Großfahndung nach Markranstädter Unwort des Jahres

Es ist wieder so weit. Wie immer im Dezember rufen die Markranstädter Nachtschichten alle Leserinnen und Leser an die virtuelle Urne, um das Markranstädter Unwort des Jahres zu wählen. Eigentlich müsste es richtig „Unbegriff des Jahres“ heißen, denn zumindest ein Kandidat enthält zwei Worte. Aber im Gegensatz zu manch anderen Ereignissen haben Sie wenigstens wirklich eine Wahl.

Bis zum 31. Dezember ist rechts oben das Umfrage-Modul freigeschaltet. Hier können Sie für Ihr Lieblings-Unwort voten. Damit Sie auch wissen, wofür Sie sich da entscheiden, haben wir für jeden der Kandidaten ein kurzes Exposé erstellt.

Kandidat 1:

Der Begriff „Gemeindevollzugsdienstmitarbeiter“ entfleuchte dem Bürgermeister während einer Sitzung der örtlichen Duma in der vierten Etage. Solch verbale Ritterschläge fürs Fußvolk sind nicht neu in einer Zeit, in der sogar unterbezahlte Sekretärinnen durch Adelstitel wie „Assistentin des Geschäftsführers“ unter Gehaltsverzicht zu zusätzlichen Schichten beim Kaffeekochen motiviert werden.

Manchmal sind solche Bezeichnungen allerdings etwas irreführend. So könnte mit „Vice Director of Sky“ nicht nur der Vizemanager eines Fernsehsenders gemeint sein, sondern auch der Papst. Und der Mann, der mit der Schaufel in dem Loch buddelt, das für die Vollsperrung Ihrer Straße verantwortlich zeichnet, ist kein Tiefbauarbeiter oder gar Maulwurf, sondern ein „Soil Movement Engineer“. Das kommt dabei raus, wenn sich statt Ingenieure und Doktoren nun Bachelors und Masters die Köpfe über unsere Gesellschaft zerbrechen.

Auch bei unseren Gemeindevollzugsdienstmitarbeitern ist der Schein des Begriffs größer als das Sein. Im Volksmund schon mal Knöllchendame oder Politesse genannt, sind damit jene Kräfte gemeint, welche mit aufopferungsvoller Hingabe die mit dem Stadtwappen gezeichneten Werbeflyer des Bürgermeisters unter die Leute … oder besser gesagt unter die Scheibenwischer bringen.

Kandidat 2:

Für Markranstädter Ureinwohner ein Begriff, der längst in den heimatlichen Wortschatz Eingang gefunden hat; für Ortsfremde eher ein muttersprachlicher Gag, dessen Herkunft sie nicht klar ableiten können: die „Jahrgangspflanzung“. Erdbeerpflanzen können gepflanzt werden, auch Blumenkohlpflanzen oder Kohlrabipflanzen. Ganz Mutige pflanzen auch schon mal Hanf oder andere exotische Kulturen. Aber einen Jahrgang?

Das würde implizieren, dass so ein Jahrgang wenigstens auch eine Wurzel hat. Fragen Sie mal in einer unserer Baumschulen oder Gärtnereien nach einem Jahrgangs-Steckling. Sie sollten sich allerdings schnell aus dem Staub machen, wenn der Gärtner zum Telefon greift und Sie wenig später auf der Straße ein Martinshorn hören. Das wird das Jahrgangsauto sein mit dem Jahrgangsonkel, der Sie in die Jahrgangsjacke stecken und in die Jahrgangsanstalt bringen will. In der Jahrgangszelle können Sie dann noch einmal in aller Ruhe über die Jahrgangspflanzung nachdenken.

Andererseits könnte es aber auch bedeuten, dass man zur Pflanzung eines Jahrgangs eine Wurzel benötigt.

Ja, so wird es wohl sein. Wenn man(n) morgens die Wurzel aus einer Unbekannten zieht, ist das nicht höhere Mathematik, sondern es handelte sich bei dem vorangegangenen Akt schlicht und einfach um die Pflanzung eines neuen Jahrgangs. Und das wird in Markranstädt gefeiert.

Kandidat 3:

Der Begriff „Havarie“ fällt meist auf Schiffen. Havarie im Maschinenraum, Havarie unter Deck, havarierter Tanker…

Es ist daher wenig verwunderlich, dass die Meldung von einem „havarierten Regal“ in der Stadtbibliothek dem Barte eines Kapitäns mit maritimem Migrationshintergrund entwich.

Der Phantasie des Publikums sind derweil keine Grenzen gesetzt. „Eisberg voraus“ schrie die Bibliothekarin, während die Biografie von Leonardi di Caprio zeitgleich mit der von Kate Winslet mit offenen Seiten vom Bug des Regals in die Tiefen der Bibo sank.

Da die Konzentration der Anwesenden in der Offiziersmesse einem Eisberg galt, der gerade vor dem Schiff der Grundschule umher trieb, fiel diese Wortkreation in der vierten Etage allerdings kaum auf.

Wie gut, dass es Satiriker gibt, die nur deswegen auf die Kommandobrücke klettern, um solche Meldungen an den Maschinenraum mitzuschreiben und ein paar Monate später zum Besten zu geben.

Kandidat 4:

Kein Wort kam in den letzten 12 Monaten in den städtischen Pressemeldungen so oft vor wie „Vollsperrung“.

Da Satire ein Hobby ist und nicht in Arbeit ausarten darf, haben wir bei 30 Sperrungen aufgehört zu zählen. Insofern ist die Vollsperrung eigentlich der heißeste Favorit auf den diesjährigen Titel.

Warum? Nun … Warum wird ein Hit zum Hit? Es ist die stete Wiederholung. Damit bringt man sogar Kinderlieder wie das Schni-schna-schnappi-Krokodil in die Charts.

Ebenfalls nur aus Gründen steter Wiederholung wird seit über 60 Jahren nur jenes Gesicht zum Bundeskanzler gewählt, das man vor der Wahl am häufigsten an den Straßenrändern hängen sieht.

Darum hat die Stadt jetzt auch zur Offensive um den Endsieg bei der Unwortwahl geblasen und fast zeitgleich Vollsperrungen für den Elster-Saale-Radweg, Am Stadtbad, die Möwengasse, die Nordstraße, die Karl-Marx-Straße und den Mühlenweg ausgerufen. Wer könnte da widerstehen?

Kandidat 5:

Anno 2016 hatten wir endlich wieder mal einen und also muss der auch auf die Kandidatenliste: der Akteneinsichtsausschuss. Eigentlich heißt das Gremium ja „Ausschuss auf Akteneinsicht in die Unterlagen des Anbaues der Grundschule Markranstädt“.

Aber das wäre Wettbewerbsverzerrung, sozusagen muttersprachliches Doping. Damit wäre dem Begriff bereits von vornherein der Sieg nicht mehr zu nehmen gewesen.

So ein Ausschuss hat immer eine gewisse Brisanz – egal ob im Bundestag, im Landtag oder einer Stadt. Da prüfen parlamentarische Freizeitkräfte das Werk von Profis und finden da meist auch was. Man könnte auch sagen: Friseure begutachten das Ultraschallbild einer ägyptischen Mumie und erstellen daraus ein belastbares Blutbild von der Pyramide. Diese Disziplin der Ursachenforschung wird auch als Dokumentenarchäologie bezeichnet.

Kandidat 6:

Erinnern Sie sich noch? Stefan Raab hatte einen Top-Hit mit einer Dame gelandet, die den Maschendrahtzaun in Deutschland wieder salonfähig gemacht hat. „Maszschän-Drooht-Zschauun in the morning…“ Der Hit hat die kleine vogtländische Stadt Auerbach im Jahre 2000 praktisch über Nacht bundesweit berühmt gemacht.

Die Steigerung des Bekannheitsgrades einer Stadt ist immer ein gutes Ansinnen, um bei Bürgern, vor allem aber bei Touristen zu punkten. Wenn es an den touristischen Magneten aber keine Toiletten gibt, sollen die Besucher wenigstens wissen, wo sie sich im Notfall erleichtern können.

So ein Maschendrahtzaun ist da zwar nicht ungeeignet (so lange er nicht unter Strom steht), aber zu abgedroschen. Ein Stadtrat hatte da eine zündende Idee und proklamierte in der vierten Etage für das Westufer den „Doppelstabmattenzaun“. Zu spät für den zurückgetretenen Stefan Raab, aber vielleicht kann ja Olaf Schubert was draus machen?

Dazu müsste der Doppelstabmattenzaun aber die Grenzen der Stadt verlassen und das geht nur, wenn er zum Markranstädter Unwort des Jahres gekürt wird. Oder wird es vielleicht doch die Vollsperrung, der Akteneinsichtsausschuss, die Jahrgangspflanzung, der Gemeindevollzugsdienstmitarbeiter oder das havarierte Regal?

Es liegt ganz bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Einfach Ihren Favoriten anklicken und schon haben Sie sich aktiv in den gesellschaftlichen Gestaltungsprozess unserer Muttersprache eingebracht. Machen Sie von Ihrem demokratischen Recht Gebrauch und lassen Sie sich nicht von anderen Mitmenschen vorschreiben, welches Unwort Sie nicht gewählt haben.

 

2 Kommentare

    • jabadu auf 9. Dezember 2016 bei 12:19
    • Antworten

    Hallo Reingucker bei den Markranstädter Nachtschichten. Ich hab mein Votum für mein Unwort des Jahres 2016 schon gegeben. Mit dem Ergebnis komme ich wohl kaum über die 5%-Hürde. Naja. Wenn ich vielleicht nicht zu den Siegern gehöre, hab ich wenigstens meine Meinung vertreten und mein Stimmrecht ausgeübt.
    Jetzt frage ich mich, wo seid Ihr den alle. Hat es euch die Stimme verschlagen. Nur etwa 10% der täglichen Reingucker haben den Mut gefunden, mal auf einen Button zu drücken. Tut es! Das ist billiger als Gammelfleisch im Supermarkt. Das kostet nichts und hat keine Auswirkung auf den Lebenslauf.
    Noch was, Reingucker wäre auch ein gutes Unwort.

    1. Treffender kann man es kaum formulieren. Wir sitzen selber da und staunen Bauklötze ob des nicht mal per Mauszeiger nicht vorhandenen Leserengagements. Deshalb wird es im kommenden Jahr einige Änderungen geben. Die meisten Beiträge werden dann nur noch für Leserinnen und Leser sichtbar sein, die sich hier als Abonnenten (Newsletter) angemeldet haben. Da wissen wir dann wenigstens, dass die zumindest schon einmal die Maus bewegt haben. Es ist wirklich traurig … nicht mal wenns kostenlos ist, kann man sich für auch nur eine kleinste Geste entscheiden. Ist das so eine Art digitaler Voyeurismus?

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