Nix aus der vierten Etage, dafür die Wahrheit über die Einheit

Eine für den gestrigen Einsatz operativ eingesetzte informelle Mitarbeiterin mit Noro-Viren wechselweise mal im Bett und mal auf dem Klo, ein anderer auf Montage und für den Rest der Markranstädter Nachtschichten versprachen die letzten beiden Folgen von „Weissensee“ mehr Unterhaltung als die 13. Folge der Doku-Soap „Neues aus der vierten Etage“, bei der nicht einmal der wiederholt angekündigte Besuch eines Vertreters des SSV auf der Tagesordnung stand. Also haben wir die Duma einfach gehakt und uns die Zeit bis zum Beginn des ARD – Gemeinschaftsempfangs mit der BILD-Sonderausgabe vertrieben.

Nachdem BILD im letzten Jahr ganz Deutschland mit einer Gratis-Ausgabe zum 25. Jahrestag des Mauerfalls beglückte, folgte nun anno 2015 eine noch viel originellere Idee: eine BILD-Sonderausgabe! Darauf muss man erst mal kommen! Und dann noch die strategische Entscheidung, das Kompendium in Markranstädt zu verteilen, wo man auch ohne Sonder- und Jubiläumsausgaben schon unter der Pressevielfalt ächzt. Aber es kommt noch dicker.

Früher kam vorher wenigstens noch ein Vertreter ins Haus, der erst fragte, welche Rolle „Bildung und Wissen“ in der Familie spielen, um dann ein unschlagbar günstiges Angebot für eine 20-bändige Lexikothek zu 10.000 DM auf den Tisch zu knallen. Manche zahlen dieses Wissen heute noch ab, obwohl es längst wertlos geworden ist.

Denn heute kommt das geballte Wissen der letzten 25 Jahre als Konzentrat völlig ungefragt und scheinbar kostenlos in die wiedervereinigten Briefkästen. Mal abgesehen von der darin enthaltenen Werbung, für die man laut bildblog.de lächerliche 4,2 Millionen Euro pro Seite auf den Springer-Tisch legen musste und die bei acht ganzseitigen Anzeigen (vom viel Mist machenden Kleinvieh zwischen den investigativen Neuigkeiten mal abgesehen) schon mal fast 34 Millionen (wie würden sich die gerade von diesen Inserenten angeblich herbeigesehnten ausländischen Fachkräfte nur über ein Zehntel davon freuen) allein im Großformat ausmachen, erfuhr man auch sonst nicht viel Neues.

Sämtliche Helden der Deutschen Einheit kamen zu Wort. So beispielsweise Atze Schröder (Erfinder von „Wir sind das Volk“) oder Bülent Ceylan („Ich bin gekommen, um ihnen mitzuteilen, dass ihre Ausreise heute…“), Veronica Ferres („Stasi in die Volkswirtschaft!“), Mario Götze („Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das … sofort, unverzüglich“) oder sogar Jogi Löw, dem niemand anderes als Walter Ulbricht beibrachte, wo eine Mauer zu stehen hat.

Jürgen von der Lippe durfte nach 25 Jahren in BILD endlich ebenfalls sein Schweigen brechen und mit einem exklusiven Erfahrungsbericht aus dem Gefängnis der Wahrheit zum Durchbruch verhelfen. Zwei Ossis haben wir auch entdeckt: Stefan Mross und Heike Drechsler. Der große Rest wurde wahrscheinlich von der Treuhand verhökert, die in diesem Wissensspeicher ebenso unter den Tisch gekehrt wurde wie Pittiplatsch oder Georg Buschner.

Quoten-Mross bläst zur Einheit

Es kann durchaus sein, dass auch ein paar Markranstädter unter den Demonstranten waren, die im Herbst ’89 um den Leipziger Ring zogen. Gut möglich auch, dass danach fast alle mal im Westen waren, um sich ihr Begrüßungsgeld abzuholen. Aber den Preis, dafür alljährlich mit einer Jubiläums-, Sonder- und perspektivisch ganz sicher auch Supersonder- oder Supersonderjubiläumsausgabe heimgesucht zu werden, haben wir nicht verdient. Jedenfalls jetzt noch nicht.

Ich bin doch nicht blöd…oder???

Wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher, sind wir anlässlich des 50. Jubiläums sicher schon verblödet genug, um uns auf solch investigativen Journalismus vielleicht sogar zu freuen. Aber heute? Wir sind einfach noch nicht so weit. Echt nicht!

Das zeigen auch die öffentlichen Reaktionen auf diesen Fausthieb ins Angesicht deutscher Geschichte und Kultur. Das Internet kollabiert geradezu unter der Vielzahl der Vorschläge, was man mit der BILD Sonderausgabe am besten anstellen soll.

Das Spektrum reicht von der Verwendung der Großbuchstaben auf Drohbriefen über den Bau von Papierflugzeugen (die dann auch bessere Flugeigenschaften aufweisen als der Eurofighter) bis hin zur Aufforderung, das Blatt in Briefkästen der Post zu werfen und es so wenigstens auf staatliche Kosten entsorgen zu lassen.

Upcycling über der Schüssel

Das Team der Markranstädter Nachtschichten hat eine ökologischere Lösung gefunden. Bei der Rück- oder Wiedergewinnung von Rohstoffen, dem Recycling, unterschiedet man nach dem so genannten Downcycling, das gegenüber dem Ausgangsprodukt verminderte Eigenschaften aufweist und dem Upcycling, bei dem ein wertvollerer Rohstoff als das Ausgangsprodukt entsteht.

neu-4Als Reminiszenz an gewisse Versorgungsengpässe zu DDR-Zeiten, da man in Ermangelung ausreichender Vorräte an Toilettenpapier schon mal zum Neuen Deutschland griff, haben wir uns mit der BILD-Sonderausgabe eine innovative Lösung für das ultimative Upcycling einfallen lassen. Natürlich weiß der gelernte DDR-Bürger noch, dass man das Papier vorher ordentlich zerknüllt, um sich keine Fissuren oder Schrunden beizubringen.

Was soll man sagen? Das Upcycling hat so hervorragend geklappt, dass wir unserer an Noro-Viren erkrankten Kollegin unverzüglich ein Care-Paket mit 20 Sonderausgaben gepackt und nach Leipzig geschickt haben. Gute Besserung, Deutschland!

 

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