Die großen Ferien haben begonnen. An der Markranstädter Oberschule ließ man das alte Schuljahr mit einem Paukenschlag ausklingen. Sowohl an der Haupt- als auch der Realschule haben sämtliche 85 Entlassungskandidaten (EK) ihren Abschluss geschafft. Nicht mal Schulverweigerer gab es darunter und jeder hat eine Ausbildungsstelle. Was ihre auf den Appellplätzen der POS gestählten Großeltern noch als völlig normalen Zustand in Erinnerung haben, könnte derweil an anderen deutschen Bildungsstandorten der Neuzeit Verwunderung bis hin zu Neid auslösen. Was machen die da in Markranstädt? Oder besser gefragt: Was machen die anders?
Manche machen es an der Schulleiterin fest, seit deren Inthronisierung die muffigen Klassenzimmer ebenso wie die darin brütenden Gedanken mit frischem Wind durchlüftet werden.
Das stimmt aber nur bedingt. Man muss nicht weit schauen, um festzustellen, dass selbst ein neuer, mit zweimeterdreizehn über Normalnull alles überblickender Lockenschopf nur dann frische Aromen wittern kann, wenn sich auch die im darunter befindlichen Torso räkelnden Organe an einen neuen Stoffwechsel gewöhnen wollen. Daher auch der Begriff vom Lehrkörper, der sich an der Oberschule offenbar besserer Gesundheit erfreut als anderswo.
Ursachenforschung
Über das Erfolgsmodell, das in der Parkstraße Einzug gehalten hat, wurde schon viel philosophiert. Pädagogen, Programme, Projekte – alles ist aus sämtlichen Meta-Ebenen beäugt und ausgewertet worden. Nur zwei Faktoren nicht, die vor dem Hintergrund pädagogisch angewandter Satire die eigentlichen Gründe für den Aufwärtstrend sind. Allerdings sind die aus gesellschaftspolitischer Sicht kaum salonfähig und werden deshalb gern etwas unter dem Radar gehandelt.
Wir erleben eine heimlich vollzogene Rückkehr zu den pädagogischen Werten der Ära jener blauhaarigen Zarin, die einst als „Miss Bildung“ den Klassenkampf gegen Fachkräftemangel in Ostelbien anführte.
Es war nicht alles schlecht
Freilich kann man ihre Erfindung des UTP-Unterrichts nicht einfach so übernehmen, schließlich war der ja Teil des Bildungssystems eines parteimonopolistisch geführten Unrechtsstaates und darüber hinaus müssten wegen des Urheberrechts millionenschwere Tantiemen an ihre Erben nach Chile transferiert werden.

Aber es gibt da einen Trick. Ebenso wie bei der Umbenennung der Poliklinik in ein Medizinisches Versorgungszentrum oder der Neuerfindung alter Kombinate unter dem Begriff Holding, kann man auch den ESP- oder UTP-Unterricht völlig unverfänglich als wöchentlichen „Praxistag“ ausrufen. So geschehen in Markranstädt – und der Lohn ließ mit einer Abschlussquote von 100 Prozent der Absolventen nicht lange auf sich warten.
Nachsitzen als „sozialer Dienst“
Eigentlich auch nur alter Wein in neuen Schläuchen, gleichwohl von erstaunlichem Erfolg gekrönt, ist die Durchsetzung von Respekt, Ordnung und Disziplin in den Klassenzimmern. Nein, nicht mittels traumatisierender Besinnungszeit in einem als Chilling-Room getarnten Karzer und auch nicht mit neuzeitlichen Rollenspielen unter Leitung einer den Rohrstock schwingenden Sozialgouvernante in schwarzem Lederdress.

Wer die Rute spart, verdirbt das Kind, das danach außerdem nicht mehr in der Lage ist, nachzusitzen.
Es hat gereicht, zur Ahndung von Verstößen das gute alte Nachsitzen wieder einzuführen.
Weil’s zieht
Man mag’s kaum glauben, aber das zieht! Angesichts des zu erwartenden Umsatzes wegen Kinderarbeit, Zwangsdienst oder Freiheitsberaubung hat man sich in den Anwaltskanzleien anfänglich vielleicht noch die Hände gerieben, doch die Mandate blieben aus.
Friede den Hütten
Inzwischen profitieren sogar die Eltern der Opfer dieser als „sozialer Dienst“ verharmlosten schwarzen Pädagogik des Nachsitzens. „Seit acht Monaten keine neuen Graffiti am Kühlschrank“, frohlockt eine Mutter, und „Sie spült das Klopapier jetzt runter, statt es in den Flur zu werfen“, freut sich eine andere über den in unserer gesellschaftlichen Entwicklungsstufe nicht mehr für möglich gehaltenen interfamiliären Klimawandel.

UTP-Unterricht und Nachsitzen – was einst die Jugend als Kampfreserve der Partei stählen sollte, hat allein aus der Markranstädter Oberschule in diesem Jahr über 70 händeringend gesuchte Fachkräfte auf den hiesigen Arbeitsmarkt gespült. Aus eigenem Anbau wohlgemerkt.
Fachkräfte aus eigenem Anbau
Und genau das ist der Clou im Schulkonzept „made in markranstädt“: Während in Berlin mit dem Import von Hilfswilligen die eigene Jugend längst aufgegeben wurde, hat man in Lallendorf schon frühzeitig erkannt, dass man selbst über genügend eigene genetische Ressourcen verfügt.
Die zu nutzen, darauf muss man allerdings erst mal kommen! Ein dreifach Chapeau in die Parkstraße.
Denen ein Licht aufgeht
Obwohl … manchmal dauert es einfach nur etwas länger, bis so eine Erkenntnis salonfähig wird. Aber irgendwann ist der richtige Zeitpunkt von ganz allein gereift, um die Menschheit zu erleuchten und sie auf vermeintlich neue Wege zu bringen. Man muss ihnen dann halt nur neue Namen geben, den alten Werten.
Mal sehen, was sich die Handwerkskammer dazu einfallen lässt, jetzt, wo auch sie in den Apfel der Erkenntnis gebissen hat und aus dem bequemen Garten Eden der „Wir schaffen das“-Prophetin (Buch: Angela 08.15) in die Wirklichkeit hinaustritt.
Schule macht Schule
Im schlimmsten Fall wird ein IMS-Förderprogramm erfunden (International Manpower Substitution), mit dem sich der Vorruhestand junger Fachkräfte weiter subventionieren lässt. Vielleicht aber ist jetzt auch die Zeit reif für die Hoffnung, dass man auch in der Handwerkskammer bereit ist, noch mal von einer Schule zu lernen.
10 Kommentare
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Jungpioniere wir sind Stolz. Wir sind die Pfadfinder der CDU.
Genau deshalb braucht die Welt keine Angst mehr davor zu haben, dass von deutschem Boden wieder ein Krieg ausgeht. Mal abgesehen davon, dass die Heeresgruppe Postorius aus vielleicht fünf, höchstens zwölf Rekruten besteht, würden die bei einem erneuten Einmarschbefehl nach Polen frühestens zwei Monate später vor Amsterdam stehen, weil ein armenischer Hirte aus Langerweile die Kompass-App gehackt hat.
Oh, welch Freude, die Lehrkörper#innen und außen haben wohlverdienten Urlaub und werden noch gelobt. Das geht runter wie Öl. Auch die Eltern kommen gut weg, so soll es sein. Es ist niemals alles hervorragend, aber es gibt viele Dinge, die gut sind. Die schreiende Minderheit der Meckerer muss von der übergroßen Mehrheit der im Grunde zufriedenen übertönt und am besten überzeugt werden und das notwendige Korrektiv muss beachtet werden. Es ist so herzerfrischend, dass die Nachtschichten das so toll machen. Ein großer Dank an euch!!
Ähm … okay … bitteschön. Aber außer die bildungshungigen Bälger zu zeugen, haben wir doch gar nichts gemacht?
Wir waren nicht alle Jungpioniere, haben trotzdem den einen oder anderen Lehrkörper genau angeschaut. Das klingt ja hervorragend, wenn Markranser Oberschüler lernwillig sind und die Neuner und Zehner ihren Abschluss geschafft haben. Das gibt ja Hoffnung für uns Alte, werdende Fachkräfte im Handwerk und das in Lallendorf. Auf auf Ihr Markranser Firmen, für unsere Jugend Ausbildungsplätze bereitzustellen.
Man darf heute ruhig dazu stehen, Jungpionier gewesen zu sein, auch wenn man es nicht war. Unsere Angela Merkel war sogar in der FDJ und wäre ohne diese Reputation nie Kanzlerin geworden. Allerdings war so mancher Lehrkörper in der Tat interessanter anzuschauen. Frage: Haben wir da möglicherweise die gleiche Pädagogin vor unserem geistigen Auge? Interessanterweise lehrte sie zwar Fremdsprachen, aber Französisch war nicht dabei.
Ihr kleinen Ferkel, Ihr! Ich habe sehr wohl gelesen, was die Lehrerin da an die Tafel geschrieben hat. Der dritte Absatz ist keines der Gebote der Jungpioniere, ja nicht einmal eins der FDJ.
Es ist ja auch keine Lehrerin, die das an die Tafel geschrieben hat. Wenn Sie mal noch genauer hinschauen, werden Sie eine Quereinsteigerin erkennen, die ihr Gehalt als Facility Assistent of Roomcleaning bis vor kurzem als Erzieherin im Eros-Center („Lady Cane“) aufgepeppt hat.
CvD, Ihr seid aber fleißig. Wohl auch in diese Art Schule gegangen? Und da auch Denken gelernt! Unglaublich. Einfach toll so ein Ergebnis! Dank den alten und neuen Pädagogen.
Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen: Wir alle haben früher gelernt, kritisch zu denken. Die DDR hat sich damit ihren eigenen Untergang erzogen. Hier hat man auf Regierungsebene ausnahmsweise wirklich mal aus der Geschichte gelernt und sorgt seit 30 Jahren dafür, dass sich sowas nicht wiederholt. Wie schön, dass es Ausnahmen gibt, die sich diesem Trend widersetzen. Geht aber nur mit immens hohem Aufwand und Erfindungsreichtum des Lehrkörpers.