Regulierter Notstand am Westufer

Im Juni verabschiedete das Kabarett der vierten Etage eine Satzung, die das Nutzen des Kulki ordnen soll. Leinenzwang für Hunde, Verbot von Lagerfeuern, Lärmbelästigung und viele andere Dinge werden darin geregelt. Das Ordnungsamt wurde aufgestockt, Arbeitszeiten (sofern es der öffentliche Dienst zulässt) neu geregelt und allerhand Konsequenzen (Ordnungsgelder = Drohungen) angekündigt. Es ging hoch her und ein zaghafter, wenngleich promovierter Hinweis aus der CDU bezüglich fotografischer Fragen wurde nicht mal anständig ignoriert. Rächt sich das jetzt und wie sieht die Realität aus nach Inkrafttreten der Satzung?

Tagsüber bietet sich am Kulki ein fast normales Bild, wenn man mal davon absieht, dass sich der Besucher-Mix seit letztem Jahr etwas internationaler zusammensetzt. Und ja – an sonnigen Wochenenden hat man mitunter eher den Eindruck, während des Kumbh Mela am Ganges zu weilen. Gefühlte Millionen scheinen sich da die Seelen zu reinigen.

Dass da gewisse Regeln aufgestellt und eingehalten werden müssen, liegt auf der Hand. Leider scheinen sich sowohl Vorschriften als auch Konsequenzen im Falle des Verstoßes gegen selbige lediglich auf das Parkverhalten von Kraftfahrern zu beschränken.

An vier verschiedenen Tagen waren drei verschiedene MN-Enthusiasten am Westufer des Kulki unterwegs um mal zu schauen, ob das, was da in der vierten Etage entbunden wurde, auch umgesetzt wird. Das Ergebnis stimmt nachdenklich.

Knöllchen ohne Ende. Die meisten auch moralisch gerechtfertigt, juristisch selbstverständlich alle im Land der Zänker und Richter.

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Hier wurde das Knöllchen am Montag sowohl moralisch als auch juristisch berechtigt angebracht.

Die böseste Falle lauert wohl am Wendehammer vorm Kanuverein. Das Schild, das hier ein Parkverbot ausweist, befindet sich ganz vorn am Beginn des Kranichwegs. Und so schaute der Besitzer eines Autos am vergangenen Montag nicht schlecht, als er unter dem Scheibenwischer einen Liebesbrief des Bürgermeisters fand. „Was soll die Scheiße? Ich parke schon seit Jahren hier und nie war was. Wo ist denn hier das Parkverbotsschild?“

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Hmmm, aber der hier … juristisch „ja“, aber könnte man den visuellen Hinweis auf das Parkverbot nicht räumlich etwas näher anbringen? Hat was von Abzocke. Moralisch jedenfalls.

Weniger zu befürchten haben da schon die Hundebesitzer. Wahrscheinlich deshalb, weil das Knöllchen schlecht hält, wenn man es einem Vierbeiner unter den Schwanz klemmt. Jedenfalls sind vor allem in den Abendstunden noch genügend bellende Fellträger unterwegs. Oft genug ohne Leine und an Stellen, die das Prädikat „Hundestrand“ vermissen lassen.

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Sonntagabend am See: Hört wahrscheinlich auf ‚Helene‘ oder ‚Fischer‘ – „Leinenlos durch die Nacht….“

Dafür sind Millionen grün schillernde Insekten ein sicheres Indiz für die Wege, die von Hund und Herrchen beschritten werden. Sie kreisen summend um die Hinterlassenschaften und verleihen dem Biotop „Promenade“ das unverwechselbare Flair eines Fauna-Habitats, in das weder der Mensch noch ein Ordnungsbeamter eingreifen sollte.

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Das ist wie mit einem guten Investment: Millionen Fliegen können nicht irren! Meilenstein und Wegweiser an der Kulki-Promenade gleich neben der Terrasse.

Ebenfalls in die Kategorie „Wo kein Kläger, da kein Richter“ fällt die Frage der Ordnung, Sauberkeit und Müllentsorgung. Die Müllbehälter an der Promenade haben sowieso eine ganz andere Hauptfunktion als man vermuten könnte. An einigen von ihnen befinden sich kleine Aufkleber mit QR-Codes, die das allabendlich wiederkehrende Security-Team als Tätigkeits- und Anwesenheitsnachweis per Smartphone einscannen muss.

Die vom Einsatzwagen ausgehende Vorbildwirkung ist derweil immens. Kaum außer Sichtweite, denken manche Jugendliche, dass sie das gleiche Recht haben und schwingen sich auf ihre Mopeds. Die Promenade als „Circuit Lallendorf“ – vor allem das ursprünglich als Basketballplatz konzipierte Motodrom kurz vor dem Kanuverein ist ein beliebtes Domizil für Teens mit Benzin im Blut.

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Kurve zwischen Strandbad und Kanu-Verein: Das Security-Auto ist durch, jetzt sind die Mopeds dran.

Der Geschwindigkeitsrausch konzentriert sich derweil längst nicht auf diesen kleinen Tartan-Kreis. Das gesamte Wohngebiet ist in den Abendstunden von Chemtrails vorbeirauschender Motoren durchzogen. Sich auflehnende Anrainer werden nicht selten als gesellschaftliche Außenseiter geächtet und ziehen sich danach eingeschüchtert in ihre weißen Wohnwürfel zurück.

Auch weiter vorn, auf der einstigen Fitnessinsel, die inzwischen eher an einen Schrottplatz aus DDR-Zeiten erinnert, ist der physikalische Erfindungsreichtum unserer geistig unterforderten Jugend zu bestaunen. Einzig die rotierende Laufscheibe ist bekanntlich übrig geblieben. Aber die hat wenigstens noch eine alternative Funktion. Man stelle das Hinterrad des Mopeds drauf, ziehe die Handbremse fest an und gebe Vollgas, bis die Scheibe kurz vorm Abheben ist.

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Pedalkratft zur Sandmännchen-Zeit. Wenn Bay-Watch durch ist, sind PS angesagt.

Alternativ kann man den gleichen Effekt auch mit dem Fahrrad erzeugen. Das macht aber nur Eindruck, wenn man noch keinen Führerschein hat. Dafür ist der Kitzel größer, weil man das vor 20 Uhr machen muss. Dann kommt nämlich die Security und danach sind die Großen mit den Mopeds dran.

Irritationen gibt es auch ohne Satzungen und Gesetze zur Genüge. So ist die Promenade bekanntlich in einen gepflasterten und einen asphaltierten Bereich untergliedert. Allein der Grund dieser Teilung scheint sich keinem der Nutzer zu erschließen. Was ist Rad- und was Fußweg? Im Zweifelsfall also beides. Die ewige Frage der Menschheit: Wer wird überleben? Der Nette? Nein, der Stärkere!

Nicht in der Satzung über die Benutzung des Kulki enthalten sind Regelungen, die das Filmen oder Fotografieren betreffen. Muss eigentlich auch nicht sein, weil es dafür schließlich bundesweit geltende Gesetze und Vorschriften gibt. Was beispielsweise Foto- oder Filmaufnahmen am FKK-Strand angeht, reicht Paragraf 201 des Strafgesetzbuches völlig aus.

Leider verhält es sich damit ebenso wie mit den Hunden, dem Müll oder Mopeds: Wenn es niemanden gibt, der das kontrolliert, kann man sich das Gesetz eigentlich gleich in die einzige Öffnung stecken, die einem als Nudist am Strand uneingeschränkt zur Verfügung steht.

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Der Kapitän dieses Bootes konnte am Sonntag gar nicht genug Selfies auf dem Kulki schießen. Dass sich da ab und zu auch mal ein Wasser-Pokémon auf das Foto verirren könnte, ist hierzulande nicht mehr relevant, so lange es sich dabei nicht um Renate Künast oder Claudia Roth handelt.

Wer will schon wissen, ob der Mann mit dem staatlich subventionierten Smartphone gerade Pokémon Go spielt, Selfies schießt oder sich tatsächlich für die blanke Technik interessiert, die gerade ins Wasser steigt und deren heimische Baureihe er bestenfalls als Black-Box kennt?

Gar zu schnell wird man allein infolge solcher Vermutungen in die rechte Ecke gestellt und muss es daher besser in Kauf nehmen, zum erotischen Bestseller in einschlägigen Netzwerken zu werden. Also schaut man weg, wenn die Kamerateams internationaler Filmproduzenten am Ufer oder auf Booten Aufstellung nehmen. Ist doch ganz sicher nur ein Selfie. Nie wollten wir dem Hofreiter Anton lieber glauben als heute.

Ja, und am Ende steht man dann vor dem roten Topf zwischen Fitness-Insel und Strandbad und fühlt sich so seelenverwandt mit der Birke, die darin alles Zeitliche gesegnet hat, dass man sie streicheln möchte.

birke

Hach, wir sind eine so reiche Gesellschaft und haben so viel übrig. Man muss nur was sagen und schon bekommt man es. Blöd nur, wenn man man nichts sagen kann und sein Dasein beispielsweise als Birke in einem sündhaft teuren Eimer fristet. Da gibts nicht mal Wasser. Trees welcome – nur das Unkraut kann sich noch halbwegs im Erdbeton halten.

Natürlich könnte man angesichts des Preises eines solchen Behälters davon ausgehen, dass eine automatische Bewässerungsvorrichtung gleich integriert ist. Aber das war dann wohl doch ebenso wenig inbegriffen in der Kalkulation wie wenig später der Einsturz der Bedürfnisanstalt am Parkplatz. Da so eine Birke nicht sprechen kann, konnte sie auch nicht „Durst“ rufen. Es ist mit diesen Bäumen wie mit den Menschen: Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter.

Nur bei geparkten Autos oder deren Besitzern ist das etwas anders.

 

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