Nichts Neues in der vierten Etage (42)

Jawollja, Sie lesen richtig! Der MN-Boss höchstselbst hat sich entgegen aller Absprachen und Abmachungen dem intern verhängten Embargo gegen den Stadtrat widersetzt. Fast ein Jahr nach Inkrafttreten des Boykotts hat er sich sozusagen im Alleingang wieder mal in die vierte Etage gewagt. Dahin gelockt wurde sein Geist von der Verheißung eines Antrages zur Verbesserung der Transparenz in künftigen Sitzungen. Den hatte die CDU-Fraktion am 7. Juni gestellt und laut Gemeindeordnung war nun der Tag gekommen, an dem darüber befunden werden hätte dürfen sollen, ja sogar müssen. Hier sein Bericht:

Im Protokoll der Stadtratssitzung vom 7. Juni 2018 ist zu lesen (einfach draufklicken):

Dieser Antrag hätte seinem Sinne nach gut und gerne auch von den Markranstädter Nachtschichten stammen können. Dann zwar etwas spitzer formuliert, aber im Grunde genommen widerspiegelt dieses Ansinnen all das, was wir ebenso wie das Bürgertum seit Jahren gebetsmühlenartig anprangern und das schlussendlich zum Boykott der vierten Etage geführt hat.

Zwischen Politbüro und Glasnost

Alle wussten um diese Umstände, aber niemand fühlte sich berufen, einen Heilungsprozess in Gang zu bringen. Am Ende wars die CDU, die sich im Kampf um künftige Wählerstimmen nach den quasi auf der Straße liegenden Prämienpunkten gebückt und das bürgernahe Thema aufgegriffen hat. Also dann auf in die vierte Etage! Ich will dabei sein, wenn die da oben Glasnost neu erfinden.

Im Erdgeschoss riecht und sieht es noch genauso aus wie früher. Erinnerungen werden wach. In die Sentimentalität mischt sich aber auch ein warnender Instinkt aus alten Tagen. Es ist nach wie vor besser, den Fahrstuhl zu meiden.

Disziplinierung im Fahrstuhl

„Thyssen-Krupp“ steht auf dem Bedienfeld über dem Alarmknopf. Logisch dass es Stunden dauert, bis man aus dem Kasten befreit wird, wenn das Rettungsteam jedesmal aus Essen anrücken muss.

Da man systemkritische Dissidenten in so einer Metallkiste auch durch Verhungern disziplinieren könnte, gehe ich also vorsichtshalber zu Fuß die Treppen hinauf.

Den Griff in den Aufsteller mit den Einladungen zur Sitzung schenke ich mir. „Erwerb von Finanzanlagen“ (TOP 12) oder „Einleitung eines förmlichen Satzungsverfahrens nach § 2 BauGB“ (TOP 7), darunter kann sich der gemeine homo marcransis sowieso nichts vorstellen. Aber genau deshalb bin ich ja da. Heute wird Glasnost beschlossen! Also rein in die kommunale Duma.

Irgendwas liegt in der Luft

Der Schock lauert gleich hinter der Tür! Scheinbar haben an diesem Tag auch andere Teilnehmer unserer Gesellschaft ihr Boykottgelübde gebrochen. Sogar zwei komplette Nachbarschaftsverbände aus der Ranstädter Mark und dem nächtlichen Freizeitzentrum um das gelbe Hotel sind angerückt und blockieren geduldig die sonst verwaisten Besucherstühle.

Irgendwas scheint in der Luft zu liegen. Also erst mal höflich in die Runde nicken, ein gemütliches Plätzchen abseits körperlicher Ausdünstungen suchen und abwarten, was da kommen mag. Das Präludium ist beendet, die Dramödie kann beginnen.

Auf das mir anempfohlene Tragen von Kompressionsstrümpfen habe ich übrigens ganz bewusst verzichtet. Heute ist Fußball (Näh’schäns Lieg gegen die Franzmänner) und erfahrungsgemäß spornen solche Ereignisse unsere Volksvertreter zur Pflege einer so effizient strukturierten Streitkultur an, dass die Sitzung spätestens 20:45 Uhr zu Ende sein müsste. Damit ist die Gefahr von Thrombose gewöhnlich auch auf den Gästeplätzen gebannt. Wie ich immer sage: Sport ist gesund! Es sollte aber sogar noch schneller gehen, wie sich bald herausstellt.

Der Bürgermeister eröffnet die Sitzung. Nach fast einem Jahr selbstauferlegten kommunalpolitischen Exils nehme ich erstaunt zur Kenntnis, dass es immer noch Jens Spiske ist. Offenbar sind die rebellischen Teile des Markranstädter Parlaments also mit ihren Putsch-Plänen inzwischen keinen Schritt vorangekommen. Entweder haben sie im entscheidenden Moment ihre Hände nicht hochgekriegt, wurden per Fahrstuhl-Havarie von ihren selbst angerührten Kampfabstimmungen ferngehalten oder hatten ein ärztliches Attest. Ich liebe Verschwörungstheorien.

Schon bei Punkt 1.4 (Zustimmung zur Tagesordnung) platzen meine Träume von Transparenz & Co. jedoch jäh. Jens Schwertfeger (CDU) beschwert sich über das Dokument, weil der Tagesordnungspunkt fehlt, in dem es um die Herstellung eben dieser vermissten Transparenz geht. Er sieht einen Verstoß gegen § 36 Absatz 5 der Gemeindeordnung, weil der Antrag spätestens heute auf dem Tisch liegen müsste.

Hosen runter und ab in die Ecke!

Der Bürgermeister zieht sich zunächst darauf zurück, dass man ihm noch nicht erklärt habe, was genau mit dem Antrag überhaupt gemeint sei. Doch im nächsten Atemzug schon entkräftet er sein eigenes Argument der Unwissenheit mit der Aussage, dass er den Antrag mit Schwertfegers Fraktionsvorsitzendem bereits besprochen habe und deshalb davon ausging, dass der Vorgang damit erledigt wäre.

Der benannte Fraktionsvorsitzende widerspricht seinem Sub-Arbeitgeber nicht, was den Schluss zulässt, dass es sich wohl so zugetragen hat. Die Kommunikation zwischen CDU-Chef und FWM-Bürgermeister scheint damit besser zu funktionieren als der Informationsfluss innerhalb der Christdemokraten. Beide Sitznachbarn, sowohl der bloßgestellte Schwertfeger als auch sein Fraktionschef, vermeiden in den folgenden Minuten auffallend krampfhaft jeden Blickkontakt zueinander und gucken stur geradeaus. Auch die 6 anderen Unterzeichner des Antrages hüllen sich in Schweigen.

Das Trostzäpfchen des Bürgermeisters, wonach sowohl die Tagesordnung als auch die Beschlussvorlagen für alle Besucher lesbar an die Wand gebeamt werden, will sich aber weder in Schwertfeger (äußerlich sichtbar) als auch in mir (von der Demokratur tief verletzte Seele) nicht so recht auflösen. Beschlussvorlagen als bürgerfreundliche Übersetzung von in beamtendeutsch abgefassten Traktaten? Klicken Sie einfach mal auf folgende Links zu TOP 6 oder TOP 7 und schauen Sie selbst, ob sich Ihnen hier etwas zu den Inhalten erschließt.

Dass selbst Abgeordnete offenbar Probleme haben, die Inhalte der Beschlussvorlagen richtig zu deuten, zeigt ein Einspruch aus den Reihen der Freien Wähler. Kirsten Geppert (FWM) wollte TOP 9 (Vernässungsfläche Gärnitz) absetzen lassen, weil der gesamte Umfang der erforderlichen Maßnahmen noch gar nicht kalkulierbar sei. Der Bürgermeister hat ihr dann erst mal erklären müssen, dass es bei dem Beschluss lediglich darum gehe, zunächst einmal eine Machbarkeitsstudie zu ermöglichen.

Na, hats geklickt? Genau darum ging es Schwertfeger. Kirsten Geppert ist Abgeordnete und deshalb hat man ihr eine Erklärung gegeben. Dem Bürger wird sowas nicht zuteil, der muss sich mit Formulierungen abspeisen lassen, wie: „Auf der Grundlage von § 4 und § 28 der Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen (SächsGemO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 03. März 2014 (SächsGVBl. S 146) zuletzt geändert durch Artikel 1 und 2 des Gesetzes vom 13. Dezember 2016 (SächsGVBl. S. 652) und des § 25 Abs. 2 des Gesetzes für den Freistaat Sachsen (SächsG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Juli 2004 (SächsGVBl. S. 298) zuletzt geändert durch den Artikel 1 des Gesetzes vom 26. April 2017…“ Es lebe die Transparenz!

Auch mehrere Bürger wurden Opfer dieser hartleibigen Informationskultur. Sie hatten einfach nur Fragen zum Rückbau eines Grünstreifens. Fragen zu Themen, die auf der Tagesordnung stehen, sind bekanntlich nicht erlaubt. Aber hätten Sie (ja Sie, liebe Leser!) gewusst, dass der Tagesordnungspunkt „Wirtschaftsförderung – Verkauf eines Grundstücks im Gewerbegebiet „Ranstädter Mark“ – Gemarkung Markranstädt, Flurstück 1242/23“ eben jenen Grünstreifen beinhaltet, Sie sich deshalb umsonst in die vierte Etage begeben haben und sich dafür auch noch über den Mund fahren lassen müssen? Nun – zumindest der Bürgermeister und der CDU-Chef setzen dieses Wissen bei ihren Bürgern offenbar voraus. Transparenz eben.

Ich widerrufe … feierlich!

Ob mein Eindruck richtig oder gar allgemeingültig ist, weiß ich nicht. Auf alle Fälle habe ich das Gefühl, dass mit einer Ausnahme alle Personen, welche die Fragestunde nutzen, sich vom Präsidium mehr oder weniger vorgeführt fühlen müssen. Die Arroganz und deren Duldung sind schier grenzenlos! Dieses Trauerspiel will ich mir keine Sekunde länger antun.

Das wars dann also. Mein Versuch, dem Laden in der vierten Etage etwas Vertrauen entgegenzubringen, ist bereits nach 23 Minuten gescheitert. Ich verlasse diesen ekelhaften Ort. Auf dem Heimweg gleitet mein Blick rüber zu St. Laurentius und mich überfällt eine unstillbare Sehnsucht. Auf der Empore in diesem Gotteshaus befinden sich zwar deutlich mehr als 22 Pfeifen, aber wenn man denen lauscht, klingt das wenigstens irgendwie beruhigend und harmonisch.

Ja, ich widerrufe öffentlich, schwöre der vierten Etage feierlich und endgültig ab und entsage damit auch künftig den weltlichen Schmerzen der Kommunalpolitik. Um mich verarscht fühlen zu können, reicht mir das Fernsehen.

 

6 Kommentare

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    • Nachbar auf 7. September 2018 bei 17:31
    • Antworten

    Berichtet wird nichteinmal mehr von der LVZ.
    Presse bitte selbst mitbringen in Zukunft.

    Aber die Demokratie ist definitiv der Bürokratie gewichen, den Bürgern hier sollten mal die Augen geöffnet werden, mit welcher Manier sich der Kronprinz von Markranstädt den offensichtlich störenden Bürgern gegenüber stellt.
    6 setzen.

    1. Nicht voreilig urteilen! Unseres Wissens nach sollte morgen in der LVZ ein Beitrag erscheinen, der den von Ihnen gemeinten Abschnitt der Sitzung objektiv beleuchtet.

    • Börnie auf 7. September 2018 bei 11:30
    • Antworten

    TOP 6+7 = reine Abnick-Papiere, 100% bürokratisch durchgefeilt.

    Zitat: „Die Arroganz und deren Duldung sind schier grenzenlos!“
    Antwortmeinung: Ja, das geht ja wirklich sehr sehr förmlich zu, im Stadtrat! Ohne Not, oder? Volksvertretung?
    Fragen sollten immer zugelassen sein, aber sicherlich drückte das enge Zeitkorsett.

    Als Margransder Bürger muss man hier enttäuscht sein! Bleibt eine wichtige Frage: Wer berichtet dann zukünftig aus der vierten Etage, wenn ihr das nicht macht?

    1. Wir haben’s doch schon fast ein ganzes Jahr nicht gemacht und das ist niemandem aufgefallen. Immerhin gibt es noch die Qualitätspresse und was die nicht schreibt, ist in Markranstädt eh schon rum. Hier weiß doch sowieso jeder alles. Also Kopf hoch und einfach weiterleben! Man muss nicht alles verstehen.

      • Echter Markranster auf 10. September 2018 bei 11:14
      • Antworten

      Einfach hingehen und selbst informieren!

      1. Einfach hingehen kann man ja mal. Vor allem wenn man zu Hause einfach nur mal raus muss. Aber das mit dem „selbst informieren“ funktioniert dort nicht. Dass man uns dieses Urteil nicht überall abzunehmen bereit ist, kennen wir. Aber nun haben das auch die Kollegen von der Qualitätspresse festgestellt und da müsste es doch nun endlich durchgesickert sein, dass sich der Informationsgehalt für das Bürgertum in sehr überschaubarem Rahmen bewegt.

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