Ausgeeiert: Markranstädter Markt verliert Institution … und die Stadt die Kontrolle?

Das Pfingstfest steht vor der Tür. Weil kaum noch einer weiß, was da eigentlich gefeiert wird, hat man sich in Markranstädt offenbar auf gesamtgesellschaftliche Trauerarbeit geeinigt. Die begann am Montag mit einer Diskussionsrunde zu den bevorstehenden Kommunalwahlen, erlebte am Donnerstag mit einer nahezu teilnahmslosen Sondersitzung des Stadtrats ihren Höhepunkt und endete am Freitag mit einer Schlagzeile, die nicht nur Auswirkungen auf den Markranstädter Wochenmarkt haben wird. Aber der Reihe nach.

Das Restaurant in der Meri-Sauna war am Montagabend rappelvoll. Die lokale Tagesgazette hatte zum Stammtisch vor der Kommunalwahl geladen.

Wer spät kam, fand nicht nur keinen unbesetzten Stuhl mehr vor, sondern konnte sich durchaus in eine andere Zeit an einem anderen Ort versetzt fühlen. Beim Blick von hinten über Köpfe des in Ehren ergrauten Publikums konnte man den Eindruck gewinnen, dass sich hier ein Baumwollfeld sanft im Wind der amerikanischen Südstaaten wiegt – nur ab und zu unterbrochen von einem brach liegenden Flecken, in dem sich das Licht der Saalbeleuchtung in lustigen Spektralfarben spiegelte.

Wahlkampf am FKK-Strand

Was hat der Abend gebracht? Nun – zunächst einmal weiß der homo marcransis jetzt aus erster Hand, wo und wann es sich am Kulki zu baden lohnt, um seine Volksvertreterinnen hüllenlos zur Rede stellen zu können.

Leider reicht das Selbstbewusstsein der Kandidatinnen noch nicht, um sich in dieser Form auch gleich auf den Wahlplakaten zu präsentieren. Allerdings würde das angesichts der in der Druck- und Papierindustrie geltenden DIN-Formate auch wenig Sinn machen. Also muss der Wähler sehr früh raus an den Kulki, um den direkten Kontakt mit seiner Legislative zu pflegen.

Ein sich sanft im Winde wiegendes Baumwollfeld.

Ein sich sanft im Winde wiegendes Baumwollfeld.

Zweite Erkenntnis des Abends war die seit Jahren sprichwörtlich ungeklärte Klo-Situation am Kulki. Da fragte der LVZ-Moderator völlig ungläubig: „Wir bauen in diesem Land Brücken und riesige Fabriken: Können sie den Menschen erklären, was daran so schwierig sein soll, ein Toilettenhäuschen zu bauen?“ Zwar wussten alle darauf eine Antwort, eine kurzfristige dauerhafte Lösung allerdings blieb der Abend schuldig. Mehr als reden und fordern kann da auch ein Stadtrat nicht, was SPD-Chef Frank Helge Meißner zum Fazit trieb: „Wir haben schon Fransen an der Gusche.“

Stadtrat jetzt auch krank?

Sieht bekanntlich hässlich aus um die Lefzen, wenn die oralen Manschetten der Stadträte in Fetzen runterhängen. Um diese Hautveränderungen dermatologisch behandeln zu lassen, war die Mehrheit der Duma-Verordneten am Donnerstagabend offenbar geschlossen beim Hautarzt.

Möglicherweise haben sie sich den Termin ganz bewusst so gelegt in der Annahme, dass die Bürgermeisterin sowieso wieder nicht da ist. Wer wollte schon mit dieser überraschenden Art spontaner Selbstheilung rechnen?

Privatvorstellung in der vierten Etage

Und so kam es nach vier Sitzungen des Stadtrats ohne Bürgermeisterin diesmal zu einer Sitzung der Bürgermeisterin ohne Stadtrat. Zumindest ohne beschlussfähige Mehrheit. Selbst die beiden im letzten Moment persönlich herbeizitierten Rechtsaußen vermochten es nicht mehr, ein Team in Mannschaftsstärke auf die Beine zu stellen. Aber wo die B-Elf nun schon mal da war, konnte man statt der Einstellung je eines Fachbereichsleiters 3.1. und 3.2. wenigstens ein paar Trainingseinheiten absolvieren und den Sonderstadtrat als Informationsveranstaltung zu Ende bringen, damit zumindest die Zahlung der Antrittsgage gerechtfertigt werden kann.

Nichts als die Wahrheit

Derweil haben die Freien Wähler nachhaltig mit einem üblen Gerücht aufgeräumt. Böse Zungen behaupten ja noch immer, dass die Bürgermeisterin bei den Stadtratswahlen als Fake antritt und im Falle eines Erfolges ihr Mandat gar nicht annehmen will. Diese bösen Gerüchte haben inzwischen dazu geführt, dass andere Parteien ihre Flyer mit Sprüchen wie „Alle Kandidaten nehmen ihre Wahl an!“ (SPD) oder „Unsere Kandidaten treten an, um ehrlich gewählt zu werden und ihr Mandat wahrzunehmen“ (CDU) zieren. Jetzt kontern die Freien Wähler und schwören auf ihrem Flyer feierlich: „Unsere Versprechen gelten auch nach der Wahl!“ Also wird deren Spitzenkandidatin ihr Mandat verantwortungsbewusst wahrnehmen und Wort halten. Wir glauben fest daran.

Beteuerungen statt Parolen: Völlig neue Töne im Wahlkampf 2024.

Gleichklang wie bei der Nationalen Front.

Und schon spielt am frisch geheilten Arm wieder der Bizeps. Noch am Freitag ging den Stadträten ein Ultimatum zu. Sonderstadtrat in sieben Tagen und wenn keiner von Euch kommt, reichen die eigenen Verbündeten. Es genügen drei anwesende Volksvertreter, um die anstehenden Beschlüsse durchzuwinken. Demokratie im Eilverfahren, im Verzug oder am Ende – wie auch immer.

Da lehnt sich der homo marcransis doch gleich entspannt zurück und fragt sich, warum er am 9. Juni angesichts solcher Möglichkeiten 22 Stadträte wählen soll, wo man doch mit deren drei völlig locker, viel billiger und vor allem einfacher hinkommt?

Wahrscheinlich aus Gründen des Selbstschutzes wurde im Wahlkampf bisher auch nicht erwähnt, dass man als Volksvertreter auch die ebenso sprichwörtlichen wie oft vermissten Eier in der Hose haben sollte. Okay, zumindest unter der Woche konnte man noch davon ausgehen, dass es in Markranstädt auch künftig nicht an Nachschub solcher Hühnerprodukte mangelt. Am Freitag allerdings folgte die Hiobs-Botschaft.

Wochenmarkt enteiert

Es hat sich ausgeeiert in Markranstädt. Der auf den bürgerlichen Namen Lutz Brause hörende Eiermann gab am Freitag auf dem Wochenmarkt seine Abschiedsvorstellung. Kurz vor 12 Uhr hatte der 61-Jährige sein letztes Ei verkauft. Zwei habe er zwar noch, aber die wolle er behalten, räumte der Händler nach einem vorsichtigen Seitenblick auf den Stand mit den Küchenmessern ein.

Wer allerdings glaubt, dass er die verbleibenden zwei treuen Begleiter braucht, um auch im Rentnerdasein noch etwas Spaß zu haben, ist auf der falschen Fährte. Auf anderen Wochenmärkten, beispielsweise in Markkleeberg, ist Brause weiterhin am Start.

Hat für die Markranstädter Kunden sein letztes Ei verkauft und beim Abschied sogar feuchte Augen bekommen: Eiermann Lutz Brause.

Hat für die Markranstädter Kunden sein letztes Ei verkauft und beim Abschied sogar feuchte Augen bekommen: Eiermann Lutz Brause.

Was ihn zum Aufhören in Markranstädt bewogen hat, wollte der ansonsten mitteilsame Markthändler nicht sagen. Wichtiger sei es ihm, einen tiefempfundenen Dank an seine Kunden für die 20 Jahre währende Treue zu richten, sagte der Mann, der auf dem Markranstädter Markt als die Institution schlechthin gilt. Und weil sich der Markranstädter Marktplatz nun mal in Markranstädt befindet, gibt es getreu der lokalen Folklore auch für den Eiermann weder eine Eigeordnete noch sonst eine Stellvertreter- oder Nachfolgeregelung.

Keine Eigeordnete

Markranstädt ohne Eier, das ist in vielerlei anderer Hinsicht sicher keine ungewöhnliche Vorstellung, aber für die Versorgungslage in der Stadt schon ein ziemlicher Dämpfer. Nudeln, Bratensoße, Marmelade, Groschenhefte – das alles hatte Brause an Bord und was nicht, das konnte er besorgen: vom Kleiderhaken bis zum Einweckgummi. Was er aber neben Eiern stets dabei hatte, waren ein offenes Ohr und immer ein Wort für seine Kunden. Beides wird wohl am meisten fehlen.

6 Kommentare

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    • Erdmännchen auf 18. Mai 2024 bei 11:55
    • Antworten

    Es steht geschrieben: “Du sollst nicht loben den gemeinen Journalisten”.
    Naja, irgendwann kommt man eben doch nicht drum herum. So ne Berichterstattung, quasi zeitgleich und auf den Punkt gebracht… Respekt CvD!
    Bleibt zu hoffen, dass die Hilfe vom rechten Rand auch im neuen Stadtrat nicht ausreichen wird. Da fängt der Atheist an zu beten…

    1. Nur zur Richtigstellung: Der (manchmal auch die) CvD ist lediglich der /die/das Diensthabende, das dafür sorgt, dass die technische Basis der MN auch dann am Laufen bleibt, wenn der Rest der Besatzung seinen Rausch ausschläft. Mit Ausnahme vielleicht einiger Korrekturen im Text (Konifere statt Koryphäe) hat diese Figur in der Regel am wenigsten zum weltweiten Erfolg des Informationsangebotes beigetragen.

  1. Ups – der Eiermann ist weg? Da werden sich meine Mutter und ihre Freundinnen jetzt einen neuen Gesprächstherapeuten suchen müssen, der ihrem Freitagvormittag einen Inhalt gibt. Vielleicht hätten sie doch als Stadträtinnen kandidieren sollen? Irgendwie muss die Zeit ja totgeschlagen werden bis der MDR seine Science Fiction-Serien über unser reibungslos funktionierendes Gesundheitswesen ausstrahlt.

    1. Also jetzt mal in aller Freundschaft: Haben Sie was gegen die jungen Ärzte oder das Abrechnungssystem in der Sachsenklinik? Ist doch schön, wenn die älteren Mitbürger wenigstens bei der Aufnahme in ein Krankenhaus noch etwas Hoffnug haben. Wenn sie erst mal im Bett liegen, kommt das Erwachen früh genug.

  2. Die Frage nach Toiletten erinnert mich an Manfred Schwung. Damals sagte ich: es gibt Toiletten am Strandbad und bei ab ans Ufer. Wenn die im Rathaus mal aus der Falte kommen eine Weitere im alten Bootshaus (ehem. Unität). Man könnte natürlich auch den Strandvandalen und Jakedumas einen schicken neuen Treffpunkt hinstellen.

    1. Die Vorgänge um „Schloss Harnstein“ wurden u.a. von Heike Kunzemann und Beate Lehmann hinreichend kritisiert. Was die Jakedumas und die Sicherheitslage in der Stadt und am Ufer angeht, fiel kein Wort. Offenbar ist das Thema weder für die Kommunalpolitik noch die Bürger wichtig oder das Problem gibt es gar nicht.

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