Hoffnung in Großlehna: Kommt jetzt endlich ein Intershop?

Am 12. August macht der Konsum in Großlehna dicht. Für viele Siedler an der A9 sehr traurig und ärgerlich, aber keinesfalls überraschend. Nach dem Niedergang solcher Handelsriesen wie der HO, der BHG oder dem Kombinat KoKo war es nur eine Frage der Zeit, bis auch die letzten Ost-Überbleibsel aus dem vereiterten Kiefer des Kapitalismus gezogen werden. Wie die Markranstädter Nachtschichten aus geheimen Unterlagen erfuhren, gibt es aber noch Hoffnung für die an Konsum-Nostalgie gewöhnten Kaufhallenromantiker.

Eine längst untergegangen geglaubte Ost-Handelskette soll sich für den Standort interessieren und die Früchte der Wiedervereinigung endlich auch nach Großlehna tragen. Aber der Reihe nach.

Noch in der Woche vor der Ankündigung der Schließung beglückte der Konsum die Briefkästen seiner Großlehnaer Kundschaft mit einem Manifest, das die unverbrüchliche Warenbrüderschaft der Handelskette mit ihren Konsumenten auf eherne Grundfesten stellen sollte. Von einer Umsatzsteigerung in Höhe von 6,9 Prozent auf immerhin 182,3 Millionen Euro war da die Rede und auch von einem Ausbau der Konsum-Filialen als „Kiezseele“ schrieb die „Genossenschaft mit Herz“.

Vorwärts zu neuen Taten! Nur eine Woche zuvor deuteten die Plankennziffern eher auf einen Ausbau des Standortes hin.

Vorwärts zu neuen Taten! Nur eine Woche zuvor deuteten die Plankennziffern eher auf einen Ausbau des Standortes hin.

Kurz darauf bekam dieses Organ offenbar kardiale Rhythmusstörungen. In einem Abschiedsbrief gelang dem Konsum das, wonach Wissenschaftler wie Leonardo da Vinci oder Albert Einstein Zeit ihres Lebens vergeblich suchten: die Quadratur des Kreises.

Doppelte Rolle der Bedeutung

In nur einem Satz wurden der Tod als Geburt, der Kommunismus als höchste Stufe feudaler Ausbeutung und soziales Engagement als Grundlage globaler Expansion gefeiert.

Wieviele Märkte müssen eigentlich noch geschlossen werden, bis auch der letzte Kunde versteht, dass das eigentlich in seinem eigenen Sinne geschieht?

Wieviele Märkte müssen eigentlich noch geschlossen werden, bis auch der letzte Kunde versteht, dass das eigentlich in seinem eigenen Sinne geschieht?

„Auch wenn KONSUM als Genossenschaft nicht primär gewinnorientiert handelt, ist dennoch eine Gesamtprofitabilität des Unternehmens unverzichtbar, um soziales Engagement zu zeigen, Ausbildungsplätze zu schaffen und Arbeitsplätze zu sichern“, heißt es in dem flammenden Epilog des Konsum. Hier ist es den Autoren gelungen, die Aussagen der Bibel, des Kommunistischen Manifests und der Protokolle der Bilderberger Konferenz in einem Satz abzubilden. Chapeau!

Da wird einem schlagartig klar, warum die Interpretatoren in den PR-Stäben der Unternehmen so hoch dotierte Verträge haben. Man muss sich schon aktiv in parallelen Sphären bewegen können, um die Schließung der einzigen Versorgungsreinrichtung im Ort als Wohltat für die gesamte Gesellschaft umzudeuten. Denn gleich im nächsten Satz heißt es: „Aus dieser gesellschaftlichen Verantwortung heraus sind leider auch Entscheidungen dieser Art erforderlich.“

Abgelegen siedelnden und der Mobilität baren Rentnern binnen vier Wochen die Grundlage ihrer Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs wegzunehmen, ist also eine aus gesellschaftlicher Verantwortung hervorgehende Tat. Karl-Eduard von Schnitzler hätte allein mit dieser These eine ganze Staffel seines „Schwarzen Kanals“ gefüllt – ein dreistündiges Making-Off inklusive.

Hier fehlt nur noch ein Gestrüpp, das vom Winde durch das Bild geweht wird. Aber bald soll's hier Waren aus dem Westen geben.

Hier fehlt nur noch ein Gestrüpp, das vom Winde durch das Bild geweht wird. Aber bald soll’s hier Waren aus dem Westen geben.

Aber was soll’s: Gegen die Mechanismen der sozialen Marktwirtschaft kann sich auch eine Mehrheit im Ort nicht auflehnen, wenn sie global gesehen in der Minderheit ist. Richten wir also unsere Scheitel nach vorn und schauen optimistisch, was es an Alternativen gibt.

Freilich kann man eine an Ost-Konsum gewöhnte Ethnie jetzt nicht einfach so über Nacht mit den Mechanismen westlichen Einkaufsverhaltens konfrontieren. Der Kulturschock würde ganze Generationen an der A 9 verunsichern. Beipackzettel mit umfangreichen Erklärungen, wonach es sich bei den gelben Gurken um Bananen handelt oder dass die einzeln abgepackten Kartoffeln mit den grünen Schalen Kiwis heißen, verbieten sich von selbst, da sie in solch streitbaren Kulturkreisen eh nur als Produkt der Lügenpresse geächtet würden.

Genau in diese Lücke soll sich nach den Markranstädter Nachtschichten zugespielten Geheiminformationen allerdings nun eine Handelskette setzen, die der sterbende, faulende, parasitäre Kapitalismus feudaler Prägung längst ausgerottet glaubte.

Ganz in der Tradition ostdeutscher Versorgungsgewohnheiten soll im Markt an der Bahnhofstraße demnächst ein Intershop eröffnen. „Im Zusammenspiel historisch gewachsener Warenpräsentation und in der Bevölkerung fest verankerter Einkaufsgewohnheiten, wird Intershop seine Großlehnaer Kunden behutsam an das Marktverhalten im neuen Zeitalter nach der Wiedervereinigung heranführen“, ist sich das Intershop-Management sicher.

Ost-Mark wird umgerubelt

Behutsam – das ist das zentrale Stichwort, denn der Geldumtausch für Großlehnaer Kunden entfällt vorerst. „Bei uns kann man nach wie vor mit den bewährten Forum-Schecks bezahlen“, wirbt die traditionsreiche Handelskette. Zwar soll der Euro künftig schrittweise eingeführt werden, allerdings berge das zusätzliche Vorteile. „Den Zwischenschritt mit dem Umtausch der Ost- gegen die D-Mark und damit eine zusätzliche Entwertung des persönlichen Vermögens können die Bewohner des Beitrittsgebietes Großlehna damit überspringen“, heißt es.

Bevor die Wiedervereinigung auch über das Beitrittsgebiet Großlehna hereinbricht, haben die Menschen an der A9 noch ausreichend Zeit, ihre alten Zahlungsmittel zu verbrauchen.

Bevor die Wiedervereinigung auch über das Beitrittsgebiet Großlehna hereinbricht, haben die Menschen an der A9 noch ausreichend Zeit, ihre alten Zahlungsmittel zu verbrauchen.

Der kluge Anleger denkt allerdings schon einen Schritt weiter. „Ich warte, bis der Rubel kommt und mache dann gleich Nägel mit Köpfen“, kündigt ein Senior (86) aus Altranstädt an. Die bis dahin verbleibende Zeit wolle er nutzen, um inzwischen weitere Reichtümer anzuhäufen. „Ein Auto habe ich nicht und da ich vor Ort kein Geld mehr für Essen ausgeben kann, wird sich mein Kapital sprunghaft vermehren“, frohlockt er.

Nur ob es Putin mit dem Einmarsch in Großlehna auch rechtzeitig schafft, bevor der Senior an Hunger verendet oder der Verdurstung anheim gefallen ist, bereitet ihm noch etwas Sorge.

„Im besten Fall erkranke ich vorher an Demenz“, hofft der Mann, „Denn es ist egal, ob es keinen Laden für die tägliche Grundversorgung gibt oder ob ich vergessen habe, wo er sich befindet“, sieht der Mann die aktuelle Entwicklung positiv.

13 Kommentare

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    • Wanderer auf 7. März 2024 bei 10:39
    • Antworten

    Warum soll ich jetzt noch durch Großlehna ziehen? Schloss zu, Konsum zu. Ein paar Blümchen zum Trost? Ja, die blühen dort hoffnungsvoll.

    • Spaßvogel auf 27. Juli 2023 bei 16:34
    • Antworten

    Wenn der Konsum Großlehna allen so wichtig ist wie auch mir, sollten spontan 1.000 Großlehnaer Konsummitglied werden und Genossenschaftsanteile erwerben. Übrigens gibt es Dividende, die höher ist als auf jedem Sparkassenkonto. Sicherlich haben der Ortschaftsrat und die Stadt längst eine diesbezügliche Initiative laufen und die Antragsformulare vorrätig. Dann hätte man eine Gesprächsbasis mit der Geschäftsleitung. Oder bleibt es beim Schimpfen?
    Wenn alles nichts nützt, wissen wir wenigstens jetzt schon mal einen geeigneten Namen, wenn mal wieder einer für eine neue Straße gebraucht wird „Zum geschlossenen Konsum“, passt hervorragend zu An der alten Tankstelle…

    1. Es wird so sein, dass alles nichts nützt. Der Bundesrepublik haben sich ja auch über 80 Millionen Menschen angeschlossen und trotzdem haben wir keine Gesprächsbasis mit der Geschäftsleitung. Wie soll im Kleinen klappen, was schon im Großen nicht funktioniert?

  1. … und mit jedem Niedergang gibt es auch ein Chance für einen Neuanfang. Dönerladen mit Waren für den täglichen Bedarf, auch mal ne neue Idee… Doch mal ehrlich- Historie, Romantik und Versorgungszentrale: Ein Dorf stirbt doch ohne Kommunikationszentrale!!! Doch RadoLehna wird sich was einfallen lassen, und bis dahin stärkt es den schwächelnden Einzelhandel in der Kernstadt…

    1. Sie meinen also, die Großlehnaer fahren in die Kernstadt und decken sich dort mit Dönern und Frühlingsrollen ein? So, so.

    • Ulrich Naser auf 21. Juli 2023 bei 12:16
    • Antworten

    Die Wirklichkeit kann oft grausam sein. Allein der an Demenz erkrankte wird davon am wenigsten mitbekommen. Nach dem 12. August wir er täglich glücklich an der verschlossenen Konsumtüre stehen und kräftig rütteln, um dann zu sich zu sagen, ach, heute ist ja Sonntag.
    Er ist auf die Solidarität der Gemeinschaft angewiesen.
    Aber so wie die Altranstädter, die Klein- und Großlehnaer gestrickt sind, werden die sich auch nicht lange von Reden aufhalten lassen, sondern ganz einfach selber anpacken. Schon bald werden Ortsansässige da sein, die einen Genossenschaftsladen in Eigeninitiative eröffnen.
    Staatssozialismus und Neo Kapitalismus waren gestern.

    1. Interessante Vision, das mit der Genossenschaft. Aber eher noch schickt der Rat des Kreises einmal pro Woche einen B 1000 für die mobile Versorgung der Bevölkerung nach Großlehna. Dass Teile des Volkes anfangen, außerhalb der Kontrolle des Staates selbst etwas auf die Beine zu stellen, ist in diesem System nicht vorgesehen.

    • Simsalabim auf 21. Juli 2023 bei 8:37
    • Antworten

    Eine Frage die mich dann doch beschäftigt: Welche sozialistisch verstrahlten Kiwi’s kaufen die Nachtschichtler? Kiwi’s mit grüner Schale scheinen mir so extravagant, da sollte man doch die PR Stäbe gleich drauf ansetzen – Das lässt sich doch vermarkten!
    Die Städter werden in Scharen kommen!
    Schon wäre die Versorgung mit alltäglichen Waren wieder gesichert, auch wenn es dann wieder länger anstehen heißt. Und vielleicht gibt es das ein oder andere auch wieder unter der Theke. Die dafür notwendigen gymnastischen Übungen, lassen den 86jährigen Rentner noch mindestens 100 werden.

    1. Wenn Ihre Kiwis rot sein sollten, dann steht auf dem Etikett sicher das Wort „Tomaten“. Ist aber egal, solange Sie nicht versuchen, die Schale zu entfernen.

    • Heimatloser auf 21. Juli 2023 bei 8:22
    • Antworten

    Immer wieder Klasse. Danke für die Information von der Heimatfront aus U995.

    1. Bei Euch an der Front klappt die Versorgung besser. Netto und Norma in direkter Nachbarschaft und bald sogar noch ein Edeka dazwischen. Die Moral der Truppe steht im Vordergrund.

    • markranster auf 21. Juli 2023 bei 8:06
    • Antworten

    Wenn die ganze Sache nicht so traurig wäre könnte man über diesen Beitrag schmunzeln. Wir kaufen bei unseren Besuchen immer im Konsum Großlehna ein, weil es dort noch Produkte „made in Sachsen“ gibt, die man anderswo leider nicht mehr findet….

    1. Wenn es unbedingt Großlehna sein muss, können Sie auch bei Kühne & Nagel einkaufen. Keine Ahnung, was es dort so gibt, aber die Kraftfahrer stehen sogar über Nacht Schlange.

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