Mit Live-Video von MN-TV: Die letzte Stunde der Zeit

Das Haus in der Lützner / Ecke Schkeuditzer Straße hatte in vielerlei Hinsicht einen Bezug zur Zeit. Es galt als eines der ältesten Gebäude der Stadt, in ihm residierte einst „Uhren-Sonntag“ und am Montag schlug die letzte Stunde des Gebäudes. Ausgerechnet die Zeit selbst war es, die das Gemäuer sturmreif geschossen hatte, wenngleich ohne nennenswerte Gegenwehr seiner Eigentümer.

Wieder ein Stück Stadtgeschichte vom Erdboden getilgt. Zwar war es am Ende wirklich nicht mehr zu retten (was Denkmalpfleger grundsätzlich anders sehen, solange sie nicht selber drin wohnen müssen), aber ein paar sentimentale Fragen bleiben trotzdem.

Man munkelt, die Denkmalschützer hätten nur deshalb kapituliert, weil es am ganzen Haus keinen einzigen Quadratzentimeter gab, an dem man das Uhu-Schild hätte befestigen können. Schon beim ersten Hammerschlag wäre der gesamte Komplex berstend kollabiert.

Trotzdem gab es lange Gefechte mit den Vertretern der Denkmalbehörde. Die dauerten so lange, bis es nichts mehr gab, worüber man hätte verhandeln können. Ein paar Scheingefechte noch … weil der alte Dachstuhl doch so schön war, soll der neue genauso aussehen.

Am Montag rückten die Abrissbagger an und schafften Baufreiheit für die „Neuen Höfe“ wie der Arbeitstitel des Bauprojektes lautet. Ganz im Sinne der Zukunft Markranstädts soll im Erdgeschoss mal eine Altentagespflege einziehen.

Im Obergeschoss will der Investor, die Sächsische Grundvermögen GmbH, selbst residieren und im hinteren Bereich sollen Wohnungen entstehen. Mit Balkonen selbstverständlich. Von Schallschutzfenstern war noch nicht die Rede am transeuropäischen Verkehrsdrehkreuz.

So ändern sich die Zeiten. Während sich der Ossi neue Häuser mit Seeblick kauft, müssen die einstigen Sieger aus dem Westelbischen Raum jetzt schon mit den runtergekommenen Ruinen vorlieb nehmen und die auch noch entsorgen. Mal schauen, was da jetzt wächst.

 

14 Kommentare

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  1. Als Zugezogene ist mir dieser Bericht eine ganz besondere und auch doppelte Freude:

    1. Weil meine Mutter vor ca. 95 Jahren bei Uhren-Sonntag, allerdings in der Filiale Leipzig, Kuhturmstraße 1, gearbeitet hat und wir Kinder später die glitzernden Schaufensterauslagen gezeigt bekamen und bestaunten.
    Leider fiel dieses schöne und gepflegte Großstadthaus wegen Straßenbegradigung auch unter die Abrissbagger. Schade!
    2. Dass in dem Neubauprojekt eine Senioren-Tagespflegeeinrichtung enthalten ist, freut mich außerordentlich.
    Als eine der Ersten überhaupt formulierte ich in den Jahren der Wende aus eigenem familiärem Betroffensein die Idee „Seniorentagespflege“ und durfte sie 1993 beim gesamtdeutschen Altenpflegekongress in Nürnberg vorstellen. Gleichzeitig bekam ich die Chance, lange bevor der Gesetzgeber den Begriff Seniorentagespflege überhaupt benannte, in meinem damaligen Arbeitsalltag die Idee mit einem Modellprojekt praktisch vorzeigbar zu machen. Ergänzend dazu brachte ich mit 2 weiteren Leipzigerinnen ehrenamtlich die trägerübergreifende Arbeitsgemeinschaft „Seniorentagespflege Leipzig“ auf den Weg und präsentierte sie mit einem Info-Messestand auf der Fachmesse „Häusliche Pflege“ in Leipzig.
    Soweit ein kurzer Rückblick in die Anfänge eines wichtigen neuen Arbeitszweiges der Altenhilfe.

    Dass es bald auch in Markranstädt eine Senioren-Tagespflegeeinrichtung geben wird, empfinde ich als späten Segen meiner früheren Arbeit, der mich sehr dankbar macht.

    Ich wünsche den Projektgestaltern gutes Gelingen und wäre sehr gern bei der Einweihung dabei.

    1. Für die Zukunft unserer Stadt ist es nie zu spät.

    • Rasputin auf 8. Dezember 2020 bei 14:39
    • Antworten

    Das war schon ne schnucklige kleine Bude, das Verließ von Uhren-Sonntag. Da hatte schon damals der Fußboden bedenklich nachgegeben. Irgendwann Ende der 70er oder Anfang der 80er hatte ich dort mal mein ganzes Taschengeld für eine Kette ausgegeben, die ich meiner ersten Freundin geschenkt hatte. Das Teil war, ebenso wie ihr Herz, aus Blei oder Eisen. Heute lehrt mich Bares für Rares, dass der ideelle Wert dieser 8-Mark-Kette weitaus höher war als der Materialeinsatz. So ähnlich wirds am Ende wohl auch bei dem Gebäude gewesen sein. Der ideelle Wert ist unbezahlbar, der Materialwert wird gerade zu einem Haufen zusammengekehrt und weggefahren.

    1. Das mit dem schweren Herzen Ihrer einstigen Angebeteten ist mit heutigem Kenntnisstand vielleicht leichter zu erklären? Möglicherweise kam die Maskenpflicht einfach nur vier Jahrzehnte zu spät? Nicht immer ist die späte Geburt eine Gnade. 😉

    • Sebastian auf 8. Dezember 2020 bei 12:43
    • Antworten

    BEBAUEN oder VERSAUEN.
    Nur weil es alt ist muss man nicht alles Alte stehen lassen.
    Ich persönlich habe das Kulturgut in diesem Haus bis heute nicht erkannt.
    War schon zu DDR-Zeiten kein Hingucker und sogar Graffitikünstlern
    ist die Farbe vor Tristheit bereits in der Düse ausgehärtet.
    Respekt vor Bärbel und all Jenen allerdings, welche persönliche Erinnerungen mit
    dem Haus verbinden.

    Jetzt wird es spannend, man kann die Ecke ja nun BEBAUEN oder VERSAUEN.

    So schön in der Stilrichtung der so genannten „Markranstädter Moderne“,
    also eckige Bauten mit modernen billigen Bauelementen, nicht verplastete und nicht verglaste Sichtelemente
    werden selbstredend in einer zu grau passenden Komplementärfarbe ausgeführt.
    Mal sehen ob die Urenkel von Gottfried Semper meine Erwartungen erfüllen und
    das Neue nahtlos in den Mief der Innenstadt integrieren.

    1. Das wird er. Bei der architektonischen Vielfalt der modernen Wohnwürfel mit der Ausstrahlung eines DDR-Transformatorenhäuschens lassen sich sogar mit einer grauen Schieferplatte städtebauliche Akzente setzen.

    • markranster auf 8. Dezember 2020 bei 12:03
    • Antworten

    Viele alte Bauten in Markranstädt (und anderswo) müssen (mußten) dem „Fortschritt“ weichen. Bei Lummitsch´s Inge ging meine Mutter zum Friseur (quasi zu ihrer einstigen Klassenkameradin), bei Sonntag habe ich mal einen schönen Zinn-Wandteller mit Markranstädter Motiv gekauft. Ja…lang ist´s her…

    1. In Sachen Volkshaus ist der Fortschritt einer grünen Brache gewichen und für den Zinn-Wandteller gibts vom Waldi wenigstens noch 80 Euro. Aber damit is dat Teil juut bezahlt!

    • Tilo Lehmann auf 8. Dezember 2020 bei 9:40
    • Antworten

    Tja- es ist wie mit dem Tierschutz: Auf das uns dann die Wildschweine heimsuchen, die Wölfe Gartenkaninchen u.a. Nutztiere verzehren, die Elstern (…Ach herrje das kann ja keiner ahnen…) die Singvogelnester zum Schweigen bringen …die Denkmalschützer also ebenso Ihren Beitrag leisten. Das deutsche Vokabular „Maßvoll“ dabei ein fremdwortartiges Gebilde zu sein scheint. Denn ach: „Die ich rief die Geister werd ich nun nicht wieder los“. Außer: „Bis das der Tod uns scheidet“. Lasst uns also zukünftig gesundes von Vegetariern gepriesenes natürliches gesundes Gemüse aus der Petrischale mit Genuss verzehren…Am Ende wird es sich verhalten wie mit dem „neuen Tor“ zur Stadt mit Blick zur Kirche und Rathaus: Jegliches hat seine Zeit, jegliches (Neue) hat seinen Reiz… Erhaltenswertes und Neues schaffen und das Nebeneinander: Klug gebaut kann auch in Harmonie einer Ehe gleichen…Ein paar ungesunde Altertumsflecke weniger steht meiner Meinung nach Markranstädt gut zu Gesicht. Hochachtung Denen die So etwas anpacken- und Bezahlen! Jedoch: Niemals die Geschichte, niemals die Tradition vergessen die unsere baulichen Zeitzeugen beherbergten. Denn das haben Menschen- sogenannte Ureinwohner- geschaffen!

    1. Stimmt, um Tierschutz gings da auch.Am Ende hatten sich sogar die Ratten über die Lebensbedingungen dort beschwert.

    • Sven Riedig auf 8. Dezember 2020 bei 5:55
    • Antworten

    Es ist sehr schade wenn Kulturgut den Bagger weichen muss. Wo ein Wille ist, sollte auch ein Weg sich finden lassen, sowohl der Denkmalschutz als auch der Eigentümer kann seien Beitrag dazu leisten. Es findet sich immer ein Kompromiss und der Bagger sollte keine Option sein. An unseren Haus sei auch schon Napoleon vorbeigeritten, so wurde uns überliefert. Also kann ich über die Hürden und in den Weg gelegten Steinen sehr viel schreiben, zum Beispiel mussten wir unseren Förderantrag beim Denkmalamt unter Androhung von Strafe, ja wirklich unter Strafandrohung, zurückziehen. Unser Gesindehaus hat einen nicht so einen kulturhistorischen Wert wie ein Schloss oder ein Gutshaus. Leider wurden wir bei unseren Projekt somit von niemanden finanziell unterstützt. Doch was nützt das jammern, wir haben mit sehr viel Energie und mit unseren Freunden die im selbstlosen Einsatz uns geholfen haben, dieses Projekt gemeistert und mit ihrer Hilfe das Häuschen in der Krakake saniert. Und Ja, wer damit leben kann, eine Eingangstür zu haben, bei der man auch ohne Spion seine Besuch durch die Ritzen der Tür sehen kann oder mit den Doppelfenstern auch doppelt so viel putzen muss, den kann ich so ein Haus nur empfehlen wir sind Glücklich in unseren Denkmalgeschützen Haus und sind froh diesen steinigen Weg einer denkmalgerechten Sanierung gegangen zu sein.

    1. Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht … Ist schon blöd bei so einem Altbau, wenn da noch echte Dielen knarren. Da kann man sogar nüchtern und auf Zehenspitzen von Tour zurückkehren, der Hausdrachen kriegt*s immer mit.

    • Bärbel Truppel auf 7. Dezember 2020 bei 17:46
    • Antworten

    Um 1930 zog der Friseur Hermann Lummitsch mit seiner Familie in das Haus. Nur eine Tochter, Ingeborg, erreichte das Erwachsenenalter. Diese heiratete den Friseur Hermann Bergmann und führte das Geschäft bis 1982. Ihre beiden Kinder, Ina und Bärbel, betreute die Oma im ersten Stock dieses Hauses. Bärbel hat jetzt einen Kloß im Hals…

    1. Solche Gedanken darf man doch heute nicht mehr äußern. Das könnte eine ganze Spaß-Generation auf Jahrzehnte traumatisieren. Kinder von der Oma im Lehmhaus betreut – am Ende vielleicht sogar noch ohne WLan? Kein Wunder, dass die jungen Menschen scharenweise in die Fänge der Pionierorganisation getrieben wurden. Aber im Ernst jetzt: Unser Mitgefühl ist ganz bei Ihnen, nicht nur wegen der persönlichen Hintergründe.

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