Fünf Kilometer entfernt: 279 Millionen, keiner will sie haben

In Markranstädts Nachbarstadt Lützen brodelt es. Erst wurde die Kommune mit einer Gewerbesteuer-Nachzahlung von 129 Millionen Euro beglückt, die man dort aber nicht haben wollte. Echt nicht! Und jetzt droht eine Steuerzahlung von noch einmal 150 Millionen Euro, die offensichtlich sogar das ganze Land Sachsen-Armut in Bedrängnis bringt. Was ist da los jenseits des Floßgrabens?

Zur Erinnerung: In Markranstädt meldete man im vergangenen Jahr stolz, die Fünf-Millionen-Marke bei den Gewerbesteuereinnahmen erreicht zu haben. Lützen hingegen drohen nun schon rund 280 Millionen, aber man will sie nicht. Das 56fache der Lallendorfer Einnahmen abgelehnt! Nützt nichts – für solch eine Story muss sich ein Reporter auch mal mitten hinein in den Krisenherd jenseits des Floßgrabens begeben und direkt aus der dritten Welt berichten.

Es ist Real-Satire, da braucht man sich kaum lustige Formulierungen einfallen zu lassen oder Geschehnisse zu überhöhen. Es reicht, was der Alltag bietet und gibt einen Blick auf die Zwielichtigkeit frei, mit der man heute nicht durch Arbeit, sondern allein mit Geld Geld verdient. Der Irrsinn hat solche Ausmaße angenommen, dass sich seit Wochen selbst renommierteste, deutschlandweit erscheinende Tageszeitungen, Fernsehsender und Nachrichtenmagazine die Klinke des historischen Lützener Rathauses in die Hand geben.

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Das Lützener Rathaus: Hier begann 2003 der Deal mit der Deutschen Bank.

Es begann im Jahre 2003, als Typen mit hessischem Dialekt und Nadelstreifen auf der Suche nach einem Steuerparadies aus ihren schwarzen Limousinen stiegen und sich in eben jenem Rathaus nach freien Gewerberäumen erkundigten. Die hatte Lützen nicht, aber im 200-Seelen-Dorf Sössen, ganz in der Nähe, hatte man noch eine Abstellkammer im neuen Feuerwehrhaus frei. Der Flughafen war nicht weit weg, das Domizil versteckt genug – die Deutsche Bank-Tochter DB Value ließ sich in Sössen nieder. Dass man das Büro nur über eine Außentreppe durch die Hintertür erreicht, macht der Hebesatz von 200 v.H. für das Finanzunternehmen mehr als wett.

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Die mondänen Tore im Frontbereich dieses Häuschens in Sössen OT Gostau sind den Kameraden der FFW vorbehalten. Die Manager der Deutschen Bank schleichen sich über die  Außentreppe an der Rückfront in die Hinterzimmer des eindrucksvollen Finanz-Tempels.

Was da genau gemacht wird im Hinterzimmer der Freiwilligen Feuerwehr Sössen, ist nicht von Bedeutung. Es geht um Geld und da erklärt sich so mancher ethische Anspruch ganz von selbst. Fakt ist, dass die Deutsche Bank in den letzten 13 Jahren eine dreistellige Millionensumme an Gewerbesteuern zahlte. Die kassierte die kleine Gemeinde bis zur Eingemeindung nach Lützen selbst.

Natürlich waren an die kommunalen Handaufhalter auch entsprechende Umlagen zu entrichten, aber für Sössen blieb immer noch genug übrig, um aus dem einst dahin siechenden Dörfchen ein Schmuckkästchen zu machen.

Beispiel: Weil die Telekom klamm war, finanzierte der Ort sein DSL-Netz selber und weil auch das für die Magenta-Truppe aus Bonn wegen der Abgelegenheit des Dörfchens nicht lukrativ genug war, bezahlte Sössen den DSL-Ausbau für Starsiedel gleich mit.

Als man mit dem Dörfchen fertig war, sich ein mondänes Gemeindezentrum mit Bürgerhaus und Bauhof samt Technik aus dem Boden erhob und selbst die neuen Bushaltestellen mit Kupfer-Dachrinnen verziert waren, griff man sogar umliegenden Kommunen bei deren Straßenbau unter die Arme.

Doch das Glück währte nicht lange. Wie überall, drohte bald auch Sössen die Eingemeindung. Eine Ehe mit Lützen sollte es werden. Die klammen Kassen der Gustav-Adolf-Stadt klingelten bei dieser Verheißung schon mal zur Probe. Zuvor aber zog die Gemeinde vors oberste Gericht des Landes.

Die Zusammenhänge sind mit logischen Worten nicht erklärbar. Vereinfacht gesagt, war im Finanzgesetz des Landes Sachsen-Armut nicht vorgesehen, dass eine Kommune schwarze Zahlen schreibt. Die zu zahlende Umlage stieg progressiv, was dazu führte, dass ab der schwarzen Null aufwärts mehr abzuführen war, als man einnahm.

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Fix draufklicken und angucken: Lange haben ARD und MDR den Fernsehbeitrag sicher nicht mehr in ihrer Mediathek. Allerdings entstand dieser Beitrag bevor weitere 150 Millionen angekündigt wurden.

Um die restlichen Millionen zu sichern, trat Sössen einer Stiftung bei, stockte sie auf und startete nach der Eingemeindung mit diesem Kapital ein selbst finanziertes Dorferneuerungsprogramm. Viele Einwohner und Vertreter der Kernstadt Lützen übten sich seither in Neid, der noch gefüttert wurde, als die Gemeinde den Gerichtsstreit mit dem Land gewann.

Dann brach die Finanzkrise über Deutschland herein. Mitunter wird heute gern behauptet, dass sich Angela Merkel vom damaligen Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann über den Tisch ziehen ließ. Andere behaupten, dass Mutti ganz von selbst drübergerutscht ist – rücklings. Jedenfalls gingen die Steuerzahlungen an Lützen in den Folgejahren dramatisch zurück. Bis auf lediglich ungefähr das Vierfache von Markranstädts Einnahmen.

Da musste man den Gürtel enger schnallen, zumal sich das Land für die einst erlittene Schmach vorm Dessauer Gericht rächte und bei Abgaben sowie Umlagen keine Gnade walten ließ. Lützen hatte Millionen-Einnahmen aus der Gewerbesteuer und war schließlich trotzdem so gut wie pleite.

Zeit ist Geld

Unternehmen, gerade solche mit viel Geld, brauchen manchmal etwas Zeit für ihre Steuererklärungen und auch das Finanzamt prüft sehr genau und zeitintensiv.

So muss es wohl auch in diesem Falle gewesen sein. Jedenfalls wurde die Deutsche Bank für längst vergangene Jahre veranlagt und mit einer Steuernachzahlung in Höhe von 129 Millionen Euro ausgezeichnet. Die Frankfurter Nadelstreifen sahen und sehen das anders. Sie klagen dagegen, weil sie diese hohe Würdigung ihres selbstlosen Schaffens für übertrieben halten.

Inzwischen aber läuft die Uhr gegen Lützen. Die Banker wollen nur vorbehaltlich zahlen. Gewinnen sie den Rechtsstreit, muss Lützen nicht nur die 129 Millionen zurückzahlen (an denen sich dann im Idealfall schon der Landkreis und das Land per Umlage bedient haben), sondern auch acht Millionen Euro Zinsen. Pro Jahr!

Ein solcher Rechtsstreit, so Experten, geht nicht unter fünf Jahren ab, was Lützen dann also zusätzlich mindestens 40 Millionen kosten würde.

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Wer viel hat, kann viel zeigen. Neues Bürgerzentrum in der 200-Seelen-Ortschaft Sössen (auch Titelbild). Neben Versammlungsräumen mit Aufzug und Küche gibts auch Kegelbahn und kommunalen Bauhof samt Personal, modernster Technik … und eingebautem Neid der Nachbarkommunen.

Mitten hinein in die Streitigkeiten platzte nun ein neuer Steuerbescheid. Jetzt drohen Lützen weitere, diesmal angeblich reguläre 150 Millionen Euro. Die will man aber am liebsten auch nicht haben und auch das Land Sachsen-Armut bekommt bei der Androhung der daraus entstehenden Umlage kalte Füße.

Die Reichen werden ärmer

Durch solch dicke Einnahmen, so sickerte es aus dem Magdeburger Finanzministerium, werde Sachsen-Armut im Länderfinanzausgleich zurückgestuft und bekomme dadurch rund 500 Millionen Euro weniger Zuweisungen. Geld, das im Haushalt nicht nur schon eingestellt, sondern quasi bereits ausgegeben war.

Der Status quo sieht so aus, dass Lützen demnächst mit 279 Millionen Euro überschüttet wird, was aber niemandem etwas nützt.

Das Stadtbad steht kurz vor der Schließung, Zuschüsse für Vereine und Ehrenamt wurden gekürzt oder gestrichen, die Friedhofsgebühren angehoben und als früh ergrauter Bürgermeister kämpft ein designierter Verlagskaufmann gegen Finanzminister und die Manager eines der größten Globalplayer im weltweiten Finanzwesen.

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Früh ergraut im Kampf um oder gegen die Millionen: Bürgermeister Dirk Könnecke (51). Der parteilose Verlagskaufmann hats mit Finanzministern ebenso zu tun wie mit Globalplayern in Nadelstreifen und kriegt von ihnen Geld, das ihn arm macht. Satire pur!

Nein, sowas können auch Satiriker nicht erfinden. Solche Geschichten schreibt das wahre Leben und wir sind mittendrin, ohne es zu merken.

Übrigens: Laut Meldung einer führenden deutschen Zeitung liegt der Geschäftszweck der DB-Tochter in Sössen darin, die Altersvorsorge der Mitarbeiter der Deutschen Bank zu … ja … also … na ja … zu handlen, wie es heute heißt.

Zumindest deren „Rändän sin sischä“, wie der kleine Hesse einst sagte. Aber der Nobbi war bestimmt auch noch nie in Lützen und gleich gar nicht in dessen Steuerparadies Sössen.

 

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