Was bisher geschah: Für eine Reportage über Gesundheitsvorsorge haben wir einen verdeckten Patienten in eine Praxis eingeschleust. Leider sind die Dinge dort außer Kontrolle geraten und so muss unser Mann, um die Vorgänge für die Nachwelt zu dokumentieren, schließlich im wahrsten Sinne des Wortes seinen Arsch hinhalten. Nun liegt er auf einem Pflaumenbaum, hat die Beine wie eine NASA-Richtantenne ausgefahren und träumt narkotisiert vor sich hin, während der Arzt den Anus unseres Mannes ans lokale Netzwerk anschließt.
Ich bin auf Hawaii. Sonne, Palmen, heiße Girls. Ich sitze an der Strandbar und sehe eine Frau, die mit einer Fußpumpe ihre Luftmatratze aufbläst. Sie stößt gellende Schmerzensschreie aus. Also nicht die Frau, sondern die Matratze. Beim näheren Hinschauen entpuppt sich das Teil als ihr Mann.
Er liegt auf dem Bauch und der Schlauch der Pumpe verschwindet irgendwo zwischen seinen Oberschenkeln. Aus den Lautsprechern am Strand ertönt „99 Luftballons“ von Nena. Die Dame tritt im Takt der Musik auf den Blasebalg unter ihren Füßen und bläht ihren Mann rhythmisch auf. Statt eines Bikinis trägt sie einen weißen Kittel. Der Kerl ist mir ja egal, aber die völlig overdresste Alte muss ich mir nicht antun.
Ich wende mich ab, blicke hinaus auf die Wogen des Meeres, die untergehende Sonne und trinke meinen Caipirinha. Er ist fast alle. Genüsslich schlürfe ich mit dem Trinkhalm das Glas leer. Dieses Geräusch … kennen Sie das auch? Schlüüürp, schlüüürp, sssssch-schlüüürp.
Einmal Hawaii und zurück
Es wird hell um mich. Ich schlage mein Augenwerk auf. Statt Palmen sehe ich zwei Oberschenkel mit Knien, die sich nach einigen Sekunden als mir gehörend erweisen. Das Schlüüürp-Geräusch ist aber immer noch da. Lauter als vorher.
Ich hebe den Kopf und blicke durch das Spalier meiner Beine. Da tauchen von unten – also von da, wo auf Hawaii gerade die Sonne untergegangen ist – nacheinander erst der Scheitel und dann der Bart von Fräulein Hitler auf. „Na, wieder da? Es ist schon alles vorbei. Bleiben sie bitte noch einen Moment liegen, ich sauge nur noch etwas Luft ab, damit es nachher nicht so unangenehm wird.“ Sagts und geht wieder unter.
Phantomsignale von hinten
Während das Schlüüürp erneut lauter wird, melden die Nerven meines Schließmuskels, dass da unten Hochbetrieb herrscht. Rein, raus, rein, raus, schlüüürp, schlüüürp. Obwohl mein irritiertes Hirn weiß, dass Magen und Darm seit über 24 Stunden völlig leer sind, melden die Nerven plötzlich im Sekundentakt, dass ich im Dauerfeuer kacke. Ein ekelhaftes Gefühl der Unsicherheit, vor allem, wenn da unten noch jemand direkt vor der Düse sitzt.
Endlich ist sie fertig. Der Schlauch kommt wieder zurück in den Sud-Eimer. Ich frage mich, woher das Wasser stammt, in dem er untergeht. Lange kann ich zum Glück nicht darüber nachdenken, denn kurz darauf werde ich von der Schwester gezwungen, langsam aufzustehen.
Das funktioniert so halbwegs. Weil ich aber noch ziemlich benommen bin, stützt sie mich auf dem Weg zu meinen Klamotten. Ich komme mir vor wie Jack Nicholson, als er in „Einer flog über das Kuckucksnest“ von der Elektroschock-Behandlung zurückgebracht wurde.
Auf dem Weg zu meinen Beinkleidern lässt die Betäubung weiter nach und so langsam spüre ich den Druck in mir. Ich bin ein Fesselballon. Panisch schaue ich nach unten und suche meinen Bauch nach Schwangerschaftsstreifen ab. Wenn ich da auch nur einen entdecke, wird die Anstalt hier nach Strich und Faden verklagt, nehme ich mir fest vor. In diesem Moment muss ich niesen.
Kernschmelze im Enddarm
Haben Sie schon mal geniest, während die Druckverhältnisse in Ihrem Enddarm mit der Kernschmelze im Reaktor von Tschernobyl vergleichbar sind? Gut, dann wissen Sie bestimmt nicht nur, was da alles gleichzeitig passiert, sondern auch, wie weh das tut. Nicht in der Nase, nein!
Ich nehme mich gewöhnlich nicht zurück, wenn ich niesen muss. Ich bin ein Laut-Nieser. Aber diesmal habe ich von meinem Niesen nichts gehört, obwohl es sehr laut gewesen sein muss. Während ein gewaltiges, multi-oktaves Echo den Raum erfüllt, breiten sich hochfrequente Schockwellen vom analen Epizentrum über meinen ganzen Körper aus.
Vibration und Ton auf „on“
Als meine schmerzbetäubten Sinne zurückkehren und ich wieder hören kann, nehme ich gerade noch das Verklingen eines eindrucksvollen Bass-Akkords in Moll wahr. Aber nur am Rande, denn sämtliche Nerven meines geschundenen Leibes sind einzig darauf gerichtet, die furchtbaren Schmerzen meines gelähmten Schießmuskels zu verarbeiten.
„Ja, das wird noch eine Weile so weitergehen“ , meint Schwester Hitler. Kaum bücke ich mich, um die Unterhose hochzuziehen, folgt schon die nächste pneumatische Auslassung. Erschrocken richte ich mich auf, was eine dritte Flatulenz zur Folge hat.
Ich bin ein Bewegungsmelder
Ich stelle fest, dass jede noch so geringe Veränderung meiner Körperhaltung sofort mit einem unmissverständlichen Signalton quittiert wird. Sogar wenn ich nur mit den Zehen wackle. Ich funktioniere wie die Tastatur eines Smartphones, nur lauter. Beim Zubinden der Schuhe habe ich wahrscheinlich sogar ein paar eingeschlummerte Patienten draußen im Wartezimmer geweckt. Und das soll erst der Anfang sein.
Ich will es mal so sagen: Wenn dir die Schwester nach so einer Koloskopie eine Trillerpfeife in den Hintern steckt, kannst du anschließend den ganzen Tag lang auf dem Hauptbahnhof sämtliche Züge auf einmal abfahren lassen. Zurücktreten und Türen schließen!
Weil man nach so einer Narkose nicht mehr Auto fahren darf, lasse ich mich von meiner Frau abholen. Gern würde ich jetzt sagen, dass ich auf dem Beifahrersitz sitze. Aber sitzen geht nicht, wenn man eine Gasflasche im Darm hat.
Schweben auf dem Beifahrersitz
Man kann ja auch eine Presswurst nicht knicken. Ich lehne drin wie ein Besenstiel. Kontakt zum Auto habe ich lediglich mit den Füßen und an der Kopfstütze, der Rest schwebt dazwischen in der Luft und fängt die Unebenheiten der Straße ab.
Wissen Sie, wie viele Schlaglöcher sich zwischen Leipzig und Markranstädt befinden? Meine Frau hat sie nicht nur alle mitgenommen (wie immer), sondern auch mitzählen können. Sie wurden einzeln, wirklich Stück für Stück, mit erschütternden Registriertönen aus den dunkelsten Tiefen meines Körpers quittiert. Alle 167.
Beifall in der Karlstraße
Weil die Fahrt bei geschlossenen Fenstern nicht mehr fortsetzbar war, ließ meine Frau irgendwann die Scheiben runter. So haben uns dann auf dem Sturzacker in der Karlstraße sogar völlig fremde Menschen gegrüßt, weil sie dachten, dass Katrin pausenlos hupt. Was hab ich mich geschämt. Als ob heute noch jemand mit einer altmodischen Dreiklang-Fanfare rumfahren würde.
Ja, schlussendlich ging das noch den ganzen Rest des Tages so. Katrin musste zum Telefonieren sogar ins Kinderzimmer gehen. Aber am nächsten Tag wurde es schon besser und nur eine Woche später eröffnet mir der Arzt, dass mein Darm jungfräulich in Ordnung sei und zeigt mir die Aufnahmen.
Einfach ein schönes Gefühl
Das Video erinnert mich irgendwie an die „Reise zum Mittelpunkt der Erde“. Es ist aber eher eine Reise ins Ich. Leider hat es der Arzt nicht rausgerückt, obwohl ich schließlich der Hauptdarsteller bin und auch rein juristisch das Recht am eigenen Bild habe.
Andererseits: Was soll ich mit dem Video auch anfangen? Einen Filmabend im Freundeskreis? „Guck mal, das bin ich … und das da auch.“ Heute hatte ich übrigens zum ersten Mal wieder festen Stuhlgang. Es wird wieder. Obwohl ich gesund bin, befinde ich mich auf dem Weg der Genesung. Ein wirklich schönes Gefühl. Koloskopie … können Sie ruhig auch mal machen lassen.
2 Kommentare
So klasse! Ich habe mich fast totgelacht! Weiter so!
Autor
Danke für die motivierenden Worte, von denen wir uns aus der Leserschaft gern mehr wünschen würden. Übrigens ist diese Reportage nicht das Ergebnis der Erfahrungswerte einer Einzelperson, sondern eher das Extrakt multiindividueller Erlebnisse 😉