 2024 bei 13:37
    • Antworten

    Zum nächsten Stadtrat wird Frau Stitterich ja vielleicht wieder teilnehmen. Ich komme ggf. auch. Ich möchte nur zwei oder drei Fragen als Bürger stellen.
    Möglicherweise wird dann einiges klarer.

      • Beate Lehmann auf 14. April 2024 bei 22:09
      • Antworten

      Hallo Herr Dell, Sie haben als Ortsfremder keine Rederecht in der Bürgerfragestunde. Das haben nur Markranstädter Bürger oder die Vertreter von Vereinen und Firmen. Da es rechtens ist, sich als Kandidat auf eine Liste zu setzen und von vornherein das Mandat nicht annehmen zu wollen, ist es auch korrekt, wenn Ihre Fragen eine von Ihnen beauftragte Person vorbringt. Viele Grüße nach Sachsen Armut

        • Ralf Dell auf 15. April 2024 bei 10:43
        • Antworten

        Schwierig. Ich kann mich schlecht entscheiden zwischen dem Markranstädter Carneval Club e.V. und dem Markranstädter Oldtimerverein. Richtungswechsel e.V. klingt auch gut.

        Die Kosten für eine Tierpatenschaft pro Jahr:

        Huhn: 30 EUR
        Katze: 80 EUR
        Hase: 25 EUR
        Meerschweinchen: 25 EUR
        Schwein: 280 EUR
        Ziege: 280 EUR
        Alpaka: 400 EUR

        Ich ziehe ernsthaft die Patenschaft für eine Ziege in Erwägung.

        1. Aufpassen, die Tiere sind wählerisch. Erst letztens soll sich ein Kandidat für eine Tierpatenschaft interessiert haben, weil sich sowas auf dem Wahlkampf-Flyer gut macht. Das Ende vom Lied: Nicht mal das Meerschweinchen war bereit, für ihn 25 Euro auszugeben.

          • Frank Helge Meißner auf 15. April 2024 bei 12:39
          • Antworten

          Warum denn in die Ferne schweifen? Wenn Fragen an mich gehen, stelle ich sie dann sehr gerne im öffentlichen Teil der nächsten Ratssitzung .

            • Ralf Dell auf 16. April 2024 bei 8:05

            Fragen Sue einfach, warum Bauplanung Bautzen eigentlich geschasst wurde.

            • CvD auf 16. April 2024 bei 23:29

            Zitat: „Teile der Antwort, so de Maizière weiter, würden „die Bevölkerung verunsichern“, andere Teile die künftige Arbeit der Sicherheitsbehörden erschweren.“ 🙂 🙂 🙂

    • Erdmännchen auf 13. April 2024 bei 10:43
    • Antworten

    Ich habe mich gerade beim zweimal lesen erwischt. Dabei scheint die Perlenkette, die sich hier aufreiht, noch gar nicht vollständig zu sein. Man denke nur an die Gerichtsprozesse, die die Stadt um die Ohren gekriegt hat und an die zahlreichen Mitarbeiter, die von ihrem Arbeitsplatz verjagt worden sind oder das Rathaus „freiwillig“ gen Leipzig verlassen haben.
    Für das Landratsamt und die Landesdirektion und auch für die Qualitätspresse scheint das alle zu wenig zu sein.
    Man kann nur hoffen, dass dem gemeinen Homo Markransis die Gefahr bewusst ist, die in der nächsten Kommunalwahl lauert und er genau hinschaut, wer auf welcher Liste herumtanzt.
    Wenn die ungebremste Talfahrt so weiter geht und nach der Kommunalwahl noch rasanter wird, sollte man sich langsam auf seine neue Adresse einstellen: Leipzig OT Markranstädt.

    1. Also wer das sogar zweimal liest, hat muss schon ’ne echt masochistische Ader haben. Literatur-Tipp: Lesen Sie lieber mal die „Venus im Pelz“.

    • Bürgerin auf 13. April 2024 bei 9:46
    • Antworten

    Echt gruselig, was so im Haupthaus von Markranstädt abgeht. Vielleicht sollte ein Geisterjäger zum Einsatz kommen. Dessen Gage ist ja locker von den eingesparten Mitteln zu begleichen. Nach erfolgreichem Einsatz kann endlich wieder Ruhe einkehren und die wichtigen Aufgaben für die Stadt in Angriff genommen werden.

    1. Ghost-Busters in Lallendorf, tolle Idee. Ach, die Geister, die ich rief…

    • Jens Spiske auf 13. April 2024 bei 9:02
    • Antworten

    Traurige Geschichte satirisch gekonnt erzählt. Mich macht das traurig.

    1. Andersrum wird ein Schuh draus: Satirische Geschichte, traurig gekonnt erzählt.

    • Wanderer auf 13. April 2024 bei 7:37
    • Antworten

    Wen wundert das in M. noch? In vermeintlich besseren Zeiten gehr’s hier auch nur bergab. Die einzige Hoffnung: Täler gibt’s nur, weil Berge sie umgeben. Und die muss man irgendwann mal wieder hoch. Nur wer ist Bergsteiger? Den könnte man ja wählen. Oder?

    1. Sie sollen sich ja auch nicht wundern, sondern bergsteigen.

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