Markranstädt singt sich mit neuer Globalhymne ins Achtelfinale

Alle vier Jahre das selbe Spiel: Pünktlich zur kontinentalen Fußballmeisterschaft trällert ganz Europa seine Hymnen. Ganz Europa? Nein. Ein kleines Volk zwischen Ostsee und Alpen leistet der Tradition seit Äonen erbitterten Widerstand. Statt aufzustehen und mit den Händen auf dem Herzen inbrünstig mitzusingen, fläzen die deutschen Schlachtenbummler mit ihren Bierbechern lustlos auf den Rängen rum und warten auf den Anpfiff. Warum? Nun, der Text ist absolut peinlich, die Vokabeln völlig aus der Mode gekommen und die Kernaussage sowas von revanchistisch, voller sexueller Stereotype und kultureller Aneignung, dass man sich schon beim Zuhören strafbar macht. Zeit also, um einen vor Jahren schon mal eingebrachten Vorschlag der Markranstädter Nachtschichten wieder ans Licht zu holen: Wir gendern das Epos um!

Fangen wir gleich beim Titel an. Nationalhymne. Was soll denn das? National – dieser revanchistische Begriff wurde schon von den Nazis verwendet.

Derart vorbelastet, wird das Abspielen des Liedes bei jedem Staatsempfang und jeder Siegerehrung zu einem machtvollen Bekenntnis für den nächsten Blitzkrieg. Außerdem leben wir im Zeitalter des Schengen-Abkommens mit verschwindenden Grenzen und zunehmender Globalisierung. Also wenn überhaupt, dann schon „Globalhymne“!

Dann heißt es in der ersten Zeile „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Zugegeben, das geht so wirklich nicht.

Einigkeit …

Einigkeit – diese Pauschalisierung ist unerträglich. Der Mensch zeichnet sich durch Individualität aus. Dadurch ist er auch besser kontrollierbar. Man sieht’s ja am Wahlergebnis, wohin das führt, wenn sich Leute einig sind. Also statt Einigkeit dann lieber doch Individualität.

… und Recht …

Was ist Recht? Das deutsche Recht fußt zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auf Paragrafen aus einer Zeit, der wir uns aus Verantwortung für unsere eigene Geschichte endlich mal stellen müssen.

Der Alltag zeigt ja in all seinen Facetten, dass man Rechten den Kampf angesagt hat. Da kann man die nicht noch in einer Hymne feiern. Links allerdings auch nicht. Beide Extreme sind in unserer woken Gesellschaft sowohl unversöhnlich als auch unvertöchterlich. Nehmen wir also den Begriff Mitte. Der hat sich bewährt.

… und Freiheit

Freiheit – das klingt zwar gut, aber das Ziel unserer Gesellschaft ist die totale Demokratie. Da muss man mal ein Stück voraus denken! Wenn wir diese Gesellschaftsform dereinst erreicht haben, steht dann in unserer Hymne immer noch der Begriff „Freiheit“, obwohl wir diese Etappe längst überwunden haben.

Also … da können und sollten wir das wirklich gleich heute schon ändern. Pflichten! Ja, dafür ist der Deutsche eher zu haben als für Freiheit und damit lässt er sich auch geistig besser abfüttern. Nehmen wir also ruhig mal den Begriff „Pflichten“.

…für das deutsche Vaterland

Also das geht ja nun überhaupt nicht! Schon dieser nationalistische Hinweis auf ewig-gestrige Lehrmeinungen der Geografie. Deutsch! Was ist deutsch?

Deutsch gibt es bestenfalls noch als Vorliebe beim Sex, neben französisch (blasen), griechisch (durchs Mokkastübchen) oder polnisch (am nächsten Morgen ist die Frau weg). Deutsch ist, wenn’s pünktlich losgeht. Also wenn schon eine deutsche Tugend in einer Hymne besungen werden soll, dann „pünktlich“.

Und der Begriff „Vaterland“ ist ja nun wirklich ein Faustschlag ins Gesicht aller feminimösen Teilnehmer unseres Volkes. Haben Mütter kein Recht auf eine Heimat? Warum hier wieder diese ekelhafte, unerträgliche und männlich sexualisierte Polemik?

Gut, bei „Mutterland“ hätten wieder die Väter was zu meckern, also dann doch die geschlechtsneutrale Variante der Eltern. Und – äh- ja – „Land“. Was ist mit Wasser? Die Globalhymne muss man ja auch in Mecklenburg-Vorpommern absingen können. Einigen wir uns also auf die Terminologie des „Elterngebietes“. Ja, das ist gut!

Wo stehen wir jetzt eigentlich? Ach ja: „Individualität und Mitte und Pflichten für das pünktliche Elterngebiet“. Wow, das klingt gut, könnte von Ricarda Lang sein. Also weiter im Text.

… danach lasst uns alle streben

Was’n Blödsinn! Da wird uns seit Jahren gelehrt, dass die Politik in diesem Lande alles für uns richtet und wir nach nichts mehr zu streben brauchen, und in unserer Globalhymne sollen wir plötzlich aktiv werden? Hier passt nur „ruhen“!

Und „danach“ geht schon gar nicht, wenn man in die Zukunft blicken will. Da muss man schon eher aufstehen und deshalb kann es nur „davor“ heißen. Also „… davor lasst uns alle ruhen“, so wird ein Schuh draus! Wir kommen dem Ziel näher….

…brüderlich

Wieder so eine Ausgeburt rein männlichen Denkens unter Missachtung jener Ethnie, die das Essen der Testosteronträger umrührt.

Schwesterlich ginge schon eher, aber damit man auch in Bayern voller Inbrunst mitsingen kann, sollte man wenigstens den genderneutralen Begriff „divers“ bemühen.

… mit Herz …

Das gehört aber nun endgültig ins Mittelalter! In einer Gesellschaft von Herz zu sprechen, in der fast 1000 Tafeln nötig sind, um die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen und in der es weder genügend noch bezahlbare Dächer über den Köpfen gibt von Herz zu sprechen … also da könnte man auf die Neugenderung der Globalhymne auch komplett verzichten und gleich wieder auf die erste Strophe zurückgreifen. „Profit“ klingt da schon überzeugender.

… und Hand.

Auch „Hand“ ist wenig glaubhaft, wo der wertschöpfende Mensch zur aussterbenden Art gehört und mit dem von Gott gegebenen Greifwerkzeug bestenfalls noch Geld gezählt oder auf Spielekonsolen gedaddelt wird. Wer muss im Zeitalter des Bürgergeldes noch mit den Händen arbeiten? Einigen wir uns also auf „Bürgergeld“.

Hymnische Zeilen

Fassen wir die ersten Zeilen unserer neuen Globalhymne zusammen:

Individualität und Mitte und Pflichten
für das pünktliche Elterngebiet,
davor lasst uns alle ruhen,
divers mit Profit und Bürgergeld.

Klingt noch ein wenig holprig, aber wir wollen es ja nicht gleich übertreiben. Schließlich sollen ja auch jene unserer Globalspieler, Reporter und Experten das Poem vor dem Achtelfinale noch schnell auswendig lernen können, die es nicht so mit unserer Elternsprache haben. Zum Beispiel Rolf Töpperwien („Das ist überlebensnotwichtig für den Verein“), Andreas Möller („Ich hatte vom Feeling her ein gutes Gefühl“) oder Olaf Thon („Ich hatte ihn nur ganz leicht retuschiert“).

Helm ab zum Gebet

In diesem Sinne: Wenn’s am Samstag vor dem ersten K.O.-Spiel zum Showdown mit der Globalhymne kommt, machen Sie’s ruhig mal wie andere Europäer auch. Stehen Sie auf, legen die rechte Hand aufs linke Herz und singen Sie inbrünstig mit. Den Text kennen Sie ja nun.

10 Kommentare

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    • Heimatloser auf 27. Juni 2024 bei 11:35
    • Antworten

    Wie wäre es damit ? Ist nicht so holprig.

    Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt, lass uns allen zum Guten dienen.
    Alte Not gilt es zu zwingen und wir zwingen sie nur vereint, denn es muss uns doch gelingen, dass die Sonne schön wie nie über alle scheint.
    Glück und Friede sei beschieden, alle Welt sehnt sich nach Frieden, reich jedem deine Hand.
    Wenn wir uns einen, schlagen wir des Volkes Feind.
    Laßt das Licht des Friedens scheinen, dass nie wieder Eltern sein Kind beweint.
    Laßt uns pflügen, lasst uns bauen, lernt und schafft wie nie zuvor, und der eignen Kraft vertrauend, steigt ein frei Geschlecht empor.

    1. Das ist von Frank Schöbel, oder? Die Zeile mit der Sonne ist allerdings völlig veraltet. Heute müsste es heißen: Über Deutschland lacht die Sonne, über Markranstädt die ganze Welt.

    • simsalabim auf 26. Juni 2024 bei 22:16
    • Antworten

    In der Neufassung fehlt eindeutig noch die höchste deutsche Tugend: die Pünktlichkeit. Und dann sollte zu Beginn oder am Ende der urtypische Schenkelklopfer mit dem Ausruf „So“ das ganze Zinnober abrunden.

    1. Zu den leider schon verblassten deutschen Tugenden zählte einst auch das richtige Lesen. Ziehen Sie doch bitte mal die Buchstaben des dritten Wortes in der zweiten Zeile zusammen.

    • Pici Formes auf 26. Juni 2024 bei 22:00
    • Antworten

    Endkampf hin oder her…so ganz paßt vor allem das Wort „Profit“ aber nicht in unsere Globalhymne, weil, wer will das schon, das machen die Guten ja nicht, die arbeiten ja nicht, um Geld zu verdienen und dem Finanzamt ordentlich was rüberzuschieben.
    Was uns doch aber allen viel mehr am Herzen liegt, spätestens seitdem das schwedische Mädchen mit dem Steingesicht und den Zöpfen unsere Jugendlichen (von Elternteilen im SUV kutschiert) zum Marschieren, äh, Demonstrieren aufgerufen hat, ja, es ist unser aller KLIMA, das wir retten müssen, jetzt, wo es keine Umwelt und keine Robben zum Retten mehr gibt. Ich schlage also vor, das fiese Wort „Profit“ in der Globalhymne durch das gute Wort „Klima“ zu ersetzen.

    1. Sie sind auf der richtigen Fährte, denken aber noch immer zu kurz bzw. nicht mutig genug nach vorn. Das Poem hat drei Strophen, also warum wollen wir nicht eine davon komplett dem Klime widmen?

  1. Hier habt ihr mal wieder eine absolut weltumfassende Darstellung erklärt, interessant. Einigkeit zeigt unsere Nationalmannschaft und die EM ist spannende Fussballkultur. Leipzig wird gelobt für seine Gastfreundschaft und internationale Massen fühlen sich hier wohl und das alles Hand in Hand in buntem Mix. Wie wird Recht in Deutschland geordnet und reguliert und für wen. Nichtdeutsche Gläubige breiten sogar an der Autobahn ihre Teppiche zum Gebet aus, unterbrechen ihre Dienstleistung und das für eine friedliches Miteinander oder was wird damit bezweckt, Abschaffung der deutschen Kultur? Für das Gefühl der Freiheit liegt mir der Songtext von Müller-Westernhagen im Ohr, das sind Gedanken wert. Ansonsten beobachten wir mal, ob wir die vielfältigen Personen erwischen, die in unserem ländlichen Ort bestimmte Autos einfach mal so verschwinden lassen.

    1. Dass es in Ihrem Dorf keine Autos mehr gibt, liegt an der etwas eigenwillig gestalteten Verkehrsführung. Wer vom alten Bahnhof aus nördlich in der Ort fährt (anders geht’s ja nicht mehr), stößt plötzlich an eine Kreuzung, von der es links, gradeaus und rechts nicht mehr weitergeht. Am Wochenende lesen Sie hier mehr dazu.

  2. Ich danke den Nachtschichten aufrichtig für diese längst überfällige Aktualisierung des Textes unserer Nationalhymne.
    Aber wir sollten diesen progressiven und integrativen Prozess konsequent zu Ende führen, womit wir bei der völlig überholten, revanchistschen Melodie wären.
    Schließlich stammt sie von Haydn, der das Gedicht „Gott erhalte Franz den Kaiser“ vertonte. Es geht also um den Erhalt der Monarchie!
    Genderneutral und auch aus Österreich stammend (da haben wir Deutschen schließlich schon eine längere Tradition der Integration von Führungspersönlichkeiten verortet) wäre die Melodie von dem Stück „Rise Like a Phoenix“ von Conchita Wurst (mit dem er/sie/es SiegerIn des 59. Eurovision Song Contests in Kopenhagen wurde), deutlich angebrachter.
    Hoffen wir also, dass die neue Hymne wie Phoenix aus der Asche, also aus Lallendorf das Land erobert.

    1. Sehr gute Idee. Aber vordergründig ging es uns ja erstmal um die musikalische Begleitung des Achtelfinales und da war ja bis gestern Abend noch nicht klar, ob wir gegen Engeland ziehen oder gegen Dänemark. Fest stand bis dahin nur, dass der Einmarsch in Dortmund erfolgt. Tja – und dann wäre da noch Conchita. So wie die Österreicher aktuell drauf sind, sollten wir uns lieger gut mit ihnen stellen, wenn es am 14. Juli in der Frontstadt Berlin zum Endkampf kommt

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