Frühling ist reine Gefühlssache

Das lange Wochenende ist vorüber. Sonne satt, leider auch Wind. Auf der Suche nach einem Freisitz mit Hefe-Weizen wurde man am Tag der Arbeit in der Kernstadt allerdings nur im „Ab ans Ufer“ fündig. Was blieb dem nach Unterhaltung lechzenden Lallendorfer also anderes übrig, als mit seinem Drahtesel in die Natur zu fahren? Die machts uns vor. Trieb wohin das Auge reicht. Hier drei Beispiele.

Nachdem am 11. September 2001 ein paar missverstandene Architekten in einem Akt bemannter Baukritik den Rückbau zweier Türme in New York vornahmen, machte die dortige Universität eine überraschende Entdeckung. Der Handy-Verkehr hatte unmittelbar danach signifikant zugenommen.

Wer telefonierte da mit wem? Zwei Jahre später lagen die Fakten samt Auswertung auf dem Tisch. Singles hatten da miteinander telefoniert und verzweifelt versucht, sich irgendwie und mit irgend jemandem zu verabreden. Den Grund wussten die selber nicht. Sie gaben nur an, plötzlich so ein intensives Verlangen nach Nähe gehabt zu haben.

Aber die Wissenschaftler wären keine Wissenschaftler, wenn sie nicht auch dem Grund auf den Grund gegangen wären. Am Ende stellte sich heraus, dass es nur der schnöde Wunsch nach Sex war, der die Singles ans Telefon trieb.

In Anbetracht der beiden hernieder rieselnden Türme und dem mithin drohenden Ende der Menschheit hatten beide Geschlechter nur noch einen Wunsch: Ein letztes Mal Sex!

Und dieser Wunsch ist ganz natürlich, steckt sowohl beim Menschen als auch Tieren und Pflanzen sozusagen in den Genen.

Endsex ist der Schönste

Im Angesicht des drohenden Endes in einem finalen Akt einfach noch mal was tun für die Erhaltung der Art. Vielleicht kommt ja eins durch? Notfruktifikation, oder Notfruchtung, nennt der Biologe das Phänomen.

Da staunt mitunter auch so manch erfahrene Hausfrau mit grünem Daumen, dass der Oleander plötzlich eingegangen ist, wo er doch im letzten Jahr noch so herrlich geblüht hat wie nie. Dabei war es nichts anderes als ein letzter, verzweifelter Geschlechtsverkehr vor seinem Ende.

Wir sollten etwas mehr auf die Natur hören. Im September sind Bundestagswahlen und ein Kirschbaum vor der Schkeitbarer Kirche scheint zu spüren, dass da nichts Gutes auf die gesamte Schöpfung zwischen Rhein und Elbe zukommt.

Die Ursula von der Leyen unter den Kirschbäumen. Ein herrliches Exemplar in Schkeitbar, wo sich nur wenige Meter weiter auch Fahrräder und anderes ehemals anderes Eigentum auf wundersame Weise vermehren.

Die Blütenpracht schreit geradezu in alle Himmelsrichtungen nach Fortpflanzung. Dieses Exemplar scheint sowas zu sein wie die Ursula von der Leyen unter den Kirschbäumen. Gebären bis zum goldenen Mutterkreuz! So schön kann der letzte Frühling sein. Genießen wir ihn!

Schöner ist in diesen Tagen nur noch ein Spaziergang oder eine Radtour über die Kippe zwischen Lallendorf und Kulkwitz. Da meint man, das orgastische Stöhnen der Bäume geradezu hören zu können.

Gangbang ist völlig natürlich

Wenn man diesem Treiben so zuschaut, könnte man fast neidisch werden. Mandelbäume tun es da mit Ebereschen, Ahorn vernascht Kastanien … es geht dort zu wie im Swingerclub.

Allerdings zeichnet auch hierfür das Phänomen der Notfruchtung verantwortlich. Bienen sind bei den Pflanzen sowas wie die Spermien beim Menschen. Sie transportieren das Erbgut von P nach U. Also von Prostata nach Uterus.

Auf der Kippe bekommt man  gratis einen Joint direkt aus Mutter Natur. Die Luft ist geradezu geschwängert vom Nektar anregender Süße.

Aber so wie beim mitteleuropäischen Manne die Spermien, werden in der übrigen Natur auch die Bienen immer seltener.

Also bäumt sich die Flora auf der Kippe im wahrsten Sinne des Wortes ein letztes Mal auf und zeigt im Frühling 2017 völlig schamlos all das, was der Mensch noch immer so züchtig verhüllt. Jede Blüte will, dass die Biene unbedingt zu ihr kommt.

Das Farbenspiel der Natur lässt das Fraktionsspektrum am Ratstisch wie eine Schwarz-Weiß-Aufnahme erscheinen.

Und das Tolle daran ist, dass sich die Blüten den Erfolg untereinander auch gönnen. Wenn da eine mit Minirock, schwarzen Strumpfhosen und per wasserstoffsuperoxid blondiertem Haar ein Insekt erfolgreich angelockt hat, wird sie von den anderen Blüten nie als Schlampe gemobbt. So weit weg ist der Mensch von der Natur.

Man möchte nur noch Baum sein

Man möchte sein Fahrrad abstellen, sich unter diese Pracht legen, tief einatmen und zum Augenblicke sagen: „Verweile doch, du bist so schön!“

Oder noch besser: Man möchte Baum sein in diesen Tagen. Wie herrlich wäre das. Den ganzen Tag Blüten gucken ohne Tanga, Tattoo oder Fruchtstempel aus Silikon. Und auch ohne die blöde Frage danach, ob man die Pille nimmt, wo es dann eh zu spät ist.

Nun sind wir aber leider Menschen und keine Bäume. Deshalb müssen wir uns mit dem Blüten angucken noch ein wenig gedulden. Damit es aber dann richtig losgehen kann, wenn es so weit ist mit dem Gucken, werden in der Blauen Lagune am Kulki schon die Vorbereitungen für die Eröffnung der Saison getroffen.

Und weil sowohl der Bademeister als auch seine Angestellten und die Gäste von Jahr zu Jahr ein Jahr älter werden, stehen zunehmend auch die Anforderungen an barrierefreies Schwimmen, erektionsfreies Sonnenbaden oder Relax-Steinen mit Ablage für die Dritten im Fokus.

Der heilige H4-Steinhain.

Sogar der Einstieg wurde verstärkt, weil die Badegäste mit zunehmendem Alter nicht nur unbeweglicher werden, sondern dadurch auch an Fleischweinwaage gewinnen. Wenn man da beim Betreten des Gewässers das Gleichgewicht verliert, kommt eine Stabilisierung der Statik ganz gut.

Auch wenn es scheint, dass es dann im Sommer mit der Notfruchtung vorbei ist und es nur noch darauf ankommt, die Brut effizient auszutragen, ist diese kleine, versteckte Ecke am Kulki ein wahres Kleinod.

Mancher fragt sich angesichts der teilweise frigiden Diskussionen um die alte Diva ohnehin, wozu man ein gechlortes Stadtbad mit lauter angezogenen Leuten braucht, wenn man sozusagen am Strand des beliebtesten Badesees Deutschlands wohnt.

Da kommen für den Betrachter wohl nur die akrobatischen Übungen in Frage, die da beim Umkleiden auf der Liegewiese vollzogen werden. Klar, dass man sowas unter Denkmalschutz stellen und auf Gedeih und Verderb erhalten muss.

Boje per Bonsai-GPS geortet

Am Kulki hingegen kann man sein Bier sogar im Badewasser entsorgen, ohne dass es groß auffällt, wie in der Diva nach Chlor riecht oder gelbe Flecken in der Bikinihose hinterlässt. Und man kann sich sogar drauf verlassen, dass man nicht zu weit raus schwimmt dabei.

Das garantiert in der Kulki-Lagune eine Boje, deren Standort jeden Tag vom Bademeister überprüft wird. Kaum zu glauben, dass dessen kleines Handy aus DDR-Zeiten schon über eine GPS-App verfügt.

Jedenfalls ist auch in der Lagune jetzt Frühling. Zwar badet dort jetzt noch niemand, aber ein paar Angler stehen da schon bis zur Hüfte im Wasser. Und während ein ausgewachsener Karpfen den Wurm an seinem Haken verpönt und statt dessen am Fruchtstempel des Petri-Jüngers zuppelt, meint dieser mit verleierten Augen ganz verträumt: „Frühling ist reine Gefühlssache.

 

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