Markranstädter Feuerzangenbowle im Sommer

Wenn das Landesamt für Schule und Bildung gnädig ist, könnte das Markranstädter Gymnasium in wenigen Wochen einen richtigen Namen tragen. Hannah Arendt soll die Patronin sein. Okay, manchen in Markranstädt praktizierenden Kulturkreisen wäre Dieter Bohlen oder Robert Geißen vielleicht lieber gewesen, aber die können in Sachen Gymnasium eben nicht mitreden. Genauso wenig wie die Gymnasiasten selbst, wie man sich auf den Straßen der Stadt erzählt. Unter den vielen Geschichten, die in der Stadt darüber kursieren, fehlt noch eine lustige. Also haben wir mal eine Phantasy-Story darüber entbunden, wie die Namensgeschichte garantiert nicht abgelaufen ist.

Das Markranstädter Gymnasium wollte endlich auch mal einen eigenen Namen haben. Sogar das Babenberger Gymnasium in der Feuerzangenbowle hatte keinen, und man sieht ja, was draus geworden ist.

Schon meldet sich das Landesamt für Schule und Bildung (LaSuB) zu Wort, weil schon immer am Anfang das Wort stand. Da die Zeiten vorbei sind, in denen man sowas anweisen oder gar befehlen durfte, hat das LaSuB eine Empfehlung ausgesprochen. Und zwar die, dass für das Markranstädter Gymnasium der Name einer Frau gewählt werden soll.

Ein Schelm, der hier einen behördlichen Willkürakt der Diskriminierung bei der Erniedrigung der Demütigung zur Unterdrückung des Mannes erkennen will. Es ist ja nur eine Empfehlung und die fällt in der Parkstraße sogar auf bereits bestellten Boden. Das Patronat der Hannah Arendt, einst entbunden im Lehrkörper, kocht dort schon lange unter dem Deckel.

Ein flexibles Programm

Jetzt muss der Kandidatin nur noch ein passendes Schulprogramm auf den Leib geschneidert werden. Üblicherweise funktioniert sowas zwar genau andersrum – also erst hat man ein Programm und dann sucht man die passende Person dazu – aber wenn man in der Parkstraße schon endlich mal neue, unorthodoxe Wege einschlägt, wer will da dieses noch junge Pflänzchen der Selbstbestimmung schon im Keime ersticken?

Das Programm hat’s in sich und ist rhetorisch bis ins Detail ausgefeilt. Es ruht auf sechs Säulen, die da lauten:

  • vielfältig und individuell
  • beständig und kreativ
  • gerecht und verantwortungsvoll
  • herzlich und vertrauensvoll
  • engagiert und wegweisend
  • regional verwurzelt

Gut, dem homo marcransis würden hier sicher noch mindestens 42 weitere Säulen einfallen, die mindestens ebenso vielsagend sind. Fair und nachhaltig beispielsweise oder ehrlich und anständig, brav und folgsam, modern und weltoffen, wissbegierig und neugierig oder geil und mega. Alternativ könnte man aber auch einfach die zehn Gebote der Jungpioniere abschreiben.

Der Clou: Dieses Programm ist ewig gültig, da deren fundamentale Phrasen je nach Bedarf und kommender Gesellschaftsformen so beliebig austauschbar sind, dass die stabile Leere jeder einzelnen der sechs Säulen nicht ansatzweise gefährdet wird. Es könnte also in Säule 1 auch heißen, „herzlich und kreativ“, dafür in Säule 4 „vielfältig und wegweisend“. Mischen ist possible.

Was in unserer frei erfundenen Geschichte nun folgt, erinnert an den Vorentscheid zum European Song Contest (ESC). Nachdem der Titel „Hannah Arendt“ im Schulfunk so oft rauf und runter gespielt wurde, bis ihn die Kids schon von ganz allein mitgepfiffen haben, dürfen sie nun selbst Vorschläge einbringen.

Alternative unter Zeitdruck

Im Gegensatz zum dreijährigen Reifeprozess des Hits „Hannah Arendt“ haben die Schüler dazu jedoch nur drei Monate Zeit, wird später ein Schülersprecher gegenüber einem ebenso unbedeutenden wie investigativen Satire-Organ zu Protokoll geben. Hastig schmieden die Pennäler trotzdem einen Hit über die Musikpädagogin Johanna Kinkel.

Idyllisch im Grünen gelegen, aber bislang namenlos. Demnächst soll die höhere Lehranstalt Lallendorf (HLL) den Namen "Hannah-Arendt-Gymnasium Markranstädt" tragen.

Idyllisch im Grünen gelegen, aber bislang namenlos. Demnächst soll die höhere Lehranstalt Lallendorf (HLL) den Namen „Hannah-Arendt-Gymnasium Markranstädt“ tragen.

Ähnlich wie beim ESC ist nun ein Vorentscheid erforderlich, mittels dessen die Weichen dafür gestellt werden, welcher der beiden Titel es zum Endausscheid in die Schulkonferenz schafft. Die Jury, die darüber befindet, nennt sich Gesamtlehrerkonferenz und setzt sich, wie der Name sagt, aus Pädagogen zusammen – also aus den Komponisten des Titels „Hannah Arendt“. Ist ungefähr so, als würde Ralph Siegel selbst entscheiden, ob sein Lied beim ESC gesungen wird oder eins von Heino.

Keine Chance für Heino

Der Rest dieser frei erfundenen Geschichte ist der genialen Vorbereitung zufolge ein aus lauter demokratischen Prozessen zusammengesetzter Selbstläufer. Bar jeder Konkurrenz und Alternative stand Hannah Arendt schließlich auf den Bühnen der Schulkonferenz, schließlich auch des Stadtrates und heimste dort ausnahmslos „Markranstädt: ten points“ ein.

Alles Fiktion: Was wirklich geschah

So viel zur Geschichte, wie sie sich nicht abgespielt haben kann, denn Hannah Arendts Lebenswerk galt unter anderem der Förderung pluralistischer Entscheidungen und dem entschiedenen Eintreten gegen totalitäre Tendenzen.

In der wahren Geschichte wurde der Drops demzufolge ganz demokratisch unter Einbeziehung der Schüler und Eltern gelutscht. Manche wollten das trotzdem als undemokratischen Akt sehen und kritisierten die Verfahrensweise (freilich erst hinterher, wie das in Markranstädt so üblich ist).

Vielleicht hilft diesen Kritikern ein Blick in die pädagogische Fachliteratur? Wie Professor Schnauz in seinem Buche „Die Gerechtigkeit des Lehrers unter besonderer Berücksichtigung der höheren Lehranstalten“ bereits vor fast 80 Jahren ausgeführt hat, ist es mit der Schule wie mit der Medizin: Sie muss bitter schmecken, sonst nützt sie nichts. Also runterschlucken und nach vorn gucken!

Trotzdem bleiben Fragen. Warum zum Beispiel hat man, wenn es sich schon um ein Markranstädter Gymnasium handelt, nicht einen Markranstädter Namenspatron gefunden, wo es doch selbst in Säule 6 des Schulprogramms heißt: regional verwurzelt?

Der 1877 in Markranstädt geborene Pädagoge Max Kirmsse, nach dem im westelbischen Idstein sogar eine Straße benannt ist, hätte sich hier ebenso angeboten wie der Physiker Viktor Schumann oder der Künstler Kurt Schiering. Die Antwort ist einfach: Abgesehen davon, dass es sich bei ihnen allesamt um alte weiße Männer handelt, haben sie in der Kolonialzeit gelebt. Da ist einfach die Gefahr zu groß, dass sich später mal herausstellen könnte, dass Schumann einen Neger Neger genannt oder Schiering in Chile einen Schrumpfkopf gesehen und nicht dagegen protestiert haben könnte. Und Kirmsse ist allein schon deshalb nicht salonfähig, weil er 1908 über die körperliche Züchtigung dozierte.

Vorbild braucht saubere Weste

Wenn sowas rauskommt, ist es vorbei mit der Vorbildwirkung für die heutige Jugend und von der Schule bis hinauf ins Bildungsministerium wären dann ganze Stäbe von Mitarbeitern monatelang damit beschäftigt, den Shitstorm in den regierenden Netzwerken zu besänftigen.

Vorbild mit Zigarette: Bildnis der deutsch-jüdischen Historikerin und politischen Philosophin Hannah Arendt an ihrem Geburtshaus in Linden. Das Kunstwerk ist eine im August 2014 fertiggestellte Auftragsarbeit der hannoverschen Graffiti-Künstler Patrik Wolters in Teamarbeit mit Kevin Lasner. Foto: Bernd Schwabe (CC BY-SA 3.0)

Vorbild mit Zigarette: Bildnis der deutsch-jüdischen Historikerin und politischen Philosophin Hannah Arendt an ihrem Geburtshaus in Linden. Das Kunstwerk ist eine im August 2014 fertiggestellte Auftragsarbeit der hannoverschen Graffiti-Künstler Patrik Wolters in Teamarbeit mit Kevin Lasner. Foto: Bernd Schwabe (CC BY-SA 3.0)

Dann schon lieber ein Vorbild wie Hannah Arendt. Dass sie nicht nur geraucht hat, sondern gequarzt wie eine Stadtsoldatin, mag angesichts fehlender Aschenbecher auf den Schulbänken zwar auch nicht gerade vorbildhafte Wirkung entfalten, passt aber zumindest in jede der sechs Säulen des Schulprogramms – von beständig bis engagiert.

4 Kommentare

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    • Aufpasser auf 18. Juni 2023 bei 13:51
    • Antworten

    Wenn es keine MN geben würde, hätten wir keine Plattform zum Philosophieren. Mal Gedanken machen, sich darüber austauschen und schmunzeln ist doch toll. Das zerredet nicht.
    Glückwunsch an den Lehrkörper, er war einfach schneller und konsequenter, damit durchsetzungsstärker. In der Schulkonferenz haben die Lehrer nur 4 Stimmen, 4 die Schüler. 4 die Eltern und 4 die Stadt. Wenn man etwas erreichen will, muss man sich vorher die Mehrheiten sichern. Die Chance hätten die Schüler gehabt. Demokratie will gelernt sein, da hat haben die Pädagogen noch gut zu tun. Mit der neuen Namensgeberin haben sie die passende Leitfigur „Förderung pluralistischer Entscheidungen und dem entschiedenen Eintreten gegen totalitäre Tendenzen.“ Vielleicht hat ja diese Philosophie Strahlkraft ins Stadtgeschehen.
    Eine Bürgerversammlung zum Stadtbad gibt es immer noch nicht, obwohl mehrheitlich gewollt. Die Arendt in Markranstädt ist längst überfällig.

    1. Mehrheitlich gewollt war auch eine neue Beigeordnete. Wir lernen: Es geht auch ohne – sowohl Mehrheiten als auch Beigeordnete. Alles friedlich, niemand beschwert sich, der Laden läuft.

    • Ulrich Naser auf 17. Juni 2023 bei 10:32
    • Antworten

    Auf Markranstädt’s Straßen kursiert der Name, Roberto Blanco, den sich die Bürgermeisterin für das Gymnasium gewünscht habe.
    Auch fehlt zur Weiterbildung im Bestand der Stadtbücher das Buch von Hannah Arendt, „Eichmann in Jerusalem“.
    Mit „Banalität des Bösen“ zeigt uns Hannah Arendt, wie oberflächlich das Böse ist – aber die ganze Welt verwüsten kann.
    Sollten wir in unserer Zeit nicht der Versuchung widerstehen, auch ich, alles zu zerreden?

    1. Kritiklos hinzunehmen und nicht zu hinterfragen – das lernen wir von Hannah Arendt – hat böse Folgen.

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