Hier gibt’s jetzt was auf die Glocken

Hochbetrieb auf dem Marktplatz und das zu einer Tageszeit, in der Nachtschichtler ihr Hirn gewöhnlich noch ins Kopfkissen schmiegen. Am Mittwochmorgen ist das Gebälk für den neuen Glockenstuhl der Stadtkirche angekommen. In den nächsten zwei Tagen werden die 38 Balken aus massiver Eiche zusammengesetzt. Ein gigantisches 3-D-Puzzle mitten im Kirchturm: Grade die richtige Beschäftigung in der besinnlichen Adventszeit. Titelfoto: Nadine Stitterich (2.v.r.) mit Pfarrer Zemmrich (r.), Fördervereinschef Burkhard Schmidt (2.v.l.) lassen sich von Helmut Rudolph (l.) und seinem Gesellen (vorn) den Aufbau des neuen Glockenstuhls erklären.

Rund drei Kubikmeter deutsche Eiche, oder genauer gesagt, 76 laufende Meter Balken mit einem Gesamtgewicht von rund 2,5 Tonnen, wurden in knapp einer dreiviertel Stunde zur Glockenstube in 22,5 Meter Höhe hinauf gehievt.

Mit einem Kran selbstverständlich. Beim Bau vor 500 Jahren musste das noch manuell per Flaschenzug-App bewerkstelligt werden. Vor diesem Hintergrund kam am Mittwoch bei den Beobachtern des Geschehens noch nach einem halben Jahrhundert tiefe Ehrfurcht auf.

Handmade by Rudolph

Wenns ein Auto wäre, könnte man den neuen Glockenstuhl nicht mehr als neu bezeichnen, denn er wurde schon einmal aufgebaut. Das geschah vor wenigen Tagen in der Werkstatt von Helmut Rudolph in Schönnewitz. Der Zimmerermeister ist der handwerkliche Vater der Konstruktion.

Per Kran wurden die 38 Einzelteile des neuen Glockenstuhls 22,5 Meter auf den Turm gehievt.

Per Kran wurden die 38 Einzelteile des neuen Glockenstuhls 22,5 Meter auf den Turm gehievt.

„Wir mussten ja sehen, ob alles passt. Drum haben wir den Glockenstuhl schon mal zusammengebaut, einem letzten Feinschliff unterzogen, dann wieder demontiert und heute hierher gebracht“, sagt Meister Rudolph, bevor er in die Frühstücksbemme beißt, um Kraft für den letzten Akt zu sammeln.

3-D-Puzzle im Turm

In nur anderthalb Tagen will er mit seinem Team die neue Konstruktion sozusagen „glockenfertig“ übergeben. Also gleich ran an die Arbeit. Die Beine bilden einen rotierenden Kreis, jeder Finger einen Propeller. Und siehe, schon drei Stunden später hatten die Schönnewitzer Zimmerer das Gebälk aufgerichtet.

Da wäre auch Bürgermeisterin Nadine Stitterich beinahe zu spät gekommen, um die Handwerker in Markranstädt zu begrüßen und sich vom Baufortschritt zu überzeugen. In ihrer Mittagspause riskierte sie den beschwerlichen Aufstieg ins Glockenstübchen.

Sie war wohl froh, dass der Pfarrer und ein zwei Zentner schwerer Satiriker samt Fotoausrüstung die steile, nicht ganz unlawede wirkende Stiege vor ihr testeten. Staub und Sägespäne kann man sich vom Kostüm klopfen, aber mit einer Laufmasche in 15 DEN-Nylons ins Büro zurückzukehren, macht sich auf dem Catwalk des Rathaus-Flures schlecht. Doch es ging alles gut.

Und aus der Kirche ehrwürdiger Nacht, war sie schließlich ans Licht gebracht. In der Mittagspause nutzte Nadine Stitterich die Gelegenheit, den Kirchturm zu besteigen.

Und aus der Kirche ehrwürdiger Nacht, war sie schließlich ans Licht gebracht. In der Mittagspause nutzte Nadine Stitterich die Gelegenheit, den Handwerkern einen Besuch abzustatten.

Was derzeit im Kirchturm passiert, ist eh erst die halbe Miete auf der Etappe zur Ertüchtigung des Glockenstuhls. Anschließend müssen die Glocken wieder abgesenkt und eingehängt, die neuen Klöppel angebracht und die Läuteanlage wieder angeschlossen werden.

Nicht zuletzt muss auch die Turmuhr gewartet, eingestellt und in Betrieb genommen werden, damit die Läuteanlage weiß, wann sie den Markranstädtern die Stunde schlagen oder die Schäfchen zum Gottesdienst rufen muss.

Der neue Glockenstuhl schlägt mit rund 13.000 Euro zu Buche, das gesamte Projekt ist mit Kosten in Höhe von rund 140.000 Euro kalkuliert. Den Eigenanteil von 4.700 Euro haben die Kirchgemeinde und Unterstützer durch Spenden bereitgestellt. Da blieben sogar noch rund 3.000 Euro Spendenmittel übrig, die nun als Anschubfinanzierung für das finale Ziel genutzt werden.

Sicher, der Neubau der Konstruktion war auch aus anderer Sicht notwendig, damit der Kirche die Glocken nicht wie bei einer überreifen Großmutter irgendwann mal in den Schoß fallen.

Aber noch eigentlicher wurden mit der Maßnahme die baulichen Voraussetzungen geschaffen, dass in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft mal wieder der harmonische Klang traditioneller Bronzeglocken durch die Markranstädter Lüfte schwingt.

Kleine Spielerei mit dem Photoshop für die Markranstädter Chronisten.

Kleine Spielerei mit dem Photoshop für die Markranstädter Chronisten.

„Im Gegensatz zur Ertüchtigung des Glockenstuhls ist das allerdings ein Vorhaben, für das es keinen Cent Fördermittel gibt“, bremst Pfarrer Michael Zemmrich verfrühte Erwartungen, dass da in den nächsten Tagen möglicherweise auch gleich neue Glocken eingehängt werden.

Wer schon mal beim seltenen Ereignis eines Gusses dabei war oder wenigstens Schillers Exklusiv-Reportage aus dem VEB Glockenguss Apolda gelesen hat, der weiß, warum ein Geläut so viel kostet, was es kostet.

Rund 100.000 Euro müssten aufgebracht werden, um das vorm Ersten Weltkrieg vorhandene Original-Geläut wiederherzustellen. Das ist mal ein Ziel, von dem sich alle Markranstädter angestachelt fühlen sollten.

Während andernorts aus eigener Kraft der Gemeinde ganze Gebetstempel samt Bose-Anlage für den Ausrufer finanziert werden können, wäre es doch traurig, wenn wir für das, was wirklich zu Deutschland gehört, nicht mal ein paar Glocken zustande bekommen.

Freude dieser Stadt bedeute
friedlich sei ihr erst Geläute.

 

2 Kommentare

    • Tilo Lehmann auf 10. Dezember 2020 bei 22:09
    • Antworten

    Tolle Weihnachtsbotschaft! Passt. Vielen Dank den Beteiligten.

    1. Stopp!!! Das war sie doch noch gar nicht! Der wahre Segen kommt erst ab Montag über uns.

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