„Unbeschreiblich, was hier gerade passiert!“

Sie wollten nur mal wissen, wo sie im sächsischen Maßstab stehen, die kleinen Tanzbärchen des Kultur- und Faschingsvereins Seebenisch. Und so fuhren sie am letzten Wochenende zu den Landesmeisterschaften im karnevalistischen Tanzsport nach Chemnitz. Das Ende ist bekannt. Vizemeister und Qualifikation fürs heute stattfindende deutsche Halbfinale in Aachen! Aus dem vermeintlichen Ende wurde also eine plötzliche Fortsetzung. Allerdings mit ungeahnten Folgen.

Großer Bahnhof am Bahnhof. Rund 50 Menschen hatten sich trotz eisiger Temperaturen gestern in Markranstädt versammelt, um den 15 kleinen Stars und ihrer Trainerin Patricia Gollas eine gute Reise nach Aachen und dort vor allem alles Gute und viel Glück zu wünschen. Hinter ihnen, auch den Daheimgebliebenen, liegt eine völlig verrückte Woche, die sie so schnell nicht vergessen werden.

Sie begann am letzten Samstag mit den Landesmeisterschaften in Chemnitz. Wie immer in Chemnitz. Und wie immer, wurden vor dem Beginn der Wettkämpfe jene Karnevalsvereine gewürdigt, ohne deren Engagement die Durchführung der Meisterschaften angeblich so nicht möglich wäre. Dass diese Vereine dann in der Regel auch vordere Plätze belegen, hat damit natürlich nichts zu tun.

Fan-Foto der Seebenischer Tanzbärchen.

Und so traten die Seebenischer Tanzbärchen, allesamt im Alter zwischen 6 und 11 Jahren, mit eher bescheidenen Zielen an. Nur nicht Letzter werden oder sowas in der Art. Für ganz vorne waren die Voraussetzungen ohnehin eher ungünstig. In den Metropolen des Karnevals kauft man die Choreografien schon gerne mal von professionellen Agenturen ein und gegen die Pracht-Kostüme der Faschingshochburgen kann ein kleines Team vom Dorfe ebenfalls kaum punkten.

Da braucht man schon ein gewisses Selbstbewusstsein, wenn man sich mit den ganz Großen des Klamauks rund um die 5. Jahreszeit allein mit den Merkmalen „made in seebenisch“ messen will.

Fasching in Kulkwitz: DieTanzbärchen in Aktion.

Gut ist’s, wenn man eine mit allen Wassern gewaschene Trainerin hat. Patricia „Pati“ Gollas zählt trotz ihrer jungen Jahre sozusagen zu den tänzerischen Urgesteinen im KFV, hat selbst schon unzählige Titel und Pokale in ihrer Vitrine. Seit 2014 trainiert sie die Tanzbärchen und wie das bei den Seebenischer Karnevalisten üblich ist, brütet auch sie noch selber über den Choreografien.

Zurück nach Chemnitz: Völlig überraschend durften sich die Seebenischer Tanzbärchen plötzlich als Sieger wähnen. Sagenhafte 385 Punkte brachte ihr Tanz ein. Favorit Pegau, so hieß es zunächst, könne nicht gewertet werden.

Szene aus dem Schautanz bei den Sächsischen Meisterschaften am vergangenen Wochenende in Chemnitz.

Dem Vernehmen nach bestand der Grund in einer unerlaubten Produktwerbung, aber auch ohne diesen Makel sahen sich die Seebenischer in der Vorhand. Deren Choreografie war neu, während die Pegauer die gleiche Konzeption wie im Vorjahr präsentiert haben sollen. Dafür gibt’s regelkonform Punktabzüge, mit denen man eigentlich kaum noch gewinnen kann.

Am Ende aber kam es anders. Die Jury korrigierte ihre Entscheidung, der Pegauer Tanz wurde mit 399 Punkten gewertet und den Seebenischer Tanzbärchen blieb nur, den verdienten Siegern zu gratulieren.

Was dann folgte, mag vielfältige Gründe haben, aber es reicht, sie als einen beispielhaften Akt sportlicher Größe zu bewerten.

Beispiel sportlicher Fairness

Der mit dem KVF in auch sonst freundschaftlichem Bunde stehende Pegauer Karneval Klub trat sein mit dem Sieg erworbenes Startrecht für die Norddeutschen Meisterschaften an die Seebenischer ab.

Die Pegauer wurden damit auch noch zum Sieger der Herzen und die Kids von den Ufern der Vernässungsfläche stehen heute im bundesdeutschen Halbfinale. Was ne Geschichte!

Endstand der Sächsischen Meisterschaften

Doch kaum waren die ersten Jubelrufe verhallt, mischten sich besorgte Gesichter der Eltern und Betreuer in die Freude. Das Halbfinale sollte schon eine Woche später steigen und noch dazu in Aachen. Da rollte sogar schon manch Träne, weil hier und da sofort klar war, dass der Trip nicht in den familiären Etat passt.

Mitten hinein in die ersten Überlegungen zu einer diplomatisch formulierten Absage platzte die Mitteilung einer der kleinen Tänzerinnen. Sie sah mit erwartungsvollen Augen in die Runde und stellte mit entwaffnendem Selbstbewusstsein fest: „Klar fahren wir dahin!“

„…türlich fahren wir da hin!“

Da konnte niemand mehr ein Nein über die Zunge lassen. Der Sektionsleiter des KFV holte tief Luft und antwortete ihr: „Na … türlich. … fahren wir da hin. Was denn sonst?“

In seinem Unterbewusstsein klickten derweil bereits die Synapsen und erstellten schon mal eine erste Kalkulation des finanziellen Desasters, auf das der Verein binnen nur einer Woche zusteuern könnte.

Glückliche Kids bei der Siegerehrung in Chemnitz.

Vom freien Sonntag, auf den man sich nach den sächsischen Meisterschaften freute, blieb für die Eltern und KFV-Organisatoren nur ein kurzes Frühstück.

Danach wurde bis in die Abendstunden des folgenden Montag gekurbelt, gerechnet, telefoniert, verhandelt und geplant. Hin- und Rückreise, Unterkünfte, Verpflegung, Startgelder, Laufkarten … es summierte sich am Ende auf runde 3.000 Euro.

Gute Beispiele für Signalwirkung

Jetzt waren warme Herzen gefragt, die sich in Anbetracht des nahenden Kinderglücks zu saftigen Steaks weiten könnten und so die Brieftaschen gesonnener Seelen öffnen.

Karin Gollas, die Mutter der Trainerin und Inhaberin einer Praxis für Kinderosteopathie, hatte gleich nach dem Wettkampf eine Spende zugesagt, ebenso die Mutter einer der kleinen Tänzerinnen.

Mit diesem Rückenwind ausgestattet, begab sich das KFV-Team in die heiße Phase der Finanzierung und traf dabei auf überraschend viele offene Türen.

Ob Stadt, Unternehmen oder Privatpersonen – niemand ließ sich lange bitten. Als dann am Donnerstag in der LVZ über diese ungewöhnliche Geschichte berichtet und dabei auch die E-Mail-Adresse der Tanzbärchen veröffentlicht wurde, folgte am Freitag der nächste Hype.

Wahnsinn, was da abgeht!

„Alles aus dem Weg. ICH muss tanzen!“

„Es gingen gestern schon die ersten Mails von Spendern bei den Tanzbärchen ein… also unbeschreiblich, was hier gerade passiert!“, hieß es beispielsweise in einer vereinsinternen E-Mail vom Freitag. Unbeschreiblich auch, wie diese Woche die Eltern, Kinder und den Verein zusammengeschweißt hat. Jeder hat sich gekümmert, organisiert, Aufgaben übernommen. In der Whatsapp einer Mutter war zu lesen: „Wir sind so stolz, zu so einem tollen Verein zu gehören.“

Gereicht hat das Spendenaufkommen leider trotzdem noch nicht. Aber der Termin ließ es nicht mehr zu, bis zu einem möglichen Happy End zu warten. Gestern Nachmittag brachen die Seebenischer Tanzbärchen und ihre Begleiter nach Aachen auf, um heute den Freistaat Sachsen bei den Norddeutschen Meisterschaften zu vertreten.

Der Bus stand auf der Autobahn im Stau. Mit einer Stunde Verspätung gings von Markranstädt ab in Richtung Aaachen.

Es ist also sprichwörtlich „eine Fahrt ins Blaue“ mit ungewissem sportlichen wie auch finanziellen Ausgang. Eines aber ist gewiss: Die 15 Tanzbärchen (14 Mädchen und ein Junge) werden in Aachen alles geben und sich bestimmt darüber freuen, wenn auch hier in der Heimat noch etwas gegeben wird.

Sollte es sogar zur Sensation kommen und sich die Kids fürs Finale qualifizieren, droht übrigens kein finanzieller Kollaps mehr. Die Deutschen Meisterschaften im karnevalistischen Tanz finden diesmal in Halle statt. Nicht in Halle/Westfalen, sondern im gleichnamigen Vorort von Markranstädt.

Weiß der Geier, was es in der Stadt an der Saale zu lachen gibt und warum gerade dort die Hochkultur des Karnevals Einzug halten soll. Aber wenn’s am Ende unsere Tanzbärchen sind, die dort gut Lachen haben, soll’s egal sein.

„AACHEN – WIR KOMMEN“  Wenn sie das nächste Mal Richtung Holland fahren, dann haben sie auf dem Rückweg sicher andere Sachen im Gepäck als Urkunden oder gar einen Pokal.

Unter der E-Mail-Adresse tanzbaerchen@seebenisch.de können Sie Kontakt aufnehmen und die Möglichkeiten von Spenden bzw. Unterstützung absprechen.

 

 

4 Kommentare

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  1. Ein toller Artikel, absolut treffend formuliert!
    Nach einem mega Auftritt unserer Tanzbärchen in Chemnitz, war der Jubel groß. Es folgte ein auf und ab der Gefühle, gemischt mit Freude, Stolz und Begeisterung, dass unsere Tanzbärchen bei der zweiten Teilnahme der Sächsischen Meisterschaft mit ihrem Talent und Spaß am Tanz sich gleich für das Halbfinale der Deutschen Meisterschaften für karnevalisten Tänze qualifizierten.

  2. Ich durfte gestern dieses tolle Erlebnis mit meinen kindern gemeinsam erleben und ich bin stolz sagen zu können wir waren dabei. Der Verein, die kinder, die Eltern und die Sponsoren haben haben den Tag unvergesslich gemacht. Der Artikel ist sehr schön geschrieben und trifft es auf den Punkt. An diesen Tag werde ich mich ein Leben lang mit Tränen vor stolz erinnern. Danke an alle

  3. Sehr gut geschriebener Artikel. Die Emotionen welche alle Beteiligten bei der Sache durchlebt haben werden sehr gut rüber gebracht. Diese Geschichte ist ein perfektes Beispiel für tolle Vereinsarbeit und Jugendförderung. Der Beitrag sollte direkt an alle geschickt werden, die den Leipziger Karneval mit ihrer Bürokratie kaputt machen wollen.

  4. Da ich solche Meisterschaften auch kenne,kann man wirklich nur sagen Respekt,Hut ab und viel Glück und nicht zu vergessen viel Spaß bei diesem Erlebnis.*Daumendrück*

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