Nach elf Jahren neigt sich die Ära des MN-Blockbusters „Neues aus der vierten Etage“ so langsam ihrem Ende entgegen. Geht es nach dem Wunsch des Stadtrats (und sicher auch großen Teilen des Live-Publikums), fand am Donnerstagabend die vorletzte Show in der ebenso verwinkelten wie stickigen Dachkammer statt. Ab Januar soll das Ensemble ins KuK umziehen. Dahin wird es allerdings nicht gleich alle 22 Stühle mitnehmen müssen, denn ein Sitzmöbel bleibt weiterhin unbenutzt.
Der kleine Promuchel auf der Straße versteht die Welt nicht mehr. Vor einem halben Jahr noch hätte er jede Wette darauf gewonnen, dass die nordöstliche Verteidigungslinie am Ratstisch froh darüber wäre, Nadine Stitterich endlich ausgeschwitzt zu haben. Und jetzt will man sie auf einmal nicht gehen lassen.
Muss man nicht verstehen. Genauso wenig allerdings auch den zwar legalen, aber eher nicht legitimen Schachzug der Bürgermeisterin, sich auf das bigotte Abenteuer einer Scheinkandidatur einzulassen.
Abstimmen bis das Ergebnis passt
Die Folge: Zum Dritten Mal sollte der Stadtrat der Mandatsniederlegung Stitterichs zustimmen, zum dritten Mal hat er es abgelehnt. Und das, obwohl ein Ultimatum des Landkreises vorliegt, wonach die Duma keine andere Möglichkeit hat als in fest geschlossenen Reihen einheitlich die Hände zu heben.
Nuklearer Fallout am Ratstisch
Und so flogen auch beim dritten Anlauf am Donnerstagabend wieder die Fetzen am Ratstisch. Allerdings ohne Beteiligung der Bürgermeisterin. Die hat den gesamten Stadtrat inzwischen so weit auf Linie gebracht, dass sie nur noch dabei zuzuschauen braucht, wie sich die Räte mit bis zur nuklearen Sprengkraft aufgerüsteten Worthülsen im politischen Landgewinn üben.
Inzwischen kommen sogar verbale Scharfschützen zum Einsatz, die es gezielt auf die Ausschaltung einzelner Personen abgesehen haben und nicht einmal davor Halt machen, auch unbewaffnete Versorgungstruppen aus dem Rathaus ins Visier zu nehmen.
Neuer Friedensrichter mitten im Kriegsgeschehen
Die über 30 Schaulustigen, darunter der designierte stellvertretende Friedensrichter der Stadt, hatten so ihre Mühe, dem Schlachtverlauf zu folgen. Vor allem jene Augenzeugen, die es mit Logik und gesundem Menschenverstand versuchten, waren zum Scheitern verurteilt. Schauen wir also mal kurz auf die Situation.
Die Bürgermeisterin hat sich zur Stadträtin wählen lassen, darf beides aber nicht gleichzeitig ausüben. Also muss sie entweder als Stadtoberhaupt zurücktreten oder auf ihr Stadtratsmandat verzichten.
Der Mandatsverzicht bedarf der Angabe eines Hinderungsgrundes zur Annahme des Sitzes im Stadtrat und dieser Grund ist laut Sächsischer Gemeindeordnung durch ihre Funktion als Bürgermeisterin gegeben.
Die etwas andere Logik
An dieser Stelle könnte sich einem mit logischem Verstand gesegneten Menschen zwar die Frage stellen, ob die Bürgermeisterin vor dem Hintergrund dieses Ausschlusskriteriums überhaupt wählbar war, aber die Antwort darauf würde weite Teile der Bevölkerung vielleicht nur verunsichern.
Die Hände hoch, die Reihen fest geschlossen…
Jedenfalls wäre der Fall mit dem Vorliegen eines im Gesetz verankerten Grundes abgeschlossen: Die Ampel steht auf Grün, also darf sie fahren.
In Sachsen hat man allerdings schon traditionell mehr Sinn für Humor. Deshalb haben die Gesetzesschmiede in Dresden – wohl auch, um dem Sein der Demokratie noch mehr Schein zu verleihen – noch eine kleine Pointe eingebaut. Obwohl die Ampel auf Grün steht, muss der Stadtrat trotzdem erst noch darüber abstimmen, dass das Grün auch grün genug ist, um losfahren zu können. Wie gesagt: DASS es grün genug ist, nicht etwa OB.
Gewissensfragen zwischen Ab- und Zustimmung
Im Grunde genommen sollen die Stadträte also in einem als Abstimmung getarnten Akt der Zustimmung lediglich ihre einhellige Legitimation dieses Vorgangs zu Protokoll geben. Das schreit allerdings auf einem schon historisch durch seine Streitbarkeit bekannten Schlachtfeld wie Markranistan geradezu nach Rebellion.
Und der gemeine homo marcransis fragt sich: Wenn es von Gesetzes wegen gar nicht anders möglich ist als der Bürgermeisterin im Stadtrat den Laufpass zu geben, warum muss darüber noch ab… [ähm] zu… [ähm] – na ja, also …gestimmt werden?
Da müsste doch eigentlich allein die Tatsache und eine entsprechende Feststellung des Gesetzgebers reichen? Nun gut, da sie aber nun einmal – nein, inzwischen dreimal – gefragt wurden, antworteten die Stadträte natürlich auch artig.
Gerade Linie trotz schräger Forderung
So wie Heike Kunzemann (Linke), die den vom Landkreis befohlenen Abstimmungszwang für „schräg“ hält und sich allein ihrem Gewissen verpflichtet fühlt. Oder wie Lydia Ramm von den Grünen, die politische Winkelzüge wie die Scheinkandidatur der Bürgermeisterin nicht auch noch durch ihre Zustimmung bei der Abstimmung legitimieren will.
Oder wie Rico Kanefke (CDU), der selbst vor dem bereits feststehenden Ergebnis eines Beschlusses wenigstens noch die Unterlagen einsehen will, auf deren Grundlage seine Zustimmung schon vorausgesetzt wurde.
AfD setzt deutliches Zeichen für demokratischen Rechtsstaat
Und so kam es, dass die Vertreter der Freien Wähler Markranstädt Schulter an Schulter mit der AfD plötzlich die letzten verbliebenen Verbände stellten, die in unverbrüchlicher Systemtreue noch für die Aufrechterhaltung unseres demokratischen Rechtsstaates einstanden und tapfer für ein „weiter so“ des Systems votierten.
Das ist zwar bemerkenswert, reichte angesichts der lediglich sechs Stimmen allerdings längst nicht aus, um die einst aus der Nationalen Front hervorgegangenen Fundamente unserer Demokratie zu verteidigen, die sich durch überwältigende Zustimmungen von 100 Prozent auszeichneten.
Sorge um Zukunft des Humors
Das Ende vom Lied: Jetzt wird die Rechtsaufsicht beim Landkreis den Vorgang an sich ziehen und das verweigerte Einverständnis des Stadtrates notfalls durch eine eigene Zustimmung ersetzen. Der homo marcransis könnte sich jetzt fragen: Warum nicht gleich so? Das Team der Markranstädter Nachtschichten hingegen blickt angesichts solcher Entwicklung mit wachsender Sorge in die Zukunft und fragt sich: Wozu braucht es künftig noch Satiriker, wenn sich die Politik im Zuge kultureller Aneignung deren Werkzeuge bedient?
16 Kommentare
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Ob das Hin und Her den Fachkräftemangel verdeutlichen soll oder eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ist, man weiß es nicht genau. Wie hoch der Preis für diese Winkelzüge ist, weiß nur eine Frau.
Großen Dank an die Markranstädter Nachtschichten für die Berichterstattung. Lasst euch den satirischen Thron nicht streitig machen!
Wie hoch der Preis für diese Winkelzüge ist, weiß nur eine Frau. Frau Sinus oder Fräulein Tangens?
Ich muss zugeben, es hat lange gedauert, bis ich überhaupt die Tastatur wieder richtig sehen konnte, so tränenblind waren meine Augen ob der ach so traurigen Elogen unseres Lasallaners, der jetzt „nur noch“ Bürger ist.
Man sieht an dem Geschreibe hier ganz genau, worin die Qualifikation einiger „Langgedienter“ bestand und noch besteht…aus der Tatsache, schon von Anfang an dabei gewesen zu sein. Natürlich erst nach dem glorreichen Mauerfall, der wahrscheinlich auch genau von solchen wackeren Heronen herbeigeführt wurde! Die Gemeindeordnung lesen, kennen und auch noch verstehen – Schmuck am Nachthemd!!!. Ich verneige mich in tiefster Ehrfurcht und hoffe, dass ich bald wieder was aus dem Widerstandsnest höre…
Der Schmerz in Ihren Worten lässt auf eine tiefe Verletzung Ihrer Gefühle schließen. Ob aber der Lasallaner dafür die Verantwortung trägt, ist ebenso fraglich wie die Heronen, die den Mauerfall herbeigeführt haben. Wer die Gedenkfeierlichkeiten zu dessen Jahrestag aufmerksam verfolgt hat, wird die Wahrheit kennen: Die Mauer wurde Bauunternehmer Jürgen Schneider niedergerissen, nachdem Olaf Scholz, Michael Kretschmer, Burkhard Jung und Manuela Schwesig die Wende herbeigeführt hatten. Zu sehen hier: https://www.lvz.de/lokales/leipzig/scholz-beim-lichtfest-in-leipzig-rede-vom-teleprompter-und-wenig-buergerkontakt-AMVXLBJXHBB3DMC2RTDFT5UBJE.html
Die Montagsdemonstrationen 89 waren durch keine Rechtsverordnung legitimiert. Aber ohne sie würdest Du schwerlich hier Deine Meinung ausbreiten können.
Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt.
Scheinkandidaturen bei Kommunalwahlen sind legal, aber nicht unumstritten. Zu den demokratischen Grundprinzipien gehört es, dass Regelwerke im Lauf der Zeit optimiert werden. Aus anderen Lebensbereichen ist das Streben nach kontinuierlicher und unendlicher Verbesserung unter dem Begriff Kaizen bzw. Toyotismus bekannt und bewährt. Die Verbesserung erfolgt in einer schrittweisen, punktuellen Perfektionierung oder Optimierung eines Produktes oder Prozesses. Ein Produkt oder Prozess wird nicht dadurch besser, dass man ihn dreimal in die Hand nimmt, wenn ein einziger Prozess auch reichen würde. Das Konstrukt der Scheinkandidatur kann nur durch die Stadträte selbst auf den Prüfstand gestellt werden. Jemand anders wird es nicht tun. Somit halte ich es für legitim, wenn da nicht nur nickende Masken sitzen. Wie immer, wenn sich zwei Gruppen über eine Rechtsfrage nicht einig werden, muss letztlich ein Gericht entscheiden, damit Rechtsfrieden eintritt. Auch das ist nicht moralisch verwerflich, sondern ein völlig legitimer Vorgang und eindeutig zielführender als eine Entscheidung gegen das eigene Gewissen.
Das haben Sie aus dem Kommunistischen Manifest kopiert, gelle? Über die Phase der Optimierung von Prozessen sind wir allerdings längst hinaus. Jetzt geht es darum, die optimierten Prozesse durch Gesetze, Paragrafen und Formulare so kompliziert zu machen, dass neue und damit potenziell gefährliche Ideen bereits im Keim erstickt werden (ähnlich einer Krebsbestrahlung). Resultat: Ein nachhaltig aus natürlichen Ressourcen gebauter Sarg, in dem das Land so zu Grabe getragen werden kann, dass es sich anschließend selbst zu Humus zersetzt. Deshalb auch der händeringende Ruf nach Arbeitskräften aus dem Ausland, denn wer soll den Sarg sonst tragen? (aus: Die Bibel, Habeck 6.11.)
Mag sein. Bevor man sich über Monate hinweg darüber streitet, ob eine Parkbank hierhin oder dorthin gestellt wird, sollte man es einfach mal um des lieben Friedens willen gut sein lassen. Wenn demokratische Prinzipien auf dem Spiel stehen, wäre das das schlimmste, was man machen kann.
Für den Artikel mal wieder Note 1. Trotzdem noch ein Sonderlob für was anderes: Die Texte, mit denen Ihr im Newsletter Euer Tun ankündigt, sind inzwichen fast genauso gut.
Ob Sie es glauben oder nicht: Wir können nicht nur zwischen den Zeilen schreiben, sondern auch lesen. Demnach wollen Sie uns also mitteilen, dass Sie den Artikel nicht verstanden haben und froh darüber sind, dass Sie wenigstens den Sinn des in einfacher Sprache abgefassten Info-Textes erfasst haben?
Hallo liebes Team,
sehr traurig , was mit der Demokratie geschiet.
Es kommt kein Aufschrei bei dem Schulterschluss Freie Wähler und AfD
Warum denn auch? Es sind doch die einzigen, die noch für unsere demokratischen Grundwerte eintreten. Sie sehen ja, wo es hinführt, wenn jeder Mandatsträger nur noch nach seinem eigenen Gewissen abstimmt. So was hätte es in der Volkskammer nie gegeben!
Der Verdruss darüber, dass in Politik und Verwaltung nicht im Vordergrund steht, was dem gemeinen Volke gut tut, bringt die Menschen auf die Palme oder lässt sie resignieren.
Das Schlimme ist, dass zu treffende Entscheidungen in erster Linie davon abhängig sind, inwieweit sie das eigene Wohlbefinden im Amt gefährden.
Genau deshalb wird sich Herrn Graichen samt seiner juristische Abteilung von der geradlinigen, mutigen Entscheidung seiner CDU – Leute, – einschließlich Grüne/SPD, distanzieren müssen und die gesamte Truppe in die Pfanne hauen.
Die jenigen Stadträte, die das unwürdige tacktieren der Bürgermeisterin nicht mittragen, haben sich ein fettes „Daumen hoch “ verdient. Es lebe das kleine, zänkische Bergdorf am Rande des Leipziger Landkreises! Und Eure geniale Berichterstattung!
Aber wenigstens hat der Landrat sein zuversichtliches Lächeln noch nicht verloren. Da muss jede Menge Botox im Spiel sein. Mal sehen, ob er unter Entzugserscheinungen leidet, wenn es im Januar wieder mit den Kranzniederlegungen los geht, bei denen er wenigstens fünf Minuten am Stück betroffen gucken und das Zeug deshalb absetzen muss.
Betrachtet der geneigte politisch interessierte Markranstädter – die Feststellung eines Hinderungsgrundes – allein aus einer Perspektive der blanken Macht, dann wird ihm auf einmal ein Licht aufgehen und er wird das ganze Gezerre besser verstehen. Ziel der Bürgermeisterin war es, wie sie selber bei einer Wahlveranstaltung der FWM in der Stadthalle ausführte, durch ihre Kandidatur mit Hilfe des Höchstzahlverfahrens Sainte-Laguë, möglichst viele Stadtratssitze für die FWM zu erringen. Zusammen mit den Stadträten der AfD, so ihr Kalkül, hätte sie im neuen Stadtrat eine komfortable Sperrmajorität. Dies ist ein legitimes Ziel, die eine Gesetzeslücke ermöglicht. Darüber hinaus ging es gegen die bisherige Mehrheit von CDU/BfM, dazu ein O-Ton von einem sehr selbstbewussten Dr. Kirschner, bei einer Veranstaltung mit Schülern im Mehrgenerationen Haus: „An uns kommt keiner vorbei.“ Schließlich führte die Bürgermeisterin erklärend aus und ihre Beweggründe sind höchst Ehrenhaft:: „Ich will, in meinen restlichen 3 1/2 Amtsjahren, Projekte erfolgreich durchführen, zum Wohle der Stadt Markranstädt.“
Trotz alledem, als Mitglied einer Partei, die seit über 160 Jahren zäh und manchmal bis an die Grenze der Selbstverleugnung um den Bestand der Demokratie kämpft, sträuben sich mir alle Nackenhaare bei diesem finsteren Ränkespiel.
Ach Sie sind das, der noch in der SPD ist? Respekt! Es gab übrigens mal Zeiten, da konnte auch die SPD von sich sagen: „An uns kommt keiner vorbei.“ Doch dann kam ein Rechtsanwalt aus Hannover und hat die Ideale der Arbeiterklasse überholt ohne einzuholen. Also dann: Bleiben Sie stark, Markranstädt ist nicht die Bundesrepublik.