Psychosomatische Satire mit Antidepressiva

Zur Erinnerung: Zu den im Titelfoto mit einem ernsten Emoticon versehenen Beiträgen konnte oder wollte dem Team der Markranstädter Nachtschichten nichts Satirisches einfallen. So wie gestern Abend nach der donnerstäglichen Zusammenkunft der Bürger auf dem Marktplatz, die dort ihre Fragen zur gegenwärtigen Asylpolitik stellten. Zwar gab es da auch satirische Ansatzpunkte, aber die waren nicht nur rar, sondern auch marginal gegenüber dem, was sonst dort so zur Sprache kam.

Etwa 50 Bürgerinnen und Bürger waren dem Aufruf zum Forum gefolgt. Wesentlich weniger als zuletzt, obwohl es diesmal sogar ein paar Grad wärmer war. Möglicherweise hatten auch einige grenzüberschreitende Wortmeldungen ausländischer Demo-Touristen auf den zurückliegenden Kundgebungen dafür gesorgt, dass der Kreis kleiner wurde.

Zuerst zu den negativen Aspekten: Es gab zahlreiche Wortmeldungen, in denen versucht wurde, die gegenwärtige Situation in allen Facetten zu beleuchten. Wenn dann aber Laien mit dem Selbstbewusstsein eines Generalbundesanwaltes die juristische Situation darlegen und dabei zum Beispiel Tunesien oder Marokko wider den gegenwärtigen Tatsachen als rechtlich sichere Drittstaaten ausgeben, kann der sittliche Nährwert einer solchen Veranstaltung schon von vornherein großen Schaden nehmen.

Auch durchaus berechtigte und ganz sicher sinnvolle Fragen erscheinen in einem anderen Licht, wenn man vollkommen normale und legale Vorgänge, wie zum Beispiel die Zuweisung von Flüchtlingen, als „Nacht- und Nebelaktion“ disqualifiziert. Ein wenig mehr mit dem rhetorischen Bügeleisen gearbeitet, könnte den Fragen und Aussagen sicher zu wesentlich mehr Gewicht verholfen werden.

Aber genau hier stellt sich ganz von selbst die Frage aller Fragen. Wer sollte das beurteilen, wer legt Wert auf das Gewicht der Fragen? Es war niemand da, der sie hätte beantworten können, weil schon der Ort der Fragestellung der falsche war. Auch der Vergleich von Mutti und Merkel mit Schwarzwälder Kirschtorte und einem Kuhfladen würde zumindest mutiger und aufrichtiger klingen, wenn man ihn der Kanzlerin direkt ins Gesicht sagt statt ihn populistisch der Info-Stele vorm Rathaus anzuvertrauen.

So beschränkte sich der neutrale Aspekt der Veranstaltung auf das Gefühl, dass hier Menschen in ihrer Verzweiflung, keinen Ansprechpartner zu finden, die Parkuhr in der Schulstraße als Beichtvater nutzen. Dem vorübergehenden Gefühl, der Seele damit Erleichterung verschafft zu haben, folgt bald schon die Erkenntnis fehlender Antworten. Das steigert den inneren Druck und wehe, wenn der ein Ventil findet. Druck weicht immer an der schwächsten Stelle und die heißt eben nicht Mutti oder Angela, sondern Aische oder Adawiyah.

Insofern ist es eine gefährliche und unverantwortliche Strategie, die auf dem Marktplatz versammelten Menschen pauschal in die rechte Ecke zu deportieren und ihnen mangelnden Verstand zu unterstellen. Es sind Menschen, die Fragen haben und Antworten wollen. Das muss man ernst nehmen.

Dass da mitunter auch kräftige Worte fallen, hat zwei Ursachen. Einmal sind da möglicherweise Tonträger, denen man vielleicht wirklich fremdenfeindliche Hintergründe unterstellen kann. Mag sein. Viele andere Menschen aber sehen keine andere Möglichkeit, mit ihren Fragen wahrgenommen zu werden, als zunächst einmal mit verbalen Donnerschlägen auf sich aufmerksam zu machen.

Hieran sind die Medien nicht schuldlos. Wenn über die Demo von 300 Legisten in Leipzig mit Foto auf der Titelseite berichtet wird, wenige Tage später 55.000 Demonstranten gegen das TTIP-Abkommen in Berlin aber nur eine Randnotiz abgeben, ist die Botschaft fatal.

Sie sagt: Ganz gleich ob es um das Reinheitsgebot beim Bier geht oder um deine Kniebeschwerden, wenn du wahrgenommen werden willst, hebe erst mal den rechten Arm und rufe laut Heil Hitler. Schon hast du alle Aufmerksamkeit.

Ernste Alternative zu Facebook & Co.

Womit wir beim positiven Aspekt des gestrigen Abends wären. Hier trafen sich Menschen, die sich eben nicht damit zufrieden geben, möglichst anonym irgendwelche Sprüche auf fragwürdigen Facebook-Portalen durch die Welt zu schicken. Sie haben sich mit Namen und Gesicht gezeigt. Der Abend hat auch deutlich gemacht, dass die Ursachen für die Situation und das Unverständnis in Teilen der Bevölkerung rein politischer Natur sind. Ja, die politisch agierenden Kräfte haben versagt, was die Information des Volkes und die Vorbereitung unserer Gesellschaft auf die vor uns liegenden Aufgaben angeht.

Es wurde vielleicht nicht gelogen in der politischen Ebene, aber zu viele Dinge wurden verschwiegen. Das hat für Misstrauen gesorgt und sowohl die Fragen als auch die Aussagen auf dem Marktplatz sind nichts weiter als das Ergebnis dieser politischen Arroganz. Statt Fragen zu beantworten und Vorgänge klar zu definieren, wurde stets die deutsche Verantwortung für den letzten Krieg bemüht. Wer zur Asylpolitik Fragen stellte, stellte die deutsche Verantwortung für den Holocaust in Frage und wurde gesellschaftlich geächtet. Das war und ist einfach so.

Fragen der Definition

Allein die Definition des Asyl-Begriffs könnte unterschiedlicher nicht sein. Im allgemeinen Rechtsverständnis des Bürgertums ist Asyl gleichbedeutend mit Schutz, bis die Gefahr vorbei ist. Logisch, denn das war schon immer so. Selbst im Altertum und im Mittelalter war der Schutzstatus in Kirchen und an den Asylsäulen zeitlich begrenzt. Unsere politisch Agierenden verstehen jedoch unter Asyl eher ein dauerhaftes Bleiberecht.

Das kann man ja so machen, aber dann gehört es sich, dass man das dem Volk auch so sagt und es ihm nicht mit unverständlichen Paragrafenzusätzen heimlich unterjubelt.

Gucken und gehen – auch in Ordnung

Es gab gestern auch einige Bürgerinnen und Bürger, die sich das nur mal anschauen wollten und nach ein paar Minuten kopfschüttelnd nach Hause gingen. Das ist gut so. Zur Meinungsfreiheit gehört auch, eine Meinung zu anderen Meinungen haben zu dürfen.

Die Kosten der Meinungsfreiheit

Immerhin erlaubt es unser Grundgesetz auch, dass Menschen ihr „Refugees welcome“ zum Ausdruck bringen dürfen, die in den Topf, aus dem das Willkommen bezahlt wird, noch nie auch nur einen Cent eingezahlt haben. Im Gegenzug müssen das jene, die diesen Topf jeden Tag stets aufs Neue füllen, auch akzeptieren.

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Auch wenn es immer weniger Teilnehmer werden und selbst wenn es nur einer wäre: Probleme müssen ernst genommen werden.

Es geht den meisten Bürgerinnen und Bürgern – und das ist das Resümee des gestrigen Abends – nicht darum, schutzbedürftigen Menschen kein Asyl gewähren zu wollen, sondern um klare Regelungen, konkrete Definitionen und ehrliche Aussagen, an denen man sich orientieren kann.

Daran fehlts im Lande und das lässt sich auch dadurch nicht kaschieren, dass man Fragen von Menschen ignoriert, nur weil sie Formulierungen enthalten, die nicht in den vermeintlich gesellschaftlich genormten Sprachgebrauch passen.

Blick ins Wartezimmer

Gegenwärtig drängt sich dem objektiven Betrachter jedenfalls der Vergleich auf, dass hier ein Patient kurz vorm Herzinfarkt vom Arzt mit der Diagnose psychosomatischer Selbstwahrnehmungsstörung und einem Rezept für Antidepressiva nach Hause geschickt wird. Die Hoffnung auf spontane Selbstheilung schwindet von Tag zu Tag mehr.

 

6 Kommentare

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  1. Eine Frage an dem Autor diese Beitrages. Der Wortlaut „Tunesien oder Marokko wider den gegenwärtigen Tatsachen als rechtlich sichere Drittstaaten ausgeben“ entspricht nicht der Wahrheit, denn in der LVZ vom 27.02.2016 steht auf der zweiten Seite etwas anderes. Man kann zu diesem Thema auch Online folgendes lesen: http://www.lvz.de/Nachrichten/Politik/Sichere-Herkunftslaender-Union-gegen-Absprache-mit-Gruenen

    1. Der von Ihnen angeführte LVZ-Beitrag steht nicht im Widerspruch zur Aussage in den MN. Im LVZ-Beitrag heißt es: „Die Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten um Marokko, Tunesien und Algerien stellt Union und SPD vor neue Probleme bei der Umsetzung von Beschlüssen ihrer Regierung. CDU und CSU warfen dem Koalitionspartner vor, einen entsprechenden Gesetzentwurf nicht schon in dieser Woche behandeln zu wollen.“ Da stehts schwarz auf weiß: Der Gesetzesentwurf wurde noch nicht behandelt. Fakt ist: Die Maghreb-Länder zählen noch nicht zu den so genannten sicheren Herkunftsländern. Die Beratungen zu deren Einstufung sind noch im Gange und daher kann man zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen, dass sie zu den sicheren Herkunftsländern zählen. Wenn einige Politiker (ja sogar Minister) trotzdem solche Aussagen treffen, handelt es sich entweder um deren persönliche Meinung oder es ist eine falsche Aussage.

  2. Allein dieser Satz ist das Lesen dieses Artikels wert: „Immerhin erlaubt es unser Grundgesetz auch, dass Menschen ihr „Refugees welcome“ zum Ausdruck bringen dürfen, die in den Topf, aus denen das Willkommen bezahlt wird, noch nie auch nur einen Cent eingezahlt haben.“! Emotionalität und Empathie gehören zu einer menschlichen Gesellschaft dazu, aber allein darauf kann man keinen funktionierenden Staat aufbauen.

    1. Ich denke gerade bei diesem Satz ist Widerspruch vonnöten. Das deutsche Steuersystem gewährleistet, dass auch jene in den sog. Topf einzahlen, die arm dran sind und zu den sog. sozial Schwachen gerechnet werden. Sie kaufen Lebensmittel und Kleidung, vielleicht auch Alk und Zigaretten, fahren ein bescheidenes Auto mit Diesel oder Benzin und verbrauchen auch Energie für Strom und Heizung. Auf alle diese Dinge werden Steuern bezahlt auch von denen, die sonst nix haben. „Noch nie auch nur einen Cent“ erscheint mir als eine sehr gewagte Feststellung.

      1. Es ist eben aus jenen Gründen auch nicht behauptet worden, dass sozial schwache oder arme Menschen zu jenen Personen zählen, die noch nie einen Cent in diesen Topf eingezahlt haben.

  3. Wieder treffend den Abend analysiert. Jedoch waren auch dieses mal Demo-Touristen vor Ort und das hat mir ein wenig die Lust auf mehr vergeudet.
    Leider auch die Ansprache eines Mitgliedes der AfD, was an sich nicht verwerflich ist, wenn aber dessen Worte nur dazu genutzt werden um die Menge an zu puschen und Beifall zu heischen, ist es egal ob die Worte wahr oder unwahr sind es passt nicht zu einer echten demokratischen Diskussionskultur. Darum und um auch meiner Männergrippe zeit zum Entweichen zu geben blieb ich diesmal nicht bis zum Schluß.

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