Jahreshauptversammlung mit Abstieg aus der 4. Etage

Aufgeschreckt durch die Ankündigung, künftig nicht mehr in die vierte Etage aufzufahren, wollte ein außenstehender Beobachter teilhaben am Meinungsbildungsprozess der selbsternannten ErklärbärInnen und nahm am letzten Freitag als Berichterstatter an der Jahreshauptversammlung der MN-Aktionäre teil. Hier sein Report:

Eine übersichtlich und eindeutig formulierte Beschlussvorlage war fristgemäß und ohne Vorberatung in diversen Ausschüssen an alle NachtschichtlerInnen verteilt worden. Auch der Versammlungsort war gut gewählt. Mitten unter den Augen der Öffentlichkeit traf man sich in einer ländlichen Schänke und hatte damit die beste Tarnung überhaupt.

Dass nicht alle selbstgewählten Vertreter des Gremiums anwesend waren, hatte akzeptable Gründe. Ein Hashtag #me too für exponierte Satiriker ist noch nicht erfunden und daher verstecken sich einige der potenziellen Täter noch immer hinter dem Deckmantel der Eigenbrötlerei.

Noch viel wichtiger war jedoch, dass auch für genügend hochgeistige Substanzen gesorgt wurde. Quasi auf Kommission war schon literweise Brotschnaps geordert worden und es zeigte sich, dass das dringend notwendig war.

Ergreifende Szenen

Offenbar von tiefem Mitgefühl ergriffen, hatte es im Vorfeld der Jahrestagung sogar spendenwillige Bürger gegeben, die unbedingt darauf bestanden, dass der Verlauf der Sitzung nicht mehr im nüchternen Zustand erfolgte. Beste Voraussetzungen also für nachhaltige Entscheidungen. Schließlich ist Satire eine ernste Sache.

Noch bevor jedoch mit der kritischen Selbstbefragung begonnen werden konnte, spielten sich wahrhaft ergreifende Szenen unter den Nachtschichtlern ab. Der letzte Besuch in der vierten Etage hatte zwei der Möchtegern-Versteher so erschüttert, dass sie nur mit Mühe ihrem Kummer und ihrem Unverständnis Herr respektive Frau werden konnten.

Entscheidungsfindung

Klar interessiert nicht jeden Bürger, was da in den letzten Winkeln der 17 Ortsteile für Straßenbaumaßnahmen beschlossen werden, nicht jeden Rentner tangiert die Erhöhung der KiTa-Gebühren und wohl kaum ein Laie steigt durch einen in Doppik gefertigten Doppelhaushalt. Soviel Sadismus ist nicht jedem gegeben.

Aber sollte nicht schon der Anstand und vielleicht auch die viel gepriesene political-correctness gebieten, dass wenigstens den interessierten Bürgern, die den Weg in die vierte Etage finden, auch bürgernah erläutert wird, um was es eigentlich geht? Und könnte, nur mal kühn angedacht, eine vorherige Informationsmöglichkeit der Bürger wieder deren Interesse an einer Stadtratssitzung wecken?

So wurden zunächst alle MN-Beiträge zusammengezählt, in denen dieser Zustand angeprangert wurde. Zumindest hat man das versucht.

Die inzwischen eingesetzte Wirkung der bewusstseinserweiternden Stimulanzien sorgte allerdings dafür, dass der Zahlenraum jenseits der 5 nur noch bedingt zugänglich war und der Vorgang somit an dieser Stelle abgebrochen wurde. Fünf reicht ja auch.

Anschließend einigte man sich auf eine gemeinsame Position. Die lautet ungefähr so: Vorwerfen kann man niemandem etwas. Die Verwaltung kommt ihrer Informationspflicht nach. Zu mehr als dem, was sie öffentlich zugänglich macht, ist sie möglicherweise auch nicht verpflichtet. Außerdem ist es eine Stadtratssitzung und keine Verwaltungsversammlung.

Wer duhds’sch das an?

Also sollte es Sache der Abgeordneten sein, ab und zu auch mal an die hinter ihnen sitzenden Bürger zu denken und ihnen zumindest eine geistig aktive Teilhabe an den Entscheidungsprozessen zu ermöglichen. Wenigstens mal ein Impuls in der Richtung…

Da sie jedoch mit den vor ihnen liegenden Papieren so intensiv beschäftigt sind, scheint da kein Freiraum für Gedanken an die Wählerinnen und Wähler übrig zu bleiben. Diese Erkenntnis führte den MN-Versammlungsleiter schließlich dazu, gestreng in die Runde zu blicken und in breitestem Säggs’sch die Frage zu stellen: „Na unnuu? Wer duhds’sch dass nu äs näähchsde Mal an?“

Was dann folgte erinnert den Beobachter an so altertümliche Spiele wie ‚Schraps hat den Hut verloren’ oder ‚1, 2, 3, 4-Eckstein – alles muss versteckt sein’. Keine(r), wirklich keiner wollte sich für diesen Job zukünftig zur Verfügung stellen.

Ein Fall fürs Stadtmuseum: Letzte, historische MN-Aufnahme von der Tafelrunde.

Einer der Witzbolde versuchte gar, sich hinter dem Schnapsglas zu verstecken und meinte nach dem Auffliegen seiner Tarnung, dass es in Markranstädt andere Veranstaltungen gäbe, bei denen besser und schöner vorgelesen werde.

Nein, es gibt keinen Nachtschichtler mehr, der nur der Fortführung einer Serie zuliebe in die vierte Etage aufsteigt und im Ernstfall zwei Stunden oder länger mit anderen Bürgern im Nebel stochert, um dann anschließend bei der im Hinterhof stattfindenden Auswertung ebenfalls nur Halbwissender endlich zu kapieren, worum es da oben gegangen sein könnte.

Von den aufwändigen Wiederbelebungsmaßnahmen mal ganz abgesehen. „Das halten unsere Sponsoren und auch unsere Lebern nicht durch!“, hieß es in einem am Ende verabschiedeten Positionspapier.

Eine wahrscheinlich genetisch mit einem hohen Maß Masochismus gesegnete Mitstreiterin erklärte sich bereit, im Falle des Vorliegens von ausreichend Lust und Zeit wenigstens ab und zu in den Markranstädter Olymp aufzusteigen und sich anzuhören, was da gepriesen wird.

Heißt übersetzt: Sie geht nur dahin, wenn ihr Mann am ersten Donnerstag im Monat seine Regel hat oder mit seinen Kumpels eine Tupper-Party feiern will.

Wir schreiben eben das Lutherjahr. Da nagelt man symbolisch seine These an den Ratssaal und rät:: Schaut doch Eurem Volk mal endlich wieder auf’s Maul! Und lasst es teilhaben, an dem, was Ihr da besprecht und beschließt. Schließlich wird sogar in der katholischen Kirche die Messe mittlerweile nicht mehr auf Latein gelesen.

Kann jedoch auch sein, dass das nicht gewollt ist. Auch kein Problem. Aber dann sagt’s ehrlich und räumt wenigstens die Besucherstühle aus dem Saal. Man kann es ja künftig immer so machen wie zuletzt, dass man erst hinterher per fraktionsübergreifender Pressemeldung informiert. Das Kind aus dem Brunnen zu holen ist freilich öffentlichkeitswirksamer, als es vor dem Hineinfallen zu schützen. Amen

Was sonst noch beschlossen wurde:

  • Beiträge in der Ich-Form scheinen besser anzukommen. Da soll künftig mehr Augenmerk drauf gelegt werden.
  • Die Galerie des Karikaturisten wurde vernachlässigt. Sie wird in den nächsten Tagen aktualisiert und erfährt dabei auch gleich ein Relaunch.
  • Manche Beiträge sind zu lang. Ausgerechnet die weiblichen Mitstreiter erhoben die Forderung, das Vorspiel zu verkürzen und schneller auf den Punkt zu kommen. Wahnsinn, zu welchen Erkenntnissen Satire fähig ist!
  • Der MN-Techniker ließ in Abwesenheit darum bitten, die Suche nach Mitstreitern mit technischer Affinität für die Bearbeitung von Videos zu forcieren. Auch Schriftkundige mit satirischen Kernkompetenzen und Menschen, die sich auf Programmierung bzw. Anwendung von WordPress verstehen, sollen umschmeichelt werden.

Wie immer bei solchen Veranstaltungen, hieß es auch bei der MN-Jahreshauptversammlung: „Es gilt das gesprochene Wort.“ Das konnte man am Ende ohnehin nicht mehr auf die Goldwaage legen. Als der Wirt weit nach Mitternacht die Rechnung brachte, wurde mit Erstaunen festgestellt: „Dsha hammr awwer gntz schön … Ums… hhhh …. satz g’macht!“

 

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