Isch biehn kain Börlinör!

Udo Jürgens ist tot und J.F. Kennedy ebenfalls. Wie manch anderer Österreicher, so hats auch Udo niemals bis New York geschafft. Kennedy dagegen war schon mal in Berlin. Ich auch. Aber weil das schon fast 40 Jahre her ist, der Kulki als Urlaubsort allmählich langweilig wird und in Markranstädt auch sonst nicht viel los ist, habe ich mal eine Urlaubswoche geopfert für einen Trip in die Hauptstadt der DD unserer Bundesrepublik.

Mangels Traveller-Cheques habe ich mir von meiner Ex einen Reiseleiter ausgeliehen, den ich nicht nur vor 14 Jahren selbst gezeugt habe, sondern der sich zudem lediglich mit gratis Kost und Logis abspeisen lässt. Zwar trifft auf ihn die Liedzeile zu „Ich war noch niemals in Berlin“, aber er hat ein Smartphone. Da sind, so sagte er jedenfalls, sämtliche Apps drauf, mit denen man im Dschungel einer Großstadt überleben kann. Also dann – das Abenteuer beginnt.

Schon das Frühstück im Hotel ist oberpeinlich. Während aus den Lautsprechern dezente Geigengeräusche von André Rieu tropfen, fragt mein Sohn den Kellner, ob er denn nicht auch Bushido oder wenigstens Sido im Repertoire habe. Immerhin wären wir in Berlin und ein wenig Lokalpatriotismus würde nicht schaden, wenn es schon keine Semmeln gäbe.

Schrippen statt Semmeln

Beim Aufschneiden unserer Schrippen planen wir den Tag. Erstmal gilt es, sich eine Strategie zu erarbeiten. Weil das Display auf dem Handy für meine altersschwachen Augen sowieso zu klein ist, wäre doch der Fernsehturm genau das Richtige für mich, um erst mal einen Überblick zu bekommen. Ich stimme zu.

Wenn man die Augen auf macht, kann ein Berlin-Besuch zur Zeitreise werden. Hier wird im Juli 2017 gerade die Kugel auf den Fernsehturm gesetzt.

Der Weg zum Alex entwickelt sich allerdings zu einer Reise in die Vergangenheit. Nachdem wir im Portfolio des Nahverkehrs aus Bus, U- und S-Bahn letztere ausgewählt haben, scheitere ich am Fahrkartenautomaten. Der fragt mich im Jahr 27 nach der Wiedervereinigung doch tatsächlich, in welche Zone wir fahren wollen.

Noch immer in Zonen geteilt

Die Reste meiner Schulbildung aktivierend, erinnere ich mich, dass sich der Alex zuletzt in der Ostzone befand. Aber weder die finde ich auf dem Bildschirm, noch wenigstens eine sowjetische Besatzungszone oder sonst etwas in der Art. Ost-Berlin hätte auch schon gereicht, aber nicht mal das ist zu sehen.

Statt dessen stehen lediglich die Zonen A, B und C zur Auswahl. Ich grinse kurz in mich hinein. Drei nur noch. Wahrscheinlich haben die Alliierten endlich begriffen, dass die Franzosen nichts mit dem Ausgang des Krieges zu tun hatten. Zone D ist wohl jetzt dem Fernzug ins Saarland zum Opfer gefallen.

Schon wieder die Russen…

Am Ende ist es ausgerechnet eine Russin, die Englisch spricht und mir aus der Patsche hilft. Ich sage nur Alex und sie löst für mich zwei Tickets für die Zonen A und B. Spasibo, höre ich mich bedanken und will ihr damit das Gefühl geben, dass der Sieg über uns wenigstens nicht ganz umsonst war.

Der Alex hat sich in 40 Jahren kaum verändert. Von Bauzäunen mal abgesehen. Allerdings ist es weder eine HO noch ein Konsum, vor dem sich die beiden Schlagen bilden. Es ist der Eingang zum Fernsehturm.

Rechts geht’s schneller, merke ich und wir stellen uns da an. Nach einer Viertelstunde erfahren wir, warum es hier so flott geht. Wir stehen in der Reihe für jene Besucher, die bereits Karten erworben haben. Gnadenlos weisen uns drei Zentner Boulettenfleisch unter einer Livree den Weg rüber in die lange Schlange.

Am Entree, das wir eine halbe Stunde später durchschreiten dürfen, gibt es entgegen unserer Erwartungen allerdings noch keine Eintrittskarten. Die sind an der Kasse in der Lobby erhältlich und zu der führt ein SSSS-förmig gestalteter Irrgarten aus Absperrbändern.

‚Clever gemacht‘, denke ich. ‚So kommt einem die kilometerlange Menschenschlange wie eine Gesprächsgruppe bei den anonymen Alkoholikern vor.‘

Je höher desto Zeit

Nach einer Stunde sind wir zumindest schon mal bis zur vorletzten Spitzkehre vorgerückt. Da tönt es plötzlich aus dem Lautsprecher, dass die Wartezeit zum Beschreiten des Fahrstuhls ab Kartenkauf zur Zeit etwa zwei Stunden beträgt. Man müsse aber nicht im Foyer auf den Lift lauern, sondern könne sich inzwischen auch in Berlin umschauen.

Auf dem Berliner Tempelberg entsteht die passende Kathedrale zur aktuellen Religion. Eben noch ein Palast der Republik, jetzt das Stadtschloss.

Kurz vor der Kasse erreicht uns eine neue Ansage. Jetzt sind es schon zweieinhalb Stunden! In gleichem Maße, wie sich die Wartezeit steigert, klettert auch mein Blutdruck. Als er bei 240 anschlägt, grinst mir der Kassen-Boy ins Gesicht. „Bitteschön, wat kann ick für sie tun?“

„Ja was wohl. Wir wollen da hoch. Anderthalb Personen, so schnell wie möglich und nur gucken. Also billig bitte. Letzteres teile ich ihm rein prophylaktisch mit, weil ich vorher an einem Schild gelesen habe, dass allein für das Betreten des Panorama-Restaurants 25 Euronen fällig sind.

„Viernzwanzich fuffzich“, meint der Berliner Rotzlöffel.

„Wir wollen nur gucken!“, korrigiere ich seine unverschämte Zahlungsaufforderung.

„Ja, und ick sachte viernzwanzich fuffzich.“

„Ups.“, stammle ich und wechsle auf die Mitleidsschiene. „Geht das nicht günstiger? Irgendwie einen Preisnachlass oder so? Ich meine, wir kommen aus Sachsen und haben den Turm schließlich gebaut.“

„Dafür hamwa euch hinterher ooch bei uns rinjelassen, wenns in der Kaufhalle Marzahn Bananen und Popeline-Hosen jab. Sie hatten doch bestimmt ooch eene, oda? Na also, quitt!“ bleibt der Typ die Antwort nicht schuldig. Viernzwanzich fuffzich wechseln den Besitzer, damit ich auf meinen Fernsehturm darf. Wie weit wollen wir Sachsen uns von denen eigentlich noch erniedrigen lassen? Und vor allem: Wie lange noch?

Die inzwischen drei Stunden Wartezeit bis zum Aufruf in den Lift verbringe ich keinesfalls in diesem Schmelztiegel. Zum Glück gibt’s hier einen WLAN-Hotspot. Das ist für Teenager sowas wie für Kinder ein Kugelbad bei MC Donalds. Ich parke meinen Reiseleiter also an dieser unsichtbaren Kette auf einem Sofa zwischen schwedischen und japanischen Touristen und begebe mich wieder raus auf den Alex.

Dieser Platz und sein Umfeld sind eine einzige Baustelle. Wahnsinn! Der Palast der Republik – auch so ein Bauwerk, das eigentlich mir gehört – ist verschwunden. An seiner Stelle steht bereits der Rohbau des Tempels der neuen Sieger. Schon nach dem Weltkrieg ging es in erster Linie darum, Spuren des untergegangenen Reiches zu vernichten. Vae victis.

Diesen Baustromkasten, dessen Insignien auf eine Entstehungszeit im Dritten Reich schließen lassen, haben die Alliierten bei der Säuberung wohl vergessen.

In meiner Foto-Community auf Facebook jagen manche Leute Motiven nach, die von den Alliierten damals bei der Zerstörung vergessen wurden. Reichsadler auf Gullydeckeln, Reste von Albert-Speer-Architektur, gusseiserne Runen auf Laternenpfählen und so. Nichts für mich zwar, aber plötzlich stehe ich vor so einer Hinterlassenschaft.

Die eindeutige Symbolik gibt mir den Hinweis, dass dieser Baustromkasten noch aus dem Dritten Reich stammen und der Sprengung durch die Siegermächte auf wundersame Weise entgangen sein muss. Ich fotografiere das Teil und sehe mich im Geiste zum Star unserer Community aufsteigen. Ein Aktfotograf erklimmt den Olymp der Lost Places. Was ’ne Karriere! In Berlin ist alles möglich.

(Lesen Sie in der nächsten Woche: Von oben ist alles viel kleiner + + + Bushidos Kellertür + + + No, ich speake kein Englisch!)

 

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