Und täglich grüßt das Murmeltier…

In der Nacht vom Samstag zum Sonntag geht wieder das große Uhrenstellen los. Es könnte allerdings das letzte Mal sein, dass wir die Chronometer um eine Stunde verstellen. „Zeit ist Geld und Geld haben wir nicht“, sagt die vom internationalen Finanzkapital gesteuerte EU-Kommission. Sie will nun Zeit sparen und damit auch Geld. In einem ersten Schritt sollen die Uhren im nächsten Sommer nur noch 43 Minuten vor- und im Herbst 47 Minuten zurückgedreht werden. Die Küchenuhr wird zum Ventilator und das viel beschworene Wachstum hat mehr Zeit zu wachsen.

Warum wir uns die Zeit so diktieren lassen, wie es unseren Diktatoren gerade gefällt, hat einen Grund, den der europäische Prolet längst vergessen hat. Es geht nur darum, dass der Dussel länger arbeiten kann. Das könnte er freilich zu jeder Zeit, aber nicht zu jeder Zeit gibt es Tageslicht. Und weil die Arbeitskraft schon ohne Mindestlohn stets viel zu teuer war und deshalb heute noch teurer ist, muss man bei der Energie sparen.

So lange die Sonne scheint, braucht man den Arbeitsplatz nicht zu beleuchten, was die Nebenkosten dämpft. Also wird der Tag so verschoben, dass es im Winter früher hell wird und im Sommer abends länger hell bleibt. So einfach ist das. Bloß gut, dass die Zeitverschiebung generell zentral gesteuert wird. Nicht auszumalen, wenn das jeder Bürgermeister für seine Kommune selbst festlegen könnte.

Reise in die Vergangenheit

Möglicherweise würden wir Markranstädter uns bald schon in einer Art Zeitschleife wiederfinden und jeden Tag den 3. Oktober 2015 feiern, damit wir dem im Cabrio durch die Leipziger Straße fahrenden Bürgermeister zuwinken können. Und täglich grüßt das Murmeltier.

Auch unser Amen in der Kirche würde in dieser Situation viel inbrünstiger über die Lippen kommen, hätte doch die Formel „in Ewigkeit“ nun die ihr gebührende Dimension in unserer Gefühlswelt.

Und was könnte man mit dem Wissen von heute in der Vergangenheit nicht alles anstellen? Von verbessern gar nicht erst zu reden. Da reicht ein Besuch beim Buchmacher. „Ich wette zwanzig Mäuse darauf, dass morgen die Grundmauern der geplanten Toilette am Parkplatz Oststraße durch den Fahrtwind des Baggers zum Einsturz gebracht werden.“ Anschließend kann man sich zur Ruhe setzen, selbst dann, wenn die Zeit danach einfach weiterläuft.

Ach, wenn es doch nur wirklich so einfach wäre mit dem Zurückdrehen der Zeit. Wir könnten so lange an der Uhr leiern, bis der Sprit wieder eine D-Mark kostet oder die Krankenkasse die Brille bezahlt. Man könnte sich dann auch noch mal in Ruhe überlegen, ob man dem einen oder anderen ruhebedürftigen Zeitgeist ein Grundstück am Westufer verkauft.

Aber warum schauen wir eigentlich immer nur zurück? Ein mutiger Blick nach vorn ist doch viel interessanter. Markranstädt anno … sagen wir … 2023.

Soeben hat die vor drei Jahren gewählte Bürgermeisterin eine Wahlanfechtungsklage erfolgreich abgewehrt und ihr Amt antreten können. Ihr erster öffentlicher Auftritt ist eine Einweihungsfeier (was sonst?), nachdem das Sportcenter in den letzten fünf Jahren sinnstiftend zur Schwimmhalle umsaniert worden war.

Aber es warten schwere Aufgaben auf das neue Stadtoberhaupt. Die Gondoliere im Lagunendorf Kulkwitz streiken, weil die EU, die inzwischen nur noch aus Rumänien und Sachsen besteht, deren „Berechtigungsscheine zum Führen beidhändig bedienter Einruder-Wasserfahrzeuge für den maritimen Personenverkehr in touristisch erschlossenen Binnengewässern“ nicht anerkennen will.

ventilator

Die sportliche Schlagzeile dieses 30. Oktober 2023 schreibt die dritte Mannschaft der SG Räpitz, die im Abstiegskampf der 2. Fußball-Kreisklasse das Nachbarschaftsduell gegen die Erste von Aufsteiger SSV Markranstädt mit 2:0 für sich entscheidet. Auswärts! Einzige Zuschauer im Stadion am Bad sind Mitglieder eines Rollatorengeschwaders aus der gegenüberliegenden Seniorenresidenz, die vor Jahren als umstrittene Kita am Bad für Unterhaltung im Bürgertum sorgte.

In der Stadthalle ist großer Bahnhof. Die Markranstädter Nachtschichten haben anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens zu einem Festbankett geladen. Am Eingang kommt es zu tumultartigen Szenen, weil sein persönlicher Sekretär Anton Hofreiter vergessen hat, Bundespräsident Abdul Al-Ahadal (GRÜNE) akkreditieren zu lassen.

Verärgert verlässt das Staatsoberhaupt den Schauplatz und fährt zurück zum Flughafen Priesteblich. Der ist vor zwei Jahren mit Mitteln eines griechischen Finanzkonsortiums aus der Investruine einer einst vorgesehenen Umgehungsstraße entstanden.

In der vierten Etage bahnt sich ein historischer Moment an. Ein inzwischen 82jähriger Einwohner stellt seine 5000. Bürgerfrage zum längst überfälligen Bau einer Toilette am Westufer des Kulkwitzer Sees. Die Dokumente, die er der Bürgermeisterin dazu überreichen wollte, liegen auf einer Euro-Palette unten vorm Eingang, weil der Fahrstuhl vor zwei Jahren endgültig seinen Geist aufgegeben hat.

Zurück in die Gegenwart

Gern hätte er die Unterlagen auch per E-Mail an die Verwaltung geschickt, aber die hat seit 2016 ein technisches Problem mit dem Datenempfang von ausgerechnet seiner Adresse, das trotz aller Bemühungen bis heute nicht behoben werden konnte. Außerdem soll mit dem Beginn des Breitbandausbaus erst noch begonnen werden.

Mal ehrlich, liebe Leserinnen und Leser, wollen Sie das wirklich erleben? Okay: Also zurück in die Gegenwart. Wenn Sie in der Nacht von Samstag zu Sonntag Ihre Uhren verstellen wollen, dann sollten Sie genau wissen, was Sie tun. Bei fehlerhafter Tatausübung können Ihnen drastische Strafen drohen. Also Hände weg von der Gas- und von der Wasseruhr! Das kann richtig teuer werden.

Zeit, die nie vergeht

An Ihrem Wecker oder Ihrer Küchenuhr können Sie sich hingegen nach Belieben austoben. Stellen Sie das Teil ruhig mal fünfeinhalb Stunden vor. Das verlängert den Sonntag und verleiht Ihrem Leben mehr Inhalt. Ach so, für die Krümelkacker, die immer alles genau machen wollen: Wissen Sie eigentlich, wohin Sie die Zeiger an Ihrem Zeitmesser drehen müssen? Wir hätten da drei Vorschläge:

  • eine Stunde länger schlafen (Uhr zurückdrehen)
  • eine Stunde weniger schlafen (Uhr vorstellen)
  • googeln, in welche Richtung die Uhr verstellt werden muss

Viel Spaß bei der Lösung des Rätsels!

titelwebgross

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