Glühwein mit Schuss

Die Kurve zeigt klar nach oben. Verirrten sich vor neun Jahren erstmal nur einige Neugierige, um zu sehen, was da auf dem Marktplatz so los ist, nahm die Besucherzahl in den Folgejahren stetig zu. Am Samstag, beim 9. Markranstädter Weihnachtsmarkt, waren schon vor der offiziellen Eröffnung kaum noch Pflastersteine zu sehen. Das Areal vorm Rathaus war proppevoll!

Punkt 14:30 Uhr ließ Pfarrer Zemmrich zur Andacht in die Kirche bitten. Kaum ein Platz blieb unbesetzt in St. Laurentius, hinten mussten einige Schäfchen sogar stehen. Und was der Pfarrer ihnen allen mit auf dem Weg gab für die Adventszeit, waren genau die richtigen Gedanken vor dem Sturz in den Markttrubel.

Einfach mal drüber nachdenken, was und wem wir zu glauben bereit sind – das war Zemmrichs Kernbotschaft. Wenn jemand sagt, wir müssen in den Krieg ziehen, dann sind wir manchmal ebenso schnell bereit, das zu glauben wie den Werbebotschaften, was wir zum Leben angeblich alles so unverzichtbar bräuchten. Die Verantwortlichen hinter diesen Worten sind aber ebenso schwer „anzufassen“ wie Jener, der uns eben nicht vorschreibt, was wir kaufen oder ob und gegen wen wir in den Krieg ziehen sollen.

Und so schrieb Zemmrich den Andächtigen auch nicht vor, was sie von seinen Worten halten sollen, sondern entließ sie mit Gedanken darüber, warum wir gar zu oft und gar zu gern jenen Geistern Glauben schenken wollen, die nichts Gutes verheißen und Jenem, der Gutes will, mangels körperlicher Präsenz eher Bedeutungslosigkeit unterstellen.

Die Andacht und das Co-Referat

Zemmrichs Vergleiche zur realen Situation in diesen Tagen hatten eine Brisanz, die zumindest das heidnische Ohr in ähnlicher Form und Deutlichkeit zuletzt bei den Friedensgebeten anno ’89 in deutschen Kirchen gehört hat. Da tut sich was unter den Dächern unserer Gotteshäuser. Was unser Pfarrer sagte, hatte jedenfalls mehr Inhalt als das Extrakt aller so genannter Expertenrunden in den Polit-Talkshows des Fernsehens in der letzten Woche zusammen.

Keine leichte Aufgabe für Beate Lehmann, die Worte des Pfarrers in ihrer Eröffnungsansprache auf dem Marktplatz anschließend noch zu toppen. Die 1. Beigeordnete hatte wieder einmal den Bürgermeister zu vertreten, trat dabei aber nicht in Konkurrenz zum Pfarrer, sondern beließ es bei einem kurzen Abriss zur Entwicklung des Markranstädter Weihnachtsmarktes.

Angesichts der positiven Tendenzen und der Beliebtheit dieses Events hat das auch völlig gereicht. Die Menschenmassen vor der Bühne trugen Beweiskraft genug für die Aussage, dass sich der Markranstädter Weihnachtsmarkt als fester Programmpunkt im Adventskalender der Stadt etabliert hat.

Urbi et orbi am Zschampert

Während sich oben auf der Bühne Kindergartengruppen, Vereine und Darsteller sprichwörtlich die Klinke in die Hand gaben, tingelte man unten auf dem Marktpflaster von Stand zu Stand und verklappte becherweise Glühwein in den durstigen Kehlen. Überall formierten sich Grüppchen, es wurde gelacht, gesungen und schlussendlich zu den Rhythmen der Stammtischler sogar getanzt.

wmarkt

Urbi et markransis: Genauso wie in Rom, wird auch in in Markranstädt die Weihnachtsansprache vom Stellvertreter gehalten.

Ja, die Kritik, dass es ruhig ein paar Buden mehr hätten sein können, kann man gelten lassen. Allerdings sind damit nicht Stände gemeint, an denen man original erzgebirgische Volkskunst aus China kaufen kann, die es auf dem Markranstädter Weihnachtsmarkt zum Glück sowieso nicht gibt und auch nicht geben sollte.

Kräppelchen statt Begrüßungsgeld

Aber angesichts der Schlangen vor so manchem Versorgungsstand fühlte man sich ab und zu doch in der Zeit um 25 Jahre zurückversetzt. Erst an der Theke wurde dann nach einer Viertelstunde klar, dass es nur Kräppelchen gab und kein Begrüßungsgeld.

Trotzdem: So richtig Kritik gab es selbst daran nicht. Immerhin hat man auch beim Anstehen in der Schlange noch Leute getroffen, die man lange nicht gesehen hat und mit denen man sich deshalb kurzweilig unterhalten konnte. Entschleunigung gehört einfach dazu, wenn man sich in der besinnlichen Adventszeit etwas besinnen will. Wer schnell bedient und mit Eindrücken vollgestopft werden möchte, muss halt ins Nova Eventis fahren.

Viele warme Gedanken…

Als es zu später Stunde auf dem Marktplatz richtig kalt wurde, erfreute dann auch so manch unter Glühwein gelockerte Zunge das Ohr des aufmerksamen Satirikers. So meinte beispielsweise ein Besucher zu seiner frierenden Frau, sie könne sich doch im Bürgerrathaus ein wenig aufwärmen. „Da oben steht ein Büro leer, das die meiste Zeit sinnlos beheizt wird.“ Augenblicklich war allen Umherstehenden ob dieser pointierten Lagebeschreibung wieder warm.

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Viel mehr muss man zum 9. Markranstädter Weihnachtsmarkt nicht sagen. Der Rest ist garantiert in den sozialen Netzwerken und einschlägigen Medien zu erfahren. In Anbetracht vier (!!!) offizieller Fotografen (sogar gleich zwei davon aus dem Rathaus) konnte der MN-Knipser seine Kamera gleich wieder ins Auto verfrachten und sich ohne fotografischen Ballast ins Gewühl stürzen.

MN-Fotograf ohne Mut

Sowieso hat der Fotobeauftragte der Markranstädter Nachtschichten viel zu viele Skrupel. Während richtige Paparazzi nicht einmal davor zurückschrecken, inmitten einer Andacht in der Kirche auf den Auslöser zu drücken (und damit ausgerechnet jene Institution zu inszenieren, die man beispielsweise in Fragen des Themas „Asylbewerber“ konsequent ignoriert), hat es dem MN-Fotoversager angeblich die Pietät verboten, allein schon seine leere Fototasche mit in die Kirche zu nehmen. Sowas von mutlos … den kann man eigentlich nur noch entlassen.

 

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