Neues aus der vierten Etage (12)

Kurz vorm totalen Shutdown, der diesmal eigenartigerweise nur harter Lockdown genannt wird, kam es am Donnerstag im KuK noch einmal zu einer sehenswerten Corona-Party. Insgesamt 55 Personen, allesamt aus unterschiedlichen Haushalten, hatten sich legal zusammengerottet, um der 12. Sitzung des Markranstädter Stadtrats beizuwohnen. Allen Virenwarnungen zum Trotz! In Sachen Unterhaltung hat es sich aber gelohnt und außerdem wird Corona bekanntlich erst ab kommenden Montag so richtig gefährlich.

Für die Denunzianten, die aus Feigheit vorm unsichtbaren Feind nicht kamen und trotzdem was zum Anzeigen haben wollen, hier erst mal die Zahlen:

Beeindruckende 27 Besucher auf den Rängen, 20 Stadträte im Auditorium, sieben Verwaltungsmitarbeiter auf dem Podium und ein Beschaller am Mischpult.

Wieder mal absoluter Teilnahmerekord im gesamten Speckgürtel um Leipzig! So angerichtet, hatten sich sogar längst in Vergessenheit geratene Gonokokken und andere Erreger vorfreudig ihre Lätzchen umgebunden. Motto: Es ist genug für alle da.

Mit drei Minuten Verspätung eröffnete Bürgermeisterin Nadine Stitterich die Spreader-Party, um schon im nächsten Satz quasi zwischen den Zeilen mitzuteilen, dass diese Aussage noch nicht ganz zutrifft. Also das mit der Bürgermeisterin.

Warten auf die Krönung

Ihre Vereidigung fiel den Corona-Beschränkungen ebenso zum Opfer wie manch anderer Punkt der Tagesordnung.

Also haben wir jetzt noch für eine Weile eine unvereidigte First Lady an der Verwaltungsspitze. Was soll’s. In Corona-Zeiten ist alles möglich und wenn die Kommunalaufsicht grünes Licht gibt, soll sowas das kleinste Problem sein.

Obwohl die Bürgerfragestunde laut Gerüchteküche auch geopfert werden sollte, fand sie dennoch statt. Ein bekannter Paparazzo der Stadt, witterungsbedingt diesmal mit Wollmütze statt Strohhut angereist, schien darauf wenig vorbereitet und hatte sich, weil er trotzdem was sagen wollte, statt eine Frage zu stellen spontan zu einem Statement entschlossen.

Ein frühes Omen

Okay, freie Rede ist nicht jedem gegeben und ein wenig Aufregung kam sicher auch noch hinzu. Was er da allerdings durchs Mikrofon auf die Reise in die Lautsprecher schickte, geriet zum ersten satirischen Höhepunkt des Abends. An Stitterich gerichtet, sprach er die unheilvolle Prophezeiung aus: „Die Gesellschaft der Stadt bedankt sich, dass Sie sich für dieses verantwortungsvolle Amt übernommen haben.“

Mit einem in über 50 Jahren gereiften Erfahrungsschatz in Sachen Humor kombiniert man da als Satiriker messerscharf. 

Entweder ist der Mann kurz vor seinem Aufbruch ins KuK durch einen Blick in die heimische Glaskugel spontan bekehrt worden oder sein Wunsch ist auf dem Weg vom Herzen zur Zunge dem berühmten Freud’schen Versprecher zum Opfer gefallen. Wie auch immer: Der Preis für den besten Lacher des Abends geht in die Südstraße.

Leider war das zugleich der Letzte. Danach wurde die Sitzung so trocken, dass sogar die Corona-Viren dehydrierten. Bestenfalls das Gähnen war noch ansteckend. Lediglich dreimal noch schreckte der Besucher aus Morpheus‘ Armen auf, allerdings nicht wegen lockenden Humors.

Da war einmal der Plan fürs neue Gerätehaus der Gärnitzer Feuerwehr. Angestachelt von einer offenbar nicht ganz eindeutigen Verwaltungserläuterung, schwante dem Räpitzer Ortsvorsteher Roland Vitz, dass die darin enthaltene räumliche Reserve für 30 Kameraden und ein drittes Fahrzeug quasi Tatsachen für die Bildung der bereits abgelehnten „Südwehr“ schafft.

Neue Südwehr-Kaserne?

Da ging’s dann rund im Ratssaal. Klare An- und Aussagen, dass der Bildung einer gemeinsamen Wehr der südlichen Ortschaften eine Absage erteilt wird, gab es dabei vom Podium nicht.

Gleichwohl zog Vitz seinen Antrag auf erneute Beratung schließlich zurück, um nicht als Verhinderer des Vorhabens dazustehen. „Gärnitz braucht einen Neubau“, betonte Vitz, hob aber den warnenden Zeigefinger: „Wenn daraus eine Südwehr wird, werden die Räpitzer nicht kommen. Es ist eine Freiwillige Feuerwehr, da kann man auch freiwillig austreten.“

Ein Geschmäckle hatte auch der Beschluss über die weitere Verfahrensweise mit den Kulkwitzer Vernässungsflächen. Der wurde schon mal verschoben, weil die geplante Lösung mit den Interessen der Ortschaft Quesitz kollidierte.

Jetzt wollte Heike Kunzemann wissen, ob denn der neuerlich eingebrachte Vorschlag auf Zustimmung aus Quesitz stoße. Um genau zu sein, fragte sie das sogar zweimal. In beiden Fällen erhielt sie keine Antwort. Vielmehr ging es nach der Wiederholung ihrer Frage direkt zur Abstimmung. Und das, obwohl mit Mike Hienzsch der oberste Interessenvertreter der Quesitzer im Gremium saß.

Weder wurde er aufgefordert zu antworten, noch meldeten er oder ein anderer Quesitzer Abgeordneter sich von selbst. Statt dessen kam dann von Hienzsch die einzige Gegenstimme zur Beschlussvorlage. Da musst du als Satiriker lange suchen, um daraus eine halbwegs fluffige Pointe zu zaubern. Versuchen wir’s also gar nicht erst.

Biete Kinder, suche Zeit

Bliebe noch die Diskussion um eine Interimslösung für 25 benötigte Kita-Plätze. Die zog sich über 37 Minuten hin. Jeder wollte dazu mal was sagen und sei es nur, um seinen Vorredner zu bestätigen.

Fest steht, dass die Abgeordneten, ebenso wie bei den beiden vorangegangenen Punkten und in zahllosen Sitzungen der letzten Jahre zuvor, wieder mal eine ad hoc-Entscheidung unter Zeitruck fällen mussten. Entweder du stimmst zu, oder du verhinderst es. Für Alternativen ist keine Zeit.

Das ist nicht Schuld der Verwaltung. Die Ursache liegt hauptsächlich in der Fördermittelvergabe und hier insbesondere bei deren Fristen. Im Ergebnis dieser seltsamen Politik muss aber endlich auch mal eingestanden werden, dass die Stadträte bei Bauvorhaben weder Beschlüsse fassen, noch Entscheidungen treffen.

Wenn sie ihre Hände heben, dann sind das bestenfalls Willensbekundungen. Die Entscheidung trifft allein der Fördermittelgeber und nicht der Stadtrat. Drum gibt’s dafür ja auch nur Sitzungsgeld und nicht Entscheidungsbonus.

Gelungene Premiere

Für Nadine Stitterich war dieser Abend die Premiere im Stadtrat. Man hätte ihr deshalb allerhand verziehen. Aber das musste man nicht. Es war eine souveräne Leistung, die sie abgeliefert hat. In Sachen Eloquenz mit Sicherheit einer der überzeugendsten Starts, seit Bürgermeister in Markranstädt wieder richtig gewählt werden dürfen.

Dass da noch kein Feuerwerk an Gags zu erwarten ist, war klar. Es waren die ersten Schritte mit Schlittschuhen auf glattem Eis. Da dreht man noch keine Pirouetten, wenn man stehenbleiben will. Aber ihr flammendes Plädoyer für ein kinderfreundliches Markranstädt als Schlusswort vor der Kita-Beschlussfassung, das war schon mal eine selbstbewusste, rhetorisch eindrucksvolle Duftmarke.

 

12 Kommentare

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    • Johannes Rudolph auf 17. Dezember 2020 bei 10:14
    • Antworten

    Mich hat der Bericht über den neuen Glockenstuhl auf euer Format aufmerksam gemacht. Als ehemalig langjähriger Kommunalpolitiker habe ich den Bericht über diese Stadtratssitzung mit großem Vergnügen gelesen. Große Klasse wie ihr diese oft sehr trockene Materie aufbereitet. Ich werde in Zukunft öfter mal reinschauen. Macht weiter so und viele Grüße aus der Dahlener Heide.

    1. In der Dahlener Heide gibts Internet? Spätestens jetzt zählen wir aber zu den systemrelevanten Bestandteilen internationaler Meinungsmache. Danke!

    • Rüdiger Kunzemann auf 13. Dezember 2020 bei 10:11
    • Antworten

    Das Vertrauen in Eure Berichterstattung über die Stadtratssitzungen schwindet.
    Für mich war es eine desaströse Sitzung in vielerlei Hinsicht.
    Da wurde die eben erst ausgegebene Tagesordnung zusammengestrichen in einer Weise, die anwesende Gäste erstaunte. Als Begründung musste die Pandemie herhalten. Kann eine Vereidigung nicht stattfinden weil die Bürgermeisterin hinter ihrer Maske nicht zu verstehen ist?
    Über das Streichen der letzten Tagesordnungspunkte wurde überhaupt nicht informiert.
    Auf die Tagesordnung kam auch eine Vorlage, die schon mal zurückgewiesen war. Die Verwaltung hatte NICHTS gemacht und drohte mit Fördermittelverlust. Es gab keinen Protest. Der Mangel an KiTa-Plätzen war seit Sept. bekannt. Wegen des drohenden Fördermittelverlustes gab es nur zaghaften Protest. Und die Anschaffung von 4 Laptops (eigentlich Notbooks) für eine Grundschule wäre nur dann ein Ruhmesblatt, wenn damit eine Vollversorgung der Lehrerschaft erreicht würde.
    RR

    1. Für das Vertrauen in Berichterstattung sind wir nicht zuständig. Dieser Bereich obliegt den seriösen Qualitätsmedien. Schauen Sie einfach dort mal nach, da steht’s bestimmt.

    • Sascha auf 13. Dezember 2020 bei 6:47
    • Antworten

    Ich verfolge die Markranstädter Nachtschichten gerne. Wie zuvor erwähnt, ist es bei der Berichterstattung aus den Ratssitzung fast so, als wäre mal live dabei.
    Trotzdem werde ich auch einen realen Besuch anstreben.
    Meine Bitte an das Team der M’städter Nachtschichten:
    Macht weiter so, Ihr seid Spitze!

    1. Das mit dem realen Besuch könnte schwer werden. Aufgrund der Abstandsregeln war das KuK am Donnerstag bis auf den letzten Platz gefüllt. Ronald Gängel musste sogar mit einem Stehplatz vorlieb nehmen. Könnte also sein, dass die Tickets für die vierte Etage künftig online verlost werden. Die FIFA hat ja gute Erfahrungen damit.

    • Samoht auf 11. Dezember 2020 bei 12:02
    • Antworten

    Das ist fast schon ein Wunder, dass da noch so viele Menschen hingehen. Wer Eure Artikel liest, ist ja fast schon dabei gewesen, da muss man gar nicht hingehen. Im Grunde genommen haben da die Grünen ihr einstiges Ziel „Kommunalpolitik vom Sofa aus“ Dank Euch erreicht. Und vielen Dank auch für den Freudschen Versprecher. Das ist wirklich ein Highlight.

    1. Der Vertrauensverlust in die Medien wirft auch dunkle Schatten auf die Glaubwürdigkeit der Markranstädter Nachtschichten. Drum überzeugen sich einige Einwohner noch immer lieber persönlich vor Ort über die wahre Wahrheit. Aber wir arbeiten daran. Irgendwann müssen sie uns glauben!

    • Micha auf 11. Dezember 2020 bei 8:58
    • Antworten

    in 100 Tagen wird kommentiert

    1. In 79 Tagen, Krümelkacker!

    • Pia Nörenberg auf 11. Dezember 2020 bei 8:29
    • Antworten

    Vor fünf Jahren wurde noch vollmundig von der Verwaltung versprochen die durch den Kitabau am Stadtbad weggenommene Fläche wird die einzige Einschneidung in die Fläche des Jugendclubs sein. Und siehe da, Volleyballfeld und Soccerfeld sollen weichen, wenn auch nur interimsweise. Ich habe privat ein Wettbüro eröffnet, dass in zwei Jahren die Schließung des Jugendclubs am Standort „Am Stadtbad“ zur Debatte stehen wird, zugunsten einer dauerhaften Kitaerweiterung.

    1. Dieses Angebot gilt nur für Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort in Schleswig-Holstein!

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